Physiologie lernen - den Organismus verstehen


Wie funktioniert der menschliche Körper?

XIV.       Körperhaltung und Motorik       XVI.

Skelettmuskel und  Kontraktion

Leistungsfähigkeit der Muskulatur

Rückenmark: Motorik und Propriozeption

Kontrolle der Haltung und die Rolle des Hirnstamms

Kleinhirn und Motorik

Basalganglien und Motorik

Thalamus und Motorik

Motorische Rinde, Okulomotorik, Integration

Untersuchung motorischer Systeme


Die Muskeln sind das Ausführungsorgan des Gehirns. Gemütslage und Gesundheitszustand des Menschen drücken sich in der Art aus, wie er seinen Körper hält und bewegt ("Körpersprache"). Der Arzt kann Abweichungen des Haltungs- und Bewegungsmusters diagnostisch deuten und so viel über Befindlichkeit und allfällige neurologische Störungen der betreffenden Person erfahren.

Im Körper des Menschen setzen hunderte von Muskeln an rund 200 Knochen an. Das Zusammenspiel der Einzelkomponenten ist komplex und genau portioniert - eine enorme Rechenleistung. Bis heute erreicht kein Roboter vergleichbare Komplexität, Geschwindigkeit, Präzision und Elegance.

Motorische Defekte äußern sich dergestalt, dass sie Hinweise auf die Natur der Erkrankung geben. Aus solchen Ausfallsymptomen hat man viel über die Physiologie des Zentralnervensystems gelernt, und umgekehrt profitieren diagnostische und therapeutische Entwicklungen von der Erforschung der normalen Funktionen in Nerven- und Muskelgewebe.

Der Skelettmuskel ist so organisiert, dass definierte Gruppen von Muskelzellen jeweils einer motorischen Vorderhornzelle im ZNS untergeordnet sind (motorische Einheit). Dadurch sind die Bedingungen für die Kontrolle klar: Jede Muskelzelle hört nur auf das Kommando "ihrer" Nervenzelle. Wie groß eine motorische Einheit ist, korrespondiert mit den Ansprüchen an die Präzision der Kraftentfaltung.

Die muskuläre Leistungsfähigkeit hängt vor allem davon ab, wie stark im Bedarfsfall die Durchblutung steigen kann: Vor allem muss für die oxidative Energiegewinnung in den Mitochondrien genügend Sauerstoff verfügbar sein (der lokale O2-Verbrauch kann bis um das ~50fache ansteigen).

Als Substrat für die Energiegewinnung dienen vor allem Fettsäuren; bei kurzfristigen Höchstleistungen rückt der Verbrauch von Glucose in den Vordergrund (3% der Masse von Muskelzellen ist Glycogen, ein Teil kann zur Glucosegewinnung in der Muskelzelle herangezogen werden), und wenn es nicht mehr für den vollständigen oxidativen Abbau bis zu CO2 (Citratzyklus) reicht, endet der Abbau bei Lactat (Lactazidose im Blut bei erschöpfender Arbeit - in der Sportmedizin kann die Messung des aktuellen Lactatspiegels Aufschluss geben, ob die Erschöpfungsgrenze wirklich erreicht ist).

Die Steuerung der Muskelaktivität erfolgt hierarchisch gestaffelt auf verschiedenen Ebenen: Beginnend mit simplen Sehnenreflexen (Rückenmark bzw. Hirnstamm), kommen immer komplexere Mechanismen ins Spiel (Hirnstamm, Kleinhirn, Basalganglien, limbisches System, motorische Großhirnanteile).

Eine besonders feingliedrige Bewegungssteuerung hat die Okulomotorik: Über die Nn. oculomotorius (III), trochlearis (IV) und abducens (VI) wird die äußere Augenmuskulatur mit enormer Präzision gesteuert, sodass das Netzhautbild trotz Störbewegungen (z.B. beim Laufen) stabilisiert wird und nicht "verwischt". Andererseits wird das Blickziel durch sakkadische Bewegungen - präzise geplant - auf neue Objekte eingestellt, ohne dass dies bewusst reflektiert werden muss.


© H. Hinghofer-Szalkay