Physiologie lernen - den Organismus verstehen
Wie funktioniert der menschliche Körper?
Die Muskeln sind das Ausführungsorgan des Gehirns. Gemütslage und Gesundheitszustand des Menschen
drücken sich in der Art aus, wie er seinen Körper hält und
bewegt ("Körpersprache"). Der Arzt kann Abweichungen des Haltungs- und Bewegungsmusters diagnostisch deuten und so viel über Befindlichkeit und allfällige
neurologische Störungen der betreffenden Person erfahren.
Im Körper des Menschen setzen hunderte von Muskeln an rund 200 Knochen an. Das Zusammenspiel
der Einzelkomponenten ist komplex und genau portioniert - eine enorme Rechenleistung. Bis heute erreicht
kein Roboter vergleichbare Komplexität, Geschwindigkeit, Präzision
und Elegance.
Motorische Defekte äußern sich dergestalt, dass sie Hinweise
auf die Natur der Erkrankung geben. Aus solchen Ausfallsymptomen hat man
viel über die Physiologie des Zentralnervensystems gelernt, und umgekehrt
profitieren diagnostische und therapeutische Entwicklungen von der Erforschung
der normalen Funktionen in Nerven- und Muskelgewebe.
Der Skelettmuskel ist so organisiert, dass definierte Gruppen von
Muskelzellen jeweils einer motorischen Vorderhornzelle im ZNS
untergeordnet sind (motorische Einheit).
Dadurch sind die Bedingungen für die Kontrolle klar: Jede Muskelzelle
hört nur auf das Kommando "ihrer" Nervenzelle. Wie groß eine motorische Einheit ist,
korrespondiert mit den Ansprüchen an die Präzision der Kraftentfaltung.
Die muskuläre Leistungsfähigkeit
hängt vor allem davon ab, wie stark im Bedarfsfall die Durchblutung
steigen kann: Vor allem muss für die oxidative Energiegewinnung in den
Mitochondrien genügend Sauerstoff verfügbar sein (der lokale O2-Verbrauch
kann bis um das ~50fache ansteigen).
Als Substrat für die
Energiegewinnung dienen vor allem Fettsäuren; bei kurzfristigen
Höchstleistungen rückt der Verbrauch von Glucose in den Vordergrund (3%
der Masse von Muskelzellen ist Glycogen, ein Teil kann zur Glucosegewinnung
in der Muskelzelle herangezogen werden), und wenn es nicht mehr für den
vollständigen oxidativen Abbau bis zu CO2
(Citratzyklus)
reicht, endet der Abbau bei Lactat (Lactazidose im Blut bei
erschöpfender Arbeit - in der Sportmedizin kann die Messung des
aktuellen Lactatspiegels Aufschluss geben, ob die Erschöpfungsgrenze
wirklich erreicht ist).
Die Steuerung der
Muskelaktivität erfolgt hierarchisch gestaffelt auf verschiedenen
Ebenen: Beginnend mit simplen Sehnenreflexen (Rückenmark bzw.
Hirnstamm), kommen immer komplexere Mechanismen ins Spiel (Hirnstamm,
Kleinhirn, Basalganglien, limbisches System, motorische
Großhirnanteile).
Eine besonders feingliedrige Bewegungssteuerung hat die Okulomotorik: Über die Nn. oculomotorius (III), trochlearis (IV) und
abducens (VI) wird die äußere Augenmuskulatur mit enormer Präzision gesteuert, sodass das Netzhautbild
trotz Störbewegungen (z.B. beim Laufen) stabilisiert wird und nicht "verwischt". Andererseits wird das Blickziel durch sakkadische Bewegungen - präzise geplant - auf neue Objekte eingestellt, ohne dass
dies bewusst reflektiert werden muss.
© H. Hinghofer-Szalkay