Untersuchung motorischer Systeme
© H. Hinghofer-Szalkay
Elektroencephalogramm: ἤλεκτρον = Bernstein (erste Beobachtung von Elektrizität), ἐγκέφαλον = Gehirn, γραφή = Aufzeichnung
Elektromyogramm:
μυς, μυός = Muskel, γραφή = Schrift, Aufzeichnung
H-Reflex: Nach Paul Hoffmann
Spastik: σπασμός = Krampf
Libet-Versuch: Benjamin Libet
Plegie: πληγή = Schlag (Lähmung)
Rigor: rigor = Starrheit
Spastik: σπασμός = Krampf
Wundt-sche Uhr: Wilhelm Wundt
Die
Motorik wird auf verschiedenen Funktionsebenen überprüft; die Testung
des Muskeltonus sowie einfacher Reflexe (z.B. Patellarsehnenreflex)
gehören zum Grundrepertoire (Reflexhammer des Neurologen).
Muskeltätigkeit bringt Veränderungen im Stoffwechsel mit sich; bei
Überschreitung der anaeroben Schwelle nimmt der Laktatspiegel im Blut
zu (Laktatschwelle) und bewirkt nicht-respiratorische Azidose.
Motorische Efferenzen lassen sich überprüfen, indem die Ankunftszeit der Erregung am Muskel nach Reizung des motorischen Kortex gemessen wird.
Ein Elektromyogramm
ist die
Ableitung motorischer Potentiale aus einem Muskel (invasiv durch
Einstech-, nichtinvasiv über Hautelektroden). Je stärker die
Aktivierung, desto mehr motorische
Einheiten senden - mit zunehmender Frequenz - ein- bis dreiphasige
Entladunspotentiale. Bei hoher Aktivierungsstärke verschmelzen diese zu
einem Interferenzmuster.
Untersuchungen der motorischen Planung und Kontrolle im Großhirn
kann mit verschiedenen Methoden erfolgen (EEG mit Untersuchung
prämotorischer Potentiale, Magneto-Enzephalographie, verschiedene bildgebende Verfahren).
|
Als Muskeltonus bezeichnet man den 'plastischen' Dehnungswiderstand
willkürlich entspannter Muskulatur.
Man prüft ihn durch passives Hin- und Herbewegen in den Gelenken
(tonischer Dehnungsreflex) und beurteilt den unwillkürlichen Muskelwiderstand

an der
Nacken- und Halsmuskulatur
durch Hochheben des Kopfes oder durch den 'Kopffalltest'

an der Muskulatur der
Arme durch Beugen und Strecken im Schulter- und Ellbogengelenk
(evt. Händeschütteln)

an der Muskulatur der
Beine durch Beugen und Strecken im Hüft- und Kniegelenk.
Probanden werden
aufgefordert, völlig entspannt zu bleiben und die vom Untersucher durchgeführten
Bewegungen weder 'mitzumachen' noch 'dagegenzuhalten'.
Das Erkennen /
Vermeiden willkürlicher Mitbewegungen wird erleichtert durch

Seitenvergleiche und

Änderung der Bewegungsgeschwindigkeit.

Über
Ergometrie s.
dort
Die
Aktivität der Muskulatur steht mit so gut wie allen Teilsystemen des
Organismus in Zusammenhang. Mit der Erhöhung der Muskeldurchblutung kommt es zu einer Steigerung des Herzminutenvolumens (bis ~4-fach), der Ventilation (bis ~20-fach) und des Sauerstoffverbrauchs
(ebenfalls bis ~20-fach - diese Zahlen gelten für Hochtrainierte).
Immer kommt es zu einer Erhöhung der Laktatproduktion: Der aktivierte
Muskel erhöht die Kapazität der oxidativen Energiegewinnung, ein Teil der Energie wird aber anoxidativ gewonnen, insbesondere zu Beginn der Belastung und wenn diese über die aerobe Kapazität hinausgeht.
In diesem Fall steigt der Laktatspiegel im Blut deutlich an (man spricht von einer anaeroben oder "Laktatschwelle"), was die pH-Regulation des Körpers im Sinne einer metabolischen Azidose
belastet. (Man kann über den Blut-pH abschätzen, ob ein Sportler
wirklich bis zur Belastungsgrenze gegangen ist - der arterielle pH kann
dann bis auf ~7,0 sinken). Zwar wird Laktat z.B. von Leber, Niere und Herzmuskel
weiterverwertet, aber wenn das Angebot größer wird als die Nachfrage, nimmt der Laktatwert im Blut deutlich über den Ruhewert
(~1 mM/l) zu (bis ~10 mM/l).
Die Belastbarkeit der Muskulatur für längere Arbeit wird durch die Dauerleistungsgrenze charakterisiert:
Bleibt man unterhalb der Dauerleistungsgrenze, kann die Leistung lange
und ohne Ermüdungsanstieg der Herzfrequenz - auf einem steady state - fortgeführt werden.
Wird die Dauerleistungsgrenze überschritten, ist die Leistung ermüdend und die Pulsfrequenz nimmt stetig zu, ohne sich zu stabilisieren (Ermüdungsanstieg).
Die Herzfrequenz, die nichtermüdende von ermüdender Leistung trennt,
liegt zwischen 100 und 130 bpm. Die Belastung (Ergometer) an der
Dauerleistungsgrenze liegt z.B. bei gesunden jungen (untrainierten)
Männern bei ~100 Watt (individuell unterschiedlich). Die Sauerstoffaufnahme beträgt hier höchstens
1,5 l/min (Ruhewert 0,25-0,3 l/min), die eingegangene Sauerstoffschuld (O2-Defizit) nicht über 4 l. Die Dauerleistungsgrenze ist überschritten, wenn der Laktatspiegel über 2,2 mM / l Blutplasma liegt.
Reflexe
Die Prüfung von Reflexen ist ein
wichtiges diagnostisches Werkzeug zur Testung der Rückenmarks- bzw. Hirnstammfunktion.

Abbildung: Auslösung des "Patellarsehnenreflexes"
Nach einer Vorlage bei aibolita.com
Dehnung von Muskelspindeln im m. quadriceps femoris (durch
Dehnung der Patellarsehne mittels Reflexhammer) führt zur Auslösung von
Aktionspotentialen über
afferente Ia-Fasern (blau). Nach ("monosynaptischer") Aktivierung
motorischer
Vorderhornzellen desselben Muskels kontrahiert sich dieser, während
Antagonisten - durch Einschaltung inhibitorischer Zwischenneurone -
gehemmt werden

Von Eigenreflexen spricht man, wenn der Reflex den Muskel aktiviert, von dem aus er ausgelöst wurde.
Die Prüfung solcher Reflexe kann ausgelöst werden durch
mechanische Dehnung: Masseter-, Brachioradialis-Reflex; irreführenderweise als "Sehnen"- oder
T-Reflex - T nach
tendon - bezeichnet, wenn durch Dehnung des Muskels über seine Sehne ausgelöst: Patellarsehnen- (

Abbildung),
Achillessehnenreflex
elektrische Reizung (
H-Reflex 
).
Elektrische Reizung von Fasern
in einem Nerven, der den zu
prüfenden Muskel versorgt, führt zur Auslösung des spinalen
Spindelreflexes. In diesem Fall wird - im Gegensatz zum
T-Reflex - die Muskelspindel umgangen.
Bei geringer Reizstärke werden
nur sensible (Ia-) Fasern erregt, die Motoneurone im Rückenmark aktiviert,
und der Reflex führt nach ~30 ms zur Kontraktion (im
EMG tritt eine
H-Welle
auf). Bei höherer Reizstärke kommt es zu direkter Erregung der
motorischen Fasern, die Kontraktion erfolgt schon nach 5-10 ms (im EMG
tritt eine
M-Welle auf).
Geringe Stromstärken erregen bei der Auslösung des H-Reflexes nur afferente Fasern
|
Bei
steigender Reizgröße wächst die M-Welle, gleichzeitig wird die H-Welle
kleiner, da antidrom laufende Aktionspotentiale an den erregten
motorischen Nervenfasern den orthodromen Reflexeffekt auslöschen.
Fremdreflexe
haben ein komplexeres Verschaltungsmuster, Ausgangs- und Zielort sind verschieden (Beispiele: Lidschluss-,
Bauchdecken-, Cremaster-, Analreflex; Babinskireflex). Auf der Ebene des Hirnstamms ausgelöste Reflexe
(Pupillenlicht-, Corneal-, Orbicularis-oculi-,
vestibulo-okulärer, Zungen-Kiefer-Reflex) sind überwiegend komplexe Fremdreflexe.
Näheres zu Hirnstammreflexen s. dort
EEG (Elektroenzephalographie)
Mehr zum EEG s. dort
Welche
Teile im Gehirn werden
als erste aktiviert, wenn es (im Anschluss daran) zu einer motorischen
Aktion kommt? Wie ist dieser Vorgang bewusst steuerbar? Hat man volle
Kontrolle über seine Motorik, oder nur die Illusion einer solchen
Kontolle? Gibt es einen freien Willen?
Solche Fragen wurden u.a. durch Ableitung zerebraler Bereitschaftspotentiale
untersucht (Libet-Versuch, s. unten). Diese treten bilateral
früher als 0,2 Sekunden vor
Bewegungsbeginn auf - umso früher und intensiver, je komplexer die
geplante Bewegung ist. Inwieweit ein "freier Wille" der Handlungen
besteht, ist einerseits eine Frage der Definition, andererseits eine
Problematik, die über die Neurophysiologie hinausreicht und nach wie
vor in Diskussion ist.
Abbildung: Bereitschaftspotential im EEG
Beim Libet-Experiment
steigt das gemittelte Bereitschaftspotential an, bevor die Handlungsabsicht bewusst wird

Bereitschaftspotentiale treten immer über beiden Hemisphären auf
|
Bereitschaftspotentiale sind Ausdruck der neuronalen Vorbereitung, nicht einer Entladung von Pyramidenzellen im primären motorischen Kortex. Ihre ersten Anteile stammen aus subkortikalen Gebieten ("Wunsch"
zu einer Bewegung - u.a. limbisches System), anschließend "übernimmt"
der Assoziationskortex, der zusammen mit Basalganglien und Kleinhirn
einen Bewegungsplan entwirft.
Menschen
mit Läsionen im posterioren Parietalkortex können korrekt angeben, wann
sie eine Bewegung begonnen haben, erinnern sich aber nicht, diese
Bewegung "gewollt" zu haben. Vermutlich generiert dieser Hirnabschnitt
ein prädiktives inneres Modell einer bevorstehenden Bewegung.
Bereitschaftspotentiale können von der Schädeloberfläche abgeleitet werden, sind aber sehr schwach und würden im Spontan-EEG untergehen. Daher werden sie durch Mittelung mehrerer (durch den Zeitpunkt der
motorischen Aktivität synchronisierter) EEG-Strecken errechnet (ähnlich
wie evozierte Potentiale, nur retrograd). Man bezeichnet dieses Mittelungsverfahren als Averaging;
es werden zahlreiche Einzelregistrierungen addiert, bis sich die nicht
mit dem Bereitschaftspotential ursächlich verknüpften Zufalls-Ausschläge im EEG gegenseitig herausmitteln.
Dabei zeigt sich, dass bereits etwa eine Sekunde vor Beginn einer
Handlung Änderungen im
elektrischen Feld einer entsprechenden Hirnregion auftreten. Tatsächlich erfolgen kernspintomographisch erfassbare
Änderungen der Gehirnaktivität noch wesentlich früher (einige Sekunden vor Bewusstwerden des "Entschlusses" zum Handeln), zuerst im Frontal- und Parietalhirn, anschließend
in motorischen Hirnarealen (
s. dort).

Abbildung: Wundt'sche Uhr
Der Proband gibt an, bei welcher Position der Markierung der Impuls zur Bewegung bewusst geworden ist

Geht dem Bereitschaftspotential
eine willkürliche Entscheidung voran?
Der Libet-Versuch
sollte darauf eine Antwort geben: Der Proband sitzt vor einen Bildschirm, auf dem sich ein Lichtpunkt mit einer konstanten Geschwindigkeit von 360° in 2,5 sec im Kreis bewegt (sog.
Wundt’sche Uhr,
Abbildung). Die Person führt zu einem
beliebigen Zeitpunkt eine Bewegung aus und gibt den Moment, in welchem
er sich für die Bewegung entscheidet, durch Angabe des Winkels des
Lichtpunktes an.
Es werden die Zeitpunkte des Beginns des
Bereitschaftspotentials (aus EEG gemittelt,
Abbildung), des
Bewusstwerdens einer Bewegungsabsicht, und des
Beginns der Bewegung verglichen. Der Libet-Versuch suggeriert, dass (unter
diesen experimentellen Bedingungen) die Bewegung bewusst erst "gewollt"
wird, wenn das Gehirn bereits unbewusst die Intention zu dieser
motorischen Aktion "vorbereitet" hat.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass unbewusst vorbereitete
Bewegungsintentionen willentlich gestoppt werden können, d.h. das
prämotorische Bereitschaftspotential nicht notwendigerweise einen
"point of no return" bedeuten muss. Die Frage des "freien Willens" steht weiterhin zur Diskussion.
Schon John Locke (17. Jh.) zweifelte das Konzept des freien Willens an. Das Bereitschaftspotential wurde 1964 von Lüder Deecke und Hans Kornhuber
beschrieben. Dass das Bereitschaftspotential vor der Bewusstwerdung
einer Handlungsintention erfolgt, wurde von Benjamin Libet 1983 gezeigt
(s. oben). Die Fähigkeit des Gehirns, eine im Gange befindliche
Handlung noch zu "beeinspruchen", wurde 2007 von Patrick Haggard
nachgewiesen, und 2010 wurde klar, dass das Bereitschaftspotential
unabhängig davon auftritt, welche Entscheidung letztendlich getroffen
wird.
Ereigniskorrelierte Potentiale (EP)
sind aus dem EEG-Muster gemittelte Potentialverläufe, die mit
einem Ereignis (motorisch oder sensorisch) ursächlich zusammenhängen.
Zur Mittelung ist die oftmalige Wiederholung des Versuchs und genaue
Synchronisierung der EEG-Strecken nach Maßgabe des Zeitpunkts, an dem
das Ereignis auftritt, notwendig. Handelt es sich um einen
Potentialverlauf, der einem motorischen Ereignis (einer
Muskeltätigkeit) zuvorkommt, spricht man von einem prämotorischen Potential (
Abbildung oben: Libet-Versuch).
Reizung der Großhirnrinde
Abbildung: Transkranielle magnetische Stimulation des motorischen Kortex
Nach einer Vorlage in Hierholzer / Schmidt, Pathophysiologie des Menschen, VHC Verlagsgesellschaft 1991
Die
Qualität der absteigenden motorischen Leitung kann überprüft werden,
indem die Latenzzeit (in Millisekunden) bis zur Ankunft der
Aktionspotentiale am Muskel, sowie Form und Amplitude der
elektromyographischen Reaktion ermittelt werden

Transkranielle magnetische Stimulation (TMS) des motorischen Kortex / absteigende Leitung
über Hirnstamm und Rückenmark: Efferente motorische Leitungsbahnen
lassen sich überprüfen, indem der motorische Kortex gereizt und sowohl
zeitliche Verzögerung bis zur Ankunft der Potentiale an den Muskeln der Peripherie, als auch die Gestalt der motorischen Signale (
Abbildung) ermittelt werden.
Kurze TMS-Pulse können mehrfach pro Sekunde erfolgen (Repetitive transcranial magnetic stimulation rTMS), was transiente Verhaltensänderungen bewirkt und sowohl diagnostisch als auch wissenschaftlich genützt wird.
Die
Fasern einer motorischen Einheit werden von “ihrer” Vorderhornzelle
jeweils synchron angeregt, und ihre gemeinsame Entladung führt zu
ein-bis dreiphasigen Summen-Aktionspotentialen, die zur Untersuchung
der Muskelfunktion mittels Oberflächenelektroden (von der Haut) oder
eingestochenen, isolierten Drähten (aus dem Muskel) abgeleitet werden
können.
Das Ergebnis nennt man Elektromyogramm:
Aus einem Elektromyogramm
(EMG) kann man z.B. in Sportphysiologie bzw. Bewegungswissenschaften die
Aktivierung einzelner Muskeln bei Bewegungsabläufen ablesen. In der
neurologischen Anwendung kann man aus dem EMG diagnostizieren, ob allenfalls eine
(Schädigung von Muskelzellen) oder MyopathieNeuropathie (Schädigung
von Nervenfasern) vorliegt.

Abbildung: Nichtinvasiver elektromyographischer Versuchsaufbau
Kombiniert nach Vorlagen bei medchrome.com und Shin et al, Ann Rehab Med 2014; 38:127-31
Oberflächenelektroden (s: surface) sind über Muskeln (hier; Bizeps und Trizeps) an
der Haut befestigt. Alle Elektroden liegen an differenten Positionen,
daher sind die Ableitungen
bipolar. Eingeblendet ist eine Originalregistrierung; Aktivierung des
Muskels führt zu elektrischen Entladungen motorischer Einheiten

Mit zunehmender Kontraktionsstärke nimmt die Zahl der aktivierten
Vorderhornzellen und ihre Entladungsfrequenz zu; es werden immer mehr
motorische Einheiten rekrutiert. Bei intensiver Kontraktion lassen sich
die Potentialverläufe einzelner motorischer Einheiten nicht mehr differenzieren, sie überlagern sich
zu einem Interferenzmuster.
Je kleiner (begrenzter) das Ableitungsgebiet, desto "schärfer" kommt
das Entladungsverhalten einzelner motorischer Einheiten zum Vorschein.
Das funktioniert am besten mit invasiven Ableitungen, d.h. direkt aus
dem betreffenden Muskel. Dann ist es möglich, nur mehr wenige
motorische Einheiten zu "belauschen", und die Form der spezifischen
Entladungscharakteristik der Einheiten (Motor Unit Action Potential Trains) wird erkennbar. Dabei
werden feine Metallelektroden (isolierte Drähte mit
freier Spitze) direkt in das Muskelgewebe vorgeschoben (Blutungen
sollen vermieden werden).
Die abgeleiteten Aktionspotentiale
zeigen die Aktivität einer räumlich begrenzten Gruppe von Fasern, die
zu einer oder nur wenigen motorischen Einheit(en) gehören.

Abbildung: Interferenzmuster (rechts oben), Einzelkomplexe (rechts unten)
Nach De Luca CJ, Adam A, Wotiz R, Gilmore LD, Nawab SH. Decomposition of Surface EMG Signals. J Neurophysiol 2006; 96: 1646-57
Form
der Einzelkomplexe der motorischen Einheiten durch
Dekompositionsverfahren (Sensor-Arrays, mathematische Algorithmen)
errechnet

Wenn
mehr als 3-4 motorische Einheiten gleichzeitig ableitungswirksam
feuern, sind die Einzelkomplexe mit freiem Auge nicht mehr zu erkennen.
Deren Form ist aber diagnostisch wichtig (myogene, neurogene Störung?).
Aus der Überlagerung der Impulse (Interferenzmuster) ist es mit Hilfe
diverser meßtechnischer / mathematischer Verfahren dennoch möglich, die
individuellen Entladungskomplexe der motorischen Einheiten
herauszurechnen, auch aus (nichtinvasiv gewonnenen)
Oberflächen-EMG-Ableitungen (Dekomposition,
Abbildung).
Abbildung: Motorische Einheiten
Nach einer Vorlage bei Brooks / Cole - Thomson Learning
Drei motorische Vorderhornzellen versorgen ihre motorischen Einheiten (farbcodiert; schematisch).
Die Aktivierungsschwelle
motorischer Einheiten ist unterschiedlich, sie werden bei zunehmendem
Kraftbedarf / wachsender Erregungsgröße im ZNS nacheinander
"eingeschaltet"
Elektromyographische Befunde: Bei mäßiger Kontraktion eines Muskels
finden sich im EMG einzelne Entladungsmuster der motorischen Einheiten,
bei maximaler Kontraktion durch Überlagerung mehrerer Aktivitäten - die
nun von zahlreichen Einheiten und hochfrequent auftreten - ein
Interferenzmuster.

Bei einer
myopathischen
Störung, die durch Ausfall einzelner Muskelfasern innerhalb der
motorischen Einheiten gekennzeichnet ist, zeigen sich kurze, kleine und
polyphasische Einzelpotentiale (Entladungen der motorischen Einheiten)
und ein niederamplitudiges, dichtes Interferenzmuster.
Neuropathische
Störungen hingegen sind bedingt durch Ausfall ganzer motorischen
Vorderhornzellen und damit motorischen Einheiten. Die verbliebenen,
funktionstüchtigen Einheiten hypertrophieren kompensatorisch; die
Einzelpotentiale im EMG sind groß und verbreitert, das
Interferenzmuster erscheint weniger überlagert (
rarefiziert).

Abbildung: Elektromyogramme
Nach einer Vorlage in Kandel / Koester / Mack / Siegelbaum (eds), Principles of Neural Sciences, 6th ed. 2021 (McGraw Hill)
Links:
Normalerweise zeigt das EMG eines inaktiven Muskels ("Ruhe") keine
elektrische Aktivität. Aktivierung vereinzelter motorischer Einheiten
ergibt eine leichte Kontraktion (man sieht drei triphasische Komplexe
einer motorischen Einheit). Bei maximaler Kontraktion entsteht ein
Interferenzmuster - die Summe zahlreicher Entladungen mehrerer
motorischer Einheiten.
Mitte: Reduzierte Zahl
aktivierbarer motorischer Vorderhornzellen (Neuron "A" ist atrophiert);
"B" hat "verwaiste" Muskelfasern mit innerviert (bildet eine motorische
"Rieseneinheit") und feuert auch gelegentlich im Ruhezustand
(Faszikulationen). Denervierte Muskelfasern können auch
Spontanentladungen zeigen (Fibrillation im EMG).
Rechts:
Bei Myopathien verlieren einzelne Muskelfasern ihre Funktion (und
bilden Spontanentladungen - Fibrillationen), die motorischen Einheiten
enthalten weniger aktivierbare Fasern, ihre Entladungen sind klein und
bestehen aus zahlreichen Teilen (polyphasisch), die Amplitude des
Interferenzmusters ist reduziert
Allgemeines zu elektrophysiologischen Ableitungen s. dort
Zu Prinzipien der Elektrophysiologie s. dort
Zu den wichtigsten motorischen Störungssymptomen gehören:

Muskuläre
Hypotonie: Untersuchte
Extremität 'liegt schwer in der Hand'; Gelenke überstreckbar;
z.B. bei Polyneuritis, Hinterstrangschäden, Chorea

Schlaffe Lähmung (
Plegie 
,
flaccid paralysis): Tonus herabgesetzt
als Zeichen einer Schädigung der Motoneuronen (zentral oder
peripher bedingt)
Spastische
Lähmung: Tonus
erhöht ('federnder' Widerstand, bei zunehmender Dehnung steigend,
mit plötzlichem Nachlassen - 'Taschenmesserphänomen') als
Zeichen einer zentralen Lähmung (Pyramidenbahnzeichen) mit gesteigerten
Eigenreflexmustern
Rigor 
: 'wächserner' Widerstand,
in allen Gelenken Strecker wie Beuger betreffend, im Extremfall als
'Zahnradphänomen' (wiederholtes ruckartiges 'Einrasten') – insbesondere bei
Mb. Parkinson

Muskeltonus ist der unwillkürliche Widerstand, den entspannte Muskeln
einem Hin- und Herbewegen in den Gelenken entgegensetzen. Getestet wird
er an Nacken- und Halsmuskeln durch Hochheben des Kopfes oder den
'Kopffalltest', an den Armen durch Beugen und Strecken im Schulter- und
Ellbogengelenk, an den Beinen durch Beugen und Strecken im Hüft- und
Kniegelenk
Die Dauerleistungsgrenze äußert sich in der Belastbarkeit der
Muskulatur für längere Arbeit. Unterhalb der Dauerleistungsgrenze kann
die Leistung ohne Ermüdungsanstieg der Herzfrequenz über längere Zeit
erbracht werden (Höchstwert 100-130 bpm); darüber - ab einem
Laktatspiegel von 2,2 mM/l - nimmt die Pulsfrequenz stetig zu
(Ermüdungsanstieg)
Eigenreflexe (Auslösung und Reaktion im selben Muskel - z.B.
Masseterreflex) prüft man durch mechanische Dehnung (T-Reflex) oder
elektrische Reizung (H-Reflex). Geringe Stromstärken erregen bei
letzteren nur afferente Fasern. Bei Fremdreflexen (z.B.
Lidschlussreflex) sind Ausgangs- und Zielorgan nicht identisch
Ereigniskorrelierte Potentiale (EP) sind aus dem EEG-Muster gemittelte
Potentialverläufe, die mit einem Ereignis (motorisch oder sensorisch)
ursächlich zusammenhängen. Bereitschaftspotentiale
sind Ausdruck teils subkortikaler motorischer Vorbereitung (nicht der
Entladung von Pyramidenzellen im primären motorischen Kortex) und
treten etwa eine Sekunde vor Bewegungsbeginn bilateral (über beiden
Hemisphären) auf - umso früher und intensiver, je komplexer die
geplante Bewegung ist
Transkranielle magnetische Stimulation (TMS) des motorischen Kortex -
eventuell repetitiv (rTMS) - dient zur Testung der motorischen Leitung
(Kriterien: Zeit bis zur Ankunft der Potentiale am Muskel, Gestalt der
motorischen Signale)
Elektromyographie (EMG) leitet elektrische Signale während
Muskelkontraktionen ab. Die Zahl aktivierter motorischer Einheiten -
und ihre Entladungsfrequenz - steigt mit zunehmender Anregung aus dem
ZNS. Die abgeleiteten Aktionspotentiale zeigen die Aktivität einer
räumlich begrenzten Gruppe von Fasern, die zu 1-3 motorischen Einheiten
gehören. Bei stärkerer Aktivierung sind keine Einzelkomplexe mehr
erkennbar (Interferenzmuster)
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Die
Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen:
Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie
sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und
Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen
diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen,
messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft
fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und
evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch,
im Besitz der "Wahrheit" zu sein.