Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

     
Transport im kardiovaskulären System (Kreislauf, Blut, Lymphe)

Physiologische Einflüsse auf das Resultat von Blutuntersuchungen
© H. Hinghofer-Szalkay

Hämatokrit: αιμα = Blut, κρινειν = urteilen
nucleus suprachiasmaticus: nucleus = Kern, supra = über,
χίασμα = Kreuzung (Sehnerv)
orthostatisch:
ὀρθός = (auf)recht, richtig; stare = (aufrecht) stehen
(post)prandial: prandium = Frühstück
Zirbeldrüse: Nach der Form der Zapfen der Zirbelkiefer (pinus cembra, daher pineal gland)
zirkadian: circa = um (herum), ungefähr; dies = Tag




Viele klinische Laborwerte sind von physiologischen Faktoren beeinflusst, die bei der Interpretation der Messwerte berücksichtigt werden müssen, zum Beispiel

  -- ändern sich Blutvolumen, pH-Wert, Lactatspiegel u.a. mit körperlicher Belastung

  -- wandert bei aufrechter Körperlage Flüssigkeit aus den Kapillaren in das Gewebe. Das steigert den Hämatokrit und die Plasmaeiweißkonzentration sowie davon abhängige Messwerte (legt sich die Person hin, sinken diese Werte wieder)

  -- beeinflusst die Aufnahme von Nahrungsstoffen viele Blutwerte, insbesondere gelangen Chylomikronen in das Blut. Die resultierende Trübung des Plasmas behindert die optische Vermessung von Serumproben

  -- spielt die Uhrzeit eine wichtige Rolle in Bezug auf Hormon- und andere Werte, wenn die Sekretion von der Tageszeit abhängt

  -- beeinflussen Geschlecht und Alter zahlreiche Laborwerte

  -- sind bei Schwangeren zahlreiche Referenzbereiche stark verändert

  -- konzentriert lokale Stauung proximal der Abnahmestelle (Staumanschette!) das Blut ähnlich wie bei Orthostase und beeinflusst die Blutgaswerte.

Störeinflüsse sollte man vermeiden. Ist das nicht möglich, müssen sie ausreichend dokumentiert werden.


Zeitabhängigkeit Nüchtern vs. postprandial Geschlecht und Zyklus Muskelaktivität  Körperlage weitere Faktoren
 

Core messages
 
Es ist nicht einerlei, wann, wie und aus welchem Gefäß eine Blutprobe abgenommen wird - Tageszeit, Körperposition,  Abnahmetechnik und physiologischer Zustand der Person, von der die Probe gewonnen wird, gehören zu den zahlreichen Faktoren, welche - via verschiedenste physiologische Konnexe - die Konzentration des zu bestimmenden Stoffes (um die es meistens geht) beeinflussen. Das Ausmaß des Effekts auf eine bestimmte Zustandsvariable kann sehr unterschiedlich sein, und mehrere Faktoren können gemeinsam starke Wirkungen auf die Messgröße haben.

Zahlreiche Blutwerte sind von Begleitumständen abhängig
 
Einflussgrößen (influence factors) nennt man Faktoren, die physiologische / klinische Messgrößen (Zustandsvariable) beeinflussen. Man gruppiert sie in
 
     konstante unbeeinflussbare (z.B. Geschlecht, genetische Konstellation),
 
     veränderliche unbeeinflussbare (z.B. Alter, Höhe über dem Meeresspiegel),
 
     veränderliche beeinflussbare (z.B. Position des Körpers, Nahrungsaufnahme, sportliche Aktivität),

sowie in-vitro-Einflussgrößen (Probenabnahme, Transport, Lagerung, Aufbereitung, Messung). Letztere haben nichts mit physiologischen Umständen zu tun, sondern betreffen den Vorgang der klinisch-chemischen Analytik.

Die Zusammensetzung des Blutes  hängt von zahlreichen physiologischen Begleitumständen ab, die mit Zeit, Stoffwechselzustand, Körperlage, physischer Aktivität, Tageszeit, Alter und Geschlecht zusammenhängen:


Tageszeit
 

Zahlreiche Hormon- und Substratkonzentrationen ändern sich mit der Tageszeit. Im 24-Stunden-Rhythmus wechselnde Zustandsgrößen, die auch bei Wegfall äußerer Hinweise auf die Tageszeit wegfallen, folgen einem Rhythmus, der etwa 24 Stunden Phasenlänge hat (circa-dian).


Abbildung: Zirkadiane Rhythmen
Nach einer Vorlage bei The brain, circadian rhythms, and clock genes (Clinical review), BMJ 1998; 317: 1704


Viele physiologische Vorgänge sind von einer "inneren Uhr" ("central clock") im nucleus suprachiasmaticus des hypothalamischen Systems (~3 cm hinter dem Augapfel gelegen) beeinflusst ("master clock"). Diese steuert auch die Aktivität der Epiphyse (Zirbeldrüse) und ihre Freisetzung von Melatonin. Tagesrhythmen werden neural und endokrin vorgegeben.
 
Blaue Fläche: Schlafphase (hier 23 bis7 Uhr)

Beispiele:
 
Melatoninspiegel - Maximum um 3 Uhr morgens ( Abbildung). Die Epiphyse (Zirbeldrüse, glandula pinealis, pineal gland) - ein Teil des Epithalamus im Zwischenhirn - produziert in Dunkelheit das aus Serotonin gebildete Hormon Melatonin. Lichteinfall auf die Netzhaut hemmt die Synthese ( s. dort).

In Dunkelheit steigt die Ausschüttung und damit der Melatoninspiegel im Blut (bei jungen Menschen mehr als 10-fach, bei älteren etwa 3-fach).



Angriffspunkt der Regulation ist das Enzym, das auf Serotonin einen Essigsäurerest überträgt: Die Serotonin-N-Acetyltransferase (AANAT, arylalkylamine N-acetyltransferase). Es entsteht die Zwischenstufe N-Acetylserotonin, die dann weiter zu Melatonin umgewandelt wird. Die Aktivität dieses Enzyms steigt in der Nacht bis um einen Faktor 102 an (sie kann sich innerhalb von 15 Minuten verdoppeln) - abhängig von cAMP-abhängiger Phosphorylierung. Dieser Mechanismus ist abhängig von Noradrenalin und wird vom nucleus suprachiasmaticus gesteuert - abhängig vom Lichteinfall. Die Wirkung auf die Zirbeldrüse erfolgt über den sympathischen nucleus cervicalis superior, der vom nucl. suprachiasmaticus gehemmt wird ( Abbildung).
 

Abbildung: Licht (<500 nm) hemmt die Melatoninproduktion
Nach Koch BCP, Naktegaal JE, Kerkhof GA, ter Wee PM, Circadian sleep-wake disturbances in end-stage renal disease. Nat Rev Nephrol 2009; 5: 407-16

Der Sympathikus (oberes Zervikalganglion) regt die Melatoninproduktion in der Epiphyse (Zirbeldrüse) an.
 
Fotosensitive Ganglienzellen in der Netzhaut regen bei Helligkeit über den tractus retinohypothalamicus den nucl. suprachiasmaticus glutamaterg an. Dieser projiziert GABAerg auf das obere Zervikalganglion und hemmt es.
 
In der Dunkelheit entfällt die GABA-erge Inhibition des oberen Zervikalganglion, und die Melatoninproduktion wird noradrenerg angeregt


Melatonin beteiligt sich an der Auslösung der Tiefschlafphase und regt die Ausschüttung von GH (Somatropin, s. unten) an. Störungen im Melatoninhaushalt.
  Jet-Lag-Pille: Die Wirksamkeit von Melatonin in einer Dosierung von 0,5–5 mg gegen unangenehme Symptome der Zeitumstellung ist umstritten, und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten können die Schlafrhythmik störend beeinflussen.
 

Abbildung: Zirkadianer Rhythmus des Melatoninspiegels
Nach einer Vorlage bei ib.bioninja.com.au

Ab dem 3. Lebensmonat stellt sich der auch bei Erwachsenen übliche Tagesrhythmus ein, mit höchsten Blutwerten zwischen Mitternacht und 8 Uhr morgens


Im Winter kann der Melatoninspiegel auch tagsüber erhöht bleiben, was Schlafstörungen und "Winterdepression" zur Folge haben kann. Lichttherapie hilft: Weißes Licht, das dem Spektrum des Sonnenlichts entspricht, morgens (unmittelbar nach dem Aufwachen) angewandt, hemmt die Melatoninsekretion und hellt die Stimmungslage auf.

ACTH- und Cortisolspiegel am höchsten morgens, tiefste Werte nachts; die Werte unterscheiden sich um das Mehrfache ( Abbildung).
 

Abbildung: Zeitabhängigkeit des Cortisolspiegels im Blutplasma
Nach einer Vorlage bei Thibodeau / Patton, Anatomy & Physiology (6th ed), Mosby Elsevier 2007
Die stärksten Sekretionspulse erfolgen in der Nacht, typischerweise unmittelbar vor dem Aufwachen, eventuell auch unmittelbar nachher. Während des gesamten Tages verlauft der Blutspiegel des Hormons chaotisch, die Sekretionspulse erfolgen unvermittelt und sind von unterschiedlicher Stärke.
 
Stresseinflüsse steigern die Cortisolproduktion ebenfalls (hier nicht gezeigt); das steigert den Blutzuckerspiegel und hilft der Muskulatur, kritische Situationen (fight or flight) erfolgreich zu meistern.

1 µg/dl = 0,036 nM


GHRH- und GH-Werte sind am höchsten (höchste pulsatile Frequenz) in der Nacht sowie bei starker körperlicher Belastung.

Zirkadiane Freisetzung von TRH / TSH abends ansteigend, am höchsten in den frühen Morgenstunden (Abbildung).
 
Der Entstehungsmechanismus der zirkadianen TRH/TSH-Rhythmik ist unklar. Die Freisetzung des Hormons erfolgt pulsatil (was einer Abschwächung der Hormonwirkung durch Herunterregulierung der Rezeptoren an den Zielzellen vorbeugt). Einzelwerte der Serum-Hormonkonzentration sind daher nicht sehr aussagekräftig; zur
Bestimmung eines Zeitprofils sind mehrfache Blutabnahmen nötig.
 
 
  Abbildung: Zirkadianer Verlauf des TSH-Spiegels im Blut einer Gruppe 33 gesunder Personen
Nach Russell W, Harrison RF, Smith N, Darzy K, Shalet S, Weetman AP, Ross RJ. Free triiodothyronine has a distinct circadian rhythm that is delayed but parallels thyrotropin levels. J Clin Endocrinol Metab 2008; 93: 2300-6

Die türkise Kurve verbindet die gemessenen Hormonwerte, die rosa Kurve stellt eine errechnete zugrundeliegende Sinusschwingung dar (Maximum 3 Uhr morgens)


Übrigens zeigt auch die Körpertemperatur (Ruhebedingungen) einen zirkadianen Rhythmus - mit niedrigsten Werten in der Nacht (3-6 Uhr) und höchsten nachmittags (15-18 Uhr). Die Amplitude beträgt etwa 1°C. Die Steuerung obliegt Neuronen im vorderen Hypothalamus (nucleus suprachiasmaticus), abhängig von Hell-Dunkel-Zyklen.
 
Nahrungsaufnahme
 
Werte wie der Blutzuckerspiegel und gekoppelte Hormonausschüttung (Insulin etc) sind nach Nahrungsaufnahme verändert ( s. dort). Nüchtern liegt der normale Blutzuckerwert bei 70–100 mg/dl (3,9–5,5 mM), nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit (postprandial ) kann er sich physiologischerweise fast verdoppeln (bis ~160 mg/dl oder ~9 mM), um dann über mehrere Stunden wieder in den Nüchtern-Referenzbereich zurückzukehren.

Viele Bestimmungen im Serum erfolgen optisch, Chylomikronen trüben das Serum und stören die Photometrie. Daher ist meist Nüchtern-Serum für Laborbestimmungen erforderlich.
 
Geschlecht
 

Viele Referenzbereiche sind geschlechtsabhängig:

      Atemvolumina, ventilatorische Sollwerte,
 
      Muskelfasertypen,
 
 
     Energieumsatz,
 
      Elektrolyt- und Wasserhaushalt,
 
      Harnwerte,
 
      Blasenmotorik,
 
 
     Eisenbedarf,
 
      Leberwerte,
 
      Körperzusammensetzung,
 
      Hormonwerte (diese folgen bestimmten Profilen, die auch vom Alter - juvenil, adult, prä-, postmenopausal - abhängen), Beispielsweise steigert Testosteron die Synthese von Erythropoetin, Östrogene senken sie (s. dort), mit dem Resultat unterschiedlicher Hämoglobin- und Hämatokritwerte bei Männern vs. Frauen.

Menstruationszyklus
: Zyklusabhängige Größen müssen mit Rücksicht auf die jeweilige Zyklusphase bewertet werden ( s. dort).

      Farbensinnstörungen betreffen Männer viel häufiger /8%) als Frauen (0,4%), weil die entsprechenden Gene (und allfällige Defekte) X-chromosomal codiert sind.
   
Körperliche Belastung
  
Muskeltätigkeit bedingt die Aktivierung eines Gewebekompartiments, das fast die Hälfte der Körpermasse ausmacht und dementsprechend zahlreiche metabolische, hormonelle und kardiovaskuläre zur Folge hat. Sie führt u.a. zu


Abbildung: Zeitverlauf der Lactatkonzentration im Blutplasma nach maximaler körperlicher Belastung (Beispiel)
Nach Goodwin ML et al, Blood lactate measurement and analysis during exercise: a guide for clinicians. J Diabetes Sci Technol 2007; 1: 558-69

Maximale Muskelanstrengung (roter Balken) für 60 Sekunden. Lactat im Blut (Ruhe-Referenzwert ≤2,2 mM) steigt in Folge mehrere Minuten an, bis es innerhalb von 10 (typischerweise nach 3-8) Minuten das ~10-fache des Normwertes erreicht; danach sinkt es kontinuierlich, nach ~2 Stunden ohne Muskelarbeit sind normale Ruhewerte wieder erreicht


      Veränderungen von Blutgaswerten, insbesondere durch Bildung saurer Valenzen bei unvollständigem Abbau von Energieträgern ("Sauerstoffschuld"). Der Milchsäurespiegel (Ruhewert 0,5-2,2 mM) steigt über die "Lactatschwelle" (anaerobe Schwelle) an - die resultierende nicht-respiratorische Azidose wird rasch kompensiert - und bleibt nach der Belastung bis zu eine Stunde erhöht ( Abbildung)
 

     Hämokonzentration (erhöhte Plasmaeiweiß- und Hämatokritwerte)
 
     Hyperthermie
 
     Veränderungen im Zytokinmuster
 
     Mobilisierung von Leukozyten, die nur lose an die Endothelien in der Mikrozirkulation (Kapillaren) angeheftet sind (Verteilungsleukozytose, Pseudoneutrophilie).

   Am Beispiel des Lactatspiegels sieht man, dass diese Änderungen einen spezifischen Zeitverlauf aufweisen. Wird eine Blutprobe nach körperlicher Anstrengung (z.B. Treppensteigen) gewonnen, sind veränderte Laborwerte zu erwarten - u.U. über mehrere Stunden nach der Belastung.

Wenn der pO2 im Gewebe wieder ansteigt, kann Lactat zu Pyruvat zurückverwandelt (oxidiert) und in den Citratzyklus eingeschleust
werden. Es kann die Muskelzelle verlassen und mit dem Blutkreislauf zur Leber gelangen, wo es entweder zu Pyruvat verwandelt oder zu Glucose resynthetisiert wird (Gluconeogesese: Cori-Zyklus).
 
Körperlage
 
Die orthostatische Regulation (Barorezeptor-Reflexe) beim Aufrichten des Körpers führt nicht nur zu hämodynamischen Veränderungen (Steigerung der Herzfrequenz, Erniedrigung des Herzminutenvolumens), sondern auch zu Veränderungen zahlreicher Blut-Laborwerte:

 
Abbildung: Zeitverlauf und Ausmaß der Änderung von Blutwerten nach passivem Aufrichten des Körpers (head up tilt): Typische Muster
Modifiziert nach Hinghofer-Szalkay H, Tilt table and related studies. In: ESA SP-180, pp. 81-102 (1982)

Strichliert: Verläufe bei kreislauflabilen Probanden (F = fainter: to faint = ohnmächtig werden)


Nach dem Wechsel von liegender Position zu Sitzen oder Stehen

     wird Flüssigkeit aus der Mikrozirkulation der kaudalen Körperpartien ins Gewebe verlagert (kapilläre Filtration),

     das Blutvolumen sinkt (Hämokonzentration),

     der Hämatokrit und die Plasmaeiweißkonzentration nehmen insgesamt zu, und damit

     alle abhängigen Messwerte, wie z.B. Hämoglobinkonzentration und kolloidosmotischer Druck.

     Hormonwerte steigen als Ausdruck von Regulationsvorgängen (Stabilisierung des Blutdrucks) an ( Abbildung).

  Auch hier zeigt sich, wie alltägliche Einflüsse Laborwerte im Blut physiologischerweise verändern können.

Wechselt man von der Rückenlage zur aufrechten Position, dann
* steigt die Pulsfrequenz,
* sinkt das Herzminutenvolumen,
* nimmt das Schlagvolumen stärker ab als das Herzminutenvolumen,
* steigt der periphere Widerstand (TPR),
* sinkt die Durchblutung von Nieren und Darm

 
  Über hydrostatische Drucke, Körperposition und Kreislauf s. dort
 
Weitere Faktoren
  
    Bei lokaler Stauung (Staubinde für Blutabnahme!) z.B. am Arm kommt es im betroffenen Gebiet zu kapillärer Filtration und lokaler Hämokonzentration, die Werte für Plasmaproteinkonzentration (und damit verbundenen Werten gebundener Stoffe wie z.B. Lipoproteinen) und Hämatokrit / Hämoglobinkonzentration steigen an (um bis zu 10-20%, je nach Ausmaß und Dauer der Stauung). Nimmt man Blut aus einer betroffenen Vene ab, sind die Laborwerte entsprechend verfälscht.

    Alter der untersuchten Person: s. dort
 
  Davon abgesehen sind sämtliche relevanten Bedingungen bei Abnahme zu berücksichtigen bzw. zu dokumentieren, wie

     Art des Blutes
 
     arteriell? Arterielles Blut ist sauerstoffgesättigt, die Punktion technisch schwieriger
 
     venös? Venöses Blut je nach Drainagegebiet unterschiedlich zusammengesetzt
 
     Kapillarblut? Arterielles Blut, das durch Einstich in Ohrläppchen, Fingerbeere oder Ferse gewonnen und in Kapillarröhrchen eingebracht wird (Nachteil: geringe Probenmenge)
 
  
  Über Unterschiede zwischen arteriellen und venösen Blutproben s. auch dort
 

Abbildung: Entnahme einer Kapillarblutprobe aus der Fingerbeere

Das Blut rinnt aufgrund der Kapillarwirkung in das Entnahmeröhrchen. Zuvor wurde der Finger mit einer Stechhilfe (Lanzette, Softclix® o.ä.) angestochen

     Lagerung - Fehlerquellen sind z.B.

   *  Blutsenkung: In ruhenden Probengefäßen kommt es infolge der Schwerkraft zu einer Entmischung des Blutes, Erythrozyten sedimentieren nach unten, Blutplasma sammelt sich oben an - dieser Vorgang ist z.T. irreversibel

   *  Hämolyse: Bei grober Behandlung des Blutes können Erythrozyten aufgelöst werden, Hämoglobin tritt in das Blutplasma über - dadurch werden die meisten photometrischen Messungen an Serumproben verfälscht
 
     Transport und Aufbewahrung einer Probe (Temperatur? Antikoagulation? Enzymhemmung?)

Schließlich können bei der Messung selbst (also im Labor) Fehler auftreten, es kann auch zu Verwechslung von Bioproben kommen. Außerdem ist jede Messung mit einer gewissen Unsicherheit behaftet (Reliabilität: Frage der Absolutgenauigkeit und Präzision). Die Angebrachtheit einer Methode für einen bestimmten Zweck kann ebenfalls fraglich sein (Validität).
 
   Klinisch besonders relevante Laborwerte für Bluttests
 

 
      Zirkadiane Schwankungen: Ab dem 3. Lebensmonat stellt sich der übliche Melatonin-Tagesrhythmus ein, mit höchsten Blutwerten um 3 Uhr morgens. Die Bildung in der Epiphyse wird durch Lichteinfall auf die Netzhaut gehemmt, in Dunkelheit steigt sie an (bei jungen Menschen >10-fach, bei älteren ~3-fach). Melatonin beteiligt sich an der Auslösung der Tiefschlafphase und regt die Ausschüttung von GH an. Im Winter kann der Melatoninspiegel auch tagsüber erhöht bleiben (Schlafstörungen, "Winterdepression"). Die ACTH- und Cortisolspiegel sind morgens am höchsten, nachts am niedrigsten, die Werte unterscheiden sich um das Mehrfache. GHRH- und GH-Werte sind am höchsten (höchste pulsatile Frequenz) in der Nacht und bei starker körperlicher Belastung. Die pulsatile Freisetzung von TRH / TSH steigt abends an (Maximum in den frühen Morgenstunden)
 
      Nahrungsaufnahme verändert den Blutzuckerspiegel und gekoppelte Hormonausschüttung (Insulin etc). Nüchtern liegt der Glucosespiegel bei 70–100 mg/dl (3,9–5,5 mM), postprandial bis ~160 mg/dl / ~9 mM (Nüchternwerte stellen sich nach einigen Stunden wieder ein). Chylomikronen (Fettresorption) trüben das Serum und stören die Photometrie (Nüchtern-Serum für zahlreiche Laborbestimmungen erforderlich)
 
      Das Geschlecht beeinflusst fast alle klinischen Messwerte, u.a. Kreislauf, Atmung, Körperzusammensetzung, Blutbild, Hormonprofile; bei Frauen müssen zyklusabhängige Größen mit Rücksicht auf die Zyklusphase bzw. Einnahme von Hormonpräparaten bewertet werden
 
      Körperliche Belastung verändert mehrere Blutwerte (z.B. pH / Lactat: Ruhe-Referenzwert ≤2,2 mM), führt zu Hämokonzentration (erhöhte Plasmaeiweiß- und Hämatokritwerte), Hyperthermie, veränderten Zytokinmustern, Mobilisierung von Leukozyten (Verteilungsleukozytose, Pseudoneutrophilie). Nach körperlicher Anstrengung sind u.U. über mehrere Stunden veränderte Laborwerte zu erwarten
 
      Beim Aufrichten des Körpers kommt es zu Umverteilung des Blutvolumens, hydrostatische Druckänderungen in den Gefäßen, Erniedrigung des Herzminutenvolumens, Steigerung der Herzfrequenz und veränderte Durchblutungsmuster (Barorezeptorreflex) sowie Veränderung zahlreicher Laborwerte: Flüssigkeit wird filtriert (Beine), das Blutvolumen sinkt (Hämokonzentration), Hämatokrit, Plasmaeiweißkonzentration und abhängige Messwerte (Hämoglobinkonzentration, kolloidosmotischer Druck) nehmen zu; Hormonwerte ändern sich als Ausdruck von Regulationsvorgängen
 
      Bei lokaler Stauung (Staubinde für Blutabnahme) kommt es im betreffenden Gebiet zu Filtration und lokaler Hämokonzentration, Plasmaproteinkonzentration (und damit verbundene Werte gebundener Stoffe wie z.B. Lipoproteine) und Hämatokrit / Hämoglobinkonzentration steigen an (um bis zu 10-20%, je nach Ausmaß und Dauer der Stauung)
 
      Fehlerquellen durch Lagerung einer Blutprobe sind z.B. Blutsenkung (schwerkraftbedingte Entmischung des Blutes) oder Hämolyse (dadurch werden die meisten photometrischen Messungen verfälscht), Transport und Aufbewahrung (Temperatur? Antikoagulation? Enzymhemmung?), Messung und Beurteilung (Reliabilität, Absolutgenauigkeit / Präzision, Validität)
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.