Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

     
Transport im kardiovaskulären System (Kreislauf, Blut, Lymphe)

Atemgastransport im Blut; Hämatopoese
© H. Hinghofer-Szalkay

Allosterischer Effekt: ἄλλως = anders, στερεός = Ort (Konformationsänderung)
Bohr-Effekt: Christian Bohr
Erythropoetin: ἐρυθρός = rot, ποιεῖν = machen
Hämoglobin: αἷμα = Blut, globus = Kugel (besteht aus vier Globinen, die kugelförmig sind)
Haldane-Effekt: John S. Haldane
Hamburger-Effekt:  Hartog J. Hamburger
Henry-Gesetz: William Henry
Hüfner'sche Zahl: Gustav v. Hüfner
Isoplethen: ἴσος = gleich, πλήθος = Menge
isosbestisch:
ἴσος = gleich, σβέσις = Auslöschung


1 ml arterielles Blut kann 0,2 ml Sauerstoff aufnehmen - 70mal mehr als Blutplasma. Hämoglobin (Hb) nimmt Sauerstoff in der Lunge auf und gibt ihn bei sinkendem Partialdruck im Gewebe wieder ab.

Die Sauerstoffabgabe des Hämoglobins an das Gewebe erfolgt bei einem relativ hohen Partialdruck, der eine gute O2-Versorgung
der Zellen ermöglicht. Das zeigt sich in der sigmoiden Bindungskurve (O2-Bindung als Funktion des pO2), die auf einem allosterischen Effekt beruht. Das Bindungs-Abgabe-Verhalten des Hämoglobins ist von mehreren Faktoren beeinflusst: pCO2, pH (Bohr-Effekt), 2,3-DPG (2,3-Diphosphoglycerat), Temperatur.

Feten müssen mit niedrigen
pO2-Werten zurechtkommen. Sauerstoff wird in der Plazenta vom Blut der Mutter abgegeben, vom Blut des Feten aufgenommen: Fetales Hämoglobin (HbF) hat eine höhere O2-Bindungskraft als adultes (HbA). Auch hier wird Sauerstoff leichter abgegeben, wenn es der Stoffwechsel erfordert (pCO2, pH, 2,3-DPG).

Sauerstoffbeladenes (oxygeniertes) Hämoglobin hat andere optische (spektrale) Eigenschaften als desoxygeniertes; auf diesem Prinzip beruht die Oximetrie, d.h. die nichtinvasive (transkutane) Messung der Sauerstoffsättigung des Blutes.

Die Neubildung von Blutkörperchen (Hämatopoese) erfolgt im roten Knochenmark und ist gesteuert durch Wachstumsfaktoren und Interleukine (Leukozyten, Thrombozyten) sowie Erythropoetin (Erythrozyten). Die Freisetzung von Erythropoetin hängt von der Sauerstoffverfügbarkeit im Gewebe ab. Erythropoetin kann den Output an jungen Erythrozyten um ein Mehrfaches steigern (wie nach Blutverlust oder infolge chronischer Hypoxie, z.B. bei Höhenaufenthalt).



Sauerstofftransport im Blut Löslichkeit, Henry-Gesetz Temperatur, pH, pCO2, 2,3-DPG Fetales Hämoglobin CO2-Transport im Blut Bohr-, Haldane- und Hamburger-Effekt Arteriovenöse Sauerstoffdifferenz Hämatopoese Spektroskopie und Pulsoximetrie  Formen der Hypoxie   Kohlenmonoxid


Sauerstoffsättigung, Sauerstofftransportkapazität
    Hüfner'sche Zahl    Anämie    Sauerstoffextraktion, arterio-venöse Sauerstoffdifferenz

Praktische Aspekte       Core messages
 

Abbildung: Umsatz der Atemgase
Nach einer Vorlage bei Silverthorn, Human Physiology, an integrated approach, 4th Int'l ed. 2007, Pearson / Benjamin Cummings

Sauerstoff und Kohlendioxid werden einerseits mit der Atmungsluft im System der Luftwege mit der Ventilation transportiert, andererseits mit dem Blut mit dem Kreislauf. Die Alveolarwände sind eine Diffusionsbarriere, die abhängig von Partialdruckdifferenzen überwunden wird. Im Gewebe bewegen sich die Atemgase im Wesentlichen ebenfalls via Diffusion.
 
Der folgende Abschnitt befasst sich mit den Gesetzen des Atemgastransports im Blut


Respiratorische Proteine sind Globine - beim Menschen Hämoglobin im Blut und Myoglobin in Muskelzellen -, die in der Lage sind, Sauerstoff an eine eisenhaltige Häm-Gruppe (die in das Protein eingefügt ist) anzulagern ("Oxygenierung", nicht Oxidation). Damit steigt die Menge dem Gewebe verfügbaren Sauerstoffs ganz wesentlich an. Mit steigendem pO2 nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass sich O2 an das Protein anlagert, zu - entsprechend von Bindungskurven, welche die "Sättigung" (% oxygeniertes Protein) als Funktion des pO2 quantifizieren. Je nach Umständen (z.B. pH-Wert, Temperatur, Anwesenheit von Begleitstoffen) kann die Bindungsbereitschaft (die durch Bindungskurven angegeben wird) wesentlich variieren. So nimmt die Bindungsbereitschaft des Hämoglobins für O2 ab, je höher der pCO2 ansteigt ("Drehtürfunktion"). Der Halbsättigungswert gibt an, bei welchem pO2 das Protein zu 50% oxygeniert ist.
 
 
Hämoglobin transportiert Sauerstoff, abhängig von mehreren Faktoren
 
Hämoglobin   - der rote Blutfarbstoff in den Erythrozyten (65 kDa molare Masse) - besteht aus jeweils vier eisenhältigen Häm- ( Abbildung) und Globinmolekülen (bei adultem Hämoglobin zwei α-Ketten zu jeweils 30,5 kDa und zwei ß-Ketten zu jeweils 32 kDa). Diese fügen sich in einem tetrameren Arrangement zu einem Gesamtkomplex, nicht-kovalent zusammengehalten (Wasserstoffbrücken, ionale Bindungen). Die einzelnen Globinmoleküle haben eine sehr ähnliche Tertiärstruktur wie Myoglobinmoleküle, die jeweils ein Sauerstoffmolekül anlagern können (Hämoglobinmoleküle deren vier).

    Hämoglobin (Hb) befindet sich in roten Blutkörperchen.

 
  Ein Hb-Molekül transportiert bis zu 4 O2-Moleküle von der Lunge zum Gewebe.
 
 
  Es transportiert weiters H+ und CO2 aus dem Gewebe zur Lunge.
 
Über Methämoglobin s. dort
 

Abbildung: Struktur eines Häms

Der Porphinring - Grundstruktur von Porphyrinen - ist rosa unterlegt, er besteht aus 4 modifizierten Pyrrolringen. Die zahlreichen Doppelbindungen spannen das Molekül in eine Ebene und verleihen ihm seine optischen Eigenschaften (starke Absorption zahlreicher Wellenlängen des Lichts). Zusammen mit Globin entsteht Hämoglobin, der Sauerstofftransporter in Erythrozyten.
 
Am Eisenatom (das an jeweils einem Stickstoffatom der Pyrrolringe fixiert ist) befestigen sich Globin-Untereinheiten - in einer Linie, die etwa senkrecht zum Porphyrinring steht - mit einem "Zangengriff" zweier Histidin-Bindungen. In eine dieser beiden Bindungen kann sich ein Sauerstoffmolekül einlagern - es liegt dann zwischen dem Eisenatom und einem Histidinrest


Die sigmoide Bindungskurve des Hämoglobins lässt erkennen, dass sich Sauerstoff bereits bei wesentlich höherem pO2 vom Hämoglobin löst als dies bei einer einfachen Bindungscharakteristik (wie bei Myoglobin) der Fall ist ( Abbildung). Das kommt dem oxidativen Stoffwechsel zugute; der O2-Halbsättigungsdruck liegt (bei normalen Begleitumständen, wie pCO2, Temperatur etc) bei 27 mmHg (3,6 kPa) - bei Myoglobin löst sich der Sauerstoff erst bei viel niedrigeren Partialdruckwerten vom Trägermolekül.
  

Abbildung: Sauerstoffsättigung als Funktion des Sauerstoffpartialdrucks (Bindungskurve)
Nach Wilson MT, Reeder BJ, Myoglobin. In: Laurent GJ, Shapiro SD (eds): Encyclopedia of Respiratory Medicine, Elsevier 2006

Sauerstoffsättigung von Myoglobin (einfache enzymatische Bindungskurve) und Hämoglobin (sigmoide Kurve, allosterische enzymatische Bindungscharakteristik).
 
Der
pO2 bei Halbsättigung (50%) des (tetrameren) Hämoglobins beträgt bei adultem Hämoglobin durchschnittlich ~3,5 kPa / 26 mmHg, bei fetalem Hämoglobin ~2,5 kPa / 19 mmHg.
 
Das (monomere) Myoglobin hat eine wesentlich höhere Sauerstoffaffinität als das (tetramere) Hämoglobin, es gibt O2 erst bei wesentlich geringerem pO2 ab als Hämoglobin (Halbsättigung bei ~0,2 kPa)


 
    Sauerstoffsättigung ist der (prozentuale) Anteil von O2-Bindungsstellen am Hämoglobin, die zu einem gegebenen Zeitpunkt mit Sauerstoffmolekülen besetzt sind. Sie gibt an, wie stark im gegebenen Fall die Sauerstofftransportkapazität des Hämoglobins (ml O2 / g Hb) ausgenützt wird.
 
Die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins hat S-Form (sigmoide Form)

Hämoglobin ist bei 27 mmHg pO2 zur Hälfte der verfügbaren Bindungsstellen mit Sauerstoff beladen
 
Über Diffusion s. dort

     
Abbildung: Schema der quaternären Struktur des Hämoglobins mit vier Globin- und vier Häm-Molekülen
Nach Gevorkian SG, Allahverdyan AE, Gevorgyan DS, Hu CK. Thermal-induced force release in oxyhemoglobin. Sci Rep 2015: 5


Sauerstoffmoleküle werden von den vier Untereinheiten des Hämoglobins (vgl. Abbildung oben) entweder mit niedriger oder mit hoher Affinität angelagert (kooperative Bindung). Die Sauerstoffaffinität ist in der R-Form (relaxed) des Hämoglobins (rechts) etwa 150-mal größer als in der T-Form (tense) (links).
 
Bei niedrigem pO2 liegen die meisten Hämoglobinmoleküle in der T-Form vor. Steigt der pO2, nimmt auch die Wahrscheinlichkeit der Anlagerung von O2 an Häm zu. Nimmt eine der vier Hämgruppen Sauerstoff auf, dann kippen alle vier am betreffenden Hämoglobin gemeinsam von der T- in die R-Position, die Sauerstoffaffinität dieses Hämoglobinmoleküls steigt sprunghaft an. Je mehr von ihnen "umschnappen", desto steiler wird die Neigung der Bindungskurve
Sauerstoff löst sich ("physikalisch") in Wasser und Körperflüssigkeiten in relativ geringem Maße (bei arteriellen Partialdruckwerten ~3 ml/l oder 0,3 Volums%). Das ist viel zu wenig, um die vom Körper benötigten 0,3 (Ruhezustand) bis ~5 l O2 / min (körperliche Ausbelastung) aus der Lunge in das Gewebe zu bringen (bei einem Herzzeitvolumen von 6 l/min können höchstens ~0,02 l/min physikalisch gelöster Sauerstoff mit dem Blut transportiert werden).

Über die Frage der Speicherung von Sauerstoff im Körper s. dort

Diese Diskrepanz wird durch den Transport von
O2 mittels Hämoglobin (Hb) in den Erythrozyten überbrückt: Bei voller Sättigung bindet 1 Gramm Hämoglobin 1,34 ml Sauerstoff (Hüfner'sche Zahl):
    
1g Hämoglobin kann 1,34 ml O2 binden
 
    Die Hüfner'sche Zahl (Hüfner number) gibt an, wieviel Sauerstoff ein Gramm Hämoglobin binden kann - maximal 1,34 ml (ca. 60 µmol) pro g Hb.
 
Normalerweise enthält ein Liter Blut an die 150 g Hämoglobin. Damit beträgt die Sauerstoff-Transportkapazität des Blutes ~200 ml O
2/l Blut (150 x 1,34) oder 20 Volums%.
Ist dieser Wert erniedrigt, spricht man von einer Anämie. Sie kann bedingt sein durch eine zu geringe Hämoglobinkonzentration (z.B. in Folge eines Eisenmangels) oder eine Funktionsstörung des Hämoglobins (z.B. Sichelzellenanämie).

     Unter Anämie versteht man eine reduzierte Sauerstofftransportkapazität des Blutes. Ein häufiger Grund ist Mangel an biologisch verwertbarem Eisen (Eisenmangelanämie), dieser macht sich in einer Reduktion der Hämoglobinmenge im Blut bemerkbar.
 
Ein Gramm Hämoglobin bindet bis zu 1,34 Milliliter Sauerstoff (Hüfner'sche Zahl)
 
Bei
150 g/l Hämoglobinkonzentration ergibt sich eine Transportkapazität von 200 ml O2/l Blut
 
Mit der Hämoglobinkonzentration steigt / sinkt das Sauerstofftransportvermögen (
O2-Bindungskapazität) des Blutes
 
Gemischt-venöses Blut bei körperlicher Ruhe enthält zu ~75% O2-gesättigtes Hämoglobin
 
Der Sauerstoffpartialdruck des Blutes alleine sagt nichts über seinen Sauerstoffgehalt aus. Bei einer Anämie ist die
O2-Transportkapazität auch bei vollständiger O2-Sättigung des Hb reduziert
   
Hämoglobin hat etwa 64 (4 x 16) kDa molare Masse, seine 4 Eisenatome 224 (4 x 56) Da, d.h. Hämoglobin besteht massenmäßig zu etwa 0,35% aus Eisen. Eisen ist wichtig, um Sauerstoffmoleküle in eine lockere (reversible) Fixierung zwischen Eisenatom und Globin zu bringen. So kann der Sauerstoff bei arteriellen Partialdruckwerten an das Hämoglobin angelagert und bei niedrigeren (venösen) Werten wieder abgegeben werden.

Dabei weist das Hämoglobinmolekül unterschiedliche Eigenschaften auf, je nachdem, ob es Sauerstoff enthält oder nicht (Allosterie ): Nimmt eine der vier Hämgruppen O2 auf, wechselt das Molekül in eine Form, die O2 leichter bindet (hohe Sauerstoffaffinität besteht in der R-Form (relaxed), niedrige in der T-Form (tense) des Moleküls, Abbildung). Dadurch nimmt die Bindungskurve für Sauerstoff eine sigmoide Form an.

Diese S-Form der Bindungskurve des Sauerstoffs an Hämoglobin (Abbildungen) ist ein Geniestreich der Natur: Auf diese Weise (bedingt durch einen allosterischen Effekt) wird in den Blutkapillaren Sauerstoff bereits bei viel höheren Partialdruckwerten vom Hämoglobin an das Gewebe abgegeben als das bei einfacher Bindungskinetik (Beispiel Myoglobin) möglich wäre. Das bedeutet, dass für die Diffusion des eher schlecht löslichen Sauerstoffs durch die Gewebeflüssigkeiten ein ausreichendes Partialdruckgefälle zur Verfügung steht.

 


Abbildung: Sauerstoffsättigung des Hämoglobins als Funktion des Sauerstoff- (Abszisse) und CO2-Partialdrucks (Bindungskurven)
Nach Jensen FB, Red blood cell pH, the Bohr effect, and other oxygenation-limited phenomena in blood O2 and CO2 transport. Acta Physiol Scand 2004; 182: 215-27

Mit steigendem pCO2 verläuft die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins zusehends flacher (rechtsverschoben: Bohr-Effekt). Das bedeutet: Je höher die Kohlendioxidkonzentration im Gewebe ist (hoher metabolischer Sauerstoffbedarf), desto rascher (bei höherem pO2) gibt Hämoglobin Sauerstoff an das Gewebe ab.
 

Partialdruckwerte in mmHg (7,5 mmHg = 1 kPa)


Hämoglobin transportiert nicht nur Sauerstoff (O2), sondern auch Kohlendioxid (CO2) und nimmt an der Blutpufferung teil.

Wie die Sauerstoffbindung vom pCO2 abhängt, zeigt die
Abbildung: Nimmt der pCO2 ab (Hypokapnie, Folge vermehrter Atmung), verlagert sich die Bindungskurve nach links, d.h. Hämoglobin gibt den Sauerstoff erst bei niedrigerem pO2 ab; nimmt er zu (Hyperkapnie), verlagert sich die Kurve nach rechts, und Sauerstoff wird schon bei höheren pO2-Werten an das Gewebe abgegeben (das in einer solchen Situation auch dringend mehr O2 braucht).
 
Der Sauerstoff-Halbsättigungsdruck des Hämoglobins beträgt 3,6 kPa (27 mmHg)

Steigt der Halbsättigungsdruck (Rechtsverschiebung der Bindungskurve
), erfolgt in den Kapillaren die Abgabe von Sauerstoff an das Gewebe schon bei höheren pO2-Werten
 
Löslichkeit und Henry-Gesetz
 

Die physikalische Lösung eines Gases in den Körperflüssigkeiten hängt vom Partialdruck des Gases ab (Henry-Gesetz). Danach beschreibt ein Löslichkeitskoeffizient (H) das Verhältnis der Konzentration (c) eines gelösten Gases in Relation zu seinem Gaspartialdruck (p):
 
H = c / p
 
So kann die in der Flüssigkeit gelöste Gasmenge aus dem Partialdruck berechnet werden. Je größer [H], desto höher ist die Löslichkeit des Gases in der Flüssigkeit, und desto mehr Gas (höherer Wert für c) ist bei gegebenerm Partialdruck in einer bestimmten Menge Flüssigkeit enthalten. Wie viel Gas sich in einer Flüssigkeit löst, d.h. wie hoch der konkrete H-Wert ist, ist von den jeweiligen Substanzen (Flüssigkeit einerseits, Gas andererseits) abhängig. Für jede Kombination gilt ein spezieller Löslichkeitskoeffizient.

In Wasser (bzw. Blutplasma) ist die Löslichkeit von Kohlendioxid (bei Körpertemperatur: (33 µM/mm Hg) rund 24-mal größer die von Sauerstoff (1,4 µM/mm Hg) und die von Sauerstoff doppelt so hoch als die von Stickstoff (0,7 µM/mm Hg).

Der Kapazitätskoeffizient (capacitance coefficient β) - definiert als Volumenanteil eines Gases in einem Gas oder einer Flüssigkeit bezogen auf den Partialdruck dieses Gases - gibt die molar vorhandene Gasmenge in Abhängigkeit vom Partialdruck an:

 

Kapazitätskoeffizient β
(µM / kPa)

Nach Dejours P, Principles of Comparative Respiratory Physiology. 2nd ed. Elsevier 1981
in Wasser
(37°C)
in Luft
(37°C)
O2 CO2
O2 CO2
10,6
250
388
388
   
Man sieht, dass die Kapazität (vorhandene Gasmenge pro Partialdruck) für in Wasser gelöstes Kohlendioxid bei 37°C etwa 24-mal größer ist als für Sauerstoff; in Luft spielt die Löslichkeit keine Rolle, die Kapazität (vorhandene Gasmenge pro Partialdruck) für beide Gase ist gleich groß.

Alle diese Werte sind unterschiedlich temperaturabhängig; so ist die Kapazität für Sauerstoff bei 0°C in Luft 20-mal höher als in Wasser, bei 40°C hingegen 38-mal. Generell gilt: Mit steigender Temperatur löst sich weniger Gas in der Flüssigkeit.

In arteriellem Blut mit einem pO
2 von ~15 kPa errechnen sich 3 ml physikalisch gelöstes O2 pro Liter Blut. (Tatsächlich beträgt die Sauerstoff-Transportkapazität von einem Liter Blut - bei einer Hämoglobinkonzentration von ~150 g/l - ~200 ml - Hüfner'sche Zahl: 1,34 ml O2/ g Hb).
 
Einfluss von Temperatur, pH, pCO2 und 2,3-DPG auf die Sauerstoffbindung
 

Die Intensität der Sauerstoffanlagerung am Hämoglobin (abhängig vom Partialdruck) ist von mehreren Faktoren abhängig ( Abbildung), wie
 

Abbildung: Einflüsse auf die Hb-O2-Bindungskurve
Nach einer Vorlage bei Silverthorn, Human Physiology, an integrated approach, 4th Int'l ed. 2007, Pearson / Benjamin Cummings

Mehrere Faktoren beeinflussen die Bindungsfähigkeit des Hämoglobins gegenüber Sauerstoff, darunter
der pH-Wert (links):
Höhere H+-Konzentration - in diesem Beispiel pH 7,2, rosa Kurve - führt zu rascherem Freigeben des Sauerstoffs, was den oxidativen Energiestoffwechsel erleichtert
die Temperatur (Mitte): Die O2-Bindungsfähigkeit nimmt mit sinkender Temperatur zu - niedrige Temperaturen verlangsamen den Stoffwechsel und reduzieren den Sauerstoffbedarf des Gewebes, was die Linksverschiebung der Bindungskurve tolerierbar macht
  der pCO2-Wert (rechts): Die O2-Bindungsfähigkeit nimmt mit steigendem pCO2 ab, Sauerstoff rascher abgegeben, der oxidative Stoffwechsel wird durch das bessere Sauerstoffangebot unterstützt


     pH-Wert (O2-Bindung steigt mit pH - Bohr-Effekt → je basischer das Blut, desto weiter nach links ist die Bindungskurve verschoben, Sauerstoff wird erst bei niedrigerem pO2 abgegeben).
 
Der Mechanismus: Wasserstoffionen lagern sich an terminales Histidin (His 146) der ß-Kette des Hämoglobins, was die Bildung von Salzbrücken (nicht-covalenten Interaktionen) und den Übergang von der R- (höhere
O2-Affinität) zur T-Form (geringere O2-Affinität, raschere Abgabe des Sauerstoff an das Gewebe) fördert. Steigt die [H+] (d.h. sinkt der pH-Wert: Ansäuerung im Gewebe), rückt die Bindungskurve nach rechts, O2 verläßt das Hämoglobin früher (bei höherem pO2), das Gewebe wird besser mit Sauerstoff versorgt. (Der umgekehrte Mechanismus wirkt in der Lunge.)
 

     Temperatur - die O2-Bindung nimmt mit abnehmender Temperatur zu (niedrige Temperaturen bremsen den Stoffwechsel, der Sauerstoffbedarf der Zellen nimmt ab)

  
  CO2-Partialdruck (O2-Bindung sinkt mit pCO2 → Rechtsverschiebung der Sauerstoffbindungskurve mit steigendem Kohlendioxidpartialdruck)
 
Steigt die CO2-Abgabe (Hyperventilation), sinkt der pCO2 und nimmt die O2-Affinität des Hämoglobins zu
 
    Konzentration an 2,3-Biphosphoglyzerat (2,3-BPG, 2,3-Diphosphoglyzerat 2,3-DPG) in den Erythrozyten ( Abbildung). Wie auch andere organische Phosphate (solche werden in den Erythrozyten produziert), beeinflusst 2,3-DPG (als führender Vertreter) den Halbsättigungswert des Hämoglobins: Die Hb-Affinität für Sauerstoff nimmt ab, die O2-Versorgung des Gewebes zu.
 

Abbildung: Sauerstoffbindungskurve in Abhängigkeit von der 2,3-DPG-Konzentration in Erythrozyten
Nach einer Vorlage bei Silverthorn, Human Physiology, an integrated approach, 4th Int'l ed. 2007, Pearson / Benjamin Cummings

Je höher die Konzentration an 2,3-DPG in den Erythrozyten (physiologisch um 5 mM: ockerfarbene Kurve), desto intensiver die Arretierung des Hämoglobins in der weniger "sauerstoff-freundlichen" T-Form. Die Bindungskurve verschiebt sich nach rechts (rechtsverschobene rote Kurve), Sauerstoff wird schon bei höheren pO2-Werten an das Gewebe abgegeben.
 
Sinkt die 2,3-DPG-Konzentration im Erythrozyten (oder fehlt es gänzlich - blaue Kurve), nimmt die Bindungskurve eine steilere (linksverschobene) Lage ein (Bevorzugung der R-Form), das Hämoglobin gibt Sauerstoff erst bei niedrigerem
pO2 als normalerweise an das Gewebe ab


An Desoxyhämoglobin (T-Form des Hämoglobins s. Abbildung oben) gebundenes 2,3-BPG stabilisiert diese Form und verhindert den Übergang in die sauerstoffaffine R-Form, die Bindungskurve verlagert sich nach rechts.
 
Steigt [2,3-BPG] in den Erythrozyten, nimmt die O2-Affinität des Hämoglobins ab
 
  2,3-DPG bindet an ß-Ketten des adulten (HbA), nicht (oder nur geringgradig) an γ-Ketten, welche die ß-Ketten in fetalem Hämoglobin (HbF) ersetzen. Daher wirkt 2,3-DPG (obzwar vorhanden) im fetalen Kreislauf kaum rechtsverschiebend auf die Bindungskurve - das fetale Blut hat eine höhere Sauerstoffaffinität als das adulte, nimmt daher Sauerstoff in der Plazenta auf (wo es das Hämoglobin der Mutter schon abgibt) und transportiert O2 aus der Plazenta zum Feten, wo es den Sauerstoff erst bei niedrigerem pO2 an das fetale Gewebe abgibt (pränatal spielt sich das Leben relativ hypoxisch ab). Nach der Geburt wird das HbF allmählich durch HbA ersetzt, nach 4 bis 6 Monaten ist es aus dem Kreislauf komplett verschwunden.



Die Sauerstoffabgabe vom Hämoglobin wird begünstigt durch CO2, H+-Ionen, 2,3-DPG und Temperaturanstieg. Das erhöht das O2-Angebot an das Gewebe (Abgabe bei höherem pO2, Rechtsverschiebung der Bindungskurve).

Umgekehrt nimmt das Blut Sauerstoff umso leichter auf, je niedriger
pCO2, Temperatur, 2,3-DPG-Konzentration und H+-Ionenkonzentration sind - diese Faktoren begünstigen die Sauerstoffaufnahme des Hämoglobins (Linksverschiebung der Bindungskurve).
 
Zunahme des [2,3-DPG] in den Erythrozyten (physiologisch um 5 mM) senkt die O2-Bindung des Hämoglobins, wodurch der Sauerstoff eher abgegeben wird und einer Gewebehypoxie entgegengewirkt wird ( Abbildung). Höhenakklimatisierte Menschen haben erhöhte 2,3-DPG-Spiegel in ihren Erythrozyten, wie auch Patienten mit Herz- oder Lungenerkrankungen mit verringerter Sauerstoffzufuhr an das Gewebe.

    Biphosphoglycerat-Mutase (BPGM) in Erythrozyten wandelt 1,3-DPG in 2,3-DPG um

 
  Chronische Hypoxie / Anämie steigert die BPGM-Aktivität und damit [2,3-DPG] in Erys

    Dadurch gibt Hämoglobin seinen Sauerstoff früher (bei höherem pO2) ab als sonst
 
Auch die Aminosäurezusammensetzung der Hämoglobinketten spielt eine Rolle: So unterscheidet sich das Hämoglobin bei Sichelzellenanämie nur in einer einzigen Aminosäure von normalem HbA, aber es neigt im desoxygenierten Zustand zur Kristallisation, was die roten Blutkörperchen deformiert und die Mikrozirkulation behindert.

Fetales Hämoglobin
s. auch dort

Ein weiterer Einfluss der Proteinstruktur auf die O2-Bindungscharakteristik des Hämoglobins spielt während der Schwangerschaft eine wichtige Rolle: Fetale Hämoglobine (HbF) unterscheiden sich in der Aminosäuresequenz der Untereinheiten von adultem Hämoglobin (HbA), was in einer steileren Bindungskurve resultiert ( Abbildung). Der Sinn liegt in einer besseren Sauerstoffversorgung des Feten, der ja sonst aufgrund der Partialdruckverhältnisse bei der Konkurrenz um Sauerstoff das Nachsehen hätte.
 

Abbildung: HbF bindet Sauerstoff bei niedrigeren pO2-Werten als HbA...
Nach Pritisanac E et al, Fetal hemoglobin and tissue oxygenation measured with near-infrared spectroscopy - a systematic qualitative review. Front Pediatr 2021; 9

...anders ausgedrückt: Sauerstoff hat die Tendenz, von mütterlichem zu fetalem Hämoglobin zu wandern, da es hier (bei gegebenem pO2) stärker gebunden wird. Verantwortlich dafür sind mehrere Faktoren: Bindungseigenschaften des fetalen Hämoglobins, pCO2, 2,3-DPG

Außerdem ist die Affinität des fetalen Hämoglobins für 2,3-DPG niedriger als bei HbA (2,3-DPG arbeitet ja der Zielsetzung, Sauerstoff stärker an Hämoglobin binden zu können, entgegen).

Unmittelbar nach der Geburt befindet sich im Kreislauf des Neugeborenen noch ~80% des Hämoglobins als HbF und wird schrittweise durch HbA ersetzt; dieser Prozess ist einige Monate postpartal weitgehend abgeschlossen.
 
     
   Näheres zum Sauerstofftransport im Neugeborenen und zum fetalen Hämoglobin s. dort

Transport von Kohlendioxid
 
Arterielles Blut enthält ~26 mM CO2, entsprechend ~48 ml / 100 ml Blut (STP-Bedingungen). Das im Stoffwechsel entstandene CO2 - bei einer erwachsenen Person
im Ruhezustand etwa 250 ml/min, bei körperlicher Belastung bis zu ~4000 ml/min - wird von venösem Blut aus den Geweben zur Lunge transportiert, und zwar in verschiedener Form ( Abbildung):
 
 
Abbildung: Kohlendioxidtransport im Blut
Nach einer Vorlage bei Silverthorn, Human Physiology, an integrated approach, 4th Int'l ed. 2007, Pearson / Benjamin Cummings

CO2 diffundiert von Gewebezellen in kapilläres Blut. Dort wird es in drei Formen weiterbefördert:
  Zu ~70% als Bicarbonat - dazu ist Carboanhydrase (CA) notwendig -, davon ~1/3 in den Erythrozyten und ~2/3 im Blutplasma
Zu 20-27% in den Erythrozyten als Carbaminohämoglobin (proteingebunden)
Zu ~7% physikalisch gelöst (der pCO2 steigt von ~40 auf ~46 mmHg an).
 
Die entstandenen Wasserstoffionen binden an Hämoglobin und bewirken den Bohr-Effekt (s. weiter unten).
 
In der Lunge läuft der Vorgang in der umgekehrten Richtung ab


     ~70% als Bicarbonat, das durch Einwirkung von Carboanhydrase rasch aus CO2 entsteht und dann zu 2/3 mittels eines HCO3-/Cl-Austauschers in der Membran der Erythrozyten in das Blutplasma überwechselt (Chlorid-shift, Hamburger-Effekt); 1/3 des Bicarbonats verbleibt in den Erythrozyten. In der Lunge läuft dieser Vorgang umgekehrt ab (s. weiter unten).

    Als CO2 physikalisch gelöst, vorwiegend im Blutplasma (4-8%). Die in dieser Form transportierte Menge hängt vom herrschenden
pCO2-Wert ab (Henry-Gesetz).
 
     Als Carbaminohämoglobin - proteingebunden (an eine NH2-Gruppe des Hämoglobins) - in den Erythrozyten (20-27% des transportierten Kohlendioxids).
 

Zellen im Gewebe produzieren CO2, dieses diffundiert über Interstitium und Endothel in Erythrozyten und wird durch die Wirkung der Carboanhydrase rasch zu Bicarbonat umgewandelt. Bicarbonat wird anschließend - im Austausch gegen Chloridionen - über die Erythrozytenmembran in das Blutplasma weitergereicht (Bande-3-Antiporter), um die Reaktion nicht zu behindern ("Hamburger-shift").
 
Entstandene H+-Ionen werden an Hämoglobin gebunden (HHb), der rote Blutfarbstoff entfaltet so seine Pufferwirkung.
 
Infolge des Partialdruckgradienten (niedriger pO2 im Gewebe) und wegen des Bohr-Effekts (verringerte O2-Bindung bei Ansäuerung) ist die Abgabe von Sauerstoff aus dem Blut begünstigt, und dieses diffundiert zu den Gewebszellen.

Man schätzt, dass der Körper eines erwachsenen Menschen zusammengenommen ungefähr 120 Liter
CO2 in verschiedener Form enthält (Sauerstoff insgesamt nur ~1,5 l).
 

Abbildung: CO2-Transport in arteriellem und gemischt-venösem Blut
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Arterielles Blut transportiert im Mittel 48 ml/dl CO2, gemischt-venöses (bei körperlicher Ruhe: 70-75% O2-Sättigung) 52 ml/dl.
 
Der Unterschied (
~4 ml/dl) beruht zu fast 70% auf Erhöhung des Bicarbonatgehalts, zu gut einem Fünftel auf Steigerung des Carbaminohämoglobins. Das vermehrt physikalisch gelöste CO2 (Partialdruckanstieg von 40 auf 46 mmHg) macht ein Zehntel des Mehrtransports aus (Inset rechts oben)

 
Im Vollblut werden etwa 50 ml CO2 je 100 ml transportiert ( Abbildung, arteriell ~48, gemischt-venös ~52) - zum Vergleich: 100 ml arterielles Blut transportieren etwa 20 ml O2 (s. oben).
 
Arterielles Blut enthält mehr als doppelt so viel CO2 als O2
 
Venöses Blut enthält um rund 10% mehr CO2 als arterielles (bei körperlicher Ruhe, bei Muskelarbeit ist der Anstieg des transportierten Kohlendioxids und des
pCO2 höher, je nach Belastungsgrad).

 
Abbildung: CO2-Bindungskurven in vollständig desoxygeniertem (blau), gemischt-venösem (violett) und arteriellem Blut (rot)
Modifiziert nach einer Vorlage bei Levitzky MG, Pulmonary Physiology, 9th ed. McGraw-Hill Education 2018

Die Lage der Bindungskurven (je höher der Kohlendioxidpartialdruck, desto größer der CO2-Gehalt im Blut) hängt vom Sauerstoffpartialdruck ab (Haldane-Effekt). Die physiologisch besonders relevanten Punkte (arteriell, gemischt-venös) sind hervorgehoben


Stellt man die transportierte Menge an Kohlendioxid als Funktion des in der Blutprobe herrschenden CO2-Partialdrucks dar, ergibt sich der in der Abbildung gezeigte Zusammenhang. Diese Bindungskurven sind im physiologischen Partialdruckbereich wesentlich steiler als diejenigen für Sauerstoff (Hämoglobin), der arterio-venöse Partialdruckunterschied (~40 und ~46 mmHg) beträgt nur etwa ein Zehntel dessen, was für Sauerstoff gilt (~40 und ~100 mmHg, s. oben).

Die Abbildung lässt auch erkennen, dass die Bindungskurven davon abhängen, wie hoch die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins ist; diese als Haldane-Effekt bezeichnete (und im Folgenden näher erläuterte) Tatsache bedeutet, dass die Erythrozyten CO2 umso leichter aufnehmen können, je geringer die Sauerstoffbeladung des Hämoglobins ist.

Dieser Einfluss scheint bei Betrachtung der Kurven nicht sehr stark zu sein, ist aber doch physiologisch wesentlich: Genau dann, wenn die roten Blutkörperchen Sauerstoff an die Gewebe abgeben, steigt die Aufnahmefähigkeit des Hämoglobins für
CO2, was den Transport aus dem Gewebe zur Lunge erleichtert und unterstützt.

 
Sauerstoff vs. Säure: O2 und CO2 / H+ beeinflussen ihren Transport gegenseitig
 

Sauerstoff einerseits und H+-Ionen bzw. CO2 andererseits haben am Hämoglobinmolekül gegenseitige Effekte; werden vermehrt Wasserstoffionen gebunden, nimmt die Anlagerungsbereitschaft für Sauerstoff ab, andererseits vermindert Sauerstoff den Transport von Kohlendioxid (CO2 <--> H2CO3 <--> H+ + HCO3-). Daraus ergeben sich zwei Effekte, die als Bohr- und Haldane-Effekt bezeichnet werden:
 

Abbildung: "Hämoglobin-Muli"
Nach einer Vorlage in H. Hinghofer-Szalkay: Praktische Physiologie, 3. Aufl. Blackwell Berlin 1994

Sauerstoff wird bei vergleichsweise höheren pO2-Werten vom Blut an das (stoffwechselintensive) Gewebe angegeben.
  Der Hämoglobin-Muli kann die Last von O2 und  CO2 / H+ nicht gleichzeitig voll tragen - wird eine Seite aufgefüllt, fällt an der Gegenseite ein Teil wieder herunter...  FAZIT:
 
      (Lact-) Azidose treibt Sauerstoff von Hämoglobin (Bohr-Effekt), das kommt der oxidativen Energiegewinnung des Gewebes zugute
 
      Abnehmender pO2 erhöht den H+-Transport des Hämoglobins (Haldane-Effekt), Säuren werden besser abgepuffert


     Bohr-Effekt: Die O2-Bindungsfähigkeit des Hämoglobins ist abhängig von pH-Wert (und damit indirekt von pCO2), Ansäuerung senkt die Sauerstoff-Affinität, Alkalisierung steigert sie.
 
1904 beschrieben Christian Bohr, Karl Hasselbalch und August Krogh den Einfluss des Kohlendioxidpartialdrucks auf den Sauerstoff-Halbsättigungswert des Hämoglobins: Durch Lösung von CO2 in Wasser entstandene Protonen binden an Aminosäuren der Globinmoleküle ("Bohr-Protonen") und verändern so die O2-Affinität des Hämoglobins (Stabilisierung der T-Form: "Normaler" Bohr-Effekt).

  
  Haldane-Effekt: Das CO2-Transportvermögen des Blutes nimmt mit steigendem O2-Partialdruck ab und umgekehrt.
 
Der nach ihm benannte Effekt wurde 1914 von J.S. Haldane und seinen Mitarbeitern beschrieben. Die Stärke des Haldane-Effekts kann über den Quotienten Mol freigesetzte Protonen pro Mol an Hb gebundener Sauerstoff quantifiziert werden.


Am Hämoglobinmolekül besteht also eine 'Konkurrenz' um Aufnahme von H+-Ionen (Pufferung) einerseits (CO2!), und O2-Molekülen am Häm andererseits. Gemeinsam sorgen der Bohr- und der Haldane-Effekt im Gewebe dafür, dass der CO2-Gradient im Erythrozyten nicht so stark ansteigt, dass die Diffusion dadurch behindert würde (der pCO2 steigt im Gewebe - das Sauerstoff metabolisiert - nicht besonders stark an, allerdings treten auch andere H+-Spender auf, z.B. Lactat).
 

Entsprechend den Löslichkeitskoeffizienten ist die physikalisch gelöste Menge der Atemgase recht unterschiedlich:

     
In arteriellem Blut (pO2 von ~15 kPa) beträgt die pro Liter gelöste Sauerstoffmenge 3 ml/l (das ist knapp 1,5% der Gesamtmenge, der Großteil - rund 200 ml/l - ist an Hämoglobin angelagert); in venösem Blut hängt die Menge vom Partialdruck ab, bei körperlicher Ruhe ist es ~1 ml/l.

      Kohlendioxid löst sich wesentlich besser; bei 40 mmHg (~5 kPa) Partialdruck ergibt sich ein Wert von ~20 ml/l (das sind etwa 4% der Gesamtmenge von ~500 ml/l).
 
CO2, das (im Gewebe) in rote Blutkörperchen eintritt, kann hier unter beschleunigender Wirkung des Enzyms Carboanhydrase (Carbonic anhydrase CAH) zügig zu Kohlensäure umgewandelt werden. CAH wird von den Erythrozyten stark exprimiert, insoferne gleichen sie Zellen im Magen (Belegzellen: Salzsäureproduktion) und Tubuluszellen in der Niere.

Dieser Vorgang läuft im Blutplasma sehr langsam ab, da hier keine Carboanhydrase vorliegt; das Plasma trägt zum Kohlendioxidtransport hauptsächlich über den Hamburger-Effekt (also indikekt) bei, wo es Chloridionen liefert (und Bicarbonat aus dem Erythrozyten aufnimmt).

Für H+-Ionen ist die Erythrozytenmembran kaum durchlässig.

Um eine Anreicherung von Bicarbonat - welche diese Reaktion behindern würde - zu vermeiden, ist es zweckmäßig, dieses gegen Chloridionen auszutauschen.
Ein Cl-/HCO3--Antiporter (Bande-3-Protein), von dem es in jedem Ery über eine Million Moleküle gibt, ermöglicht den entsprechenden Anionenaustausch über die Erythrozytenmembran (AE1: Anion exchanger). Jedes AE1-Molekül kann pro Sekunde bis zu 5.104 Ionen pro Sekunde transportieren.

Dieser Effekt wird als Hamburger-Shift (Chlorid-Shift, Hamburger-Effekt
) bezeichnet.
 
Chlorid-shift: Bicarbonat wird gegen Chlorid über die Zellmembran (z.B. des Erythrozyten) ausgetauscht
   
Ein Großteil des entstandenen Bicarbonats gelangt auf diese Weise aus den Erythrozyten, und typischerweise ist die Chloridkonzentration in venösem Blutplasma niedriger als in arteriellem.

Carbaminohämoglobin (HbCO2) ist eine direkt an Hämoglobin gebundene Transportform des Kohlendioxids (6% der Gesamtmenge an arterio-venös ausgetauschtem CO2).
Desoxygeniertes Hämoglobin kann wesentlich mehr Kohlendioxid in Form von
HbCO2 binden als oxygeniertes; etwa 30% des CO2, welches das Gewebe verlässt, tut dies in der Form von Carbaminohämoglobin.
 
Sauerstoffextraktion: Arteriovenöse Sauerstoffdifferenz
 
Wie viel Sauerstoff aus den Kapillaren abgegeben wird, hängt vom Bedarf des Gewebes ab. Dieser ist sehr unterschiedlich:
 
       So verbrauchen die Nieren nur 6-7% des arteriell angebotenen Sauerstoffs (hoher Anteil funktioneller Durchblutung, geringer Anteil nutritiver Durchblutung), das Blut in der v. renalis ist weitgehend sauerstoffgesättigt

       Der Herzmuskel hingegen ~60% des arteriell angebotenen Sauerstoffs (ausbelastete Muskulatur bis zu ~90%)

       Das Gehirn nimmt im Schnitt weniger als 30% des arteriell angebotenen Sauerstoffs in Anspruch; aktive graue Substanz verbraucht deutlich mehr als weiße und hat eine O2-Extraktion von ~35%

       Skelettmuskeln verbrauchen im Ruhezustand etwa 28%, bei Ausbelastung bis zu 90% des arteriell angebotenen Sauerstoffs. Das bedeutet auch, dass die O2-Sättigung des gemischt-venösen Blutes bei körperlicher Belastung abnimmt - von ~75% bei körperlicher Ruhe)auf ~10% bei Ausbelastung (die Skelettmuskulatur konsumiert dann den Großteil des Herzminutenvolumens).

Körperliche Belastung reduziert die Sauerstoffsättigung gemischt-venösen Blutes
 
Bei einer erwachsenen Person und körperlicher Ruhe transportiert das Blut etwa 1000 ml O2 pro Minute von den Lungen an die Gewebe heran (global oxygen delivery). Davon verbrauchen die Gewebe etwa 250 ml O2 pro Minute (global oxygen consumption), die Sauerstoffextraktion (OER, s. Definition) - das Verhältnis dieser beiden Werte - beträgt 25%. Die arteriovenöse Sauerstoffdifferenz im körperlichen Ruhezustand beträgt 5 Vol-% (der Sauerstoffgehalt arteriellen Blutes beträgt rund 20, derjenige gemischt-venösen Blutes rund 15 ml O2 / 100 ml Blut).

     Unter Sauerstoffextraktion (oxygen extraction ratio OER) versteht man den Quotienten zwischen O2-Antransport und O2-Verbrauch (delivery / consumption) - der als Fraktion oder in % angegeben werden kann -, unter arterio-venöser Sauerstoffdifferenz (AVDO2) den Unterschied zwischen arterieller und venöser O2-Konzentration ( Näheres s. dort). In der Niere beträgt die arterio-venöse Differenz ~1 Vol%, im Gehirn <6 Vol%, im Herzmuskel ≥12 Vol% (entsprechend einer OER von ca. 60%).

Das Blut im rechten Herzen (gemischt-venös aus dem gesamten Körper) enthält bei körperlicher Ruhe etwa 150 ml O
2/l, die AVDO2 beträgt dann 50 (200-150) ml/l Blut (5 Vol%). Das bedeutet, der Körper verbraucht 1/4 des arteriell angelieferten Sauerstoffs (25% Ausnützung, 75% Reserve).

Mit zunehmender körperlicher Belastung steigt die
AVDO2 auf bis zu 180 ml/l (18 Vol% - 90% Ausnützung, 10% Reserve) - maximal belastete Muskulatur (Arbeitsumsatz) verbraucht den arteriell angelieferten Sauerstoff fast vollständig.

Blutbildung (Hämatopoese)
 

Hämatopoese. Pluripotente Stammzellen stellen den Ursprung aller Zell-Linien dar. Sie werden durch einen Stammzellfaktor (SCF, Stem cell factor) aktiviert. Dieser funktioniert über Tyrosinkinase-Aktivierung und ist für Überleben, Proliferation und Differenzierung von (hämatopoetischen) Stammzellen unentbehrlich. Pluripotente Stammzellen (long-term hematopoietic stem cells, LT-HSCs) sind zu unlimitierter Selbsterneuerung fähig, spezialisierte Stammzellen (short-term hematopoietic stem cells, ST-HSCs) differenzieren weiter zu entsprechenden Vorläufern reifer Blutzellen ( Abbildung).
 

Abbildung: Hämatopoese
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Aus pluripotenten Stammzellen (LT-HSCs: long-term hematopoietic stem cells) können alle Blutkörperchen entstehen - über spezialisierte Stammzellen (ST-HSCs: short-term hematopoietic stem cells).
 
BFU-E, burst forming unit-erythroid    CFU, colony forming unit (B: basophil, E: erythroid, Eo: eosinophil, G: granulozytär, GEMM: granulozytär, erythroid, megakaryozytär, makrophagisch, GM: granulozytär / makrophagisch, M: makrophagisch, Meg: megakaryozytär, MegE: megakaryozytär / erythroid  CMP, common myeloid progenitor    CLP, common lymphoid progenitor    GMP, granulocyte-macrophage progenitor    MEP, megakaryocyte-erythroid progenitor    Eosinophile, basophile, neutrophile Granulozyten    Monozyten
 
Steuerfaktoren in blauer Farbe. Koloniestimulierende Faktoren / Wachstumsfaktoren / Zytokine bewirken Multiplikation und Reifung von Knochenmarkstammzellen / hämatopoetischen Zellinien. CSF, colony stimulating factor    EPO, Erythropoetin    TPO, Thrombopoetin    IL, Interleukin


    Über CSFs und Leukopoese s. dort
 
Die Bildung von Blutkörperchen im roten Knochenmark ist durch spezifische Wachstumsfaktoren gesteuert. Diese verhalten sich meist synergistisch zu anderen, d.h. sie fördern die Produktion anderer Wachstumsfaktoren (networking). Auch spielen extrazelluläre Matrixproteine wie Integrine als Signalgeber eine wichtige Rolle bei der Feinregulierung der Blutbildung.

Aus einer pluripotenten Stammzelle entstehen auf dem Weg vielfacher Zellteilung mehr als eintausend "fertige" Blutkörperchen. Dabei gibt es kritische Verzweigungspunkte, an denen die Anwesenheit (oder Abwesenheit) spezifischer Wachstumsfaktoren über den weiteren Weg der Teilung entscheiden.
 

Abbildung: Erythropoese
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

ST-HSC, short-term hematopoietic stem cell     CMP, common myeloid progenitor    MEP, megakaryocyte-erythroid progenitor    BFU-E, burst forming unit-erythroid    EPO, Erythropoetin    CFU-E, colony forming unit - erythroid

EPO ist zur Differenzierung von BFU-E zu Proerythroblasten (CFU-E, Pronormoblasten) absolut notwendig. Diese differenzieren zu basophilen, polychromatischen und orthochromatischen Erythroblasten.
 
Letztere exozytieren ihren Zellkern und werden zu Retikulozyten (die noch über Ribosomen und Mitochondrien verfügen; ihre Zahl im Blut steigt mit der Anzahl neu gebildeter Erythrozyten, die auch Mitochondrien und Ribosomen abgegeben haben)



Die Abbildung zeigt die Schritte bei der Entstehung von Erythrozyten aus Stammzellen (Erythropoese). Der Schritt zu Proerythroblasten kann nur unter der Wirkung von Erythropoetin vollzogen werden. Hämoglobin taucht erst in polychromatischen Erythroblasten auf, seine Menge wächst (bis auf 5,5 mM, ein vergleichsweise extrem hoher Wert, entsprechend ca. 34 g/dl MCHC), bis Zellkern und Ribosomen abgegeben werden und deshalb keine weitere Proteinsynthese stattfinden kann.
  
Erythropoetin

  
Erythropoetin (EPO) ist ein 34-kDa Glykoprotein, das von peritubulären (juxtatubulären) interstitiellen (fibroblastenähnlichen) Zellen der Niere - ein wenig auch von Makrophagen sowie von Kupffer'schen Sternzellen der Leber(beim Embryo vor allem von perisinusoidalen Leberzellen) - gebildet wird. Es stimuliert erythroide Vorläuferzellen zur Bildung reifer Erythrozyten.
 

Sauerstoffmangel (wie bei Blutverlust oder Höhenaufenthalt) führt zu verstärkter Bildung von Erythropoetin
 
Je geringer der Hämatokrit (und damit Hämoglobingehalt), desto niedriger ist die Sauerstofftransportkapazität des Blutes und umso stärker wird die Erythropoetinbildung angeregt. Der EPO-Spiegel verhält sich umgekehrt proportional zum Hämatokrit, und zwar steigt er mit sinkendem Hkt exponentiell an ( Abbildung).



Peritubuläre Fibroblasten in der Nierenrinde messen das Sauerstoffangebot über Prolylhydroxylasen (diese haben Eisen als essentiellen Cofaktor). Unter normoxischen Bedingungen "markieren" Prolylhydroxylasen den hypoxie-induzierbaren Faktor (HIF) zur Ubiquitinierung, d.h. für den Abbau. An dieser Ubiquitinierung beteiligen sich mehrere Faktoren, wie das von Hippel-Lindau (VHL)- Protein.

Zellen überall im Körper synthetisieren unter normoxischen Bedingungen konstitutionell (ständig)
HIF-α, und es wird - weil monomer labil - laufend abgebaut. Das ändert sich bei erniedrigter Sauerstoff- oder Eisenverfügbarkeit: Diese Bedingungen unterdrücken die Prolyl-Hydroxylase-Aktivität; das stabilisiert HIF-α, es wird dimerisiert und regt zusammen mit seinem Partnermolekül ARNT (Aryl hydrocarbon receptor nuclear translocator) die Transkription des Erythropoetin (Epo)-Gens an. Hypoxie steigert die Menge des verfügbaren HIF, und HIF-1α erhöht die Produktion von EPO-mRNS.
 
Bei Sauerstoffmangel intensiviert HIF die Expression des Erythropoetin-Gens
 
   Erythropoetin ist für die Differenzierung von BFU-Es essentiell,
 

Abbildung: Erythropoetin im Blutplasma als Funktion des Hämatokrit
Nach Erslev AJ, Erythropoietin. N Engl J Med 1991; 324: 1339-44

Mit abnehmendem Hämatokrit nimmt die EPO-Konzentration im Blut exponentiell zu.
 
Maßstab der Ordinate logarithmisch


Rasche Reaktion: Der Sinn dieses komplizierten Mechanismus scheint darin zu bestehen, dass lokal und prompt auf Sauerstoffmangel reagiert werden kann: Das Prolyl-Hydroxylase- HIF-2α- System ist ständig aktiv, und O2-Mangel führt zu rascher und effizienter Anregung des Epo-Mechanismus (HIF-2α liegt jederzeit schon vor und muss nicht erst synthetisiert werden, was vergleichsweise langsam ablaufen würde).

Erythropoetin wirkt über Rezeptoren, die zur Zytokinrezeptorfamilie gehören und zu ihrer Wirkung die Aktivierung von Janus-Kinase benötigen. Es fördert die Umwandlung von myeloischen Vorläuferzellen (erythroide CFUs: BFU-E = Erythroid burst forming unit zu CFU-E = Erythroid colony forming unit und weiter zu Pronormoblasten), die sich schließlich zu reifen Erythrozyten weiterentwickeln.

Erythropoetin
hat auch andere Funktionen, z.B. ist es an der Wundheilung beteiligt.

  Erythropoetin (Serum)
6-25 IU/l
kann bei Sauerstoffmangel um das ~1000-fache zunehmen (<Abbildung)
Biologische Halbwertszeit 6 h

 

Abbildung: Sauerstoffverfügbarkeit und Erythropoetin
Nach Spivak JL, The anaemia of cancer: death by a thousand cuts. Nature Rev Cancer 2005; 5: 543-55

Verminderter Sauerstofftransport zum Gewebe (Hypoxämie) führt zu erhöhter renaler Erythropoetinproduktion. Die Folge ist vermehrte Reifung von Erythrozyten, Hämatokritanstieg und verbesserter Sauerstofftransport.
 
Mitte: Nichtlinearer Anstieg des Serum-Erythropoetinspiegels mit sinkendem Hämatokrit (als Zeichen zunehmender Hypoxie in den Geweben)


Der Erythropoetinspiegel kann bei hypoxischem Stress (Sauerstoffmangel) um drei Zehnerpotenzen zunehmen. Das kann geschehen durch ( Abbildung)

        lokalen pO2-Abfall, z.B. bei verringerter Nierendurchblutung,

        zentrale Hypoxie (niedriger arterieller pO2 - z.B. Höhenaufenthalt),

        bei ungewöhnlich hoher Sauerstoffaffinität des Hämoglobins: So führt Zufuhr von alkalotischem oder von konserviertem Blut mit niedrigem 2,3-DPG-Spiegel beim Empfänger zu gesteigerter Produktion von Erythropoetin.
 
Die Erythropoetinsynthese wird auch durch andere Faktoren beeinflusst: Noradrenalin, Schilddrüsenhormone, Androgene, Adenosin und Prostaglandine (PGE2) fördern seine Freisetzung; Östrogene hemmen sie (rotes Blutbild!).

Allgemein wird die Hämatopoese u.a. durch Zytokine gesteuert, die von Endothel- und Stromazellen sowie Knochenmarkmakrophagen gebildet werden.

Die Anbindung an das Immunsystem bedingt u.a., dass entzündliche Vorgänge die Mobilisierung von Leukozyten für die allgemeine und adaptive Immunabwehr
stimulieren.

Zu den Signalgebern der Hämatopoese zählen Faktoren, die sowohl stimulierend als auch hemmend wirken können:

   
    FLT-3/FLK-2 = Rezeptor-Tyrosinkinase, diese aktiviert zusammen mit Interleukinen und anderen Wachstumsfaktoren (SCF = stem cell factor, G-CSF = granulocyte-colony stimulating factor u.a.) Stammzellen zu pluripotenten CFUs

        Andererseits wird einigen Faktoren eine bremsende Wirkung auf die Aktivierung von Stammzellen zugeschrieben (MIP = macrophage inflammatory protein, TGF = transforming growth factor).

  Zur Interaktiom von Darm (Resorption), Leber (Speicherung), Knochenmark (Erythropoese), Milz (Ery-Abbau) und Nieren (Erythropoetin) s. auch dort
 
Renale Anämie: Chronische Nierenerkrankungen können zum Untergang von Nierenparenchym führen. Ist die Erythropoetinsynthese signifikant betroffen, nimmt die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark ab. Das Resultat ist Anämie und reduzierter Sauerstofftransport zum Gewebe.
 
Kohlenmonoxid
 
Einige eingeatmete Gase können toxisch wirken. Kohlenmonoxid (CO) ist ein farb- und geruchloses Gas, das durch unvollständige Verbrennung von Kohlenwasserstoffen entsteht. Es ist giftig, da es an Hämoglobin bindet und Sauerstoff dabei vom Häm-Bindungsort verdrängt:
 

     CO bindet ~240mal stärker an Hämoglobin als Sauerstoff. In der Nähe von dichtbefahrenen Straßen oder in verrauchten Räumen kann der COHb-Anteil im Blut über 5% betragen. Bei Tauchern kann es zu Vergiftungen kommen, wenn CO-hältige Luft als Atemgas komprimiert und über längere Zeit aus dem SCUBA-System geatmet wird - s. auch dort.
Bei einem CO-Anteil in der Luft von ~0,1% ist (nach Äquilibrierung) bereits mehr als die Hälfte des Hämoglobins blockiert. COHb ist kirschrot (rosiges Aussehen von CO-Vergifteten). Therapie: Kohlenmonoxid kann vom Hämoglobin durch Sauerstoff mit hohem Partialdruck verdrängt werden (Druckkammer).

Dazu kommt ein weiterer Effekt: CO verschiebt die Sauerstoffbindungskurve des Hämoglobins nach links. Die Konformation des Hämoglobins ändert sich und die S-Form der Kurve verschwindet zusehends, Sauerstoff wird (ähnlich wie bei Myoglobin) erst bei niedrigerem pO2 abdissoziiert, was den Vergiftungseffekt (Blockade der O2-Bindungsstellen) verschärft, für die Zellen einen zusätzlichen Verlust an Sauerstoff bedeutet und den oxidativen Stoffwechsel noch mehr behindert.

Die physikalische
O2-Löslichkeit im Blut ist durch die Anwesenheit von CO nicht verändert, der Transport am Hämoglobin hingegen schon: CO wetteifert mit O2 um Bindungsstellen am Hämoglobin, bei gegebenem pO2 sinkt die transportierte Sauerstoffmenge. Die Belegung verfügbarer Sauerstoffbindungsstellen am Hämoglobin bei arteriellen pO2-Werten (z.B. 100 mmHg) bleibt nahe bei 100%, auch wenn die Absolutmengen reduziert sind. Bei niedrigeren pO2-Werten (z.B. 40 mmHg) ist die prozentuelle Belegung verfügbarer Sauerstoffbindungsstellen jedoch wegen der Linksverschiebung der Bindungskurve erhöht.

CO diffundiert relativ langsam über die Alveolarwand - die Aufnahme des Kohlenmonoxids in den Blutkreislauf ist diffusionslimitiert, der CO-Transport von Alveolarluft zum Blut ist in erster Linie durch die Diffusion bestimmt. Ist eine Äquilibrierung erreicht (pCO-Angleich Alveole-Blut), dann wird der Transport perfusionslimitiert (so wie das für die Atemgase O2 und CO2 der Fall ist).
 
Die Diffusion von CO - also die CO-Aufnahme pro Zeit - in das Blut kann errechnet werden, wenn man die Diffusionskapazität DCO und das Partialdruckgefälle ΔpCO (hier zwischen Luft und Alveolarraum) kennt:
 
VCO = DCO  x  ΔpCO

wobei
DCO ~20 ml/min/mmHg beträgt.

Über Kohlenmonoxid als Signalstoff s. dort
 

 

Abbildung: Spektroskopie von Hämoglobin
Nach Hu D, Huang L. Negative hemodynamic response in the cortex: evidence opposing neuronal deactivation revealed via optical imaging and electrophysiological recording. J Neurophysiol 2015; 114: 2152-61

Isosbestische Punkte befinden sich bei Wellenlängen, bei denen sich die Lichtabsorption eines Systems im Verlauf einer Reaktion nicht ändert - in diesem Fall zwischen oxygeniertem und desoxygeniertem Zustand.
 
Bestimmungen der Sauerstoffbeladung des Hämoglobins erfolgen bei Wellenlängen, bei denen sich die Absorptionskurven deutlich unterscheiden


Oxigeniertes und desoxigeniertes Blut haben unterschiedliche Absorptionsspektren ( Abbildung). Dies macht man sich in der Pulsoximetrie zunutze, mit der man in der Klinik die Sauerstoffsättigung des Blutes perkutan abschätzen kann. Normalerweise beträgt der Sättigungswert (SpO2, saturation of peripheral oxygen) mindestens 95%.

Die durchblutungssynchronen Pulsationen des Signals können für gleichzeitiges Herzfrequenz-Monitoring genutzt werden - daher "Puls-Oximetrie" (
Abbildung).
 

Abbildung: Pulsoximetrie-Aufbau zur Ermittlung der Sauerstoffsättigung des Hämoglobins
Nach einer Vorlage bei nonin.com

Die auf einem Finger oder Ohr angebrachte Anordnung (Clip oder Klettverschluss) enthält eine Lichtquelle (definierte Wellenlängen) und einen Photosensor (Unterschied zwischen oxygeniertem und desoxygeniertem Hämoglobin).
 
Bei Kleinkindern wird die Anordnung am Fuß oder Handgelenk angebracht


Die Nieren sind die Hauptquelle von Erythropoetin; Nierenversagen ist u.a. durch eine Abnahme der Kennwerte des roten Blutbilds (Hämatokrit, Erythrozytenzahl, MCH, Sauerstofftransportkapazität des Blutes) gekennzeichnet.

Das rote Knochenmark hat einen extrem hohen Zellumsatz. Auf Stoffe, die das Zellwachstum stören, reagiert es daher besonders empfindlich. Strahlung, Umweltgifte (z.B. organische Lösungsmittel) und zahlreiche Medikamente (z.B. Antibiotika) können das Knochenmark schädigen und das Blutbild beeinträchtigen.
 
Hypoxieformen


Gewebehypoxie tritt ein, wenn der mitochondrielle pO2 unter einen Wert von ~1 mmHg oder ~0,1 kPa absinkt. Dann kann die oxidative Energieversorgung der Zellen nicht mehr gewährleistet werden. Man unterscheidet folgende Ursachen:

      Diffusionsbedingte Hypoxie (peripher): Zu große Diffusionsstrecken (Hypertophie des Gewebes) und / oder zu geringe Kapillarisierung erschweren den physikalischen Übertritt des Sauerstoffs aus dem Blut zu den Zellen

      Ischämische Hypoxie: Unterdurchblutung (Herzinsuffizienz, Atherosklerose u.a.)

     Anämische Hypoxie: Verringerte Sauerstofftransportkapazität des Blutes (Anämie)

      Hypoxische Hypoxie: Reduzierter arterieller Sauerstoffpartialdruck (Sauerstoffmangel in der Atemluft, gestörte Ventilation - neurogen? - oder Diffusion in der Lunge)
 
Bluttransfusion
 
Ein Problem mit länger gelagertem Blut ist seine gesunkene Effizienz als Sauerstoffüberträger. In Blutkonserven nimmt die Konzentration an 2,3-DPG rasch ab; nach 1-2 Wochen Lagerungszeit ist es praktisch aus dem Konservenblut verschwunden. Damit verschiebt sich die Sauerstoffbindungskurve stark nach links, das transfundierte Blut gibt gebundenen Sauerstoff nur bei niedrigen pO2-Werten an das Gewebe ab. Der 2,3-DPG-Spiegel des länger gelagerten, infundierten Blutes normalisiert sich dann erst im Laufe von etwa 24 Stunden wieder.

 
Sichelzellanämie
 
Der sogenannten Sichelzellanämie (sickle cell disease) liegt eine Punktmutation an beiden ß-Globinteilen des Hämoglobinmoleküls vor.
Das Vererbungsmuster ist autosomal-rezessiv, nur homozygote Patienten zeigen die Erkrankung (heterozygote - also mit nur einem betroffenen ß-Globin - erkranken nicht, haben aber eine höhere Resistenz gegenüber Malaria - was einen Überlebensvorteil in Zonen bedeutet, die von dieser Krankheit heimgesucht sind).

Sichelzell-Erythrozyten nehmen bei niedrigem pO2 (in venösem Blut, z.B. in der Milz) eine längliche (sichelähnliche) Form an, da das Hämoglobin in dieser Form aggregiert. Dadurch gelangen sie nur schwer durch enge Kapillaren, die verstopft werden können (Durchblutungsproblem). Das erleichtert auch das Auftreten infektiöser Komplikationen. Außerdem sinkt die Lebenasdauer der betroffenen Erythrozyten auf bis zu 10-20 Tage (normal 100-120 Tage). Der Hämoglobingehalt ist wegen des enorm gesteigerten Umsatzes reduziert (überlastetes Knochenmark), der Retikulozytenanteil im Blut steigt.
 

 
      Normale Hämoglobinkonzentration (~150 g/l) vorausgesetzt, nimmt Blut bei 100 mmHg pO2 70-mal mehr (~200 ml/l: Transportkapazität) Sauerstoff auf als sich bei diesem Partialdruck physikalisch (~3 ml/l) löst (der pO2 alleine sagt nichts über den O2-Gehalt des Blutes aus). Grund ist die Bindung von O2 an das (eisenhaltige) Häm (Hüfner'sche Zahl: 1g Hämoglobin kann 1,34 ml O2 binden). O2 wird von Hämoglobin (4 Häm-Gruppen) bei höherem pO2 entkoppelt / an das Gewebe abgegeben (S-förmige Bindungskurve) als bei Myoglobin: Der Halbsättigungsdruck (Hälfte der verfügbaren Bindungsstellen mit O2 beladen) liegt bei ~27 mmHg (Allosterie: Nimmt eine der Hämgruppen O2 auf, nehmen die anderen O2 leichter auf - R-Form = hohe, T-Form = niedrige Affinität). Die Hämoglobinkonzentration bestimmt das Sauerstofftransportvermögen des Blutes. Bei körperlicher Ruhe enthält gemischt-venöses Blut ~75% O2-gesättigtes Hämoglobin. Hämoglobin transportiert auch CO2 und nimmt an der Blutpufferung teil. Bohr-Effekt: Mit steigendem pCO2 verläuft die O2-Bindungskurve flacher (rechtsverschoben), O2 wird leichter an das Gewebe abgegeben
 
      Henry-Gesetz: Mit steigendem Partialdruck nimmt die Lösung von Gasen zu. Über den Löslichkeitskoeffizienten kann die gelöste Gasmenge aus dem Partialdruck berechnet werden. In Blut ist die Löslichkeit von CO2 ~20-mal höher als die von O2 (und diese viel höher als die von N2). Die O2-Bindung des Hämoglobins hängt ab von Temperatur, pH, pCO2 und 2,3-DPG (~5 mM) im Ery - die Sauerstoffabgabe an das Gewebe wird begünstigt durch CO2, H+-Ionen, 2,3-DPG und Temperaturanstieg. Fetale Hämoglobine (HbF, unmittelbar postpartal ~80%) haben eine stärkere O2-Bindung als HbA. Kohlenmonoxid (CO) bindet >200mal stärker an Hämoglobin als O2, bei 0,1% Volumenanteil in der Luft ist >50% des Hämoglobins blockiert. Dazu kommt, dass CO die S-Form der Bindungskurve verschwinden lässt (linksverschiebt)
 
      100 ml Blut enthalten etwa 50 ml CO2, venöses ~10% mehr als arterielles. CO2 ist zu ~4% physikalisch gelöst (pCO2 40 46 mmHg), zu ~6% proteingebunden (Carbaminohämoglobin), 90% als Bicarbonat (Carboanhydrase) - davon 1/3 in Erythrozyten, 2/3 im Blutplasma (Austausch gegen Chloridionen: Chloride shift). Die Lage der Bindungskurve hängt vom pO2 ab (Haldane-Effekt): Erys können CO2 umso leichter aufnehmen, je geringer die Sauerstoffbeladung des Hämoglobins ist, was den Transport aus dem Gewebe zur Lunge erleichtert. Sauerstoff einerseits, H+-Ionen / CO2 andererseits beeinflussen einander gegenseitig: Azidose treibt O2 von Hämoglobin (Bohr-Effekt), sinkender pO2 erhöht den H+-Transport (Pufferung) des Hämoglobins (Haldane-Effekt) - und umgekehrt. CO2 wird durch die Wirkung der Carboanhydrase rasch zu Bicarbonat umgewandelt und gelangt im Austausch gegen Chloridionen in das Blutplasma ("Hamburger-shift"), H+-Ionen binden an Hämoglobin. Die Vorgänge kehren sich in der Lunge um, Sauerstoff gelangt in das Blut und Kohlendioxid in die Alveolarluft
 
      Die Nieren verbrauchen nur 6-7% des arteriell angebotenen Sauerstoffs, Gehirn (graue > weiße Substanz) und Skelettmuskeln im Ruhezustand <30%, Herzmuskel ~60% (ausbelastet bis ~90%). Der Unterschied zwischen arterieller und venöser O2-Menge heißt Sauerstoffextraktion oder  arterio-venöse Sauerstoffdifferenz (AVDO2). Der Körper verbraucht in Ruhe nbur 1/4 des arteriell angelieferten Sauerstoffs (25% Ausnützung, 75% Reserve); mit zunehmender körperlicher Belastung steigt die AVDO2 auf bis zu 90% Ausnützung 
 
      Spezifische Wachstumsfaktoren steuern die Hämatopoese: Aus einer pluripotenten Stammzelle entstehen >103 Erys. An Verzweigungspunkten entscheiden Wachstumsfaktoren über den weiteren Weg der Teilung. Peritubuläre Zellen der Niere bilden bei Sauerstoffmangel / vermindertem Hämatokrit vermehrt Erythropoetin (der hypoxie-induzierbare Faktor intensiviert die Expression des EPO-Gens); dieses wirkt über Janus-Kinase- Rezeptoren (Zytokinrezeptorfamilie). [EPO] kann bei Sauerstoffmangel um das ~1000-fache zunehmen. Noradrenalin, Schilddrüsenhormone, Androgene, Adenosin, PGE2 fördern die EPO-Freisetzung, Östrogene hemmen sie (niedrigerer Hämatokrit bei Frauen)
 
      Oxigeniertes und desoxigeniertes Blut haben unterschiedliche optische Absorptionsspektren (Pulsoximetrie: Arterieller Sättigungswert ≥95% - an Finger, Ohrläppchen, bei Kleinkindern Fuß oder Handgelenk)
 

 




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