Physiologie lernen - den Organismus verstehen
Wie funktioniert der menschliche Körper?
VI.
Kreislauf, Blut, Lymphe VIII.
Ein stabiler Kreislauf ist
Voraussetzung für die Funktion
von Zellen und Geweben, da er die Versorgung mit Sauerstoff,
Nährstoffen, Signalstoffen usw. sowie den Abtransport von Kohlendioxid
und Metaboliten sichert. Beispiel: Nur wenige Sekunden
unterbrochener
Hirndurchblutung, und schon treten Verwirrung, Kreislaufkollaps und
Bewusstlosigkeit auf. Unterbrechung der zerebralen Perfusion
über wenige Minuten führt zu schweren, teils irreversiblen
Schäden am Nervensystem.
Das Blut besteht fast zur Hälfte aus Zellen (Hämatokrit) - warum fließt es dennoch so gut? Damit es leicht
durch Gefäße gelangt, müssen die Blutkörperchen flexibel sein: Insbesondere die roten Blutkörperchen (Erythrozyten)
sind
enorm verformbar - sie haben keinen Zellkern und eine speziell
verstärkte Zellmembran, die den ständigen Verformungskräften in der
Strömung für ihre Lebensdauer von mehreren Monaten standhält. Sie
können sogar durch Kapillaren fließen, die enger sind als ihr
Ruhedurchmesser (~7µm).
Hämorheologie untersucht die Fließfähigkeit des Blutes. Im Normalfall hoch, muss diese plötzlich abnehmen, wenn Blut aus verletzten Gefäßen austritt, um den Blutverlust gering zu halten (Blutstillung, Hämostase): Vasokonstriktion
(Gefäßkomponente), Verklumpung von Thrombozyten
(Plättchenkomponente) und Bildung eines Fibrinnetzes
(Gerinnungskomponente). Heilt die verletzte Stelle später wieder zu, wird das Fibringerinnsel enzymatisch
entfernt (Fibrinolyse).
Erythrozyten (5 Millionen / µl Blut) verbleiben im Kreislauf, Leukozyten
(weiße Zellen, 4-8 Tausend / µl) dagegen benutzen den Blutkreislauf nur
gelegentlich als "Highway" und treten rasch wieder in das Gewebe aus,
wo sie ihre Immunaufgaben erfüllen.
Die Mehrzahl
sind Granulozyten (vor allem "neutrophile"), etwa 30% Lymphozyten.
Blutplättchen (Thrombozyten, ~0,3
Millionen/µl Blut) sind kleine, kernlose Zellfragmente.
Der arterielle Blutdruck ist die treibende Kraft für
die Durchblutung aller Organe und wird aufwändig reguliert. Die Pumpleistung des Herzens (Herzzeitvolumen)
und der
Fließwiderstand am Ende des Arteriensystems (peripherer
Gefäßwiderstand) ergeben den Blutdruck (Strömung mal Widerstand).
Hämodynamik befasst sich
mit der Interaktion von Volumen, Druck und Strömung im Kreislauf. ≈60% des Blutes ist extrazelluläre
Flüssigkeit (Blutplasma), die relativ hohe (70 g/l) Konzentration an Eiweiß
(Plasmaprotein) ist wichtig für Transport verschiedener Stoffe, kolloidosmotischen Effekt, Pufferung (pH-Stabilisierung), Abwehr
(z.B. Antikörper), Gerinnbarkeit und andere enzymatische Aktivitäten.
Ein Gramm Hämoglobin (roter Blutfarbstoff der Erythrozyten) kann bis zu 1,34 ml Sauerstoff binden, abhängig vom Sauerstoffpartialdruck (pO2). Bei normaler Hämoglobinkonzentration (≈150 g/l Blut) ergibt das rund 200 ml O2 pro Liter Blut (20 Volums-%). Je nach Bedarf und Durchblutung der Gewebe gibt Hämoglobin einen höheren (z.B. Herzmuskel) oder geringeren Anteil
des Sauerstoffs ab (z.B. Niere), venöses Blut
aus diesen Gebieten bringt unterschiedliche Mengen Sauerstoff zur Lunge zurück. Im
Durchschnitt beträgt die "Ausnützung" bei körperlicher Ruhe etwa 25% (≈ 5 Vol-%) der arteriell angebotenen Menge. Bei körperlicher Belastung nimmt der Sauerstoffumsatz
zu, bei Hochtrainierten mehr als 20-fach: Die Ausschöpfung des
Hämoglobins kann bis ≈4-fach ansteigen (von ≈25 auf fast 100%), das Herzzeitvolumen bis ≈6-fach (4x6=24).
In der Mikrozirkulation werden O2 und CO2 ausgetauscht (Hämoglobin beteiligt sich auch am CO2-Transport), weiters Stoffe, die der Versorgung,
Informationsübertragung, Elektrolythomöostase, pH-Pufferung etc.
dienen. Flüssigkeit wird durch die Gefäßwände gepresst (Filtration) und
zum Teil wieder zurückgewonnen (Resorption), getrieben vom Blutdruck einerseits,
dem kolloidosmotischen Effekt der Plasmaproteine andererseits
(Filtrationsgleichgewicht).
Ein Teil der filtrierten Flüssigkeit gelangt dabei - zusammen mit einigem Plasmaprotein - in das Interstitium (Raum zwischen Gefäßen und Zellen) und wird von hier durch das Lymphgefäßsystem
abtransportiert (andernfalls treten Lymphödeme auf). Beim Weg zurück zum Blutkreislauf gelangt die Lymphe durch
Lymphknoten, immunologische Kontrollstationen, die an
strategisch wichtigen Punkten überall im Körper positioniert sind.
© H. Hinghofer-Szalkay