Gewebe, Blut- und Lymphgefäße tauschen über Kapillarwände eine als Filtrat bezeichnete Flüssigkeit aus. Druckgradienten (hydrostatisch, osmotisch) treiben diesen Austausch an. Bei normalen kapillären Blutdruckwerten strömt Ultrafiltrat
(das kaum Makromoleküle enthält) aus dem Blut, gelangt in das
Interstitium und über Lymphgefäße zurück in den Kreislauf. Das sorgt für konvektiven Austausch gelöster Stoffe. Die Kräfte, welche die Filtration der Flüssigkeit steuern, sind in der Starling-Filtrationsgleichung definiert. Sie sind einerseits durch den Blut- und Gewebedruck bestimmt (hydrostatisch), andererseits durch unterschiedliche Eiweißkonzentration an der Kapillarwand (kolloidosmotisch). Permeabilität ist die Durchlässigkeit der Kapillarwände, sie ist regional sehr unterschiedlich - je nach Gefäßtyp - und lässt sich über die hydraulische Leitfähigkeit quantifizieren. Der Betrag der Permeabilität für einen Stoff erklärt sich aus den Eigenschaften der Moleküle (Größe, Form, Ladung) und der Gefäßwand. Einige Gebiete der Mikrozirkulation weisen besonders dichte Kapillaren auf. Die Blut-Hirn-Schranke zum Beispiel lässt außer Wasser, Atemgasen und einigen kleineren Molekülen nur an besonderen Stellen (zirkumventrikulären Organen) auch größere Moleküle hindurchtreten. Lipidlösliche Stoffe gelangen leichter durch diese Barrieren. Spezielle Transporter (Carrier) stehen für den Übertritt bestimmter (polarer) Stoffe zur Verfügung. Plasmaproteine gelangen aus dem Interstitium über das Lymphgefäßsystem in den Kreislauf. Die tägliche Lymphproduktion wird bei einer erwachsenen Person auf rund 10 l/d geschätzt und lässt sich durch Anregung der Propulsion (rhythmisch kontrahierende "Lymphherzen", Gefäßklappen) stark (~10-fach) steigern. Funktioniert die physiologische Lymphdrainage nicht (chirurgische Entfernung von Lymphbahnen), dann verursacht die steigende Konzentration an Makromolekülen einen hohen kolloidosmotischen (=onkotischen) Effekt, und Flüssigkeit staut sich im Gewebe zurück (Lymphödem). |
Kontraktion postkapillärer Venolen steigert Filtrationsdruck und Auswärtsfiltration |
Kapillarpermeabilität für gelöste Stoffe Modifiziert nach Herring / Paterson, Levick's Introduction to Cardiovascular Physiology, 6th ed. 2018 |
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Substanz |
Masse (Da) |
Diffusions- koeffizient (10-5cm2/s) |
Stokes- Einstein- Radius (nm) |
Kapillartyp |
Permeabilität (10-6cm/s) |
O2 |
32 |
2,11 |
0,16 |
kontinuierlich |
105 |
Harnstoff |
60 |
1,90 |
0,26 |
kontinuierlich | 26-28 |
Glucose |
180 |
0,91 |
0,36 |
kontinuierlich | 9-13 |
Saccharose |
342 |
0,72 |
0,47 |
kontinuierlich | 6-9 |
zerebral |
0,1 |
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fenestriert |
>270 |
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Albumin |
69.103 |
0,085 |
3,55 |
kontinuierlich | 0,03-0,01 |
fenestriert |
0,04 |
Glucosetransport Blut zu je 100g Muskel Nach Crone C, Levitt DG, in Renkin / Michel (eds): Handbook of Physiology: the Cardiovascular System, Section 2, Vol IV, Microcirculation. American Physiological Society, Bethesda, MD 1984 |
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Ruhe |
Belastung |
Quotient |
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Glucoseverbrauch | 1,4 µM/min |
60 µM/min | 43 |
arterielle Konzentration |
5,0 mM |
5,0 mM |
1 |
venöse Konzentration |
4,44 mM |
4,0 mM |
0,9 |
Extraktion |
11,2% |
20% |
1,8 |
Perfusion |
2,5 ml/min |
60 ml/min |
24 |
Dichte perfundierter Kapillaren |
250/mm2 |
1000/mm2 | 4 |
Diffusionskapazität |
5 cm3/min |
20 cm3/min | 4 |
Konzentrationsdifferenz über Kapillarmembran (Durchschnittswert) |
0,3 mM |
3 mM |
10 |
Mittlere perikapilläre Konzentration |
4,7 mM |
2 mM |
0,4 |
Radius des Krogh-Zylinders |
36 µm |
18 µm |
0,5 |
Endotheliale vasoaktive Stoffe Nach Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021 |
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Dilatatoren |
Konstriktoren |
NO (Stickstoffmonoxid) |
Endothelin |
EDHF (endothelialer hyperpolarisierender Faktor) |
EDCF1 (endothelialer konstriktorischer Faktor 1) |
PGI2 (Prostazyklin) |
EDCF2 (endothelialer konstriktorischer Faktor 2) |
Lymphflüssigkeit enthält Gerinnungsfaktoren und kann daher koagulieren |
Das Interstitium (~15% des Körpergewichts) - zwischen Intrazellulärraum (Zellen) und Intravasalraum (Blutgefäße) gelegen - ist Teil des Extrazellulärraums. Der Hauptbestandteil der interstitiellen Matrix sind Glykosaminoglykane. Die
Konzenrationswerte für Ionen und kleinere organische Moleküle (Glucose,
Laktat...) sind sehr ähnlich wie im Blutplasma, diejenige für größere
(Proteine) liegen darunter (meist 20-70%). Das gilt auch für
Lymphe (=abtransportierte interstitielle Flüssigkeit -
aus den Beinen mit
~25, aus dem Darm
~35, aus der Lunge
~45,
aus der Leber
~60
g/l Protein (Blutplasma ~70 g/l). Proteine im Interstitium verstärken den Filtrationsdruck (Kolloidosmose) Die Kapillaren im Körper (100-300 m2 Austauschfläche, Strömungsgeschwindigkeit ~1 mm/s) sind umso dichter angeordnet, je stoffwechselintensiver das Gewebe ist (Herzmuskel, graue Substanz im ZNS ~500, Lunge ~3500 cm2 Endotheloberfläche / g Gewebe). In Ruhe ist die Mehrzahl der Kapillaren nicht perfundiert (Arteriolen kontrahiert), das Durchblutungsmuster oszilliert alle ~15 Sekunden (Vasomotion, heterogene Perfusion). Mit zunehmender Aktivität nimmt die Zahl durchbluteter Kapillaren zu, die Perfusion wird homogener. Der kapilläre Stoffaustausch erfolgt vorwiegend über Diffusion, nicht Konvektion (Filtration). Extraktion nennt man den Anteil des aus einer Kapillare entfernten Stoffes; multipliziert mit der Plasmaströmung ergibt sich die Clearance. Bei hoher Permeabilität wird die Austauschkapazität rasch erreicht (Äquilibrierung) und die Perfusion ist für den Austausch limitierend; bei geringer Permeabilität bleibt die Äquilibrierung unvollständig und die Diffusion der limitierende Faktor Filtrationsfraktion ist der filtrierte Anteil des Plasmavolumens - meist <0,3%; in renalen Glomeruli (effektiver Filtrationsdruck ~10 mmHg) 20%. Durch Filtration steigt die Proteinkonzentration (kolloidosmotischer Effekt 25 → bis ~45 mmHg: renale vasa recta), die Filtration (=effektiver Filtrationsdruck mal Filtrationskoeffizient) nimmt ab. Der effektive Filtrationsdruck bleibt meist im positiven Bereich (Auswärtsfiltration im Körper ~10 l/d; solvent drag nimmt gelöste Stoffe mit). Der präkapilläre Widerstand ist meist ~4-mal höher als der postkapilläre, das steuert den kapillären Blutdruck. Präkapilläre Kontraktion senkt, postkapilläre steigert die Filtration Der kolloidosmotische Effekt (~90% durch Albumin) hängt von der Proteinkonzentration innerhalb (Plasma) und außerhalb (Interstitium) der Kapillare sowie vom Betrag des Reflexionskoeffizienten σ ab (für Plasmaproteine bei den meisten Kapillarwänden zwischen 0,8 und 0,95 - ergibt 80-95% des theoretisch erreichbaren Drucks). Ist die Kapillarwand völlig undurchlässig, ist [σ]=1 (alle Teilchen werden reflektiert, kolloidosmotischer Effekt voll wirksam); ist sie für Eiweiß durchlässig (Milz, Leber), ist [σ] nahe null (kein kolloidosmotischer Effekt). Die interstitielle Proteinkonzentration ändert sich mit der Filtration (Auswascheffekt); ohne Filtration steigt die interstitielle Eiweißkonzentration. Blutverlust verstärkt reflektorisch die Kontraktion der Arteriolen, der Kapillardruck sinkt so stark, dass interstitielle Flüssigkeit resorbiert wird ("Autotransfusion": Hämatokrit nimmt ab), das Blutvolumen steigt an Die Anzahl offener Poren (typischerweise ~10%) sowie die Glykokalyx beeinflussen die Permeabilität der Kapillarwände. Proteine können via Transzytose durch Endothelien gelangen. Die Passage erfolgt transzellulär (große Membranfläche, Diffusion / Kanäle / Pumpen) oder parazellulär (<0,4% der Kapillaroberfläche, größer bei diskontinhierlichem Endothel). Kontinuierliche Kapillarwände (Skelett- und Herzmuskel, Haut, Lunge, Bindegewebe, Fettgewebe) lassen nur kleine Moleküle passieren, in Gehirngefäßen bauen tight junctions eine Blut-Hirn-Schranke auf. Fenestrierte Kapillaren (Poren: ~60 nm Durchmesser - Niere, Drüsen, Darmmukosa, plexus chorioidei, Synovia, Ziliarkörper) haben ≥10-mal größere Permeabilität als kontinuierliche. Bei diskontinuierlichen Kapillaren (Sinusoide; >100 nm weite Spalten) hat auch die Basalmembran Lücken, sie sind sogar für Blutkörperchen offen (Milz) Der mittlere Kapillardruck hängt ab von Körperlage (je weiter unten, desto höher der Druck: 75mmHg/m), Sympathikustonus, Autoregulation und metabolischen Faktoren. Ist der hydrostatische Druck (netto) größer als der (effektive) onkotische, wandert Flüssigkeit aus der Kapillare in das Gewebe (und wird von Lymphgefäßen weitertransportiert); überwiegt der Betrag des kolloidosmotischen Effekts, wird nicht filtriert. Leber und Milz liegen auf der Höhe des venösen hydrostatischen Indifferenzpunktes, Veränderungen der Körperlage bewirken hier kaum Filtrationseffekte Endothelzellen sind mechanosensibel, über gap junctions miteinander verbunden, reagieren auf Scherbelastungen und vasoaktive Substanzen und beeinflussen die Durchblutung bedarfsabhängig. Gap junctions zwischen Endothelzellen und glatten Muskelzellen (heterozellulär) vermitteln lokal geregelte Vasodilatation. Acetylcholin, ATP, Bradykinin, Substanz P, Thrombin binden an rezeptorgesteuerte Ca++-Kanäle, einige davon sind durch Scherkräfte aktivierbar. Zusammen mit Myosin baut Aktin Stressfasern auf, die Endothelzellen an der Basalmembran befestigen. Endotheliales cGMP steigert, cAMP senkt die Kapillarpermeabilität. Endothelzellen sind enzymatisch aktiv (z.B. Angiotensin-konvertierendes Enzym). Unverletztes Endothel sezerniert Heparansulfat und tPA (Gewebeaktivator des Plasminogens), NO und PGI werden kontinuierlich produziert und wirken vasodilatierend und aggregationshemmend. Beschädigtes Endothel wirkt prothrombotisch, gibt vermehrt vonWillebrand-Faktor (vWF) ab. Die Basalmembran ist eine auch für Makromoleküle durchlässige Stützschicht. Vor allem Kapillaren werden durch sie stabilisiert und widerstehen dem Blutdruck Tight junctions, kaum Transzytose, dicke Basalmembran, zusätzliche Barrieren bildende Glia erklären die niedrige Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke. Selektive Transportmechanismen ermöglichen den Austausch bestimmter Substanzen. Im Bereich der zirkumventrikulären Organe ist die Blut-Hirn-Schranke aufgehoben: Das ermöglicht Chemorezeption, Messung von Hormonkonzentrationen im Blut (Rückkopplung) und Neurosekretion. Die Blut-Liquor-Schranke befindet sich an den plexus chorioidei der Ventrikel. Das Endothel ist hier fenestriert, die Schranke ergibt sich durch tight junctions zwischen Plexuszellen. Die arachnoidale Schranke umhüllt das gesamte Gehirn an der Innenseite der dura mater, die innerste Schicht verfügt über tight junctions, villi arachnoidales lassen Liquor in den sinus sagittalis abfließen Lymphkapillaren nehmen aus dem Interstitium kapilläres Ultrafiltrat, Makromoleküle sowie mobile Zellen durch offene Spalten zwischen den Endothelzellen auf. Verankerungsfilamente stellen sicher, dass die Flüssigkeit im Lymphkompartiment verbleibt und weitertransportiert wird. Der Nachschub an Flüssigkeit ändert sich mit den Druckverhältnissen - je höher der effektive Filtrationsdruck, desto mehr Lymphe entsteht (kann bis auf das Zehnfache des Ruhewertes ansteigen: Pumpleistung steigt mit Volumenangebot). Durch Semilunarklappen separierte spontanaktive "Lymphherzen" (~8-15 Kontraktionen pro Minute, bei Dehnung frequenter, Auswurffraktion ~25%) erzeugen einen Sogeffekt aus dem Interstitium heraus und pumpen Lymphe in Richtung Lymphknoten und Kreislauf. Lymphgefäße werden noradrenerg-sympathisch und peptiderg (Substanz P) angeregt, durch NO gebremst. Unter Ruhebedingungen stammen 30-50% der Körperlymphe aus der Leber. Lymphknoten resorbieren 4-8 l/d der primären Lymphe ( ~10 l/d), Plasmaproteine bleiben zurück, sekundäre Lymphe hat ~60 g/l Proteine. Lymphe transportiert Antigene via dendritische Zellen aus epithelialen Oberflächen |