Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

     
Energie- und Stoffwechsel

Metabolische Kontrolle und das hypothalamische System
 © H. Hinghofer-Szalkay

agouti-related: agouti ist eine Fellfarbe, der verantwortliche Genlokus ist nach einem südamerikanischen Nagetier benannt
Ghrelin: Growth hormone release inducing
hedonisch: ἡδονή = Freude, Lust
Hyperphagie: ὑπέρ = über (hinaus), φαγεῖν = (fr)essen
Leptin: λεπτός = dünn, schlank
Orexigen, Orexin: ὄρεξις = Verlangen, Appetit,
γενεά = Abstammung

    
Der Energiehaushalt des Körpers wird zentral reguliert: Nervenzellen im Hypothalamus regulieren die Abstimmung von Nahrungsaufnahme, Energieabgabe und körpereigenen Energiereserven. Periphere Signale - aus Sinnesorganen, Darm, Pankreas, Muskel- und Fettgewebe - informieren über den Istzustand (Nahrung in Sicht? postprandial? postresorptiv?), und appetitsteigernde / appetithemmende Zentren steuern die Peripherie über neuronale (somatomotorische, autonome) sowie hormonelle Komponenten. Diese beeinflussen Aufnahme, Digestion, Absorption, Verteilung, Verwertung und Speicherung von Nährstoffen.

Orexigene Faktoren / Substanzen regen die Nahrungsaufnahme an, anorexigene bewirken Sattheitsgefühl und hemmen die Nahrungsaufnahme. Die Wirkung des jeweiligen Faktors kann vorübergehend (episodisch) oder fortdauernd (tonisch) sein. Dadurch ergibt sich unterschiedliche zeitliche Dynamik der Hunger-Sattheits-Regulation.

Die hypothalamischen Kerne steuern u.a. den nucleus tractus solitarii (dieser empfängt gleichzeitig Signale aus der Peripherie und meldet an hypothalamische und andere Kerne zurück) und den dorsalen motorischen Vaguskern, der wiederum die Darmtätigkeit fördert. Über stoffwechselwirksame Hormonsysteme (z.B. ACTH, hGH, TSH) mischt sich der Hypothalamus in das metabolische Geschehen ein. Über das vegetative Nervensystem wirkt er direkt auf Verdauung, Kreislauf, Stoffwechsel, Substratverwertung und Wärmeregulation.

All dies ist eng mit Funktionen des limbischen Systems verknüpft: Dadurch steht die Motivationslage und emotionale Situation des Menschen unter dem Einfluss der Steuerung von Aufnahme, Verwertung und Speicherung der Nahrung (Belohnungseffekt des Essens).



Aufbau des Gesamtsystems, Endokannabonoide Zentrale Steuerung: Hypothalamus Andere Kerngebiete Periphere Faktoren: (An-) Orexigene, episodische / tonische Faktoren

    Orexin    nuclei parabrachiales
 
Core messages
 
Der nucleus arcuatus des Hypothalamus ist eine zentrale Schaltstelle für die langfristige Regulation des Energiehaushaltes im Körper. Er enthält zwei Gruppen von Neuronen mit entgegengesetzter Wirkung: Aktivität der einen - charakterisiert durch ihre Peptide NPY und AgRP - stimuliert Nahrungsaufnahme ("Hungerzentrum") und senkt den Energieverlust; Aktivität der anderen - der POMC / CART-Gruppe - reduziert die Nahrungsaufnahme ("Sattheitszentrum"). Das Gleichgewicht der Aktivitäten dieser beiden Neuronengruppen entscheidet über Energiebilanz, Zu- oder Abnahme der somatischen Energiespeicher und letztlich über die Homöostase des Körpergewichts.

Diese Zentren stehen unter dem Einfluss peripherer sowie zentraler Signale. Vagale Afferenzen regieren auf chemische Signale aus Fettgewebe (Leptin) und Verdauungsapparat (Ghrelin, Insulin, Glucagon, Amylin, CCK, GLP-1, PYY3-36, Oxyntomodulin). Mit diesen (und vermutlich noch weiteren) Feedback-Signalen sind die hypothalamischen Zentren in der Lage, Energiebilanz und Körpermasse über längere Zeiträume auszubalancieren (vermutlich kann die Schwankungsbreite auf weniger als 0,2% der Energiebilanz pro Dekade reguliert werden).

Neben dem Hypothalamus spielen der nucleus accumbens (Motivation), die Mandelkerne (Beachten sozialer Strukturen, Entscheiden und Lernen) und der nucleus tractus solitarii (Geschmackswahrnehmung, gastrointestinale Afferenzen, Essverhalten) eine wichtige Rolle für die Regulation von Appetit und Hunger, Nahrungsaufnahme und Energiebilanz des Körpers.
 
Steuerung des Appetits: Das Gehirn integriert periphere Signale
 
Hunger tritt bei einer Reduktion der metabolischen Ressourcen im Körper auf, vermittelt durch verschiedene Signale wir z.B. Absinken des Blutzuckerspiegels (Hypoglycämie), reduzierte Verfügbarkeit von Lipiden, oder Freisetzung des "Hungerhormons" Ghrelin aus der Magenwand. (Bei Infusion einer Glucoselösung in den Magen einer hungrigen Person nehmen Ghrelinfreisetzung und Hungergefühl kontinuierlich ab.)
 

Abbildung: Glucose- und Lipidrezeptoren
Nach einer Vorlage in Carlson NR / Birkett MA, Physiology of Behavior, 12th ed. Pearson 2017

Das zerebrale Nervengewebe utilisiert Glucose; Glucosesensoren befinden sich innerhalb der Blut-Hirn-Schranke. Anregung dieser Rezeptoren vermittelt kurzfristiges Sattheitsgefühl. Lipide kann das Gehirn nicht utilisieren, es verfügt auch nicht über entsprechende Rezeptoren. Leptin aus dem Fettgewebe hingegen gehört (wie Insulin) zu den peripheren Faktoren, welche das Hungerzentrum hemmen (NPY / AgRP).
  
Die Leber metabolisiert sowohl Glucose (z.B. zwecks Aufbau von Glykogenspeichern) als auch Fettsäuren, und sie verfügt über Glucose- und Lipidrezeptoren. Das Messergebnis wird dem Gehirn (Hypothalamus) über den N. vagus mitgeteilt; hohe Glucose- bzw. Lipidspiegel vermitteln kurzzeitiges Sättigungsgefühl


Das Gehirn verfügt über Glucoserezeptoren, sie messen den Zuckerspiegel auf der neuralen Seite der Blut-Hirn-Schranke; die Leber misst sowohl die Glucose- als auch die Lipidkonzentration im Extrazellulärraum (Verfügbarkeit für den Körper) und meldet diese Information über den Vagusnerv an das Gehirn ( Abbildung). Dieses steuert das Essverhalten und vermittelt auch das Gefühl dert Sättigung, wenn die metabolischen Speicher wieder adäquat gefüll sind. Die Sättigungssignale können kurzfristig wirksam sein (von Sinnesorganen, aus dem Gastrointestinaltrakt - z.B. PYY -, aus der Leber und dem Gehirn selbst) oder länger anhalten (Signale aus dem Fettgewebe).

Zentrum der Steuerung der Energiebilanz des Körpers ist der nucleus arcuatus (nucl. infundibularis) am Boden des 3. Gehirnventrikels (an die nuclei paraventriculares, die einen Teil des 3. Ventrikels seitlich auskleiden, anschließend). Er spielt zentrale Rolle für die Steuerung des Appetits, reagiert auf periphere Signale, die den Ernährungszustand widerspiegeln, empfängt Impulse aus dem nucl. tractus solitarii und ist reziprok mit Kernen des Hypothalamus verbunden.

Einige seiner Zellen enthalten die Peptide α-MSH und CART, andere NPY und AgRP, d.h. er kann die Nahrungsaufnahme sowohl anregen als auch bremsen: Der nucl. arcuatus verfügt über
"hungersensitive" und "sattheitssensitive" Neuronen, deren Efferenzen das "Hunger-" bzw. "Sattheitszentrum" aktivieren können. Zentrale Regulatoren von Appetit und Nahrungsaufnahme sind POMC-Neurone und AgRP-Neurone im nucleus arcuatus (nucl. infundibularis) des Hypothalamus ( Abbildung):
  

Abbildung: Leptinwirkung auf den nucleus arcuatus
Nach einer Vorlage in Liqun Luo, Principles of Neurobiology, 2nd ed. CRC Press 2021
  Leptin regt POMC-Neurone an, diese bewirken über MC4R-Rezeptoren Hemmung der Nahrungsaufnahme.
 
Leptin hemmt AgRP-Neurone (welche POMC-Neurone, MC4R-tragende sowie andere Neurone inhibieren), was die Nahrungsaufnahme ebenfalls unterdrückt. Das beruht auf drei (disinhibitorischen) Effekten: Ausbleiben der Inhibition von POMC-Neuronen, Ausbleiben der Inhibition von MC4R, Ausbleiben der Inhibition anderer Zielzellen

Das aus 146 Aminosäuren aufgebaute Proteinhormon Leptin wirkt an zahlreichen Organen, einschließlich dem Gehirn; sein Plasmaspiegel nimmt mit der Fettmasse zu. Es wirkt als längerfristiger Indikator der Energiereserven. Leptin aktiviert POMC-Neurone und hemmt AgRP-Neurone.
 
   POMC wird zu mehreren Neuropeptiden abgebaut, einschließlich
α-MSH (alpha-Melanotropin), das Melanocortin-4-Rezeptoren (MC4R) anregt und so die Nahrungsaufnahme hemmt. Mutationen des MC4R-Gens können Übergewicht bewirken. α-MSH ist das wichtigste Melanozyten-stimulierende Peptid, das u.a. Nahrungsaufnahme und Energiehaushalt beeinflusst.
 
   AgPR-Neurone setzen (neben GABA) zwei orexigene Faktoren frei, AgRP und NPY.
 
Auf diese Weise hemmt Leptin die Nahrungsaufnahme durch antagonistische Wirkung auf zwei Neuronengruppen im nucleus arcuatus ( Abbildung).

Leptin ist ein zentraler Faktor für die Steuerung der Nahrungsaufnahme (im Sinne peripherer Rückkopplung), zahlreiche weitere beteiligen sich an dieser komplexen Aufgabe - wie Insulin, dessen Konzentration im Zuge der Resorption von Glucose im Darm ansteigt; das "Hungersignal" Ghrelin, das vom Magen bei Absinken des Blutzuckerspiegels sezerniert wird und zumindest teilweise über Anregung von AgRP-Neuronen die Nahrungsaufnahme anregt; oder das "Sättigungssignal" CCK, das bei Anstieg der Glucose-, Fett- und Aminosäureverfügbarkeit im Darm den Appetit zügelt. Ein wichitges Ziel dieser peripheren Faktoren ist der nucleus tractus solitarii in der unteren medulla oblongata, der seinerseits die pontinen nuclei parabrachiales anregt. Der nucleus parabrachialis wiederum projiziert auf die Inselrinde, die Mandelkerne, den Hypothalamus (nucl. praeopticus) und autonome Zentren des Hirnstamms - also breitflächig auf die Steuerung von Affekten und neurohumoralen Systemen.

    Die nuclei parabrachiales sind ein Kernkomplex (parabrachial complex) im Bereich der dorsolateralen Brücke des Hirnstamms, benannt nach ihrer Lage (die Kerne sind um den oberen Kleinhirnstiel - brachium conjunctivum - angeordnet). Die größten sind der mediale (erhält Geschmacksinformation vom nucl. tractus solitarii und leitet sie an den Thalamus weiter), der laterale (ähnliche Aufgaben, projiziert auch in den Hypothalamus) sowie der subparabrachiale Kern (auch Kölliker-Fuse- bzw. diffuser retikulärer Kern, er beeinflusst die Atemfrequenz). Insgesamt bearbeiten die Parabrachialkerne viszerale Afferenzen (auch Schmerz betreffend) und projizieren diese in das Zwischenhirn (thalamische und hypothalamische Kerne), das limbische System sowie die Großhirnrinde (z.B. Insel). Sie beteiligen sich u.a. an der Stabilisierung des Blutzuckerspiegels, der Thermoregulation, dem Geschmacksempfinden, aber auch an der Steuerung der Atmung sowie dem Grad der Aufmerksamkeit (arousal).

Neben "aufsteigenden" Messgrößen (z.B. Blutzuckerspiegel) spiegeln auch "absteigende" vom Großhirn ("top-down") eine steuernde Rolle auf den homöostatischen Zustand hypothalamischer Nervenzellen. Diese haben auch vorbereitenden Charakter: So nimmt etwa die Entladungsfrequenz hungeranregender Neurone im nucl. arcuatus schon bei Aussicht auf eine knapp bevorstehende Nahrungsaufnahme ab (feed-forward inhibition) und entlastet den Stoffwechswel schon im Vorhinein vor Überlastung.

Metabolische Homöostase bedeutet, dass im physiologischen Gleichgewichtszustand Aufnahme und Verbrauch von Energie ausbalanciert sind. Nimmt man Nahrung auf, treten sensorische Funktionen des Darms (Verdauungshormone), der Bauchspeicheldrüse (Insulin, Glucose) und des Gehirns auf den Plan. Diese senden Signale an Leber, Muskeln und Fettgewebe aus, die wiederum mit dem Gehirn Kontakt aufnehmen. Resultat ist eine ausgewogene Strategie für Sättigung und Beendigung der Nahrungsaufnahme sowie für Verbrauch und Speicherung der Energie.

Das
Fettgewebe nimmt in diesem System eine zentrale Stellung ein ( Abbildung) - es speichert nicht nur Neutralfette, es ist auch ein endokrines Organ, das Adipokine freisetzt - zu diesen gehören Leptin, Resistin, Adiponektin und Visfatin; ferner bildet es auch Zytokine.
 

Abbildung: Metabolische Homöostase des Fettgewebes
Nach einer Vorlage bei nature.com/nm/e-poster/ Fat-Organ-Normal.html (Philipp E. Scherer, Touchstone Diabetes Center, Department of Internal Medicine, University of Texas Southwestern Medical Center)

Adipozyten speichern Energie in Form von Triglyzeriden. Sie stellen auch ein endokrines Organ dar - sie bilden Adipokine, welche  Hepatozyten, Muskelzellen, Betazellen, Endothelzellen sowie Zellen des Urogenitaltrakts anregen bzw. am Leben erhalten.
 
Leptin hilft bei der Rückkopplung des Energiestoffwechsels zum Hypothalamus. Adiponektin fördert u.a. die Insulin-Sensitivität.
  
Zellen des Immunsystems halten normalerweise einen entzündungsfreien Zustand aufrecht, was zusammen mit niedrigem Cortisolspiegel volle Insulinempfindlichkeit und Ansprechbarkeit gegenüber sympathischen Impulsen erhält

Der Gastrointestinaltrakt bildet ebenfalls zahlreiche ("Verdauungs-") Hormone und beteiligt sich an der Steuerung des Stoffwechsels. So ist CCK auch ein Sättigungsfaktor, wie Peptid YY und Endocannabinoide ( Abbildung unten).

Endocannabinoide
sind körpereigene Neuromodulatoren (Arachidonsäurederivate), die über Cannabonoidrezeptoren (CB) funktionieren - z.B. Anandamid, das zentral vorwiegend auf
CB1-Rezeptoren und peripher auf CB2-Rezeptoren wirkt. Sie werden vor allem im Gehirn und Immunsystem exprimiert, sind G-Protein-gekoppelt und vermitteln verschiedene physiologische Effekte, vor allem in Zusammenhgang mit

      Appetitsteigerung,

      Motivation und Lernen (synaptische Plastizität) und

      Nozizeption (Schmerzhemmung).

Akut regulatorisch wirken Hormone wie Insulin, CCK (Cholezystokinin) oder
Ghrelin. Insulinanregende Darmhormone (Inkretine) sind das Glucagonähnliche Peptid (GLP-1) und das gastrische inhibitorische Peptid (GIP) zusammen mit Gastrin und Sekretin. Sie wirken u.a. bremsend auf die Darmmotorik und verzögern dadurch die intestinale Resorption von Nährstoffen (Inkretin-Effekt).

Das Gehirn ist sowohl Angriffspunkt als auch Effektor dieses Systems. Dabei spielen nicht nur homöostatische Regelmechanismen, sondern auch hedonische Komponenten eine wichtige Rolle (Genuss des Essens). Mit seinen Sensoren wirkt das ZNS auch als metabolisches Sinnesorgan, indem es die Verfügbarkeit verschiedener Nährstoffe überprüft und auf hormonelle Signale aus der Peripherie reagiert.

  

Abbildung: Kurzzeit-Kontrollsystem der Nahrungsaufnahme
Nach Speakman JR, If Body Fatness is Under Physiological Regulation, Then How Come We Have an Obesity Epidemic? Physiology 2014; 29: 88-98

Wenn Nahrung in den Darm gelangt, regt sie dort die Bildung von Substanzen an, welche hemmend auf die Nahrungsaufnahme wirken (blaue Pfeile rechts: negative Rückkopplung an nucleus tractus solitarii des Hirnstammes, nucleus arcuatus des Hypothalamus). Hierher gehören GLP-1 und CCK.
  
Inhibitorische Signale stammen auch aus Geweben außerhalb des gastrointestinalen Systems: Leber, Pankreas, weißes Fettgewebe. Diese bilden Insulin, pankreatisches Polypeptid, Amylin (Pankreas), Leptin (Fettgewebe) und Zytokine (blauer Pfeil links).
  
Dehnung des Darmtraktes wirkt darüber hinaus hemmend über den Vagusnerv.
  
Ghrelin aus dem Magen regt die Nahrungsaufnahme an (gelber Pfeil), seine Produktion wird von diesen Inhibitoren ebenfalls gehemmt.
  
So regt Nahrungsaufnahme bremsende (sättigende) Einflüsse an und unterdrückt die Ghrelinausschüttung; nach einiger Zeit dreht sich das Muster um, inhibitorische Faktoren verlaufen sich, Ghrelin nimmt wieder zu, und der Zyklus beginnt von vorn (unten).

  CCK, Cholezystokinin  GLP-1, Glucagonähnliches Peptid  PYY, Peptid YY  VIP, vasoaktives intestinales Peptid


An der Regulation von Hunger und Sättigung sind viele Faktoren beteiligt:

    Sinnesorgane (Sehen, Riechen, Schmecken, Hören): Sie vermitteln Information, die relevant für Appetit (Werbung!), Anwesenheit (Angebot) und Aufnahme von Nahrung ist (äußere Reize);

    Verdauungssystem ( Abbildung): Dieses erzeugt neuronale (von Dehnungs-, Chemo- und Osmorezeptoren) sowie humorale Signale ("Verdauungshormone" - bis auf Ghrelin, das appetitanregend wirkt, sind dies verschiedene auf Hirnstamm und Hypothalamus auf Sättigungsgefühl abzielende Faktoren) auf den Zustand des Gastointestinalsystems und die Anwesenheit verschiedenster Stoffe in Darm und Blut (innere Reize);

    Im Gehirn laufen die Information von den Sinnesorganen und aus dem Verdauungssystem neuronal, sowie auf dem Blutweg (Glucose- und andere Substrat- sowie Hormonkonzentrationen: Die Blut-Hirn-Schranke muss dabei überschritten werden) aus Gastrointestinalsystem, Fettgewebe u.a. zusammen. Hier finden "übergeordnete", gesamtheitliche Aspekte Berücksichtigung (innere: persönliche Absichten und Befindlichkeit; äußere: Situation, in der sich die Person befindet - mentale Ebene).

Homöostatische Zentren übernehmen die Verwaltung von Energiestoffwechsel (Muskelbelastung!), Osmo- und Volumenregulation und befinden über die Notwendigkeit der Zufuhr von Nährstoffen; sie verwalten entsprechendes Verhalten (motorische Programme) einerseits, autonome und hormonelle Steuerungsvorgänge andererseits (unbewusste Ebene).

All diese Komponenten des gesamten Steuerungssystems von alimentären Sinnesreizen, inneren Signalen, Appetit, Hunger, Durst, Sattheit, autonom-nervösen Begleitvorgängen, Nahrungssuche und Essverhalten sind eng miteinander verknüpft.
 
Der Hypothalamus ist das primäre Zentrum zur Steuerung von Appetit, Essverhalten und Energiehaushalt
 
     
Aktivität des lateralen Hypothalamus regt die Nahrungsaufnahme an (Läsionen dieser Kernregion führen zu Appetitverlust und Anorexie),

     während der ventromediale Hypothalamus die Nahrungsaufnahme drosselt (Läsionen führen zu unkontrollierter Kalorienzufuhr und Gewichtszunahme).

Deshalb hat man den lateralen Hypothalamus als "Hungerzentrum" und den ventromedialen
(im Bereich des nucleus paraventricularis und ventromedialis) als "Sattheitszentrum" bezeichnet.

Afferenzen:

Als "hungersensitiv" gelten u.a.
anregende Geschmacksafferenzen. Zu den hormonellen Einflüssen auf den nucl. arcuatus zählen Leptin, Insulin und andere stoffwechselrelevante Signale aus Magen, Darm, Pankreas, Fettgewebe. Beispielsweise wird Ghrelin vom leeren Magen, aber auch im Gehirn freigesetzt. Auch Nesfatin-1 ist ein Protein, das sowohl zentral (Hypothalamus und zahlreiche weitere Regionen des ZNS) als auch peripher exprimiert wird (endokrine Zellen im Magen, Langerhans-Inseln im Pankreas, Adipozyten). Nesfatin-1 senkt das Hungerempfinden und beteiligt sich vermutlich an einer Senkung des Körpergewichts.

Efferenzen:
 
Appetitzügelung und Energieabgabe: α-MSH / CART-Neurone des nucl. arcuatus sind leptinempfindlich (mehr Fettgewebe → mehr Leptin). Sie regen den nucl. paraventricularis des Hypothalamus an, dieser bildet CRH und TRH (und erhöht dadurch über ACTH → Corticoide, sowie TSH → Schilddrüsenhormone den Energieumsatz). α-MSH / CART-Neurone hemmen den lateralen Hypothalamus und projizieren direkt anregend auf sympathische Zellen und regen so den Stoffwechsel an. Längerfristig ist der Effekt gewichtsreduzierend bis anorektisch (α-MSH und CART werden auch als anorektische Peptide bezeichnet).

Appetitanregung und Energiespeicherung: Andererseits hemmen NPY / AgRP-Neurone - sie werden durch ein Sinken des Leptinspiegels im Blut angeregt - die Bildung von CRH und TRH im nucl. paraventricularis. Gleichzeitig regen sie den lateralen Hypothalamus und über ihn den Parasympathikus an, senken den Energieverbrauch, fördern den Appetit (NPY und AgRP sind orexigene Peptide) und wirken so längerfristig gewichtssteigernd.
 

Hormone, die das Essverhalten regulieren

Nach  Ritter / Flower / Henderson / Loke / MacEwan / Rang, Rang & Dale's Pharmacology, 9th ed. Elsevier 2020
Hormone
Quelle
Freigesetzt
Ziel
Wirkung
CCK
GI-Trakt
vor / während Mahlzeit
vagale Afferenzen
beschränkt Nahrungs-
aufnahme
Amylin, Insulin, Glucagon
Pankreas
vor / während Mahlzeit vagale Afferenzen beschränkt Nahrungs-
aufnahme
PYY3-36
Ileum, Colon
postprandial
Hirnstamm, Hypothalamus
verzögert nächste Nahrungs-
aufnahme
GLP-1
Magen
postprandial Hirnstamm, Hypothalamus verzögert nächste Nahrungs-
aufnahme
Oxynto-
modulin
Magen
postprandial Hirnstamm, Hypothalamus verzögert nächste Nahrungs-
aufnahme
Leptin
Fettgewebe
entsprechend Fettspeichern
Hirnstamm, nucl. arcuatus
Langzeit- redulierung der
Nahrungs-
aufnahme
Ghrelin
Magen
bei Hunger
N. vagus, Hypothalamus
steigert Portion und Zahl der Mahlzeiten
Nesfatin-1
Hypothalamus, Pankreas, Fettgewebe, GI-Trakt
Nahrungs-
aufnahme
orexigene NPY-Neurone
reduziert den Appetit

Andere Kerngebiete
  
Der Nucleus accumbens des basalen Vorderhirns vermittelt den Belohnungseffekt der Nahrungsaufnahme. Mess- und Erwartungswerte über Geschmack und Geruch erreichen ihn aus Peripherie, Frontalhirn und Hirnstamm (ventrales Tegmentum, Abbildung); entsprechend beeinflusst er den Hypothalamus (der wiederum auf den nucl. accumbens zurückprojiziert).
 
 
Abbildung: Hirnstammkerne
Nach einer Vorlage bei quizlet.com

Das Tectum umfasst die Region der Vierhügelplatte, das Tegmentum liegt ventral davon


Der nucl. accumbens verfügt über dopaminerge und opioiderge Neuronen und wird durch verschiedene Neurotransmitter beeinflusst (Acetylcholin, GABA, Opoidide, Endocannabinoide). Er integriert Funktionen in Hinsicht auf Energiestatus, -homöostase, Motivation und Essverhalten.

Verbindungen mir dem limbischen System (insbesondere der Amygdala), das wiederum mit Regionen des Frontalhirns reziprok verknüpft ist, unterstreichen die emotionale Dimension bei der Steuerung des Nahrungsaufnahmeverhaltens.


Weitere beteiligte Kerngebiete sind
 
      der Hypothalamus (nucleus dorsomedialis der mittleren Kerngruppe),
 
      die area postrema (ein chemorezeptives zirkumventrikuläres Organ am Boden der Rautengrube, in der  Nähe des nucleus tractus solitarii),
 
      die nuclei parabrachiales (ein Kernkomplex in der dorsalen Brücke, benannt nach ihrer Nähe zum pedunculus cerebellaris superior, mit zahlreichen Funktionen (nucl. tractus solitarii → Thalamus, Hypothalamus; Atemsteuerung, Geschmacksleitung etc),
 
      das ventrale tegmentale Areal, sowie
 
      Teile des limbischen Systems.

Diese Kerngebiete sind vielfach miteinander verknüpft:



 
    Der hypothalamische nucleus paraventricularis dient als Integrationsstelle für zahlreiche ernährungsrelevante Inputs und beteiligt sich an der Kontrolle des Essverhaltens
 

 
Abbildung: Hypothalamische Kerne

Anteriore Kerne grün, mittlere rot, posteriore blau dargestellt

       Die Mandelkerne (nucll. amygdalae) im limbischen System kümmern sich zusammen mit dem nucl. accumbens um Motivation ("Belohnung") beim Essen. Die Mandelkerne - vor allem der laterale Kern - erhalten Projektionen aus dem Neokortex und aus spezifischen thalamischen Kernen; und Efferenzen aus den Mandelkernen projizieren wiederum auf den Hypothalamus. Auf diese Weise werden emotional geladene Reaktionen gesteuert, zu diesen gehören die Nahrungsaufnahme betreffende Vorgänge.
 
Die (anabolen) Signale aus dem Hunger- sowie die (katabolen) aus dem Sattheitszentrum gelangen zum nucl. paraventricularis des Hypothalamus und von dort weiter zum
nucleus tractus solitarii ( Abbildung oben).

Der
nucleus tractus solitarii berücksichtigt stoffwechselrelevante afferente Signale aus der Körperperipherie (Darm, Pankreas) und dem Mundbereich (Hemmung des Hungerzentrums durch Schmecken, Kauen, Speichelproduktion, Schlucken). Er beeinflusst die efferente Aktivität im autonomen Nervensystem (Parasympathikus: trophotrop!).
 
     Beschädigung des nucl. tractus solitarii führt zu unkontrollierter Nahrungsaufnahme.
  
 
Periphere Faktoren
  
Die Energiebilanz des Körpers wird im wesentlichen reguliert von Zentren im Hirnstamm (Hypothalamus, nucl. arcuatus am Boden des 3. Ventrikels, Abbildung) und dem nucleus tractus solitarii, der über das vegetative System mit der Peripherie kommuniziert. Rezeptoren im gastrointestinalen System informieren über die Anwesenheit diverser Stoffe im Chymus, Änderungen der Muskelspannung, und Peptide aus endokrinen und Nervenzellen in der Darmwand. Afferente (vagale) Fasern melden diese Information an das Gehirn - insbesondere Vaguskerne und nucleus tractus solitarii. So ergeben sich mehrere Rückkopplungskreise, von vago-vagalen Reflexen bis zur Steuerung von Energiebilanz, Hunger und Sattheit..
 

Abbildung: Hypothalamische Steuerung des Energie-Gleichgewichts
Modifiziert nach Schwartz MW,  Morton G J. Obesity: keeping hunger at bay. Nature 2002; 418: 595-7

Der nucleus arcuatus des Hypothalamus ist die zentrale Schaltstelle für den Energiehaushalt des Organismus (Resorption und Vorhandensein von Nährstoffen). Es gibt orexigene (NPY / AgRP) und anorexigene Neurone (POMC / CART).
 
Die Energieaufnahme wird über das Hunger-Sattheits-Regelsystem dem Bedarf angepasst. Leptin und Insulin hemmen orexigene Neurone und regen anorexigene an (Hemmung des Hungergefühls). Ghrelin und PYY3-36 aktivieren bzw. hemmen orexigene Neurone.
 
An der Signalweiterleitung im Hypothalamus sind auch serotoninerge und katecholaminerge Neuronen beteiligt (nicht gezeigt)

    AgRP, agouti-related peptide, aus NPY-produzierenden Nervenzellen des nucleus arcuatus    CART, cocaine and amphetamine related transcript    NPY, Neuropeptid Y    POMC, Pro-opiomelanocortin    PYY, Peptid YY, bei Anwesenheit von Nährstoffen aus Ileum und Colon freigesetzt, bindet an Y-Rezeptoren am nucleus arcuatus des Hypothalamus sowie in der Peripherie

    
    Vgl. dort


Experimentelle Reizung des ventromedial gelegenen "Sattheitszentrums" im Hypothalamus führt zu Sättigungsgefühl und verhindert die Nahrungsaufnahme (auch bei objektiv bestehendem Substratmangel). Reizt man das "Hungerzentrum", löst dies Hungergefühl und Nahrungsaufnahme aus (auch wenn dies physiologisch gesehen nicht notwendig wäre).
Läsion des Sattheitszentrums führt zu ständiger Essgier (Hyperphagie
) und vermehrter Substrateinlagerung (insbesondere ins Fettgewebe), Adipositas und Übergewicht.

Die Rückkopplungsschleifen, die auf ein Gleichgewicht von Essantrieb und Substratbedarf abzielen, betreffen verschiedene Zeitrahmen:

     Kurzfristig wirken die Plasmaspiegel von Substraten wie Glucose, Fettsäuren sowie Hormone (wie Cholezystokinin)
 
     Langfristig wirken Signale, die dem Bestand an Speicherfett entsprechen (wie Leptin).
 
 
Abbildung: Wirkungen orexin- und MCH-bildender Neurone im lateralen Hypothalamus
Nach einer Vorlage in Carlson NR / Birkett MA, Physiology of Behavior, 12th ed. Pearson 2017

Zu den hypothalamischen Peptiden, die Nahrungsaufnahme und Metabolismus beeinflussen, gehören Orexin und MCH (Melanin concentrating hormone). Beide regen Hungergefühle an (wirken orexigen) und reduzieren die Stoffwechselrate. Dadurch vermehren bzw. bewahren sie Energiereserven des Körpers.
  
Die Axone Orexin- und MCH-bildender Neurone projizieren auf zahlreiche Gebiete des ZNS, die auf Motivation und Motorik wirken (Neocortex, Thalamus, locus coeruleus, periaquäduktales Grau, retikuläre Formation, autonom-nervöses System im Rückenmark). Letztere Verbindung erklärt auch die Effekte auf den Stoffwechsel


Das Melanin concentrating hormone (MCH) stammt aus MCH-Neuronen des lateralen Hypothalamus ( Abbildung). Es wirkt auf eigene Rezeptoren (MCH-R1 und MCH-R2 - Antagonisten können gegen Übergewicht wirksam sein) und hat u.a. appetitanregende Wirkung. MCH-Rezeptoren finden sich vor allem im limbischen System.
 
Orexigene, anorexigene und episodische Faktoren
 

Endokrine Signale, die Appetit und Nahrungsaufnahmeverhalten beeinflussen, können ihrer Herkunft nach als periphere und zentrale, ihrem zeitlichen Auftrete- und Wirkprofil nach als episodisch und tonisch, und ihrer Wirkung nach als orexigen (orexis = Appetit) und anorexigen unterschieden werden.

  
   Orexin   - das Gen und seine Transkripte werden Hypocretin oder HCRT (hypocretin neuropeptide procursor) genannt - ist ein vorwiegend vom lateralen Hypothalamus gebildetes Neuropeptid ( Abbildung), das in der Form Orexin-A und Orexin-B vorkommt (Gene: Hypocretin-1, Hypocretin-2). Die (im menschlichen Gehirn ~104) orexinproduzierenden Neurone (vorwiegend im lateralen Hypothalamus) projizieren großflächig in das ZNS und regulieren verschiedene Verhaltensweisen, u.a. Schlaf und Essverhalten (daher der Name). Orexin wirkt anregend auf die Gehirnfunktion und gilt als aufmerksamkeitssteigernder Faktor.

Abnahmende Aktivität orexin-sezernierender Neurone könnte zur Schläfrigkeit beitragen, die sich nach einer ausgiebigen Mahlzeit einstellt.
 



Für die Regulation der Nahrungsaufnahme bedeutsame Transmitter / endokrine Signale

episodisch
tonisch
sonstige
orexigen
Ghrelin, Orexin
Progesteron
NPY, AgRP, Galanin, ß-Endorphin, Endocannabinoide u.a.
anorexigen
CCK, PYY, Amylin, GLP-1, Pankreatisches Polypeptid  u.a.
Leptin, Östrogene
CART, Melanocortine (POMC), Serotonin, Noradrenalin, Dopamin

  "Orexigene" Substanzen werden von "hungersensitiven" Nervenzellen freigesetzt, regen das Hungerzentrum an, hemmen das Sattheitszentrum und erhöhen die Energieaufnahme.

Vor allem sind dies
Neuropeptid Y (NPY) und das agouti-related peptide (AgRP) aus NPY-produzierenden Nervenzellen des nucleus arcuatus. Diese AgRP / NPY-Nervenzellen werden

      durch Ghrelin angeregt,

      durch Leptin, Insulin, Cholezystokinin gehemmt (s. weiter unten).

Ein weiterer orexiganer Neurotransmitter ist Orexin (Hypocretin), das von einer geringen Zahl hypothalamischer Neuronen gebildet wird (lateraler und posteriorer Hypothalamus), die aber zahlreiche Verzweigungen ins Gehirn (cortex cerebri, Hirnstammkerne - an den Neuronen finden sich Orexinrezeptoren) senden. Dieses System reguliert neben Appetit auch Wachheit und Aufmerksamkeit.

  "Anorexigene" Substanzen wirken umgekehrt - vor allem Pro-opio-melanocortin (POMC) und das Cocaine and amphetamine related transcript (CART). POMC / Cart-Nervenzellen im nucl. arcuatus werden durch Leptin, Insulin, CCK angeregt. Anorexigene Faktoren unterstützen das Sättigungsgefühl. POMC-Neurone und
 

 Episodische Faktoren sind von kurzzeitiger Wirkungsdauer; ihr Auftreten korreliert mit der aktuellen Situation der Nahrungsaufnahme.

     In der zephalen Phase der Nahrungsaufnahme wirken sich antizipatorische Signale (Geruch, Geschmack etc) schon auf das Essverhalten aus. Ein wesentlicher Trigger ist die Nahrungsaufnahme an sich; so beteiligt sich die Dehnung der Magenwand an der präabsorptiven Appetitkontrolle (diese tritt schon auf, bevor noch Nahrungsbestandteile vom Darm resorbiert werden).
 
     Anschließend bewirken resorbierte Stoffe, die im Blut auftreten - insbesondere Glucose und Fettsäuren - ein Sättigungsgefühl, das die Nahrunsaufnahme bremst. Umgekehrt wirkt sich ein Absinken des Blutzuckerspiegels unmittelbar appetitauslösend aus (zentrale Glucosesensoren).
  
CCK GLP-1 PPY Amylin Ghrelin Leptin

   Episodische Faktoren: Weiters werden im Rahmen der resorptiven Vorgänge Hormone in die Blutbahn  abgegeben, welche Appetit / Hunger und Nahrungsaufnahme hemmen. CCK, Glucagon-like peptide 1, Peptid YY, Amylin, Insulin, Ghrelin gehören zu den Faktoren, welche die Nahrungsaufnahme kurzfristig beeinflussen:
  
   Cholezystokinin
vgl. dort
 
Cholezystokinin (CCK) stammt aus I-Zellen im Darm, die es bei Anwesenheit von Fetten im Chymus freisetzen. Innerhalb einer halben Stunde nach Beginn der Nahrungsaufnahme steigt der CCK-Spiegel auf Maximalwerte, wo er für etwa 3 Stunden bleibt, bevor er wieder absinkt. CCK gehört zu den die Nahrungsaufnahme hemmenden (anorexigenen) Faktoren.

CCK-Rezeptoren im
oberen Dünndarm melden den Status der Fettverdauung über den Vagusnerv an das Gehirn. CCKA (CCK-1) -Rezeptoren finden sich vorwiegend im Darm (auch im ZNS), CCKB (CCK-2) -Rezeptoren vor allem im ZNS (auch im Dünndarm). Ihre Reizung fördert u.a. das Sättigungsgefühl. Generell beeinflusst CCK über die Neurotransmission nicht nut das Essverhalten, sonden auch andere Verhaltensweisen (Bewegungen, Angstreaktionen).
  
Glukagonähnliches Peptid
vgl. dort
 
Glucagon-like peptide 1 (GLP-1) wird von L-Zellen im Ileum zusammen mit PYY freigesetzt, vor allem bei Anwesenheit von Kohlenhydraten im Darm. Es wirkt auf GLP-1-Rezeptoren, die sich auch im Gehirn finden (nucleus tractus solitarii, area postrema, nucleus arcuatus); auf diese Weise wird der Antrieb zur Nahrungsaufnahme gehemmt. Der GLP-1-Spiegel im Blut steigt nach Nahrungsaufnahme (und auch schon bei der Erwartung von Essbarem) an, im Nüchtern-/Hungerzustand ist er niedrig.

GLP-1 fördert die Insulin- und hemmt die Glucagonausschüttung, verzögert die Magenentleerung und hemmt weitere Nahrungsaufnahme. GLP-1-bildende sogenannte Präpro-Glucagon-Neurone im Hirnstamm haben eine zentrale Funktion und steuern Nahrungsaufnahme, Energiestoffwechsel und beeinflussen die Hämodynamik (
Abbildung):
 

  Abbildung: Stellung von Präproglucagon-bildenden Neuronen
Nach Trapp S, Cork SC. PPG neurons of the lower brain stem and their role in brain GLP-1 receptor activation. Amer J Physiol 2015; 309: R795-804

Die Abbildung stellt dar, welche Wirkungen der Aktivierung von GLP-1-Rezeptoren in verschiedenen Teilen des ZNS zugeschrieben werden, und wie Präproglucagon- (PPG)- Neurone im unteren Hirnstammbereich in diese Wirkungen eingebunden sein könnten (PPG-Neurone bilden GLP-1).
 
Alle gezeigten Gebiete (außer dem Hippocampus) werden von PPG-Neuronen innerviert (hippocampale GLP-1-Rezeptoren könnten über den Liquor GLP-1 erhalten).
 
Input: Sie erhalten vagale Afferenzen (informieren über Dehnung der Magenwand sowie den GLP-1-Spiegel) und reagieren auf den Leptinspiegel.
 
Output: Sie beeinflussen indirekt Blutzuckerregulation, Nahrungsaufnahme, Thermoregulation und Kreislauffunktionen. Dazu innervieren sie sämtliche erwähnten Strukturen außer dem Hippocampus, der möglicherweise über den liquor cerebrospinalis erreicht wird


Peptid YY
vgl. dort
    
Peptid YY (PYY) stammt ebenfalls aus L-Zellen; Fette, Fasern, Gallensäuren regen ihre Sekretion an. Es verzögert die Magenentleerung und reduziert die Nahrungsaufnahme. Es wirkt indirekt über vagale Afferenzen, kann aber auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden und so direkt zerebrale Rezeptoren aktivieren. PYY wirkt im Gehirn als Sättigungssignal. Die Menge an PYY, die bei einer Mahlzeit produziert wird, korreliert mit dem Sattheitsgefühl der untersuchten Personen.
 
Amylin
 
Das 37-AS-Peptidhormon Amylin (Insel-Amyloid-Polypeptid IAPP) verzögert die Glucoseresorption im Darm und dämpft so den Glucoseanstieg im Blut. Es wird zusammen mit Insulin aus Betazellen der Bauchspeicheldrüse  (Verhältnis A/I ~1:100) sezerniert. Es scheint den Essantrieb durch direkte Wirkung auf das Gehirn (vorwiegend area postrema) sowie indirekt über verzögerte Magenentleerung einzudämmen.
Insulin
signalisiert die Verfügbarkeit von Energiereserven (
s. dort).
 
Ghrelin
vgl. dort
 
Ghrelin wird (hauptsächlich) vom Magen im Hungerzustand freigesetzt und regt Nahrungsaufnahme an. Sein orexigener Effekt beruht z.T. auf einer Stimulierung von NPY-Neuronen im nucleus arcuatus. Es ist an der Regulation von (mesolimbischen dopaminergen) Belohnungseffekten beim Essen beteiligt.
 
Zeitverlauf: Der Ghrelinspiegel im Blut steigt bei Hunger an (meist 1-2 Stunden vor der nächsten Mahlzeit), ist unmittelbar vor Nahrungsaufnahme am höchsten, und sinkt dann rasch ab (Minimalwerte ca. 1 Stunde nach der Mahlzeit).
 
Übergewichtige Personen haben einen erniedrigten Ghrelinspiegel und einen reduzierten oder fehlenden Ghrelinanstieg bei Nahrungsaufnahme.
 
   Tonische Faktoren wirken im Gegensatz zu episodischen längerfristig und korrelieren mit dem Zustand der Energiespeicher des Körpers (auf dieser Vorstellung beruht die "lipostatische" Theorie der Regulation des Fettgewebes). Deren Abnahme regt über tonische Faktoren die Nahrungsaufnahme an; sie unterliegen u.a. zirkadianer Periodik. Betroffene Organe sind Fettgewebe, Leber und Bauchspeicheldrüse: Sie produzieren Signale wie Leptin, Insulin und Glucagon.
    
 Leptin
vgl. dort
  
  Leptinmolekül
Quelle: Wikipedia / Vossman

Das Peptid besteht aus 167 Aminosäuren und enthält 4 α-helikale Sequenzen. Es wird von Typ-1-Zytokinrezeptoren (LEP-R / OB-R) gebunden

 
Das 16-kD-Peptidhormon Leptin ( Abbildung) stammt hauptsächlich aus dem Fettgewebe, der Blutspiegel korreliert mit der Menge des Fettgewebes im Körper. Seine (pulsatile) Freisetzung wird angeregt durch Glucocorticoide, Insulin, Östrogene. Der Leptinrezeptor (LEP-R) ist ein Typ-1-Zytokinrezeptor, er erkennt Signalproteine mit vier α-Helices und wirkt über das Jak/Stat-System.

Leptin wirkt in der
Langzeitregulation des Metabolismus als Sättigungssignal, es wirkt mehrfach appetitzügelnd und fördert die Energieabgabe:
 
    Leptin hemmt orexigene Zellen (NPY / AgRP) im Hypothalamus -
NPY wirkt besonders stark orexigen
 
    Leptin vermittelt die Freisetzung des POMC-Abkömmlings α-MSH, das die Nahrungsaufnahme inhibiert, und fördert die Expression des (anorexigenen) CART

 
Leptin fördert die hypothalamische Freisetzung von α-MSH und hemmt diejenige von NPY
 
  Die Synthese von Leptin wird gefördert durch Glucocorticoide, Insulin und Östrogene, und gehemmt durch ß-adrenerge Agonisten. Die Freisetzung erfolgt pulsatil und in Abhängigkeit von Fettspeichern bzw. dem body mass index.
 

Die Homöostase der Energiebilanz unterliegt beträchtlichen individuellen Unterschieden in Bezug auf Wirksamkeit von - und Empfindlichkeit auf - einzelne(n) involvierte(n) Faktoren (genetische Unterschiede erklären  50-90% der Varianz des body mass index und der Prädisposition zu Übergewicht, hunderte von Genen scheinen involviert zu sein).

Die Zahl der Hunger und Sattheitsgefühl regulierenden
Hormone, Transmitter und Zytokine beträgt insgesamt wahrscheinlich um die 50, Sinnesmeldungen und Einflüsse höherer Zentren im Gehirn nicht mitgezählt.

Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht der Herkunft und Wirkung von führenden Faktoren der Steuerung von Stoffwechsel, Appetit und Insulinempfindlichkeit:
 
Hormon / Zytokin
Herkunft
subkutan (SC) / intra-
abdominell (IA)
Reiz für Freisetzung
primäres Ziel
Wirkungen
Leptin
Adipozyten
SC > IA
erhöhte Fettmasse
Hypothalamus
↓NPY, AgRP
↑POMC
Appetit↓
 Energieumsatz↑
 Insulin-
empfindlichkeit↑
Ghrelin↓
Adiponektin
Adipozyten
SC > IA Gewichtsverlust
Muskel
Leber
Blutgefäße
Herz
Makrophagen
Oxidation freier Fettsäuren↑
entzündungs-
hemmend, antioxidativ
 Insulin-
empfindlichkeit↑
kardiovaskuläre Fitness↑
Tumornekrose-
faktor
weißes Fettgewebe
Makrophagen
IA > SC
Vergrößerung der Adipozyten (Fettansammlung)
Leber
Muskel
Adipozyten
weitere Organe
Fettmasse↓
entzündungs-
fördernd
Insulin-
empfindlichkeit↓
Interleukin 6
weißes Fettgewebe
Makrophagen
IA > SC andere entzündungs-
fördernde Zytokine
Leber
Muskel
Adipozyten
weitere Organe
Insulin-
empfindlichkeit↓
 Akutphasen-
proteine↑
entzündungs-
fördernd
Ghrelin
Magen (P/D1-Zellen)
Inselzellen (ε)
Hypothalamus
-
leerer Magen
Hypothalamus
Hypophyse
vagale Afferenzen
Appetit↑
Wachstums-
hormon↑
Insulin-
empfindlichkeit↓
Metabolismus↓
Leptinfreisetzung↓

Insulin
Pankreas (ß-Zellen)
-
 Blutzucker-
spiegel↑  Arginin. Leuzin, Fettsäuren↑
GIP, GLP1
Hypothalamus
Appetit↓
 Energieumsatz↑
CCK
Duodenum (I-Zellen)
-
Peptide, Aminosäuren↑
Fette, Fettsäuren↑
vagale Afferenzen
Appetit↓
 Magenentleerung↓

Kombiniert nach White / Harrison / Mehlmann, Endocrine and Reproductive Physiology, 5th ed., Elsevier 2019; und Johnson: Gastrointestinal Physiology, 9th ed., Mosby 2019
 
 

 
      Fettgewebe bildet Adipokine, die trophisch wirken: Leptin, Resistin, Adiponektin, Visfatin; auch Zytokine. Endokrine Sättigungssignale vermitteln CCK, Peptid YY und Endocannabinoide; Ghrelin regt die Nahrungsaufnahme an, Nahrungsaufnahme unterdrückt die Ghrelinausschüttung. Insulinanregend wirken GLP-1 und GIP (mit Gastrin und Sekretin); Adiponektin fördert die Insulinsensitivität. Das Gehirn überprüft die Verfügbarkeit von Nährstoffen und reagiert auf hormonelle Signale aus der Peripherie
 
      Der laterale Hypothalamus regt die Nahrungsaufnahme an ("Hungerzentrum": Läsionen führen zu Appetitverlust und Anorexie), der ventromediale drosselt die Nahrungsaufnahme  ("Sattheitszentrum": Läsionen führen zu Gewichtszunahme). α-MSH / CART-Neurone hemmen das Hungerzentrum, regen sympathische Neurone und den Stoffwechsel an, was längerfristig gewichtsreduzierend bis anorektisch wirkt. NPY / AgRP-Neurone regen das Hungerzentrum und den Parasympathikus an, senken den Energieverbrauch, fördern den Appetit und wirken längerfristig gewichtssteigernd
 
      Der Nucleus accumbens im basalen Vorderhirn "belohnt" Nahrungsaufnahme. Er hat dopaminerge und opioiderge Neurone und beeinflusst Energiestatus, -homöostase, Motivation und Essverhalten. Beteiligt an Belohnungseffekten der Nahrungsaufnahme sind weite Teile des limbischen Systems (insbesondere die Amygdala), die mit dem Frontalhirn reziprok verknüpft sind. Der nucleus arcuatus hat sowohl α-MSH- und CART- als auch NPY- und AgRP-Neurone. Signale aus Hunger- und Sattheitszentrum gelangen zum nucleus paraventricularis und weiter zum nucleus tractus solitarii; dieser erhält Afferenzen aus dem Verdauungssystem und hat parasympathische Efferenzen
 
      Endokrine Signale, die Appetit und Nahrungsaufnahmeverhalten beeinflussen, wirken orexigen (appetitanregend) oder anorexigen (appetitzügelnd). Kurzfristig wirken die Plasmaspiegel von Substraten (Glucose, Fettsäuren) und Hormone (CCK), langfristig Signale, die dem Bestand an Speicherfett entsprechen (Leptin). Das Melanin concentrating hormone (MCH) aus dem lateralen Hypothalamus wirkt appetitanregend (MCH-Rezeptoren im limbischen System). AgRP / NPY-Neuronen werden durch Ghrelin angeregt, durch Leptin, Insulin, Cholezystokinin gehemmt. Orexin (Hypocretin) aus dem lateralen und posterioren Hypothalamus reguliert neben Appetit auch Wachheit und Aufmerksamkeit. - Anorexigene Faktoren unterstützen das Sättigungsgefühl. POMC / CART-Nervenzellen im nucl. arcuatus werden durch Leptin, Insulin, CCK angeregt
 
      Episodische Faktoren beeinflussen die Nahrungsaufnahme kurzfristig. Appetithemmend sind CCK (Blutspiegel steigt innerhalb einer halben Stunde nach Beginn der Nahrungsaufnahme und bleibt für ~3 Stunden erhöht), GLP-1 (angeregt durch Kohlenhydrate), PYY (angeregt durch Fette, Fasern, Gallensäuren), Amylin, Insulin, Ghrelin (Spiegel steigt bei Hunger an, meist 1-2 Stunden vor der nächsten Mahlzeit, sinkt postprandial rasch auf Minimalwerte ab)
 
      Tonische Faktoren wirken längerfristig und korrelieren mit gespeicherter Energie. Glucocorticoide, Insulin, Östrogene regen die Freisetzung von Leptin an, der Blutspiegel korreliert mit der Menge des Fettgewebes im Körper. Leptin hemmt orexigene Zellen (NPY / AgRP) im Hypothalamus, führt zur Freisetzung von α-MSH und CART, und hemmt diejenige von NPY
 

 




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