Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

   
Physiologie der Sinnesorgane

  Viszerale Sensibilität
Schmerz
© H. Hinghofer-Szalkay
Allodynie: άλλος = anders, οδύνη = Schmerz
Anandamid: Ananda (Sanskrit: Segen, Abwesenheit von Unglück), ein Cousin Buddhas
Cannabis: κάνναβις = Hanf

Endocannabinoide: ἔνδον = innen, cannabis sativa = Hanf
Endorphin: aus ἔνδον = innen und Morphin (vom Körper selbst produziertes Opioid)
Enkephaline: ἐγκέφαλος = Gehirn
Histamin: ἱστός = Gewebe, Amin von Ammonium
Hyperalgesie: ὑπέρ = über, ἄλγος = Schmerz
Lissauer'sche Zonen: Heinrich Lissauer
Morphin: Μορφεύς = gr. Gott der Träume (Morphin ist der Hauptbestandteil von Opium)
Nozizeptor: nocere = schaden, recipere =
empfangen, aufnehmen
opioiderg:
ὄπιον = Opium (Alkaloid im Saft des Schlafmohns), εἶδος = ähnlich, εργον = Wirkung
Sylvi'sche Wasserleitung: Franciscus Sylvius
Vegetativum: vegetus = lebhaft, munter, rüstig


Viszerale Sensibilität wird von den Eingeweiden (Lungen, Herz, Kreislauf, gastrointestinales und Urogenitalsystem) über vegetative Afferenzen zur Insel geleitet, wo Interozeption - der "Blick nach innen" - erfolgt.

Schmerzreize (starke mechanische Stimulation, Temperaturextreme, Sauerstoffmangel, Chemikalien) sind potenziell zellschädigend. Sie führen zur Erregung von Schmerzfasern. Mediatoren sind u.a.

   -- Wasserstoffionen (Absinken des pH-Wertes)

   -- Kalium (extrazellulär) aus verletzten Zellen

   -- Histamin, hauptsächlich aus Mastzellen und Granulozyten; ihre Degranulierung an Gefäßen, Schleimhäuten etc. führt neben Schmerz zu immunologischen Reaktionen

   -- Kinine, die auch vasodilatierend wirken

   -- Serotonin, vorwiegend aus enterochromaffinen Zellen des Magen-Darm-Trakts, bewirkt Schmerz, Vasodilatation, Ödembildung, Leukozytendiapedese, Rötung, Quaddelbildung

   -- Substanz P aus Nervenzellen und Leukozyten

Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) können Ionenkanäle (ionotrop) oder metabotrop (Kanäle sensibilisierend) sein. Die Afferenz erfolgt über Aδ- ("erster" Schmerz) und C-Fasern ("zweiter" Schmerz) und im Rückenmark über die spinothalamische Bahn zum nucl. ventralis posterolateralis thalami und zum sensomotorischen Kortex (Ortung der Schmerzquelle), und die spinoretikuläre (spino-parabrachiale) Bahn zu medialem Thalamus und limbischen Strukturen (emotionale Dimension).

Der Körper verfügt über endogene Mechanismen zur Schmerzmodifikation: Das lipidbasierte Endocannabinoidsystem wirkt über Cannabinoidrezeptoren in Gehirn und Rückenmark. Endorphinesind körpereigene Opioide (Endorphin, Enkephalin, Dynorphin), sie wirken über μ-, δ- und κ- Opiatrezeptoren im Thalamus und in anderen Teilen des Nervensystems. Das Schmerzempfinden ist hemmbar - endogen u.a. im zentralen Höhlengrau; in den Hinterstrangkernen interferieren Schmerz- und mechanosensible Fasern (Gate-control-Theorie). Zentrale Instanzen der Schmerzverarbeitung sind Thalamus, Mandelkerne, Insel, gyrus cinguli und Präfrontalhirn.


Viszerale Sensibilität
Schmerz: Einleitung Axonreflex   Schmerzauslösende Substanzen Schmerzrezeptoren Periphere Schmerzafferenz Übertragener Schmerz, Head'sche Zonen  Weiterleitung und zentrale Verarbeitung Schmerzmodulation Schmerzhemmung, Gate-control-Theorie Zentrales Höhlengrau Endocannabinoidsystem Endophinsystem

    Nozizeptiver / neuropathischer Schmerz


Arten von Schmerz, Schmerzblockade       Core messages
  
Viszerale Sensibilität
 
Sensibilität im Bereich der Eingeweise (viszerale Sensibilität) betrifft die Summe aller Informationen, die von den Eingeweiden zum Zentralnervensystem gesendet werden - s. dazu über


Herz

Kreislauf

Atmung

Verdauungssystem

Darmausgang

Nieren

Blasenmotorik

Vegetativum
 
Viszerale Sensibilität erreicht das Gehirn über Hirnnerven (N. glossopharyngeus und vagus) - sie projizieren auf den nucleus tractus solitarii; und über Splanchnicusnerven, die auf das Rückenmark projizieren. Von hier aus senden aszendierende Bahnen die Information aus den Eingeweiden über den tractus spinothalamicus zu nucleus tractus solitarii, laterale parabrachiale Kerne und Thalamus. Der nucl. tractus solitarii seinerseits leitet die Funktion der Eingeweide betreffende sensorische Impulse an Reflexzentren in Hirmstamm und Rückenmark (einschließlich das Kreislaufzentrum in der formatio reticularis, was die Durchblutung der betreffenden Organe optimiert). Auch projiziert der nucl. tractus solitarii auf Hypothalamus und Großhirn (insbesondere Insel und limbisches System).

Die Informationsmenge, die dem ZNS aus den Eingeweiden (Kopf, Brust-, Bauch- und Beckenraum) zuströmt, ist umfangreich: Man schätzt, dass 5-15% der Afferenzen in das Rückenmark viszeraler Natur sind; ~50% der sekundären spinalen Neurone sprechen auf viszerale Afferenzen an, ein Zeichen starker neuronaler Ausbreítung (Arborisation) inklusive gelegentlicher Seitenüberkreuzung im Rückenmark. D
er N. vagus enthält mindestens zu 80% afferente (sensible) Fasern, die aus der Speiseröhre sowie aus sämtlichen Brust- und Baucheingeweiden stammen; dazu kommen noch Afferenzen über andere Hirnnerven.

Die Viszerosensibilität verfügt über zahlreiche Modalitäten: Dazu gehören z.B. Chemosensibilität (Atemgase → Atemregulation, evt. Atemnot; Peptide etc → Sekretionsanregung, endokrine Reaktionen; Toxine in der Nahrung → Übelkeit, Brechreiz etc), Mechanosensibilität (Füllung von Darmabschnitten → motorische und sekretorische Reflexantworten), Reaktionen auf Lichteinfall (Helligkeit → Miosis), oder Schmerzempfinden (z.B. Überdehnung → Kolik). Die Erforschung dieser Informationsbahnen ist nicht einfach, viele Aspekte der viszeralen Sensibilität sind nach wie vor unklar.

 

  
Schmerz: Einleitung
 
Schmerz ist eine Wahrnehmung, die physiologischerweise durch Erregung nozizeptiver Afferenzen hervorgerufen wird. Er kann in unterschiedlicher Form auftreten - von kurzen Warnsignalen (z.B. Griff in eine Dorne) bis zu langanhaltenden Zuständen, von gut lokalisierten bis zu dumpfen, eher allgemeinen Projektionen.

Schmerz kann aus drei perzeptiven Komponenten bestehend gesehen werden:
  Sensorische Komponente - afferente Impulse ermöglichen die Wahrnehmung von Ort und Intensität von Schmerzreizen. Zuständig ist der somatosensorische Kortex im Parietalhirn, der die afferenten Informationen via die ventralen posterioren Kerne des Thalamus erhält.
  Unmittelbare emotionale Folgen - diese leidvolle Komponente ist nicht primär eine Eigenheit der afferenten Impulse (Aktionspotentiale wie bei anderen Sinnesafferenzen), sondern wird vom Gehirn erzeugt (Insel, vorderer gyrus cinguli).
 
Defekte der Inselrinde können Gleichgültigkeit gegenüber Schmerzreizen zur Folge haben. Gedämpfte Aktivität des vorderen gyrus cinguli (Hypnose) reduziert ebenfalls den unangenehmen Charakter des Schmerzerlebnisses.
  Längerfristige emotionale Folgen - Sorgen um zukünftiges Wohlbefinden / Schmerzzustände. Solche langfristigen Implikationen werden vom Präfrontalkortex reflektiert.


Abbildung: Übersicht zu Entstehung, Leitung und Verarbeitung von Schmerz
Nach Grace PM, Hutchinson MR, Maier SF, Watkins LR. Pathological pain and the neuroimmune interface. Nature Rev Immunol 2014; 14: 217-31

a: Freie Nervenendigungen mit Ionenkanälen: - TRP-Kanäle vom Typ A (ankyrin repeats), M (melastatin), V (vanilloid); spannungssensitive Natriumkanäle (Nav); Kaliumkanäle (KCNK); und säureempfindliche Kanäle (Acid-Sensing Ion Channels, ASICs).
 
b: Aktionspotentiale werden über rasch (Aß, Aδ) und langsam leitende (C-) Fasern ins Rückenmark geleitet. Nach synaptischer Verarbeitung ziehen Impulse über 2. Neurone weiter.
 
c: Zahlreiche Gehirnregionen sind gemeinsam in die Schmerzverarbeitung involviert:

  Somatosensorischer Kortex (S1 anteriorer gyrus cinguli (ACC Mandelkerne (CeA Insel (IC präfrontaler Kortex (PFC)

Modulierung der Schmerzleitung durch absteigende Impulse erfolgt im zentralen Höhlengrau (PAG), locus coeruleus (LC) und in der rostralen ventromedialen medulla oblongata (RVM)


Schmerzempfindlich sind die meisten Gewebe - mit Ausnahme des Nervengewebes (Gehirnhäute sind schmerzempfindlich). Schmerzreize können verschiedener Art sein (mechanische Überlastung, Hitze oder Kälte, Sauerstoffmangel, Verletzungen oder Entzündungen..). Sie werden von Nervenfasern detektiert, die morphologisch keine Besonderheiten aufweisen, aber mit eigenen Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren ) ausgestattet sind.

Nozizeptoren sind meist nicht ausschließlich auf eine bestimmte Modalität spezialisiert (z.B. brennend, schneidend, juckend...), sondern funktionieren eher polymodal.
Es gibt aber auch spezifische Schmerzrezeptoren: Mechanische (Reaktion auf intensive Verformung), thermische (brennend heiß, extrem kalt), chemische (Histamin, pH, Kalium... etc) Nozizeptoren. Die Mehrzahl der rasch leitenden (A-δ) Schmerzfasern sind mechanische Nozizeptoren, die durch Einwirkung scharfer (schneidender, durchstechender) Objekte, oder auch das Ausreißen von Haaren - also Reize hoher Intensität - erregt werden (HTMRs: high-threshold mechanoreceptors). Viele solcher Fasern sprechen auch auf Hitze an (sie exprimieren TRPV2-Kanäle).

Das Ansprechverhalten von Nozizeptoren ist stark von vorausgehenden Reizungen abhängig; sowohl Sensitivierung als auch Ermüdung sind zu beobachten, d.h. die Schmerzmeldung kann mit fortlaufender Stimulation sowohl zu- als auch abnehmen.

Reizung von Nozizeptoren und Empfindung von Schmerz sind nicht dasselbe. Es kann sein, dass Rezeptoren und Schmerzafferenzen aktiv sind, ohne dass es zu Schmerzempfindungen kommt; umgekehrt kann quälender Schmerz auftreten, ohne dass in der Peripherie Nozizeptoren gereizt würden. Es kann also zu Dissoziation zwischen peripheren (Erregung von "Schmerzrezeptoren", afferente Leitung von Aktionspotentialen) und zentralen Komponenten des Schmerzes kommen. Das liegt an der Struktur des Schmerzsystems: So kann die zentrale Verarbeitung nozizeptiver Afferenzen das Bewusstwerden dieser Impulse unterdrücken (Beispiel endogene Schmerzblockade,wie durch Endocannabinoide); umgekehrt können Schmerzerlebnisse ohne aktuelle Rezeptoraktivierung erfolgen (Beispiel Schmerzgedächtnis, Phantomschmerz: Neuropathischer Schmerz).
 
     Nozizeptiver Schmerz entsteht durch Aktivierung von Nozizeptoren in der Haut oder darunterliegendem Gewebe durch Verletzungen, und geht üblicherweise mit lokaler Entzündung einher. Neuropathischer Schmerz
entsteht durch direkte Verletzung peripherer oder zentraler Neuronen (zentrale neuropathische Schmerzzustände, z.B. nach Schlaganfällen, bei multipler Sklerose). Zum neuropathischen Formenkreis zählt man auch Phantomschmerzen sowie die Trigeminusneuralgie (deren Pathologie unklar ist).
 
  Nozizeptiver Schmerz spricht auf nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAIDs: Nonsteroidal anti-inflammatory drugs) - in schweren Fällen auch Opioide - an. Im Gegensatz dazu lindern NSAIDs neuropathische Schmerzen nicht, auch Opioide helfen kaum.

Schmerz kann eine physiologische Warnfunktion haben ("physiologischer" Schmerz) oder aber zur Krankheit werden ("pathologischer", chronischer Schmerz,z.B. bei Entzündungen, Virusinfektionen, Neuropathien, Krebs - betrifft im Laufe der Zeit ~20% der erwachsenen Bevölkerung): Hier kann Schmerz ohne direkten Auslöser und nach Verschwinden / Abheilung einer irritierten oder verletzten Körperregion weiterhin fortbestehen. Grundlage sind zentrale Veränderungen, die auf verschiedenen Ebenen (molekular, synaptisch, zellulär, Verschaltung in neuronalen Netzwerken) ablaufen können. NMDA-Rezeptoren spielen bei der Entstehung von chronischem Schmerz eine tragende Rolle.
 
Axonreflex
 
Der Axonreflex ist charakterisiert durch Vasodilatation in der Umgebung einer Hautverletzung: Nozizeptive Nervenfasern sind nicht nur afferent, sondern auch parakrin aktiv. Sie bilden, speichern (vesikulär) und sezernieren (wenn erregt) Neuropeptide, die auf umliegende Gefäße als Entzündungsmediatoren wirken ( Abbildung).


Abbildung: Periphere Sensibilisierung und Axonreflex

C-Fasern leiten aus verletztem Gewebe Schmerzimpulse zum ZNS (Rückenmark, Gehirn). Neben dieser afferenten Funktion laufen Impulse über Kollateralen in benachbartes Gewebe und setzen dort Substanz P und CGRP frei ("Axonreflex"). Das bewirkt Vasodilatation (Rötung) und erhöhte Kapillarpermeabilität (Schwellung) in der irritierten Zone.
 
Degranulierung von Mastzellen und Freisetzung von Histamin kann ebenfalls stattfinden. Histamin kann eine 2-3 cm breiten Rötungszone (flare) um das irritierte Gewebe verursachen.
 
Außer Mastzellen sind auch neutrophile Granulozyten und Makrophagen an der Abgabe von Entzündungsmediatoren beteiligt


Die "inflammatorische Suppe", die durch Wirkung des Axonreflexes im entzündeten Gebiet entsteht, hat mehrere Komponenten. Einige davon:

     Substanz P steigert die Permeabilität von Kapillaren und fördert damit den Flüssigkeitsaustritt (ödematöse Schwellung: tumor)

     CGRP (Calcitonin gene related peptide) entsteht durch alternatives Bearbeiten des Calcitoningens, es wirkt stärker vasodilatierend als Prostaglandine oder Acetylcholin - schon in femtomolarer Konzentration. Es relaxiert die Gefäßmuskelzellen und fördert Erwärmung (calor) und Rötung (rubor) entzündeter Stellen. Substanz P und CGRP fördern die Freisetzung von Histamin aus Mastzellen ( Abbildung). Damit stimulieren sie auch die Schmerzentstehung (dolor)

     Der Wachstumsfaktor NGF erhöht die Empfindlichkeit gegenüber Hitze- und Schmerzreizen über Einfluss auf TRPV1-Kanäle

     Das Zytokin TNFα verstärkt die Entzündungsreaktion sowie die Freisetzung anderer entzündungsfördernder Stoffe

Durch die Wirkung des Axonreflexes werden "stille" Schmerzfasern (Aδ und C), die nicht auf noxische Reize alleine (auch wenn sie gewebeschädigende Intensität haben) reagieren würden, auf Schmerzreize sensibilisiert und tragen dann zur begleitenden Hyperalgesie bei.


Rötung, Erwärmung, Schwellung und Schmerz sind die klassischen Leitsymptome einer Entzündung.
 
Schmerzauslösende Substanzen und Ionenkanäle
 
Rezeptoren  Mediatoren

Schmerzerregende Substanzen können Nervenendigungen direkt depolarisieren und erregen oder sensibilisieren, d.h. für die Erregung durch andere Transmitter empfänglicher machen (z.B. Prostaglandine). Noch vor einer Gewebeschädigung tritt nozizeptiver Schmerz durch intensive mechanische oder thermische Reizung auf (z.B. an Capsaicin-Rezeptoren, einem TRPV1-Kanal); verletzte Zellen und Entzündungsprozesse setzen dann Mediatoren frei, die Entzündungsschmerz verursachen.
 
Schmerzrezeptoren
 
Unmittelbar depolarisierend und damit erregend wirken an Schmerzfasern durch spezielle Ionenkanäle einströmende Kationen (Na+, K+, Ca++, H+). Ionenkanäle in der Membran von Schmerzfasern können aktiviert werden
  
durch Kationeneinstrom (voltage-gated),
   durch Bindung von Signalstoffen wie Serotonin oder ATP (ligand-gated),
   durch Hitzeeinwirkung.

Mechanische Schmerzreize wirken auf mechanisch aktivierte, thermische Schmerzreize auf thermisch aktivierte Nozizeptoren, und beide wirken auf polymodale Rezeptoren. Letztere bewirken verzögerten Schmerz (Leitung über Typ IV-Fasern), erstere sofortigen Schmerz (Leitung über Typ III-Fasern).
 
      Vertreter der TRP-Familie (transient receptor potential channels) - Typ A (ankyrin repeats), M (melastatin), V (vanilloid) - sind nichtselektive Kationenkanäle, die u.a. für die Detektion von Schmerz ( Abbildung), aber auch Temperatur, Geschmack (Capsaicin ist die Substanz, die Chili "scharf" macht), Mechano- und Photosensibilität eine Rolle spielen.
 

Abbildung: TRP-Ionenkanäle und Schmerzentstehung
Nach einer Vorlage in Kandel / Koester / Mack / Siegelbaum (eds), Principles of Neural Sciences, 6th ed. 2021 (McGraw Hill)

TRP-Kanäle sind nichtselektiv für Kationen durchgängig. Sie bestehen aus 4 gleichen Untereinheiten à 6 transmembranalen α-Helices. Die meisten weisen intrazelluläre Ankyrin-Repeat- Domänen auf, mit denen sie am Zytoskelett befestigt sind.
  
Bestimmte Neuronengruppen exprimieren bestimmte TRP-Sensoren und erlangen dadurch Spezifität.
  
Hitze und Wasserstoffionen wirken am extrazellulären, Capsaicin und endogene Agonisten am zellulären Pol von TRPV1-Kanälen und erhöhen deren Öffnungswahrscheinlichkeit. Der Kanal lässt Natrium- und Calciumionen in die Zelle eindringen und depolarisieren sie dadurch.
  
TRPV2-Kanäle reagieren auf gewebeschädigende Temperaturen (>50°C)

Die Capsaicin-empfindlichen TRPV-Rezeptoren (TRPVR1 - V für Vanilloid, den für den Capsaicin-Effekt entscheidenden Stoff) sind besonders für Hitze- (Temperatur über 43°C) und Säurereize empfänglich (H+-Ionen können den TRPVR1 direkt aktivieren). Sie sprechen an auf Inhaltsstoffe z.B. in Chilischoten oder Wasabi, Endocannabinoide (Anandamid) u.a. Sie lassen in geöffnetem Zustand Ca++- und Na+-Ionen in die Zelle passieren. Die Information wird über (langsame) C-Fasern geleitet und vermittelt brennend-schmerzhafte Sensationen, insbesondere den "zweiten" Schmerz bei einer Verbrennung (vgl. TRPM3 weiter unten).

TRPV1-Kanäle sind unspezifische Kationenkanäle, die durch Capsaicin, Wasserstoffionen und Hitze aktivierbar und für Na+, K+, Ca++, H+ durchgängig sind ( Abbildung). Reizung der TRP-Kanäle bewirkt Na+- und Ca++-Einstrom, Depolarisierung, Aktivierung spannungsabhängiger Natriumkanäle und Aktionspotentialauslösung an afferenten nozizeptiven Nervenfasern.

TRPV-Rezeptoren können ihre Empfindlichkeit anpassen. Sie werden sensibilisiert durch Entzündungsmediatoren wie Prostaglandine (
Prostaglandin E2 über Proteinkinase A) und Bradykinin (über Proteinkinase C), mit dem Resulat einer Hyperalgesie / AllodynieAuf diese Weise können in gereiztem Gewebe "schlafende" Schmerzfasern aktiviert werden.

Desensibilisierung
hängt mit intrazellulärem Ca++ zusammen, dessen intrazelluläre Konzentration bei wiederholter Reizung ansteigt (es wird an Calmodulin / Calcineurin gebunden), und mit einem Absinken von PIP2 in der Schmerzfaser. Dieser Effekt erklärt wahrscheinlich den paradoxen analgetischen Effekt von Capsaicin.
 
Der nichtselektive Kationenkanal TRPV1 wird durch Capsaicin geöffnet
 
Der Effekt verstärkt sich bei Temperaturen über 43°C
  
Aktivierte TRPV1-Kanäle werden durchgängig für Ca++ und Na+
 
Entzündungsmediatoren (PG, Bradykinin) sensibilisieren Schmerzrezeptoren
  
Andere TRP-Rezeptoren sind auf Hitze und Kälte ausgerichtet. Kältereize vermitteln insbesondere CMR1- (Cool-menthol-receptor 1) Rezeptoren, sie gehören ebenfalls zur Gruppe der TRP-Rezeptoren; sie sitzen ebenfalls auf C-Fasern.
 
      Höhere Temperaturen als der TRPV1-Rezeptor detektiert der Transient receptor potential cation channel subfamily M member 3-Rezeptor (TRPM3); er findet sich an Nervenfasern des Typs A-δ und übermittelt den ersten, scharfen Schmerz bei einer Verbrennung (vgl. TRPV1).
 
      P2X-Rezeptor (Purinorezeptor - ATP tritt aus verletzten Zellen aus, z.B. Epithel in Gastrointestinal- oder Urogenitalsystem bei starker Dehnung): Dieser Kationenkanal ist außer für Nozizeption - insbesondere chronischen Schmerz - an zahlreichen weiteren Funktionen beteiligt, wie Kommunikation zwischen Nerven- und Gliazellen, Ino- und Chronotropie am Herzen, Einfluss auf den Gefäßtonus, Kontraktion der Harnblase und des ductus deferens, Makrophagenaktivierung, Plättchenaggregation.

P2X-Rezeptoren sind für Na+, K+, Ca++ permeabel, wenn sie ATP binden. ATP tritt aus verletzten Zellen aus und signalisiert dies über P2X-Rezeptoren.

      Wasserstoffionen treten extrazellulär vermehrt bei Verletzung / Entzündung auf. Protonenaktivierte säureempfindliche Natriumkanäle (ASICs: acid sensitive ion channels) lassen bei pH-Abfall Na+ in die Schmerzfaser einströmen. Das tun auch serotoninaktivierte Ionenkanäle (im Rahmen entzündlicher Prozesse entsteht auch Serotonin). Der Serotonin-Typ3- (5HT3) Rezeptor besteht - ähnlich dem nikotinischen Acetylcholinrezeptor - aus 5 Untereinheiten, die um einen zentralen Kationenkanal gruppiert sind. (Andere Serotoninrezeptoren aktivieren G-Proteine.) Im Gastrointestinaltrakt setzen enteroendokrine Epithelzellen (die größte Serotoninquelle des Körpers) auf mechanische oder chemische Reize hin Serotonin frei; etwa 30% der sensorischen Nervenfasern des Colon haben 5HT3-Rezeptoren.
 
Koinzidenzdetektoren: Es gibt spezielle Ionenkanäle, die aus einem Komplex von H+-abhängigen Natriumkanälen und P2X-Rezeptoren bestehen und nur auf die Kombination von steigendem [ATP] und [H+] (sinkendem pH) ansprechen. Sie spielen z.B. bei der Entstehung von kardialem Ischämieschmerz (Herzinfarkt) eine Rolle; steigt nur [H+] oder [ATP] alleine an, reagieren diese Rezeptorkomplexe nicht.
 
Metabotrope Nozizeptoren wirken indirekt - sie sensibilisieren nozizeptive Ionenkanäle. Prostaglandine, Bradykinin, Histamin bedienen sich solcher Mechanismen:

    Prostaglandinrezeptoren sensibilisieren Neuronen im Rückenmark für Schmerz und regulieren Entzündungsvorgänge;
 
    Bradykininrezeptoren mediieren Reaktionen auf pathophysiologische Vorgänge, die u.a. Schmerz verursachen;
 
    Histaminrezeptoren sind an zahlreichen Reaktionen auf Schmerzreize beteiligt, z.B. im Immun- und Nervensystem.
 
Schmerzauslösende Substanzen
 
Die meisten Mediatorstoffe werden nicht gespeichert, sondern bei Verletzungsvorgängen neu synthetisiert. Sie wirken über zwei Wege:

      Direkte Aktivierung von Nozizeptoren oder Erhöhung der Rezeptorempfindlichkeit auf die Wirkung anderer Schmerzmediatoren
 
      Aktivierung von Immunzellen, die ihrerseits Zytokine freisetzen (z.B. durch Wirkung von Histamin, Serotonin,  Eikosanoiden, Zytokinen): Die im Rahmen entzündlicher Vorgänge freigesetzten Mediatorstoffe verstärken die Wirkung der Nozizeptoren.
 
     Tachykinine stellen die größte Gruppe innerhalb der Neuropeptide dar. Tachykinine sind Schmerzmediatoren, wirken gefäßerweiternd, auf andere glatte Muskelzellen kontrahierend, und reizen Nervenzellen.

Die aus 11 Aminosäuren aufgebaute Substanz P gehört zur Gruppe der Tachykinine; sie bewirkt über den Tachykininrezeptor 1 (NK1) intensive Vasodilatation, Filtration und erhöhte Sensitivität von spinalen Schmerzneuronen. Substanz P wird von Nervenzellen und Leukozyten gebildet und steuert auch die Chemotaxis weißer Blutzellen (diese exprimieren den Tachykininrezeptor 1).

Substanz P ist ein Transmitter primärer afferenter Neurone und findet sich vor allem in Aδ- und C-Schmerzfasern: Verletzung, Hitze oder Kontakt mit bestimmten Stoffen (z.B. Capsaicin) führt zu Freisetzung von Substanz P und bewirkt Vasodilatation, Permeabilitätssteigerung der Gefäße und Freisetzung von Histamin und Prostaglandinen aus Mastzellen (neurogene Entzündung), was einerseits Schmerz verursacht, andererseits zur Wundheilung beiträgt.

Kollateralen der Schmerzfasern geben im betroffenen Gewebe u.a. Substanz P ab (im ZNS funktionieren die Fasern glutamaterg), welches an Mastzellen die Freisetzung von Histamin und an Blutgefäßen eine Erweiterung bewirken. Dies fördert entzündliche Veränderungen, welche Hyperalgesie   bewirken, aber auch Reparatur- und Heilungsvorgänge unterstützen (sollen). Substanz P findet sich auch reichlich in der substantia gelatinosa des Hinterhorns.

     Histamin wird hauptsächlich von Mastzellen sowie basophilen und eosinohilen Granulozyten gebildet. Degranulierung - vor allem an Schleimhäuten und im Bereich von Blutgefäßen - führt unter anderem zu immunologischen Folgereaktionen. Geschädigte / gereizte Nozizeptoren geben an ihre Umgebung Substanz P ab, was Mastzellen zur Freisetzung von Histamin veranlasst und Entzündungsreaktionen triggert.
 
Aktivierte Schmerzfasern bringen über Substanz P Mastzellen zur Histaminfreisetzung
  
      Kinine - Oligopeptide, die durch das Enzym Kallikrein aus Vorstufen (Kininogenen) freigesetzt werden - sind nicht nur an Gerinnungsvorgängen, Blutdruckregulation (vasodilatierend) und Entzündungsvorgängen beteiligt, sondern auch an der Schmerzentstehung.

Bradykinin
ist eine der aktivsten schmerzauslösenden Substanzen; es aktiviert direkt G-Protein-gekoppelte Bradykininrezeptoren
Phospholipase C Proteinkinase C (PKC) an A∂- und C-Schmerzfasern. PKC phosphoryliert und aktiviert die schmerzspezifischen TRPVR1-Kanäle, was zu Kationeneinstrom, Depolarisation und Erregung der Nervenfaser führt. Bradykinin erhöht auch die Synthese und Freisetzung von Prostaglandinen aus umliegenden Zellen.
 
 
Abbildung: Sensibilisierung von Schmerzrezeptoren durch entzündliche Vorgänge
Modifiziert nach einer Vorlage bei McMahon / Koltzenburg: Wall and Melzack's Textbook of Pain, 5th ed. Churchill Livingstone, Philadelphia 2006

Gereizte Zellen setzen Mediatoren frei, welche Schmerzfasern indirekt oder direkt sensibilisieren (links). Unterschiedliche nozizeptive Fasern differieren in ihrer Ausstattung mit Rezeptoren. Immunzellen und Keratinozyten üben modulierende Effekte aus (rechts).

Schematische Darstellung (die gezeigte Faser weist eine Vielzahl möglicher Rezeptoren auf)

   A2, P2X = Adenosinrezeptoren    ASICS = acid-sensing ion channels    CRH = Corticotropin-Releasing-Faktor    GIRK = G protein-coupled inwardly rectifying potassium (K) channel    IL = Interleukin    LIF = leukemia inhibitory factor     µ = Opioidrezeptor    M2 = muskarinischer Rezeptor    NGF = Nervenwachstumsfaktor
 
   PAF = Plättchenaktivierender Faktor    PKA / PKC = Proteinkinase A / C    SSTR = Somatostatinrezeptor    TNF = Tumornektor    TrkA = Tyrosinkinaserezeptor A    TTXr = Tetrodotoxin-resistant sodium channel


     Prostaglandine werden durch Zyklooxygenase (COX) -Enzyme aus Arachidonsäure in der Zellmembran abgespalten. Prostaglandine der 2er-Serie (PGE2 u.a.) aktivieren über G-Protein-gekoppelte Prostaglandinrezeptoren über Adenylylcyclase und cAMP die Proteinkinase A (PKA). Wie PKC, phosphoryliert und aktiviert die PKA TRPVR1-Kanäle, was zu Kationeneinstrom, Depolarisation und Erregung der Nervenfaser führt.
 
   Aspirin und andere nicht-steroidale Analgetika blockieren die Aktivität der Zyklooxygenase, senken die Prostaglandinsynthese und werden häufig zur Schmerztherapie angewendet. 
    Serotonin bindet an ionotrope Serotoninrezeptoren der Schmerzfasern; dies sind Natriumkanäle, die durch Serotonin geöffnet werden (s. oben). Serotonin bewirkt darüber hinaus über NO-Bildung Vasodilatation, Ödembildung und Leukozytendiapedese; Rötung und Quaddelbildung sind die Folge.
 
    ATP wirkt schmerz- und entzündungsauslösend, wenn es aus verletzten Zellen freigesetzt wird. Es wirkt über P2X-Rezeptoren (s. oben) an nozizeptiven Nervenfasern fördernd auf die Durchlässigkeit für Na+, K+ und Ca++.
 
 
Abbildung: Verletzung und Schmerzaktivierung, Vasodilatation, Immunsystem
Nach Ren K, Dubner R, Interactions between the immune and nervous systems in pain. Nature Medicine 2010; 16: 1267–76

Werden Zellen verletzt, setzen sie verschiedene Mediatorstoffe frei (H+, Bradykinin, Serotonin, K+, Prostaglandine, NGF..: "Inflammatory soup"). Diese reizen nozizeptive Nervenfasern.
 
Mediatoren aktivieren Toll-like Rezeptoren an Keratinozyten und Mastzellen (MC) nahe an Nervenendigungen und Gefäßen. Degranulation der Mastzellen setzt Stoffe wie Histamin und Heparin frei (zusätzliche Mediatoren).
 
Ebenfalls freigesetzte Vasodilatatoren befördern Anheftung und Migration von Immunzellen, u.a. T-Zellen (T), Neutrophilen (N) und Monozyten (MN) sowie den Nachschub von Makrophagen (Mo). Diese aktivierten Zellen setzen zahlreiche Mediatoren frei, die nozizeptive Rezeptoren stimulieren:


    Zytokinrezeptoren (CytR)    G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR)    ligandenaktivierte Kanäle (LGC) = ionotrope Rezeptoren    Tyrosinkinase-Rezeptoren von Typ I (TrkA) u.a.
 
(1): Mastzelldegranulierung erfordert N-cadherin (N-cad), die Metalloproteinase MMP-24 baut N-cad ab und verhindert Mastzelldegranulierung
 
(2): Freisetzung von TNF-alpha und IL-15 durch Nerven- und Schwann-Zellen aktiviert die Peptidase MMP-9 (Matrix metallopeptidase 9) und rekrutiert Makrophagen
 
(3): Durch antidrome Erregung können schmerzempfindliche Nervenendigungen die Neuropeptide Substanz P (SP) und CGRP sezernieren. Diese Stoffe bewirken Vasodilatation und Extravasation von Immunzellen; sie werden durch neutrale Endopeptidase (NEP) abgebaut


 
Mastzellen wurden ursprünglich der Phagozytose "verdächtigt" (daher der Name). Sie finden sich in der Nähe von Nerven und Gefäßen, Schleimhäuten (Atemwege, Darm), im Corium des Auges u.a. Sie speichern Granula, aus denen sie bei Bedarf Stoffe wie Histamin, Serotonin, Bradykinin und Prostaglandine freisetzen (Degranulation). Sie beteiligen sich an allergischen (Typ I) und anderen Reaktionen, die akute Symptome (u.a. Schmerz) auslösen können.
 Periphere Schmerzafferenz
 
Nozizeptive Nervenfasern haben im Vergleich zu reinen mechano-, kälte- oder wärmeempfindlichen Afferenzen eine relativ hohe Reizschwelle. Sie informieren das Gehirn über potentiell schädliche (mechanische, thermische, chemische) Reize. Die Ansprechcharakteristik ist meist multimodal und nicht-adaptiv.
 
Nozizeptoren sind multimodal und adaptieren nicht
 
Reizung von Nozizeptoren führt zu Veränderungen der Ionenströme der Nervenmembran, diese werden durch Aktivierung von Natriumkanälen verstärkt und dies löst Aktionspotentiale aus, die über "Schmerzfasern" nach zentral geleitet werden. Dabei unterscheidet man
 
     einen ”ersten“, schnell geleiteten und gut lokalisierbaren, rasch abklingenden ”Delta-Schmerz“ (nach der Leitung über Nervenfasern des Typs A-δ), und

     einen ”zweiten“, schlecht lokalisierbaren, dumpf-brennenden, langsam abklingenden, quälenden ”C-Schmerz“ - benannt nach Nervenfasern der Gruppe C, welche die langsamste Leitungsgeschwindigkeit (≤1 Meter pro Sekunde) aufweisen. (Die langsamsten von ihnen reagieren auf Histamin und übertragen das Jucken.)

Aktionspotentiale von Nozizeptoren werden über rasch (Aß), mäßig schnell (Aδ) und langsam leitende (C-) Fasern vom Körper (periphere Innervation) in das Rückenmark bzw. vom Gesichtsbereich (Trigeminus) in den Hirnstamm geleitet.

A-Fasern leiten rascher und ermöglichen größere Entladungsfrequenzen sowie ein höheres Auflösungsvermögen als C-Fasern. Häufig werden die Kürzel AMH bzw. CMH verwendet: A- bzw. C-Faser mit Mechano- und Hitze-Sensibilität. Weiters spricht man von MSAs (Afferenzen, die auf mechanische Reize ansprechen, also sensitiv sind) und MIAs (Afferenzen, die auf mechanische Reize kaum ansprechen, also auf diese praktisch insensitiv sind - MIAs sind 30-50% der Schmerzafferenzen aus der Haut und wahrscheinlich ein geringerer Prozentsatz aus den Eingeweiden).

Nozizeptive Fasern können nach "Markern" unterschieden werden, d.h.
 
      Molekülen, die sie in ihrer Membran tragen (Rezeptoren, Glykokonjugate),
 
     Molekülen, die sie speichern und freisetzen (z.B. Peptide),
 
     Enzymen, die sie exprimieren bzw. nutzen.

Damit lassen sich Schmerzfasern zusätzlich definieren (z.B. sind praktisch alle viszeralen Schmerzafferenzen peptiderg, aber nur jede zweite von der Haut; bestimmte Neuronen projizieren in bestimmte Rückenmarkszonen, etc). Entzündliche Veränderungen wirken sich auf das Muster exprimierter Marker aus.
 

Abbildung: Komponenten des Schmerzes

Die Reihenfolge des zeitlichen Auftretens ist durch Zahlen gekennzeichnet

ANS = Autonomes ("vegetatives") Nervensystem



Von der Haut leiten nichtmyelinisierte (C-) Fasern Hitzeschmerz von unbehaarter Haut der Hände sowie Schmerz durch anhaltenden Druck; myelinisierte (A-) Fasern scharfen Schmerz von Hitzewirkung auf behaarte Haut sowie von scharfer mechanischer Reizung. Beide Fasergruppen leiten Schmerz, der durch chemische Reize entsteht. Die Lokalisierung von Schmerzreizen ist in der Haut (rezeptive Felder nozizeptiver C-Fasern ~100 mm2) gut; die Zahl der "Schmerzpunkte" ist hoch, sie übersteigt die der Druckpunkte um eine Zehnerpotenz.

Muskelschmerzen
entstehen durch diverse noxische Reize (ATP, Prostaglandine, Zytokine, H+...); hier gibt es Überschneidungen zu einer Art der Mechanosensitivität, die dem Gehirn den Belastungsgrad der Muskelzellen mitteilt. Die Lokalisierbarkeit von Schmerzreizen im Muskel ist geringer als in der Haut, aber besser als in den Eingeweiden. "Muskelkater" entsteht durch Mikrotraumen im Muskelgewebe,
Gelenkschmerzen entstehen durch Defekte (z.B. Einrisse) oder Entzündungen (z.B. Osteoarthritis) im Bereich von Kapsel, Bändern und Synovialschleimhaut; die Lokalisation ist sehr gut.

Auch nozizeptive Afferenzen aus den Eingeweiden werden durch chemische, thermische sowie mechanische Reize - Dehnung von Hohlorganen oder Mesenterium (dieses enthält u.a. Pacini-Körperchen) - ausgelöst, ferner durch Unterdurchblutung (Ischämie) sowie Substanzen, die bei Entzündungen freiwerden. Das parietale Peritoneum ist wesentlich stärker schmerzempfindlich als das viszerale.
    

Abbildung: Viszeraler Schmerz: Projektion in Hirnstamm und Rückenmark
Nach einer Vorlage in Barrett KE, Barman SM, Boitano S, Brooks H, in:  Ganong's Review of Medical Physiology, 23rd ed. McGraw-Hill 2009

Viszerale Afferenzen laufen über verschiedene Nervenbahnen, wobei weite Bereiche sowohl vagal als auch über Fasern, die in das Rückenmark projizieren, afferent versorgt werden:
 
  Nozizeptive Fasern, die in den Hirnstamm projizieren, nutzen Hirnnerven (IX und X - der N. vagus innerviert praktisch alle Brust- und Baucheingeweide und übernimmt Aspekte des Eingeweideschmerzes) und liegen über der "Thorax-Schmerzlinie"
 
  Nozizeptive Afferenzen, die in das Sakralmark projizieren, liegen unter der "Becken-Schmerzlinie"
 
  Andere viszerale Schmerzfasern projizieren in das dazwischenliegende Rückenmark (zervikal, thorakal und lumbal), sie liegen zwischen den beiden Schmerzlinien. Sie teilen sich die Schmerzversorgung der Eingeweide mit Fasern des X. Hirnnerven
 
Reizung unterschiedlicher schmerzsensibler Neurone aus ein und demselben Organ kann differente Reaktionen zeitigen: So bedingt Stimulierung zervikothorakal projizierender noxischer Afferenzen vom Herzen Tachykardie (Sympathikus) und Anginaschmerz, diejenige von vagalen Schmerzafferenzen hingegen Bradykardie (Parasympathikus) und Übelkeit.
 
Die Zuordnung der "Schmerzlinien" erfolgte ursprünglich in Hinblick auf die in der Abbildung angedeutete autonom-nervöse Strukturierung des ZNS (sympathisch: Thorakolumbalmark; parasympathisch: Hirnstamm und Sakralmark)

Die Lokalisierbarkeit einer Schmerzquelle ist im viszeralen Bereich ausgesprochen ungenau und im Charakter diffus (so führt Aufblasen eines Ösophagusballons auf mehr als 40 mmHg zu z.T. intensiver retrosternaler Beklemmung mit Schmerzausstrahlung z.B. in Schulter, Hals und Kiefer; Gewebeverletzungen in den Eingeweiden werden u.U. überhaupt nicht wahrgenommen).

Viszerale Schmerzprojektionen und funktionelle Reaktionen sind von Organ zu Organ unterschiedlich. Viszeraler Schmerz kann reflektorisch die Skelettmuskulatur aktivieren, und es kann durch polysynaptische Verschaltungen nicht nur zu Kontraktionen im betreffenden Rückenmarksegment, sondern auch in anderen Regionen kommen, z.B. Verspannungen der gesamten Bauchmuskulatur bei Peritonitis (Bauchfellentzündung).

Afferente Fasern der viszeralen Schmerzleitung geben oftmals Kollateralen zu prävertebralen Ganglien ab, schalten dort um und beeinflussen so motorische, Sekretions- oder endokrine Aktivitäten der Eingeweide. Im Rückenmark erfolgen synaptische Umschaltungen im Hinterhorn (lamina I und II - substantia gelatinosa), in benachbarten
Rückenmarkssegmenten (Wirkung auf sympathische / parasympathische Neuronen sowie auf die laminae V und X), sowie Projektionen in das Gehirn.
 
Übertragener Schmerz: Head-sche Zonen
 
Übertragener Schmerz (referred pain): Schmerzhafte Irritation innerer Organe bedingt Überempfindlichkeit / Schmerzempfinden bestimmter Hautareale ("übertragener" Schmerz). Diese als Head-sche Zonen bezeichneten Hautflächen haben diagnostische Bedeutung ( Abbildung).

 
Abbildung: Head'sche Zonen
Nach Purves / Augustine / Fitzpatrick / Katz / LaMantia / McNamara / Williams, Neuroscience 2nd ed.Sunderland: Sinauer Associates 2001

Die Abbildung zeigt typische Projektionsgebiete innerer Organe auf die Haut (Head-sche Zonen). Die in die jeweiligen Hinterhornsegmente des Rückenmarks eintretenden Schmerzimpulse werden im Gehirn als von den entsprechenden Hautsegmenten stammend interpretiert (übertragener Schmerz, referred pain).
 
An diesen Hautarealen empfundene Überempfindlichkeit bzw. Schmerzphänomene geben diagnostische Hinweise auf innere Erkrankungen (z.B. Herzinfarkt)




Der Schmerz entsteht dadurch, dass
über die Spinalnerven somatosensible und viszerosensible Impulse nebeneinander übertragen werden, die auf gemeinsame Interneurone konvergieren. Das an Impulse von "außen" gewöhnte Gehirn weiß nicht, ob die über den tractus spinothalamicus einlangende Information aus der Tiefe oder von der Körperoberfläche stammt und ordnet sie den entsprechenden sensiblen Hautgebieten zu.
 

Grundlage für übertragenen Schmerz ist die Konvergenz somatischer und viszeraler Afferenzen im spinalen Hinterhorn
 
Der in den linken Arm ausstrahlende Schmerz bei einem Myokardinfarkt ist ein übertragener Schmerz
 
Projizierter Schmerz: Das Gehirn ordnet alle über Afferenzen eintreffenden Informationen dem Ursprungsbegiet des betreffenden Nerven zu, also z.B. Schmerzreize auch dann, wenn diese im Nerven selbst entstehen (z.B. schmerzt die Hand auf der Kleinfingerseite wie nach einem Stromschlag, wenn der Ulnarisnerv in der Ulnarisrinne der Ellenbogeninnenseite gequetscht wird - "narrisches Bein").
 
Direkte Nervenreizung kann z.B. mechanisch erfolgen und betrifft u.a. Schmerzfasern
 
Das Gehirn interpretiert diese Impulse schmerzhaft
(projizierter Schmerz)
 
Weiterleitung und zentrale Verarbeitung
    
Die Fasern des Schmerzsystems ziehen nach ihrem Eintritt ins Rückenmark (vom Gesicht: in den Hirnstamm) einige Segmente auf- und abwärts (in der - der substantia gelatinosa außen aufliegenden - Lissauer'schen Zone ). Sie schalten dann glutamaterg sowie mittels Substanz P (das durch höhere Aktionspotentialfrequenzen aus Speichervesikeln freigesetzt wird und intensiven Schmerz verursacht) auf das nächste Neuron.
 
Vom 1. auf das 2. Schmerzneuron wird im Hinterhorn glutamaterg umgeschaltet
 
      Langsam leitende C-Fasern projizieren vor allem auf die Laminae I und II (etwa gleichzusetzen mit der substantia gelatinosa) - diese enthalten vor allem kurze Interneurone,
 
      Schneller leitende Aδ-Fasern schalten in den Laminae I und V des Hinterhorns um (hier können auch Kollateralen somatisch afferenter Aβ-Fasern - deren Axone ipsilateral zu Hinterstrangkernen aufsteigen - umschalten).

Viele Neuronen in der lamina I reagieren selektiv auf Schmerzeingänge (nociceptive-specific neurons); sie projizieren auf Neurone in Mittelhirn und Thalamus. Andere reagieren auch auf andere Sinnesmodalitäten (z.B. Kälte) und heißen wide dynamic range (WDR-) Neurone.

Diese Umschaltungen im Hinterhorn können Angriffspunkt für schmerzverstärkende Veränderungen sein. Traumatische Veränderungen wie chronische Rückenschmerzen oder Amputation einer Extremität können hier zu verstärkter synaptischer Effizienz führen, an denen Gliazellen (Astrozyten, Mikroglia) beteiligt sind.

Die Schmerzprojektionen verlaufen getrennt von anderen somästhetischen Afferenzen und werden parallel zu diesen verarbeitet. Kollaterale Äste wirken über kurze auf- und absteigende Neuronen auf Nachbarsegmente des Rückenmarks. Nach der synaptischen Zwischenstation im Hinterhorn übernehmen lange aufsteigende Fasern die Schmerzprojektion zum Gehirn.

Schmerzinformation wird hauptsächlich über vier aufsteigende Systeme zum Gehirn projiziert - den tractus spino- und trigeminothalamicus, den tractus spinoreticularis, den tractus spinoparabrachialis und den tractus spinohypothalamicus:

     Die spinothalamische Bahn (tractus spinothalamicus lateralis, anterolaterales System) ist die führende Schmerzprojektion zum Gehirn. Ihre Fasern stammen aus den Rexed-Zonen I sowie V bis VII des Hinterhorns. Diese kreuzen nahe ihrem Ursprungssegment auf die Gegenseite und ziehen antertolateral (im Hirnstamm neben dem lemniscus medialis gelegen) nach zentral. Der tractus spinothalamicus vermittelt Nozizeption von Haut, Gelenken und Muskeln und endet im Thalamus.

Hier erfolgt die Umschaltung auf ein drittes Neuron, wobei die Ortung des Schmerzes sowie dessen Art, Dauer und Intensität berücksichtigt wird (Diskrimination). Die thalamischen Adressaten der aufsteigenden Schmerzfasern sind einerseits der nucl. ventralis posterolateralis (Schmerzkomponenten von anderen somatosensorischen getrennt repräsentiert), andererseits intralaminäre Kerne (breite kortikale Projektion).

Kollateralen gelangen im Hirnstamm  zu Kerngebieten (wie zentrales Höhlengrau, formatio reticularis), die schmerzabhängiges Verhalten (z.B. Aufschreien) auslösen, also noch vor der Möglichkeit einer Kontrolle durch das Gehirn (soziale Warnfunktion).

 
Der Thalamus (laterale Kerne) vermittelt die diskriminatorische Schmerzkomponente
 
Der Thalamus projiziert schließlich auf den sensomotorischen Kortex, der Entstehungsort und Intensität des Schmerzreizes erkennt. Das ermöglicht Interozeption des Eingeweideschmerzes - endokrine, autonom-nervöse und Verhaltensänderungen sind die Folge.

Für die trigeminothalamische Bahn (
V, N. trigeminus: Gesicht, Mund..) gilt ein analoges Schaltprinzip. WDR-Neurone (wide dynamic range) vermitteln multimodale sensorische Information; nach Umschaltung im spinalen Trigeminuskern und Seitenkreuzung ziehen Fasern des trigeminalen Lemniscus zum lateralen Thalamus.
 
Neben der spinothalamischen und trigeminalen Bahn gibt es weitere schmerzleitende (und Information über Temperatur vermittelnde) Systeme via alle Ebenen des Hirnstamms; diese tragen einerseits brennende und quälende, andererseits "weckende" Komponenten bei.

      Die spinoretikuläre Bahn (tractus spinoreticularis) entspringt in laminae VII und VIII des Hinterhorns und projiziert über Umschaltungen im Bereich der formatio reticularis zum medialen Thalamus. Dieses System überträgt diffuse, unscharf lokalisierbare Schmerzinformation.

      Die spino-parabrachiale Bahn projiziert über Umschaltungen im Bereich formatio reticularis und nucl. parabrachialis zum medialen Thalamus und zu limbischen Strukturen. Sie vermittelt emotionale und aversive Komponenten, die über limbisch-motorische Zugänge vermittelt werden (Mimik, Schreie,..) und beeinflussen den Wachzustand.

      Die spino-hypothalamische Bahn führt Axone aus laminae I, V, VII und VIII. Die hypothalamischen Neurone, auf die sie projizieren, regulieren Kreislauf- und neuroendokrine Reaktionen auf Schmerzmeldungen.
 
Mehrere thalamische Kerne vermitteln Schmerzinformation an Adressaten im Gehirn, insbesondere die laterale (VPL, VPM, Pulvinar - diese Kerne vermitteln präzise Ortung der Schmerzquelle, fußend auf Information aus kleinen rezeptiven Feldern) und die mediale Kerngruppe (mediodorsal, zentrolateral, intralaminar).
 

Abbildung: Schmerzafferenz und subkortikale / kortikale Schmerzverarbeitung
Nach Schweinhardt P, Bushnell MC. Pain imaging in health and disease - how far have we come? J Clin Invest. 2010; 120: 3788-97

Die somatosensorischen Rindengebiete S1 und S2 sowie der gyrus cinguli erhalten periphere Information über den Thalamus (der gyrus cinguli vermittelt u.a. motorische Antworten auf Schmerzreize). Der Insel- und präfrontale Kortex sowie die Amygdala spielen für Schmerzverarbeitung eine zentrale Rolle. Schmerz aktiviert auch Basalganglien (Striatum) und das Kleinhirn.

ACC, anterior cingulate cortex, vorderer gyrus cinguli  Amyg, Mandelkerne  BG, Basalganglien    M1, primärer Motorkortex  HT, Hypothalamus  PAG, periaquäduktales Grau (zentrales Höhlengrau)  PB, nucl parabrachialis (dorsolaterale Brücke)  PCC, posteriorer gyrus cinguli  PFC, präfrontaler Kortex  PPC, posteriorer Parietalkortex  S1 / S2, primäre / sekundäre somatosensorische Rinde  SMA, supplementär-motorisches Areal

Die Schmerzverarbeitung erfolgt nicht in einem einzelnen Zentrum; vielmehr sind zahlreiche Gehirnregionen beteiligt. Das betrifft sowohl Oberflächen- wie auch Tiefen- und viszeralen Schmerz. Beteiligt sind vor allem:
      Der somatosensorische Kortex, in den auch Schmerzinformation somatotop organisiert abgebildet wird;
      die Mandelkerne ermöglichen emotionale Konditionierung sowie emotions-und affektrelevante Lernvorgänge, insbesondere in Verbindung mit Verunsicherung, Angst und Schmerz;
      der mediale präfrontale Kortex ist das sensori-motorische Viszeralgehirn. Reizung dieses Areals ruft verschiedene vegetative Effekte hervor, wie Veränderungen des Blutdrucks oder Kontraktion des Magens. Es besteht aus zwei interagierenden funktionellen Zonen:
 
      Rostrale Insel. Diese erhält Schmerzinformation sowohl vom Thalamus als auch von den Mandelkernen; sie integriert sensorische, affektive und kognitive Komponenten des Schmerzerlebnisses. Fällt die Insel aus, werden Ort und Intensität des Schmerzes immer noch korrekt wahrgenommen, die affektive Komponente verschwindet aber (Schmerz-Asymbolie).
 
      Vordere Spitze der Gürtelwindung: Sie vermittelt u.a. motorische Antworten auf Schmerzreize. Der vordere gyrus cinguli ( Abbildung: ACC - anterior cingulate cortex) ist ein Teil des limbischen Systems. Zusammen mit der Insel, aber auch dem posterioren gyrus cinguli ist der ACC in die emotionale Verarbeitung und Gewichtung von Schmerzen eingebunden, seine Aktivierung korreliert mit der Intensität der Schmerzempfindung (oder deren Erwartung).
 
Der gyrus cinguli anterior vermittelt die affektive Schmerzverarbeitung (Angst usw)
 
Bei chronischen Schmerzzuständen - und dem damit verbundenen Gefühl der Hilflosigkeit - nimmt das Volumen des dorsolateralen Präfrontalkortex rapide ab.

Modulierung der Schmerzleitung durch absteigende Impulse erfolgt im zentralen Höhlengrau, locus coeruleus und in der rostralen ventromedialen medulla oblongata. Schmerzen an der Körperoberfläche führen typischerweise zu Abwehr- und Schutz- (Flexor-) Reflexen, solche aus der Tiefe, insbesondere viszerale Schmerzen zu emotionalen, Vermeidungs- und vegetativen (autonom-nervösen) Reaktionen.

 
   Über schmerzinduzierte reflektorische Aktivierung von Flexoren s. dort 
    
Schmerzmodulation
 
Die Bearbeitung von Schmerzinformation im ZNS erfolgt nicht nur afferent, sondern auch efferent. Auf diese Weise fällt das Schmerzempfinden bei gegebener aufsteigender nozizeptiver Impulsaktivität unterschiedlich stark aus. So kann es im Schlaf reduziert sein, oder wenn die Aufmerksamkeit auf andere Probleme gerichtet wird ("Ablenkung"). Man spricht von Schmerzmodulation. Diese kann schon durch periphere Rückkopplungen erfolgen oder durch übergeordnete Verschaltungen (Abbildungen):
 

Abbildung: Möglichkeiten peripherer Schmerzmodulation
Nach einer Vorlage in Liqun Luo, Principles of Neurobiology, 2nd ed. CRC Press 2021
Im Rahmen von Entzündungen oder bei Beschädigung setzen Zellen Stoffe wie Prostaglandine oder Bradykinin frei. Diese werden von heptahelikalen Rezeptoren (GPCRs) gebunden, second messengers werden im nozizeptiven Neuron freigesetzt. Das aktiviert oder sensitiviert Ionenkanäle (TRPV1, TRPA1) und steigert das Schmerzempfinden (Hypersensitivität). Die second messengers haben auch weitere Wirkungen und können in die Genexpression eingreifen. Langfristige Veränderungen des Schmerzempfindens können die Folge sein.
 
Sensorische Nervenendigungen geben auch Neuropeptide an ihre Umgebung frei (z.B. Substanz P oder CGRP). Diese regen wiederum benachbarte Zellen zur Freisetzung z.B. von Bradykinin und Prostaglandinen an


Die Schmerzmodulation fängt schon bei den peripheren Endigungen sensorischer Neurone an ( Abbildung). Verletzungen bedingen erhöhte Schmerzempfindlichkeit (Sensitivierung) des betroffenen Gebietes, bedingt durch die Freisetzung von Entzündungsmediatoren. Prostaglandine (Lipide) oder das Peptid Bradykinin binden an Rezeptoren und triggern dadurch intrazelluläre Folgereaktionen; das Neuron gibt Neuropeptide an seine Umgebung ab, die wiederum Immunzellen und Epithelien zur Produktion von schmerzauslösenden Mediatoren anregen (neurogene Entzündung).
 

Abbildung: Möglichkeiten zentraler Schmerzmodulation
Nach einer Vorlage in Liqun Luo, Principles of Neurobiology, 2nd ed. CRC Press 2021

Nervenzellen im Hinterhorn des Rückenmarks beeinflussen die synaptische Übertragung zwischen nozizeptiven sensorischen Neuronen und weiterleitenden Hinterhornfasern. Sie setzen endogene Opioidpeptide frei, welche über Opioidrezeptoren die Glutamatsekretion sensibler Neurone dämpfen und die Depolarisierung postsynaptischer Neurone im Hinterhorn reduzieren.
 
Die Aktivität opioiderger Neurone wird ihrerseits durch deszendierende Fasern beeinflusst, welche ihren Ursprung im Hirnstamm haben, Noradrenalin, Serotonin oder GABA als Neurotransmitter verwenden und Hinterhornneurone prä- oder postsynaptisch modulieren.
 
+/-  bedeutet, dass die Erregbarkeit der Zielneurone gesteigert oder herabgesetzt werden kann


Nozizeptive Neurone können in zwei Richtungen wirksam sein: Sie signalisieren Schmerzsignale an das Gehirn, im Rahmen ihrer Aktivität  können ihre peripheren Endigungen gleichzeitig auch Neuropeptide freisetzen und auf diese Weise lokale Immunantworten beeinflussen. Opioidrezeptoren (die im ZNS weit verbreitet exprimiert werden) finden sich sowohl in präsynaptischen Endigungen sensorischer Fasern wie auch postsynaptisch in Hinterhornneuronen. Werden sie angeregt, sinkt die Transmitterfreisetzung sensorischer Neurone und die Ansprechbarkeit von Hinterhornzellen ( Abbildung), was analgetisch wirkt.

Auch GABA-, serotonin- und noradrenerge Neurone in Hirnstammkernen verfügen über zahlreiche Opioidrezeptoren, auch hier kann der Schmerz beeinflusst werden - abgeschwächt oder verstärkt, je nach Typ der absteigenden Fasern und der Zielzellen im Hinterhorn.

 

Abbildung: Hyperalgesie und Allodynie; Schmerzleitung über den spinothalamischen und parabrachialen Weg
Nach Kuner R, Central mechanisms of pathological pain. Nature Medicine 2010; 16: 1258–66, sowie (Inset) Liqun Luo, Principles of Neurobiology, 2nd ed. CRC Press 2021

Inset: Verletzungen und Entzündungen verschieben die normale Empfinungskurve (blau) nach links (rote Kurve). Dadurch werden nicht-noxische Reize bereits als schmerzhaft (Allodynie) und nur geringgradig noxische Reize als deutlich schmerzhaft empfunden (Hyperalgesie).

Rechts: Schmerzafferenzen von taktilen Schmerzsignalen über Aß-Fasern und den tr. spinothalamicus zum lateralen Thalamus und von dort auf Kortexareale mit hoher Ortsauflösung (sensorisch-diskriminativ), sowie über Aδ und C-Fasern (mechanische, thermische, chemische Reize) und den spino-parabrachialen Weg zum limbischen Kortex (emotional-aversive Reaktionen)


Bei verstärkter Wahrnehmung von Schmerzreizen spricht man von Hyperalgesie - einer Form von Hyperästhesie (=gesteigerte Empfindlichkeit afferenter Nerven). An der Stelle der Verletzung entsteht primäre Hyperalgesie, in der Umgebung sekundäre Hyperalgesie - bedingt durch die Sensitivierung von Neuronen im ZNS.

Verschiedene nicht-noxische Reize können die Empfindlichkeit des Schmerzsystems steigern (die Schmerzschwelle senken); man spricht von Allodynie
. Dabei kommt es bereits bei geringer Reizintensität zu deutlicher Schmerzwahrnehmung (pathologischer Schmerz, rot in der Abbildung).
 
Endogene Schmerzhemmung
 
Deszendierende Systeme Zentrales Höhlengrau Endocannabinoide Endorphine

Der Körper verfügt über ein antinozizeptives System, das Schmerzafferenzen unterdrücken und dadurch u.a. physiologische Funktionen in akuten Krisenlagen unterstützen kann (Schmerzunempfindlichkeit bei extremer Stress-Situation). Man unterscheidet Mechanismen der absteigenden (deszendierenden) und aufsteigenden (aszendierenden) Schmerzmodifikation:

Das deszendierende System entspringt im Frontalhirn und im Hypothalamus, beide projizieren auf das zentrale Höhlengrau. Dieses projiziert weiter auf Raphe-Kerne der Pons sowie über den tractus reticulospinalis zu den Hintersäulen des Rückenmarks. Diese serotoninerge Projektion erfolgt auf inhibitorische Neurone, die übertragene Schmerzimpulse inhibieren.
 
Neuronen in den Raphekernen projizieren serotoninerg auf Neurone in den Hinterhörnern und hemmen die Schmerzübertragung
 
Opioiderge   Interneurone in der lamina II setzen Dynorphine oder Enkephaline frei und hemmen so das Entladungsverhalten spinothalamischer Projektionsneurone. Zur serotoninergen deszendierenden Schmerzhemmung kommt eine noradrenerge aus dem locus coeruleus.
 
Deszendierende Systeme
  
Auf der Ebene des Hinterhorns erfolgt also bereits eine komplexe Modifikation der Schmerzleitung. Über dieses deszendierende 'Kontrollsystem' können aufsteigende Schmerzimpulse 'abgefangen' werden, bevor sie an zentralere Orte gelangen. Am Hinterhorn konvergieren die deszendierenden Bahnen zur Schmerzmodifikation.


 
Abbildung: Afferente und efferente Beeinflussung der Schmerzleitung
Nach Mendell LM, Computational functions of neurons and circuits signaling injury: Relationship to pain behavior. PNAS 2011; 108 S3: 55596-601

Nozizeptive Eingänge (Aδ- und C-Fasern) in oberflächliche Schichten des Hinterhorns sind exzitatorisch (+). Aβ-Fasern haben auch inhibitorische Wirkungskomponenten (-).
 
Aus der rostralen ventromedialen medulla (RVM) des Hirnstamms absteigende Systeme wirken exzitatorische (ON-Zellen) und inhibitorische (OFF-Zellen) auf die Schmerzafferenz im Hinterhorn, und werden vom mesenzephalen zentralen Höhlengrau (periaquäduktales Grau, PAG) getrennt angeregt.
 
Das zentrale Höhlengrau projiziert auch auf die Raphekerne und kann so die Schmerzafferenz aus dem Rückenmark modulieren. Es wird seinerseits von Hypothalamus, Amygdala und gyrus cinguli anterior gesteuert. RVM, PAG und Hypothalamus unterliegen Einflüssen durch aufsteigende Schmerzprojektionen.
 
Parallel dazu existieren noradrenerge Einflüsse aus dem pontinen Tegmentum, die reziprok mit dem PAG-RVM-System verbunden sind (nicht gezeigt)


Die Rolle der zahlreichen Interneurone der oberflächlichen Rexed-Zonen des Hinterhorns (glutaminerge exzitatorische, GABAerge inhibitorische) in diesem Zusammenhang ist Gegenstand der Forschung. Klar ist, dass diese Interneurone zahlreiche Cofaktoren und Rezeptoren exprimieren, und dass hier große Flexibilität besteht (Hinauf- oder Hinunterregulierung, z.B. bei entzündlichen Veränderungen).

Auch Lustgefühle haben schmerzblockierende Wirkung, wie sexuelle Aktivität oder im "high" körperlicher Hochleistung. Der Körper wird dadurch in die Lage versetzt, Tätigkeiten ohne besondere Irritation durch Schmerzreflexe zu vollenden.

Berührung kann über Hyperalgesie zu schmerzhaften Sensationen führen, umgekehrt kann die Aktivität von Schmerzfasern durch Reizung von Mechanorezeptoren (und Aß-Fasern) reduziert werden (Reiben schmerzender Hautstellen, Akupunktur u.a. lindern den Schmerz).
 
Gate-Control
-Theorie und aszendierende Schmerzhemmung. Eine der Möglichkeiten, die Schmerzleitung zu schwächen oder Schmerz auszuschalten, besteht in einer Interaktion von Oberflächensensibilität und Schmerzleitung ( Abbildung):
 
 

Abbildung: Konvergenz auf Projektionsneuronen und Schmerzmodulation
Nach einer Vorlage bei Pearson Education 2011

Nach der Gate control-Theorie besteht für die Weiterleitung der Schmerzinformation (C-Faser, links) ein "Tor" zu thalamopetalen Projektionsneuronen (links oben). Aktivität nicht-nozizeptiver Mechanosensoren (rasche Aß-Fasern, rechts) kann dieses "Tor" durch Anregung inhibitorischer Interneurone (orange) schließen, bevor Impulse von Schmerzrezeptoren (langsame C-Fasern, links) eintreffen und die Aktivität der Interneurone hemmen.

+ = exzitatorische, - = inhibitorische Synapse. Das inhibitorische Interneuron wird durch -Fasern aktiviert, durch Schmerzfasern gehemmt

 

 
Schmerzleitende C-Fasern betreten das Hinterhorn und schalten auf ein Projektionsneuron zum Thalamus ( Abbildung links). Diese Umschaltung unterliegt einem "Kontrolltor" (gate): Erregung mechanosensibler Rezeptoren in der Haut sendet Aktionspotentiale über A-Fasern zu den Hintersträngen, und Kollateralen dieser Fasern regen auf der Höhe des Eintritts ins Rückenmark inhibitorische Interneurone an. Dies schwächt die Aktivierung des Projektionsneurons, das Schmerzimpulse erhält, und damit die Schmerzleitung an den Thalamus (aszendierende Schmerzhemmung).

Ein einfacher Versuch demonstriert dieses Phänomen: Ischämie (z.B. mittels Manschette) schaltet zuerst die Empfindung von Druckreizen (Aß) aus, die Inhibition der Schmerzübertragung fällt aus, und die Schmerzempfindung (C) im betroffenen Gebiet - z.B. durch Kneifen, Stechen oder lokalen Kältereiz - ist gesteigert (brennender Schmerz mit herabgesetztem Diskriminierungsvermögen).

Die inhibitorischen Interneurone werden durch Kollateralen der C-Faser gehemmt; diese Disinhibition "sichert" die Schmerzübertragung vom primären auf das sekundäre noziduktive Neuron im Hinterstrangkern. Dieser Mechanismus funktioniert am besten, wenn er nicht durch aszendierende Schmerzhemmung "gestört" wird.

Der schmerzhemmende Effekt mechanischer Stimulation kann verschiedentlich genutzt werden (Reiben verletzter Körperteile wirkt schmerzlindernd) und spielt wahrscheinlich auch bei Akupunktur / Akupressur eine Rolle. Das Verfahren der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS), bei der die Applikation schwacher Stromreize - gerade überschwellig für gut myelinisierte, aber noch unterschwellig für C-Fasern - schmerzverringernd wirkt, beruht ebenfalls auf diesem Effekt.

Im Hinterhorn des Rückenmarks konvergieren verschiedene periphere Neuronen (teils somatosensorische, teils nozizeptive) gemeinsam auf wide dynamic range- (WDR) Neurone. Diese Verschaltung ist Angriffspunkt für die Modulation durch andere Neurone:

      Afferente Aβ-Fasern hemmen die Übertragung auf WDR-Neurone über metabotrope Glutamatrezeptoren - auf diese Weise wird die Übertragung nozizeptiver Impulse auf Projektionsneuronen durch gleichzeitige mechanosensible Afferenz abgeschwächt (gate control theory)

      Deszendierende Bahnen aus zentralem Höhlengrau und Raphekernen hemmen die Übertragung auf WDR-Neurone serotoninerg

      Deszendierende Bahnen aus zentralem Höhlengrau und Raphekernen innervieren hemmende Interneurone, die endogene Opioide freisetzen (Erklärung des zentralen Opioid-Wirkungsmechanismus)
 
Zentrales Höhlengrau
  
Das zentrale Höhlengrau des Mittelhirns (PAG: periaqueductal grey, central grey, Abbildung) - es umschließt den aquaeductus cerebri (Sylvische Wasserleitung ) - spielt für die deszendierende Schmerzhemmung zusammen mit Raphe- und Coeruleuskernen eine Schlüsselrolle. Es erhält Afferenzen aus einem Großteil des zentralen autonomen Systems, projiziert auf die formatio reticularis (Raphekerne) und ist mit dem Großhirn (präfrontaler Kortex, Mandelkerne, Hypothalamus) reziprok verknüpft.


Abbildung: Zentrales Höhlengrau und Schmerzmodulierung
Nach Thakur M, Dickenson AH, Baron R. Osteoarthritis pain: nociceptive or neuropathic? Nature Rev Rheumatol 2014; 10: 374-80

Das zentrale Höhlkengrau (PAG) kann die Schmerzübertragung sowohl hemmen (endogene Schmerzlinderung) als auch verstärken, z.B. bei übertragenem Schmerz in einem Gebiet, das über Projektionsneuronen und zentrale Sensibilisierung überempfindlich geworden ist

Auf diese Weise ist es komplex in kognitive sowie emotionale Vorgänge eingebunden - ermöglicht durch Fasern, die von gyrus cinguli, Insel, Hypothalamus und Mandelkernen zum zentralen Höhlengrau absteigen. So hilft es beispielsweise, im Rahmen einer Stressreaktion (fight or flight) die Durchblutung des Körpers schwerpunktmäßig vom Verdauungssystem zur Muskulatur "umzuleiten".

Für das Schmerzsystem ist das zentrale Höhlengrau (PAG) sowohl in absteigende als auch aufsteigende Informationsflüsse eingebunden. Reizung hypothalamischer Kerngebiete kann über Efferenzen zum
zentrale Höhlengrau sowohl Analgesie als auch Hyperalgesie hervorrufen. Afferente Information aus der Peripherie wird in die Schmerzverarbeitung integriert.

Das zentrale Höhlengrau projiziert - mit sowohl anregenden ("ON-") als auch hemmenden ("OFF-") Neuronen - auf rostrale ventromediale (RVM) Kerne: Diese umfassen Raphekerne und Teile der formatio reticularis. Aktivierung von OFF-Neuronen in rostralen ventromedialen Kernen ist für die schmerzmildernde Wirkung von Opioiden notwendig; erhöhte ON-Neuronen-Aktivität findet sich bei Hyperalgesie.
 

Abbildung: Absteigende monoaminerge Schmerzhemmung
Nach einer Vorlage in Kandel / Koester / Mack / Siegelbaum (eds), Principles of Neural Sciences, 6th ed. 2021 (McGraw Hill)

Das zentrale Höhlengrau projiziert auf Neurone in Brücke und verlängertem Mark, insbesondere den nucleus coeruleus, die noradrenerg auf Hinterhornzellen projizieren; und auf den großen Raphekern (der serotoninerg auf Hinterhornzellen projiziert). Diese Fasern hemmen Schmerzafferenzen teils direkt, teils über Interneurone - in den laminae I, II und V.
 
Die Mikropipetten zeigen Angriffspunkte für analgetische (blau) und Opiat-Schmerzblockade (grün)


RVM-Neurone beeinflussen dann die Schmerzleitung im Hinterhorn (Rexed-Zonen I und II sowie V) des Rückenmarks.

Inhibition der Schmerzleitung kann hier auf verschiedene Weise erfolgen, z.B. durch

 
      Hemmung der Transmitterfreisetzung von afferenten Fasern

      direkte postsynaptische Inhibition von Projektionsneuronen

      Hemmung exzitatorischer Interneurone

      Anregung inhibitorischer Interneurone

Aktivität des zentralen Höhlengraus führt typischerweise zu Schmerzhemmung (analgetische Wirkung von Opioiden), kann aber auch die Schmerzübertragung fördern (Hyperalgesie und Allodynie bei Entzündungen, Gelenksschäden, Nervenschäden, Opioidentzug u.a.). Daher spricht man von einem schmerzmodulierenden System; in ihm finden sich Neuronen mit unterschiedlichen Transmittern (GABA, Serotonin, Noradrenealin etc.) und Neuropeptiden ( Abbildung).

Verbindungen des RVM-Systems
(rostrale ventromediale Kerne): Die Projektionen des zentralen Höhlengraus auf das RVM-System sind für seine absteigende Schmerzblockade entscheidend; ist der rostrale ventromediale Kern ausgeschaltet (Läsion, Lidocaininjektion oder Ähnliches), kann das PAG keine analgetische Wirkung ausüben. Neurone des RVM-Systems haben aufsteigende Projektionen (zu Hypothalamus, Mandelkernen u.a.), deren Funktion bislang ungeklärt ist; und sie erhalten umgekehrt deszendierende (direkte) Projektion aus mehreren höheren Zentren für Emotionen und vegetative Funktionen (limbisches System).

Auch Hormone können in das Schmerzgeschehen eingreifen. So gibt es Hinweise auf eine schmerzhemmende Wirkung von Oxytozin über Modifikation der Schmerzübertragung im Hinterhorn des Rückenmarks.


Endocannabinoide
 
Endocannabinoide (endogene Cannabinoide: Cannabinoide sind Wirkstoffe der Cannabispflanze) sind körpereigene Lipide ( über deren Synthese s. dort). Sie sind im Gehirn weit verbreitet (Hippocampus, Kleinhirn, Basalganglien u.a.) und beeinflussen auch Gedächtnis, Schlaf, Koordinationsvermögen, Stimmung und Appetit.

Endocannabinoide werden - wie Eikosanoide - nicht in der Zelle gespeichert, sondern nur bei Bedarf synthetisiert und freigesetzt. Sie wirken im Gehirn als retrograde Botenstoffe, d.h. sie werden von postsynaptischen Zellen als transzelluläre Signalstoffe freigesetzt und beeinflussen die präsynaptische Freisetzung von Neurotransmittern.

Endocannabinoide wirken über CB1- und CB2- Cannabinoidrezeptoren. Diese funktionieren via G-Proteine:

      CB1-Rezeptoren sind Gi/0-Rezeptor-gekoppelt, sie bewirken Inhibition der Adenylylcyclase (cAMP) und spannungsgesteuerter Calciumkanäle sowie Aktivierung von GIRK-Kanälen, Kaliumausstrom und Hyperpolarisation der Zellmembran. Sie befinden sich in der neuronalen Zellmembran und hemmen die - durch Depolarisierung und Ca++-Einstrom bewirkte - Transmitterfreisetzung präsynaptischer Nervenendigungen. Die Reduktion des cAMP kann außerdem die Expression von Genen verstärken oder abschwächen - direkt durch Aktivierung der MAPK und indirekt durch Reduktion der Aktivität der Proteinkinase A (PKA). CB1R finden sich vor allem an Axonverzweigungen GABAerger (inhibitorisch) und glutaminerger Fasern (exzitatorisch), deren Aktivität sie hemmen. Die Effekte ähneln denen von Opioidrezeptoren.

CB1R sind
die häufigsten metabotropen Rezeptoren im Gehirn - Großhirnrinde (Assoziationen), Hippocampus (Gedächtnis), Mandelkerne (Emotionen), Striatum (Dopamin: Belohnung), Hypothalamus (Appetit, Körpertemperatur), Kleinhirn (Koordination) -, weiters in Rückenmark (lokale schmerzinhibitorische Schaltkreise) und peripheren Nerven. Der Hirnstamm enthält nur wenige CB1R (geringer Einfluss auf Kreislauf und Atmung). Reizung von CB1R kann (wie Opioide) durch Hemmung inhibitorischer Funktionskreise auch anregende Wirkungen haben, z.B. auf GABAerge Interneurone in Mandelkernen und Hippocampus. CB1R finden sich auch in der Peripherie: Nervenfasern, Endothelzellen (Vasodilatation), Adipozyten (Anregung der Lipogenese).

      CB2-Rezeptoren sind ebenfalls Gi/0-Rezeptor-gekoppelt, hemmen wie CB1R Adenylylcyclase (cAMP) und PKA-Aktivität, aktivieren GIRK-Kanäle und MAPK, haben aber keine Wirkung auf spannungsgesteuerte Calciumkanäle, die von Immunzellen nicht exprimiert werden. CB2R finden sich vor allem im Immunsystem (lymphatisches Gewebe - Milz, Thymus, Tonsillen: B-Lymphozyten, Monozyten, Mastzellen, NK-Zellen) und in peripheren Nerven. Schädigung der Gehirnsubstanz kann an Zellen der Mikroglia die Expression von CB2-R induzieren und durch deren Aktivierung zu chronischen Schmerzen beitragen.

Emotionale Extremzustände beeinflussen das Endocannabinoidsystem. So kann Wut das Schmerzempfinden reduzieren (Stressanalgesie), Angst hingegen verstärken. Ansatzpunkt dieser Effekte ist das Endocannabinoidsystem.

Aktivierung hypothalamischer Cannabinoidrezeptoren reduziert die Sekretion von LH, Prolactin und Oxytocin. Nachdem die Rezeptoren ihren Liganden gebunden haben, werden sie rasch endozytiert - dies kann die Entwicklung von Cannabinoidtoleranz erklären.

 

Abbildung: Wirkungsmechanismus von Endocannabinoiden
Nach Velasco G, Sánchez C, Guzmán M. Towards the use of cannabinoids as antitumour agents. Nature Rev Cancer 2012; 12: 436-44

Pflanzliche Cannabinoide wie das Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) regen körpereigene Cannabinoidrezeptoren (CB1) an, die physiologischerweise auf endogene Cannabinoide - Anandamid (AEA) und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG) - ansprechen


  < Anandamid (AEA)

Die wichtigsten Vertreter der Endocannabinoide sind
 
      das Arachidonsäurederivat Anandamid (Arachidonylethanolamid, AEA) entsteht durch die Aktivität einer spezifischen Phospholipase D und bindet an beide Cannaboniodrezeptoren (an CB1R stärker als an CB2R) sowie an TRP-Rezeptoren. Es ist im Gehirn besonders stark vertreten. Anandamid ist auch in Kakao und Schokolade enthalten
 
      das Monoazylglyzerin 2-Arachidonoyl-glycerol (2-AG), das CB1R und CB2R gleich stark aktiviert

weiters weniger gut als endogene Cannabinoide etablierte Substanzen:
 
      das Eikosanoid Virodhamin O-Arachidonylethanolamid wirkt als CB1-Antagonist und CB2-Agonist
 
      N-Arachidonoyl-dopamin (NADA) regt CB1- und TRPV-Rezeptoren an und scheint zahlreiche Funktionen zu haben, u.a. im Immunsystem
 


Bindung eines Transmitters an seinen Rezeptor (metabotrop oder Ionenkanal) führt postsynaptisch zu steigendem Ca++-Spiegel. Das führt zur Bildung von Endocannabinoid- Vorläufermolekülen, von denen AEA oder 2-AG abgespalten werden. Diese binden dann an präsynaptische Cannabinoidrezeptoren, der Calciumeinstrom in die Zelle kann dadurch reduziert und die Transmitterfreisetzung blockiert werden ( Abbildung).

Endocannabinoide vermitteln Feedback an die präsynaptischen Endigungen: Als retrograde Signalstoffe unterdrücken sie (über Cannabinoidrezeptoren) die Transmitterfreisetzung.
 
Die Wirkungsdauer ist gering: Freigesetzte Cannabinoide verschwinden rasch wieder aus dem Extrazellulärraum, sie diffundieren (da fettlöslich) in Zellen (zurück). Beim Abbau spielen Aufnahme in benachbarte Neuronen (eventuell via spezifische EMT: endocannabinoid membrane transporter) und enzymatischer Abbau (mikrosomale Hydrolase FAAH: fatty acid amide hydrolase, weiters die Lipasen DAGL: diacylglycerol lipase, MAGL: monoacyl glycerol lipase) eine wichtige Rolle.


Endorphine
   
Endorphine sind körpereigene Opioidpeptide, die Schmerz dämpfen können. Opioiderge Verschaltungen (über "opium-ähnliche" Stoffe angeregt: Opiate sind Alkaloide des Schlafmohns) spielen - neben serotoninergen (5-HT) und noradrenergen (NA) - eine Hauptrolle bei der zentralen Schmerzmodulation. Sie ermöglichen auch die schmerzstillende Wirkung von Placebos - Gaben von Naloxon (einem Opioidantagonisten) hemmen den schmerzlindernden Placebo-Effekt. Menschen, die gut auf Placebo ansprechen (schmerzstillender Effekt), zeigen eine höhere Aktivierung (durch Placebo) von Gehirngebieten mit Opioidrezeptoren als Nonresponder. Die Erwartung eines Effekts durch eine Maßnahme verstärkt deren schmerzstillende Wirkung.

Drei Klassen opioider Peptide sind besonders gut untersucht:
 
   Die POMC-Gruppe (ß-Endorphin, Endomorphine; präferierter Rezeptor: μ) - Pro-Opio-Melanocortin ist das Propeptid. ß-Endorphin produzierende Neurone befinden sich vor allem im Hypothalamus, ihre Axone projizieren auf das zentrale Höhlengrau und auf noradrenerge Nervenzellen im Hirnstamm

   Enkephaline sind endogene Pentapeptide, die zur Klasse der Opioidpeptide gehören - definiert als Bindungspartner von Opioidrezeptoren (präferierter Rezeptor: δ). Enkephaline werden bei Tätigkeiten wie Joggen, Essen und anderen Aktivitäten, die ein Belohnungsgefühl erzeugen (z.B. Glücksspiel), freigesetzt; sie können Euphoriezustände verursachen

   Dynorphine (Dynorphin A und B, Neoendorphin) entstehen durch Einwirken eines in präsynaptischen Vesikeln gespeicherten Enzyms (PC2: Proprotein-Concertase 2) aus der Vortsufe Prodynorphin und wirken vor allem über κ-Opioidrezeptoren (KOR). Diese Opioide sind weit im ZNS verbreitet, man findet sie vor allem in Hypothalamus, Hippocampus, Striatum, Hirnstamm und Rückenmark.
 
Endophine wirken über
Opioidrezeptoren, die man in der Membran sowohl afferenter Schmerzfasern als auch von Interneuronen im Hinterhorn des Rückenmarks findet: κ-Opioidrezeptoren (KOR), µ-Opioidrezeptoren (MOR), δ-Opioidrezeptoren (DOR).
 

Abbildung: Signalwege von µ-Opioidrezeptoren
Nach Williams JT, Ingram SL, Henderson G, Chavkin C, von Zastrow M, Schulz S, Koch T, Evans CJ, MacDonald J Christie.
Regulation of µ-Opioid Receptors: Desensitization, Phosphorylation, Internalization, and Tolerance. Pharmacol Rev 2013; 65: 223-54

Opioid- (Opiat-) rezeptoren sind heptahelikale Bindungsproteine für Opioide. Ihre Aktivierung zeitigt zahlreiche intrazelluläre Folgereaktionen, je nach Agonisten (der spezifisch Rezeptor-Untertypen ansprechen kann).
 
G-Protein-abhängige Wege (links) inkludieren Einflüsse auf Ionenkanäle oder Hemmung der Adenylylcyclase (A.C.); Desensitivierung kann u.a. mit selektiver Kinase-Aktivierung einhergehen (Kinasen sind phosphatübertragende Transferasen).
 
G-Protein-unabhängige Wege (rechts) können u.a. Endozytose bedingen.

  AP2, Activating protein 2, ein Transkriptionsfaktor  ßarr, Beta-Arrestin, reguliert die Aktivität von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR)  Clathrin  Dyn, Dynorphin
 
  ERK, Extracellular-signal Regulated Kinase, vermittelt intrazelluläre Signaltransduktion JNK, c-Jun N-terminale Kinasen, dienen der Signaltransduktion  PKA, Proteinkinase A (cAMP-abhängig)  PKC, Proteinkinase C  PLD-2, Phospholipase D2. hydrolysiert Phosphatidylcholin, es entsteht Cholin

 
Opioidrezeptoren sind heptahelikal und wirken über G-Proteine

Enkephaline
, Dynorphine und Endorphine binden teils an prä-, teils an postsynaptische metabotrope Opioidrezeptoren ( Abbildung). Man unterscheidet
 
      μ- (μ1 präsynaptisch, μ2 postsynaptisch),
 
      δ- (präsynaptisch),
 
      κ-, ε- und Orphanin (FQ-) Rezeptoren (die Zuordnung bestimmter Transmitter zu Rezeptoren ist unscharf).

μ-Rezeptoren sind besonders häufig an Stellen der Schmerzmodulation zu finden: Oberflächliche Schichten des Hinterhorns im Rückenmark, ventrale medulla oblongata, zentrales Höhlengrau. Man findet sie aber auch an vielen anderen Stellen, was das breite Wirkungsmuster von Opioiden (Morphin) erklärt. C-Faser-Nozizeptoren (dumpfer, "zweiter" Schmerz) tragen mehr
μ-Rezeptoren als Aδ-Fasern (scharfer, "erster" Schmerz), was vielleicht erklärt, warum Morphin besser gegen persistierende als gegen akute Schmerzen hilft.



In der Membran präsynaptischer Endigungen der Schmerzafferenzen hemmen Opioidrezeptoren spannungsabhängige Ca++-Kanäle (das dämpft den schmerzauslösenden Eintritt von Ca++), in Lamina I- und Lamina II-Zielneuronen öffnen sie K+-Kanäle (das hyperpolarisiert die Nervenzelle und macht sie weniger erregbar).

So
hemmen Endorphine inhibierender Interneurone (und extern verabreichte Opioide) die glutamaterge Schmerzleitung (1. zu 2. Neuron) in Hirnstamm und Rückenmark ( Abbildung).
 
 
Abbildung: Modifikation afferenter Schmerzinformation
Nach einer Vorlage bei physiologyatlarge.weebly.com/ blog-sensory-pathways/ pain-pathway

Im Hinterhorn treffen 1. (Axonende, primäre Afferenz) und 2. Neuron (Soma und Dendriten) aufeinander. Diese Synapsen werden von absteigenden (blau dargestellt) und Interneuronen (grün) beeinflusst; beide geben u.a. Opiate ab.
 
Die primäre Impulsübertragung erfolgt glutamaterg, alle anderen dargestellten Transmitter haben inhibitorischen Einfluss auf ihre Zielmembran.
 
Auf diese Weise kann die Schmerzübertragung auf spinaler Ebene über mehrere Wege (u.a. serotoninerg, noradrenerg) gehemmt werden


Endorphine können u.a. an der nozizeptiven Umschaltung im Hinterhorn des Rückenmarks die Freisetzung (1. Neuron) des Transmitters Glutamat hemmen

  Zu den Opiaten (Alkaloide des Schlafmohns und direkte Derivate davon) zählt Morphin (Morphium), der wichtigste Bestandteil des Opiums ("Mohnsaft").

Bringt man Opiate spinal an die Neurone der Hintersäule (Spinalanästhesie, z.B. bei Kaiserschnitt), werden dadurch zentrale Nebenwirkungen durch Wirkung auf den nucl. tractus solitarii (wie Atemunterdrückung, Kreislaufeffekte) vermieden.

Eine der Nebenwirkungen therapeutisch verabreichter Opiate ist ein inhibierender Effekt auf die Transportperistaltik im Dünndarm und infolgedessen Darmträgheit.
 
Zentrale Wirkungen: Die Reizung von
μ- und δ- Rezeptoren löst Euphorie und Atemdepression, die von κ-Rezeptoren Unlustgefühle aus.
 
  Endogene Opioide (Endorphine) werden u.a. im hypothalamisch-hypophysären System aus Vorläuferproteinen gebildet.
 
  Opioidpeptide werden nach ihrer Freisetzung durch zellmembranständige Enzyme (Enkephalinase) abgebaut. Blockade dieses Enzyms verlängert die Opioidwirkung und wirkt schmerzreduzierend.



 

  Schmerzklassifizierung nach Entstehungsort:

Nach dem Ort der Schmerzentstehung unterscheidet man folgende drei Arten:

       Somatischer Oberflächenschmerz (Haut, Schleimhäute), er ortet den Schmerz und löst Vermeidebewegungen aus. Der gut lokalisierbare frühe Schmerz wird als scharf und hell empfunden und über Aδ-Fasern übertragen; der schlecht lokalisierbare späte Schmerz ist dumpf und läuft über C-Fasern

       Somatischer Tiefenschmerz (Muskeln: z.B. Krämpfe, Knochen, Gelenke: z.B. Entzündung, Bindegewebe; Hirnhäute: Kopfschmerz) wird als dumpf empfunden, ist schlecht lokalisierbar, strahlt in entfernte Körpergebiete aus. Er bewirkt Schonung (Motorik) und unterstützt Reparaturvorgänge (Gerinnungs- und Immunsystem)

       Viszeraler Schmerz ist dumpf, schlecht lokalisierbar und strahlt in die Umgebung aus (vgl. Head'sche Zonen). Er entsteht in Brust, Bauch und Beckenregion durch starke Dehnung, Kompression, Sauerstoffmangel oder Entzündungen an serösen Häuten, Kapseln, Parenchym und Blutgefäßen. Er löst autonom-nervöse Reaktionen (Blutdruckschwankungen, Übelkeit u.a.) sowie neuroendokrine Reaktionen aus.
 
    
    Zu übertragenem Schmerz s. oben
 

> George Cruikshank, The Headache


  Schmerzklassifizierung nach Entstehungsmechanismus:

Nach der Art der Schmerzentstehung unterscheidet man

       Nozizeptiven (physiologischen Nozizeptor-) Schmerz - er meldet potenziell schädigende Reize aus dem Gewebe (Stich, Quetschung, Verbrennung) und hat eine Warn- und Lenkfunktion

        Entzündungsschmerz (pathophysiologischer Nozizeptorschmerz), vermittelt durch Mediatoren aus verletztem Gewebe und Immunzellen, diese sensibilisieren nozizeptive Afferenzen und Rückenmark. Folge ist erhöhte Schmerzempfindlichkeit (Hyperalgesie) und Schmerzempfindlichkeit (Allodynie)

        Neuropathischen Schmerz, durch veränderte Schmerzentstehung in entsprechenden Afferenzen, z.B. nach Traumen (Amputation), Vergiftungen, Stoffwechselstörung (Diabetes) oder bei Gürtelrose (Varizella-Zoster-Virus-Reaktivierung)

        Funktionellen Schmerz infolge pathologischer zentraler Schmerzverarbeitung (ohne erkennbare organische Ursache)
 
  Nach der Dauer des Auftretens spricht man von

       akutem Schmerz (Warnsignal, löst Reflexe aus - Zurückziehen, Flucht, Ruhigstellung - und endet nach Verschwinden der auslösenden Noxe bzw. abgeschlossener Wundheilung)

    
  chronischem Schmerz (monatelange Dauer oder periodisches Auftreten, z.B. bei Migräne) durch Schädigung im neuronalen Schmerzsystem ("Schmerzgedächtnis", z.B. durch erhöhte synaptische Übertragung nozizeptiver Afferenzen, reduzierte Hemm-Mechanismen) oder Dauerreizung von Nozizeptoren (Arthrosen, Tumore,..)
   

Abbildung: Schmerzbahn und Schmerzbearbeitung
Nach einer Vorlage bei fastbleep.com

Transduktion ist die Übersetzung des Schmerzreizes in Erregungsmuster an Nervenfasern,
 
Transmission die Leitung zu zentralnervösen Stationen,
 
Perzeption die Wahrnehmung,
 
Modulierung die Abänderung des Schmerzempfindens ( s. oben)


Hypersensitivität und chronischer Schmerz entstehen durch Veränderungen auf verschiedenen (molekularen bis systemischen) Ebenen und im Rahmen unterschiedlicher Zeitverläufe, und sind durch hohe (synaptische) Plastizität gekennzeichnet. Zu den Mechanismen zählen

     reduzierte Inhibition,
 
     verstärkte präsynaptische Transmitterfreisetzung und/oder
 
     postsynaptische Erregbarkeit,
 
     erhöhte Signalverstärkung von Rezeptor zu Zellkern (Gentranskription),
 
     Freisetzung von Neurotransmittern aus Mikroglia / Astrozyten,
 
     verstärkte Signalübermittlung im Gehirn.

 Nozizeptive Pfade können strukturelle Modifikation erfahren, was sich z.B. in einer Reduktion der grauen Hirnsubstanz (im vorderen gyrus cinguli, orbitofrontal, Inselkortex u.a.) ausdrücken kann.

  Schmerzblockade: Die Schmerzentstehung in nozizeptiven Fasern kann ausgeschaltet werden, indem die Bildung von Prostaglandinen (PGE2) gehemmt wird - etwa mit nichtsteroidalen Analgetika wie Acetylsalizylsäure. PGE2 aktiviert Proteinkinase A (PKA) und diese öffnen TRP-Kanäle, was die Zelle depolarisiert. Opioide hemmen die PKA.

Lokalanästhetika hemmen spannungsgesteuerte Natriumkanäle und damit die periphere Schmerzleitung (Leitungsanästhesie: gezielte Blockade an einem afferenten Nerv), ohne das Bewusstsein auszuschalten. Dünne (wenig isolierte) Nervenfasern (insbesondere C-Fasern!) sind rascher beeinflussbar als stark isolierte. Wirkt ein Lokalanästhetikum auf afferente Fasern ein, verschwinden (in dieser Reihenfolge) Schmerz-, Temperatur-, Berührungs- und schließlich Druckempfinden.

So wie körpereigene Opioide (Enkephalin, Dynorphin, Endorphin, s. oben) wirkt auch Morphium (=Morphin; Alkaloid in Rohopium): Es bindet an μ-Rezeptoren und beeinflusst so die zentrale Schmerzleitung in Hirnstamm und Rückenmark.
 

 
      Viszerale Sensibilität (chemisch, mechanisch, Licht, Schmerz) betrifft Eingeweide (Kopf, Brust-, Bauch- und Beckenraum: Auge, Herz, Kreislauf  Atmung, Verdauungssystem, Defäkation, Nierenfunktion, Blasenmotorik, Vegetativum). Etwa 10% der Afferenzen in das Rückenmark sind viszeraler Natur (N. vagus über 80%), und ~50% der sekundären spinalen Neurone sprechen auf viszerale Afferenzen an
 
      Nozizeptoren sind meist polymodal (mechanisch, thermisch, chemisch) und adaptieren nicht. Spezielle Ionenkanäle lassen Kationen in nozizeptive Faserrn einströmen. Schmerzerregende Substanzen sensibilisieren Nervenendigungen oder depolarisieren sie direkt.Verletzte Zellen setzen Mediatoren frei, auch nozizeptive Nervenfasern sind parakrin aktiv (Axonreflex). Aktivierte Schmerzfasern bringen über Substanz P Mastzellen zur Histaminfreisetzung
 
      Schmerzmediatoren: Die meisten Mediatorstoffe werden nicht gespeichert, sondern bei Verletzungsvorgängen neu synthetisiert. Sie wirken über zwei Wege: Direkte Aktivierung von Nozizeptoren oder Aktivierung von Immunzellen (Histamin, Serotonin,  Eikosanoide, Zytokine), diese verstärken die Nozizeption. Zu Schmerzmediatoren gehören Histamin (Degranulierung von Mastzellen, basophilen und eosinohilen Granulozyten), Kinine, Prostaglandine, Serotonin, ATP, Substanz P. Aktivierte Schmerzfasern triggern über Substanz P die Histaminfreisetzung von Mastzellen
 
      Schmerzrezeptoren: Vertreter der TRP-Familie (transient receptor potential channels) - Typ A (ankyrin repeats), M (melastatin), V (vanilloid) - sind nichtselektive Kationenkanäle. Entzündungsmediatoren wie Prostaglandine und Bradykinin sensibilisieren sie und aktivieren in gereiztem Gewebe "schlafende" Schmerzfasern (Hyperalgesie / Allodynie). Metabotrope Nozizeptoren (Prostaglandine, Bradykinin, Histamin) sensibilisieren nozizeptive Ionenkanäle
 
      Schmerzafferenz: Man unterscheidet ”ersten“, schnell geleiteten, gut lokalisierbaren, rasch abklingenden ”Delta-Schmerz“ (A-δ-Fasern) vom ”zweiten“, schlecht lokalisierbaren, dumpf-brennenden, langsam abklingenden, quälenden ”C-Schmerz“ (C-Fasern). Nozizeptive Fasern sind durch Marker identifizierbar: Membranmoleküle (Rezeptoren, Glykokonjugate), gespeicherte / freigesetzte Peptide, Enzyme. Schmerzafferenzen bilden oft Kollateralen zu prävertebralen Ganglien und beeinflussen so motorische, Sekretions- oder endokrine Aktivitäten der Eingeweide
 
      C-Fasern projizieren vor allem auf Lamina I und II (substantia gelatinosa), Aδ-Fasern auf Lamina I und V des Hinterhorns. Hier liegt der Angriffspunkt für Schmerzverstärkung: Traumatische Veränderungen können die synaptische Effizienz steigern. Übertragener Schmerz entsteht durch Konvergenz somatischer und viszeraler Afferenzen: Das ZNS ordnet Afferenzen dem Ursprungsbegiet des betreffenden Nerven zu. Bei projiziertem Schmerz interpretiert das Gehirn dann z.B. mechanische Reize als schmerzhaft
 
      Der tractus spinothalamicus zieht (nach Seitenkreuzung) zum Hirnstamm, wo er Kollateralen zu zentralem Höhlengrau und formatio reticularis bildet (unwillkürliches Schmerzverhalten) und auf den posterolateralen Thalamus projiziert. Die trigeminothalamische Bahn (Gesicht) kreuzt nach Umschaltung im spinalen Trigeminuskern die Seite und zieht über den trigeminalen Lemniscus zum lateralen Thalamus. An der Schmerzverarbeitung beteiligen sich anschließend somatosernsorischer Kortex, anteriorer gyrus cinguli, Mandelkerne, Insel, präfrontaler Kortex
 
      Hyperalgesie ist eine verstärkte Wahrnehmung von Schmerzreizen - primär an der Stelle der Verletzung, sekundär in der Umgebung - durch Sensitivierung zentraler Neuronen. Verschiedene nicht-noxische Reize können die Schmerzschwelle senken (Allodynie)
 
      Endogene Schmerzhemmung erfolgt durch ein antinozizeptives System - durch deszendierende (Frontalhirn und Hypothalamus serotoninerg zu zentralem Höhlengrau, Raphekernen und tractus reticulospinalis) oder aszendierende Schmerzmodifikation. Raphekerne projizieren serotoninerg, der locus coeruleus noradrenerg auf Hinterhornneurone und hemmen hier die Schmerzübertragung (Gate-Control). Opioiderge Interneurone der lamina II hemmen spinothalamische Projektionsneurone
 
      Endogene Cannabinoide (körpereigene Lipide) wirken über metabotrope (heptahelikale) CB1- und CB2- Cannabinoidrezeptoren schmerzmodulierend (Hippocampus, Kleinhirn, Basalganglien) und beeinflussen Gedächtnis, Schlaf, Koordinationsvermögen, Stimmung und Appetit. CB1-Rezeptoren finden sich in Gehirn (präsynaptisch-GABAerg), Rückenmark und peripheren Nerven, CB2-Rezeptoren im Immunsystem
 
      Endorphine sind körpereigene Opioidpeptide, sie hemmen glutamaterge Schmerzprojektionen (vom 1. auf das 2. Schmerzneuron wird im Hinterhorn mittels Glutamat umgeschaltet). Opioidrezeptoren sind heptahelikal, wirken über G-Proteine
 

 




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