Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

    
Physiologie der Nierenfunktion und der ableitenden Harnwege

Druckverhältnisse in der Niere; Ureter und Harnblase
© H. Hinghofer-Szalkay

Detrusion: detrudere = wegstoßen (trudere = drängen, treiben)
Hydronephrose: ὕδωρ = Wasser, νεφρός = Niere
Katheter: καθετήρ = Sonde, Rohr
Kontinenz: continere = zusammenhalten (tenere = umfassen)
Miktion: mingere = harnen
myogen:
μυς, μυός = Muskel, γενεά = Abstammung
Onuf'scher Kern: Bronislaw Onuf
pyelo-: πήληξ = Nierenbecken
Sphinkter: Σφίγξ = Würgerin (griechische Mythologie)


Das Nierenbecken hat 5-10 ml Fassungsvermögen, die Harnblase bis 300 ml und mehr. Die Harnbildung beträgt normalerweise ~1 ml/min. Der Druck im Nierenbecken beträgt ~15 mmHg; steigt er an, triggert eine Schrittmacherzone am Abgang des Harnleiters (Länge: 25-30 cm) peristaltische Kontraktionswellen, die Harn gegen ein Druckgefälle von bis zu 60 mmHg und mit einer Geschwindigkeit von einigen cm pro Sekunde in die Blase befördern.

Die Ureterperistaltik funktioniert autonom und wird durch nervale Einflüsse modifiziert. Der Ruhedruck in der Blase beträgt nur wenige mmHg; steigt er an (z.B. ~10 mmHg bei ~200 ml Füllungsvolumen), werden Dehnungsrezeptoren gereizt, bei weiterem Volumenanstieg tritt Harndrang auf. Die leere Blase hat eine Wanddicke von ≥5 mm, ist sie maximal gedehnt, nur mehr ~2 mm ("plastische" Umlagerung der Zellen in der Blasenwand).

Die Dichtigkeit (Kontinenz) der Harnblase ist durch den Dauertonus des Sphinkterapparates gegeben: Der innere glattmuskuläre Teil wird durch sympathische Fasern angeregt, der äußere quergesteifte steht unter dem Einfluss somatischer Fasern (willkürlich steuerbar).

Das direkt zuständige Reflexzentrum liegt im Rückenmark (spinale Ebene: Lumbal- und Sakralmark). Zerebrale Zentren (supraspinale Ebene) sind übergeordnet: Dazu zählen das pontine Miktionszentrum sowie kortikale Gebiete, die perzeptive, emotionale, vegetative und motorische Aspekte integrieren.

Efferent wirken vegetativ das lumbal-sympathische (über den N. hypogastricus) und das parasympathisch-sakrale Zentrum (über den N. splanchnicus), motorische Fasern (über den N. pudendus) stammen aus dem Sakralmark (Onuf'scher Kern).

Der Detrusionsreflex stellt von sympathisch-motorisch gesteuerter Kontinenz (Blasendichtigkeit) auf parasympathisch verwaltete Detrusion (Blasenentleerung) um - er inaktiviert den Sphinkterapparat und regt die Kontraktion der Harnblase an. Eine Blasenentleerung dauert physiologischerweise nicht länger als 30 Sekunden.



Infektionsgefährdung Blasenfüllung und Kontinenz Blasenkontrolle Detrusion

    Urodynamik, Uroflowmetrie, Cystometrie

Praktische Aspekte       Core messages
  
Für die normale Funktion der Niere ist es wichtig, dass kein Abflusshindernis zu einem Rückstau von Harn, Druckanstieg in den proximal von der Engstelle liegenden Harnwegen - Dilatation des Harnleiters (Hydroureter) oder Weitung der Nierenkelche (Hydronephrose) - kommt. Ist nur eine Niere solchermaßen blockiert, springt die kontralaterale mit kompensatorischer Steigerung der glomerulären Filtration ein. Mit zunehmender Dauer eises Abflussproblems steigt die Gefahr bleibender Schäden. Ursache können z.B. obstruierende Steine, Prostatahypertrophie oder Tumore sein.
 
Die Harnwege sind infektionsgefährdet
 

Das Urogenitalsystem hat neben seinen evidenten Aufgaben (Harnproduktion, Sexualorgane) auch eine wichtige Stellung im Rahmen der Immunabwehr. Die offene Verbindung zur Außenwelt schafft eine ständige mikrobielle Herausforderung. Die nach außen gerichtete Strömung des Urins hilft, Infektionen in Nieren, Ureter, Blase und Urethra vorzubeugen. Die Effizienz dieses Reinigungsmechanismus ist durch Behinderungen des freien Harnflusses reduziert (50% der Entzündungen der ableitenden Harnwege sind durch die Einbringung von Mikroorganismen im Rahmen von Katheterisierungen verursacht).

Die epitheliale Auskleidung des Harnapparates - von den Sammelrohren über das Nierenbecken, den Ureter, die Harnblase und die Urethra - erfolgt durch das Urothel. Diese gut dehnbare, mit zahlreichen Tonofilamenten / Desmosomen ausgestattete Zelllage - die ihre Form bzw. Höhe an sich ändernde Druck- bzw. Volumenverhältnisse anpassen kann (transitional epithelium) - verfügt über mehrere Schichten (basal, intermediär, superfiziell) und ist gegenüber Wasser, Ionen und anderen gelösten Stoffen weitgehend undurchlässig.

Urethra, Scheide und Zervix weisen in ihrer Mucosa Langerhans-Zellen, dendritische Zellen und Makrophagen, B- und T-Lymphozyten auf. Der führende Antikörpertyp ist hier IgG (nicht IgA), das zu etwa 50% aus dem Blutkreislauf stammt, zur anderen Hälfte lokal von hier ansässigen Plasmazellen produziert wird.

Zur Immunologie des Urogenitaltrakts vgl. dort
 
Die Blase ist ein Speicher-, Entleerungs- und Sinnesorgan
 
Der etwa 25-30 cm lange Ureter (Harnleiter) transportiert einerseits Urin vom Nierenbecken (Volumen: 5-10 ml) in die Blase (Volumen: bis ~300 ml, im Extremfall bis über einen Liter), verhindert andererseits einen Reflux von Urin in die Gegenrichtung. Er funktioniert sozusagen als drucksensitive Pumpe und aktives Ventil ( Abbildung).
 

Abbildung: Die Schrittmacherzone des Nierenbeckens ist der Ursprung der Ureterperistaltik
Modifiziert nach Santicioli P & Maggi CA, Myogenic and neurogenic factors in the control of pyeloureteral motility and ureteral peristalsis. Pharmacol Rev 1998; 50: 683-722

In der Schrittmacherzone liegen spontanaktive Zellen (A, B - unterschiedliche Zeitachse). Der Ureter ist im Basiszustand inaktiv (C); an der Peristaltik ist er beteiligt (D).
 
Jeweils obere Registrierspur: Kraft (in mN), darunter Membranpotential (in mV)


Die Niere baut einen hydrostatischen "Betriebsdruck" auf, der einerseits die Harnproduktion im Nierengewebe nicht behindert und andererseits groß genug ist, um bei Bedarf den Transport von Urin aus dem Nierenbecken in die Blase zu aktivieren. Dieser Druck ist auf ~15 mm Hg (20 cm Wassersäule, 2 kPa) reguliert. Hohes Füllungsvolumen wird durch "plastische" Anpassung der Blasenwand weitgehend aufgefangen (s. unten), der Druck erhöht sich nur geringgradig.

Die Druck-Volumen-Beziehung (Compliance: ∂V/∂p) ist abhängig vom Zeitverlauf der Füllung und dem aktuellen Zustand der Blasenwand (Cystometrie, Cystometrographie).

Nephrone und Nierenbecken werden durch den renalen Flüssigkeitsdruck entfaltet gehalten; höhere Werte behindern andererseits die Filtration. Der pyelo-urethrale Komplex (Nierenbecken und Harnleiter) kann einen Druckanstieg in der Niere verhindern, indem er peristaltische Kontraktionswellen generiert. Dabei werden Drucke bis 80 cm Wassersäule (8 kPa) aufgebaut bzw. überwunden.

  Die Ureterperistaltik benötigt keine neurale Steuerung, sie tritt auch bei Denervierung des Ureters auf; sie ist aber durch autonome Nerven modifizierbar. Zahlreiche Varikositäten setzen den Transmitter parakrin in das glatte Muskelgewebe des Harnleiters frei. Aktivierung sympathischer Fasern wirkt über α-Adrenozeptoren anregend, ß-adrenerg entspannend auf die Ureteren. Parasympathische Fasern fördern die Peristalktik, entweder direkt muscarinerg oder indirekt über Anregung sympathischer postganglionärer Fasern (α-adrenerg).
 
Der Grundmechanismus der Ureterperistaltik ist glattmuskulär-myogen (spontanaktive Schrittmacherzellen im Nierenbecken, die als Gruppe funktionieren - multiple coupled oscillators). Druckanstieg wirkt auf dieses System synchronisierend und überschwellig, und induziert rhythmische Entladungen.

Synzytiale Verknüpfung der glatten Muskelzellen über gap junctions ermöglichen die Weiterleitung der Erregung (2-6 cm/s) in Richtung Blase. Pro Minute erfolgen 2 bis 6 Kontraktionswellen. Der Ureter ist dicht innerviert (glatter Muskel vom 'multi-unit-Typ').

Afferente sensorische Fasern im Ureter können Schmerz leiten und - bei starker Dehnung des Harnleiters - zu Nierenkolik führen.

An der Mündung (orificium, ureterovesical junction) der Ureteren in die Harnblase ergibt sich ein Klappenmechanismus, der (bei Drucksteigerung in der Blase, z.B. durch Kontraktion der Bauchdeckenmuskulatur oder bei der Detrusion) einen Reflux von Harn Richtung Nierenbecken (vesiko-uretero-renaler Reflux, VUR) verhindern soll. Die Einmündung durch die Blasenwand erfolgt schräg von oben-lateral-außen nach unten-medial-innen; die Schleimhaut bildet hier eine funktionelle Klappe
(segelartige Struktur), welche einen Reflux des Harns in Richtung Ureter und Nierenbecken normalerweise nicht zulässt. Diese Einmündungsstellen befinden sich an den oberen Eckpunkten des trigonum vesicae ( Abbildung unten). Zusätzlich wirkt die Ureterperistaltik refluxverhindernd.

Die laufende Harnbildung, kombiniert mit einer "Einbahnregelug" der Harnströmung - von Nierenbecken über Ureter in die Blase und über die Urethra weiter nach außen - hat eine wichtige immunologische Schutzwirkung: Der Harn ist normalerweise so gut wie keimfrei.

 

Abbildung: Anordnung zur Durchführung einer Cystographie (schematisch)

Kanülen: 18 G entspricht einem Durchmesser von 1,2 mm




Bei über 8-9 kPa (80-90 cm H2O / ~60 mmHg) Blasendruck (Blasenlähmung, Verschluss des Blasenausgangs; dieser Druck kann über Stunden aufrechterhalten bleiben) genügen Ureterperistaltik und die Ventilfunktion der Harnleitermündung in die Blase nicht mehr aus, die Strömung nach peripher zu sichern bzw. einen (vesikoureteren) Reflux in das Nierenbecken zu verhindern - der Druck im Nierenbecken steigt an, die Harnbildung ist erschwert.

Wenn der Zustand über Stunden und Tage andauert, können Niereninsuffizienz und Hydronephrose auftreten. Zwar findet dann immer noch (reduzierte) glomeruläre Filtration statt, diese wird aber durch tubuläre Filtration vollständig kompensiert, die Harnbildung erlischt (Anurie).

Druck und Strömung. Die Nieren bilden ca. 1 ml Harn pro Minute. Der Druck in der Harnblase beträgt ~1 kPa bei der Frau und ~2 kPa beim Mann. Nimmt das Harnvolumen zu, gibt die Blase plastisch nach, und der Blaseninnendruck bleibt unverändert. Die leere Blase hat eine Wanddicke von 5-7 mm, bei maximaler Füllung nur ~2 mm (mittlerer Funktionsbereich 3-5 mm).

Bakterielle Besiedelung: Der Harntrakt ist so gut wie immer mit Bakterien besiedelt, die aus der Harnröhre retrograd aufsteigen und sich an das Epithel der Harnwege anlagern (Blasenharn ist hingegen normalerweise so gut wie steril.) Regelmäßige Spülung durch neu gebildeten Harn verhindert normalerweise ein Überhandnehmen des bakteriellen Wachstums und unterstützt immunologische Schutzmechanismen.

Harnverhaltung begünstigt das Entstehen von Infektionen.

Auch die Anatomie spielt eine Rolle:

Harnwegsentzündungen kommen bei Frauen (Länge der Urethra ~5 cm) mehr als zehnmal häufiger vor als bei Männern (~20 cm).


 
Kontinenz (Dichtigkeit)
 

Kontraktion der Schließmuskeln (Sphinkteren ) am Blasenausgang und in der Wand der Harnröhre (Urethra) bewirken die Dichtigkeit (Kontinenz ) der Blase.



Der glattmuskuläre innere Sphinkter (m. sphincter internus) wird durch sympathische Nervenfasern α1-noradrenerg angeregt, der quergestreifte äußere Sphinkter durch Fasern des Pudendusnervs (dieser entspringt im Onuf-Kern des Sakralmarks). Der detrusor vesicae wird ß2-adrenerg gehemmt. Zusammen ergeben diese Faktoren eine Blasendichtigkeit, die bis zu mehreren kPa Blaseninnendruck reicht (z.B. bei Ausüben von Sportarten, bei denen der intraabdominelle Druck ansteigt). Der Ruhedruck beträgt ~1 kPa bei der Frau und ~2 kPa beim Mann.
 
Sympathische (α1-adrenerge) Anregung des m. sphincter vesicae internus trägt wesentlich zur Blasenkontinenz bei
 
Afferente Impulse von der Harnblase werden über Fasern des N. pelvicus geleitet. Bis zu dem Punkt, an dem die Detrusion getriggert wird, zeigt sich der Blasentonus unabhängig von der Nervenversorgung.
 
Detrusion (Blasenentleerung)
 
Ab ~0,2 Liter Blaseninhalt werden Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand gereizt (früher bei rascher Füllung, wie bei diagnostischer Füllung - Zystometrie - über Blasenkatheter ). Ab 0,3-0,4 Liter tritt Harndrang auf. Ab hier (mit ~1-2 kPa passivem Druck) beginnt der Blaseninnendruck bei weiterer Füllung nichtlinear zu steigen, der Harndrang wird bei über 0.5 l Blaseninhalt schmerzhaft; jedoch gibt es eine beträchtliche Anpassungsfähigkeit durch Zunahme der Volumendehnbarkeit (Plastizität: die Blase kann im Extremfall ein Maximalvolumen von ~1,5 Liter fassen).

Die Blase wird von Rückenmark und Gehirn gesteuert
( Abbildung):
 

Abbildung: Kontrolle der Blasentätigkeit
Nach einer Vorlage bei Silverthorn, Human Physiology - an integrated approach, 4th ed. 2007 (Pearson International)

Oben: Abdichtung (Kontinenz) der Blase. In diesem Zustand speichert die Blase den aus den Nieren nachströmenden Harn (bis zu ca. 500 ml), ohne dass es zu deutlicher Druckerhöhung kommt. Tonische Aktivität sympathischer Neurone im Lumbalmark hemmt die Muskulatur des Detrusormuskels (Harnblasenwand), der glattmuskuläre innere Schließmuskel ist kontrahiert (z.T. unterstützt durch den Sympathikustonus). Das "Kontinenzzentrum" in der Brücke aktiviert motorische Fasern im N. pudendus und dadurch den äußeren Schließmuskel. Ergebnis ist Blasendichtigkeit (Kontinenz): Geringer Druckgradient, hoher Strömungswiderstand.
 
Unten: Reflexmuster bei Miktion (vgl. Vegetativum). Sensorische Fasern überbringen an parasympathische Neurone im Rückenmark Information über die Reizung von Dehnungsrezeptoren (1) in der Blasenwand. Das pontine "Miktionszentrum" im Hirnstamm wird ebenfalls aktiviert, soferne dies von übergeordneten Zentren "freigegeben" wird. Die sympathische Aktivität wird auf Höhe des Thorakolumbalmarks inhibiert (Disinhibition des Detrusors). Parasympathische Efferenzen regen den Detrusor (die Blasenwand) direkt an (2). Gleichzeitig werden die Schließmuskeln gehemmt (2): Der innere Sphincter wird passiv gedehnt, der äußere relaxiert. Ergebnis ist die Blasenentleerung (Miktion): Hoher Druckgradient, geringer Strömungswiderstand (3)


Es bestehen reziproke Funktionsmuster, die entweder die Blasenwand entspannen und den Tonus der Schließmuskulatur hochhalten (Blasenfüllung, Kontinenz) oder umgekehrt die Blasenwand zur Kontraktion bringen (parasympathische Impulse) und die Schließmuskulatur entspannen (Detrusion).

Parasympathische Zonen im Sakralmark kontrollieren den m. detrusor vesicae, sympathische im Lumbalmark die Sphincterregion und den Harnleiter. Der Hirnstamm enthält das pontine Blasenzentrum und das zentrale Höhlengrau; Information über den Zustand von Blase und Harnwegen werden hier mit absteigenden Impulsen aus höheren Zentren integriert.
Zentrale Bedeutung haben vor allem der präfrontale Kortex, der vordere gyrus cinguli und die Insel.
 
    
      Zur Blasenkontrolle s. auch dort
 

Abbildung: Aktionspotential einer glatten Muskelzelle im Ureter
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Bei überschwelliger Depolarisation glatter Muskelzellen in der Wand eines Harnleiters (Ureter) treten Aktionspotentiale mit Plateaubildung auf

 
     Auf Hirnstammebene werden die Erfordernisse bezüglich Speicherung / Entleerung der Blase mit dem Status im Vegetativum und der Umgebungssituation abgestimmt und - situationsbedingt - der Wechsel zwischen Zurückhalten des Harns einerseits und Freigabe der Detrusion andererseits (phase switching) vorgenommen.

Es gibt also kein singuläres “Blasenzentrum” im Gehirn. Kortikale Repräsentation und koordinative Kontrolle in der Pons kann den Harndrang einerseits dämpfen (Inhibition parasympathischer Neurone im Sakralmark), andererseits die Blasenentleerung freigeben. Die willkürliche Kontrolle des Reflexablaufs wird während der postnatalen Entwicklung erlernt.
 

>Abbildung: Urodynamische Registrierung (Cystometrie)
Nach einer Vorlage in Drake / Hashim / Gammie: Abrams' Urodynamics, 4th ed. 2021

Aus einer Originalregistrierung des Harnstroms (oben) und des Volumens ausgeschiedenen Harns (Miktionsvolumen, unten). Phasische Kontraktionen des Detrusors machen sich in der Strömungskurve bemerkbar. Die Blase ist nach etwa 30 Sekunden entleert.
 
      Der Begriff  Urodynamik bezieht sich auf die Untersuchung des unteren Harntrakrs und stützt sich vor allem auf Uroflowmetrie (Messung des Harnstroms) und Cystometrie (Messung der kontraktilen Blasenkraft während der Detrusion) - zusammen mit ergänzenden Methoden wie z.B. Elektromyographie


Die Blasenkontrolle ist durch die Koordination sympathischer (Blasenfüllung) und parasympathischer Mechanismen (Blasenentleerung) gekennzeichnet. Die Speicherphase steht vor allem unter Kontrolle des Rückenmarks; sympathische und motorische Efferenzen dominieren und garantieren die Dichtigkeit der Blase. Melden Dehnungsafferenzen ein gewisses Maß an Blasenfüllung, wird das Detrusionszentrum in der Brücke (pontine micturition center PMC) aktiviert. Efferenzen vom PMC erreichen parasympathische Kerne im Sakralmark.

Der Ablauf des Detrusionsreflexes (micturition reflex) beginnt mit einer Erschlaffung des Schließmuskels (m. sphincter vesicae externus, dann internus). Sobald etwas Harn in die proximale Urethra gelangt, wird die sympathische Hemmung der Detrusion aufgehoben und der Reflex freigegeben. Die Entleerung der Blase erfolgt in mehreren Kontraktionsschüben als selbstregenerierender Vorgang: Sensorischer Eingang, motorische Reaktion, weiterer sensorische Afferenz etc - bis die Blase geleert ist und die Kontraktionswellen erlahmen (Abbildungen).Die Kontraktion der Blasenmuskulatur führt zum Ansteigen des Drucks; dies ist zur Überwindung des Widerstandes, den die Urethra der Blasenleerung (auch bei erschlafften Sphinkteren) entgegensetzt, nötig. Es treten wiederholte Kontraktionswellen auf (reflektorisch selbstregenerierend), mit Druckspitzen bis ~8 kPa (mittlerer Spitzenwert bei Frauen 6,5 kPa, bei Männern 7,5 kPa), deren Amplitude mit abnehmendem Blasenvolumen geringer wird ( Abbildung). Reflektorische Anspannung der Bauchdeckenmuskulatur verstärkt den Extrusionsmechanismus.



   M. detrusor vesicae: Die Kontraktion des Blasenmuskels wird cholinerg - über muskarinerge Rezeptoren - sowie purinerg (ATP) angeregt. Die Entleerung der Blase (Miktion, Detrusion ) erfordert ein Umschalten von sympathischer auf parasympathische Aktivität mit Entspannung des äußeren Schließmuskels.

     Afferenter Teil: Ausgehend von Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand, über den N. pelvicus - die Rezeptoren steigern ihre Entladungsfrequenz mit zunehmender Blasenfüllung
 
     Reflexzentren im Rückenmark (parasympathisch-sakral: spinale Ebene) und übergeordnete zerebrale Zentren (supraspinale Ebene) - Hirnstamm (Miktionszentrum in der Brücke ventrolateral auf Höhe des locus coeruleus) und kortikale Gebiete, hier werden perzeptive, emotionale, vegetative und motorische Aspekte integriert
 
     Efferenter Teil mit vegetativ-motorischen und somatomotorischen Anteilen:
 
     vom sympathischen Lendengebiet über den N. hypogastricus (Hemmung des Detrusor, Anregung des sphincter internus → unwillkürlicher Harnverhalt)
 
     vom parasympathischen Sakralzentrum über Äste der Nn. splanchnici pelvini (Kontraktion des Detrusor → Blasenentleerung)
 
     somatomotorische Efferenzen (aus dem Onuf'schen Kern) über den N. pudendus (Kontraktion des sphincter externus → willkürlicher Harnverhalt
  

Abbildung: Druck-Volumen-Verlauf einer Detrusion
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Cystometrographisch kann mittels zweier Druckkatheter (rektal: intraabdomineller Bezugsdruck, transurethral / vesikal: Blaseninnendruck) der transmurale Druck der Harnblase (Innendruck - Außendruck) ermittelt werden.
 
Eine passive Füllungskurve (blau) spiegelt die Compliance der Blase wider, sie entspricht einer Ruhedehnungskurve. Diese ist sigmoid: Zuerst nimmt der Druck mit beginnender Blasenfüllung etwa linear zu, ab ~50 ml Inhalt steigt die Dehnbarkeit, die Kurve verflacht, die Blase lässt sich praktisch widerstandfrei füllen. Ab ~400 ml steigt dann die Kurve zusehends steil an, die Compliance sinkt, die Blase nimmt kaum noch Harn auf.
 
Ein Gefühl der Blasenfüllung tritt ab ca. 150 ml Blasenvolumen auf, Harndrang spätestens bei 400-500 ml. Gibt das Hirnstammzentrum die Blasenentleerung frei (Disinhibition), entspannt sich zuerst der (willkürlich steuerbare) äußere und dann der (autonom gesteuerte) innere Schließmuskel.
 
Die Kontraktion des Detrusors (glattmuskuläre Wand der Harnblase) erfolgt während der Detrusion (grüner Pfeil) reflexbedingt phasenweise (die rote Druck-Volumen-Kurven zeigt "spikes" - eine Einzelkontraktion dauert dabei einige wenige bis Dutzende Sekunden)

  In der Prostata bewirkt Dihydrotestosteron mit zunehmendem Alter bei fast allen Männern Prostatahypertrophie, die infolge einer Einengung der Harnröhre das Urinieren erschweren kann.
 



     Normalerweise dauert die Entleerung der Harnblase nicht länger als 30 Sekunden (Durchschnitt ~20 s). Überschreitet die Miktionsdauer diesen Wert, ist entweder die Blasenmotorik gestört, oder der Ausflusswiderstand ist erhöht (das kann strukturelle, vorübergehend auch funktionelle Ursachen haben, insbesondere bei Stresseinfluss).

Der Ausflusswiderstand kann beim Mann z.B. infolge Prostatahypertrophie erhöht sein. Der Widerstandswert wird aus Druckgefälle und Strömung ermittelt (analog dem Ohm'schen Gesetz). Die Registrierung von Blasendruck und Harnströmung bei der Miktion mittels Blasenkatheter, Volumen- und Druckmesssystem heißt Uroflowmetrie. Die Untersuchung des Dehnungsverhaltens der Blase bei künstlicher Füllung heißt Zystometr(ograph)ie.

Die Detrusion kann aus verschiedenen Gründen gestört sein, zum Beispiel:

 
  Stressinkontinenz: Bei erschlafftem Beckenboden kann Belastung (Hebearbeit, Husten, Niesen..) zu unwillkürlichem Harnverlust führen. Beckenbodenschwäche und Uterusdescensus sind meist die Ursache (häufige Inkontinenz bei Frauen). Beckenbodengymnastik und Östrogengabe können helfen.

 
  Obstruktive Abflußhindernisse (z.B. Prostatahypertrophie, Urethrastrikturen) oder eine atone Blase (z.B. diabetische Neuropathie) haben eine ständig überfüllte Blase zur Folge und bedingen Überlaufinkontinenz. Die Blase ist passiv überdehnt, Restharnbildung und Harnträufeln sind die Folge.

    Als Dranginkontinenz bezeichnet man Harndrang mit unfreiwilligem Urinabgang. Motorische Dranginkontinenz tritt infolge neurologischer Probleme auf (Schlaganfall, Mb. Parkinson), das Gefühl für die Blase ist erhalten. Sensorische Dranginkontinenz kann z.B. bei Blasenentzündung auftreten - mit der Folge ständigen Harndrangs.

 
  Erfolgt eine Blasenentleerung wegen äußerer Umstände bei intakter Blasenfunktion, spricht man von funktioneller Inkontinenz.

Wird der Ureter gedehnt (Nierenstein), kommt es zu einer starken Anregung der Peristaltik, was mit intensiven Schmerzen einhergeht (Nierenkolik). Ist der Harnabfluss für längere Zeit blockiert, kann der andauernde Druckanstieg vor der Engstelle zu Schädigung des Nierenparenchyms führen (Hydronephrose).

        
Uroflowmetrie - Urologische Diagnostik
 

 
      Das Nierenbecken hat 5-10 ml, die Harnblase ~300 ml Fassungsvermögen; der Ureter transportiert Urin und verhindert Reflux (drucksensitive Pumpe, aktives Ventil) - angetrieben von einer Schrittmacherzone mit spontanaktiven Myozyten. Der renale hydrostatische Druck (~2 kPa) hält Nephrone und Nierenbecken entfaltet, ohne die Filtration zu behindern. Druckanstieg triggert 2-6 peristaltische Kontraktionswellen pro Minute, die über gap junctions mit 2-6 cm/s fortgeleitet werden und Druckspitzen bis zu 8 kPa generieren; höhere Druckgradienten können nicht überwunden werden (vesiko-ureterer Reflux, erschwerte Harnbildung). Die Ureterperistaltik wird cholinerg (parasympathisch) sowie α-adrenerg angeregt, ß-adrenerg gehemmt. Sensorische Fasern können Schmerz leiten und bei starker Dehnung des Harnleiters zu Nierenkolik führen
 
      Die Compliance (∂V/∂p) der Harnblase ist abhängig vom Zeitverlauf der Füllung und dem Zustand der Blasenwand: Bei Erhöhung des Blasenvolumens gibt die Wand plastisch nach (Wanddicke der leeren Blase 5-7 mm, bei maximaler Füllung ~2 mm), der Blasendruck (~1 kPa bei der Frau, ~2 kPa beim Mann) erhöht sich kaum. Der N. pelvicus leitet Afferenzen aus der Blase zum ZNS; bis zu dem Punkt, an dem die Detrusion getriggert wird, ist der Blasentonus unabhängig von der Nervenversorgung. Die Kontinenz (Dichtigkeit: hoher Strömungswiderstand) der Blase ist durch Kontraktion der Sphinkteren am Blasenausgang und in der Wand der Harnröhre gewährleistet. Der glattmuskuläre m. sphincter vesicae internus wird α1-adrenerg angeregt, der quergestreifte äußere Sphinkter durch den Pudendusnerv (Ursprung im Sakralmark); der detrusor vesicae wird ß2-adrenerg gehemmt. Das "Kontinenzzentrum" in der Brücke aktiviert motorische Fasern im N. pudendus und dadurch den äußeren Schließmuskel
 
      Ab ~0,2 Liter Blaseninhalt werden Dehnungsrezeptoren in der Blasenwand gereizt (früher bei rascher Füllung). Ab 0,3-0,4 Liter tritt Harndrang auf, der Blaseninnendruck beginnt mit weiterem Volumen exponentiell zu steigen (bei über 0.5 l schmerzhaft); im Extremfall kann die Blase mehr als 1 l fassen). Der Hirnstamm (pontines Blasenzentrum, zentrales Höhlengrau) integriert Information aus Blase und Harnwegen mit Impulsen aus höheren Zentren (präfrontaler Kortex, Insel, vorderer gyrus cinguli). Hemmung sympathischer Impulse im Thorakolumbalmark (Disinhibition des Detrusors) und parasympathische Efferenzen regen den Detrusor an. Hoher Druckgradient kombiniert mit geringem Strömungswiderstand ermöglicht die Entleerung der Blase (Detrusion). Die Kontraktion des Blasenmuskels (m. detrusor vesicae) wird muskarinerg-cholinerg und purinerg (ATP) angeregt. Detrusion hemmt sympathische Impulse und führt nitriderg zu Erschlaffung der Sphinkterzone (Reduktion des Fließwiderstandes). Wiederholte Kontraktionswellen (reflektorisch selbstregenerierend) haben Druckspitzen bis ~8 kPa, deren Amplitude mit abnehmendem Blasenvolumen geringer wird
   
      Die unteren Harnwege sind mit Bakterien besiedelt, Blasenharn ist praktisch steril (Harnfluss, immunologische Schutzmechanismen); Harnverhaltung begünstigt Infektionen
 

 




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