Das autonome Nervensystem (Vegetativum) steuert komplexe
Vorgänge mit hohem Autonomiegrad. Es besteht aus drei Komponenten: Dem sympathischen, dem parasympathischen und dem
Darmnervensystem. Eine
zentrale Koordinationsstelle für autonom-nervöse Reflexe und
Steuerung ist der Hypothalamus, ein Teil des limbischen Systems. Parasympathische Efferenzen verlassen Hirnstamm (Hirnnerven) und Rückenmark (Sakralbereich), sympathische das Rückenmark (Thorakolumbalbereich). Die von ihnen gesteuerten Funktionen beziehen sich auf fast alle Systeme des Körpers, wie Kreislauf, Atmung, Sinnesfunktionen, Verdauung, Hormonbildung. Präganglionäre Neurone arbeiten cholinerg (nikotinische Rezeptoren). Die Zahl der von einer präganglionären Faser beeinflussten postganglionären Neuronen (Divergenz) ist unterschiedlich, das Verhältnis reicht von 1:4 (Iris, Ziliarkörper - präzise Steuerbarkeit) bis zu mehreren hundert (Blutgefäße, Schweißdrüsen - breit gestreute Wirkung). Von den Eingeweiden ziehen afferente (viszerosensible) Fasern zum ZNS (über N. facialis, glossopharyngeus, vagus, Beckennerven). Sie melden Dehnungs-, chemische und Schmerzreize; ihre thalamischen und kortikalen Projektionen tragen auch zu bewussten Empfindungen bei (Harn- und Stuhldrang, Übelkeit, Atemnot, Schmerz). Die efferenten Wirkungen von Sympathikus und Parasympathikus sind außerordentlich vielfältig - teils lokal, teils breit gestreut. Generell kann man das Wirkmuster beim Sympathikus als ergotrop (ergon = Arbeit; nach außen gerichtet), beim Parasympathikus als trophotrop (trophos = Nahrung; nach innen gerichtet) bezeichnen. |
Eigenschaft |
Modifiziert nach Mastenbjörk / Meloni, Pharmacological Review. Medical Creations 2021 | Sympathikus |
Parasympathikus |
Lage |
Thorakolumbalmark |
Hirnnerven 3,7,9,10 Sakralmark |
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Axonlänge |
präsynaptisch postsynaptisch |
kurz lang |
lang kurz |
Transmitter |
präsynaptisch postsynaptisch |
Acetylcholin Noradrenalin (Acetylcholin) |
Acetylcholin Acetylcholin |
Wirkungen auf Systeme |
Gesamteffekt |
fight or flight |
rest and digest |
Pupillen |
Dilatation |
Konstriktion |
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Speichelsekretion |
gehemmt |
angeregt |
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Luftwege |
Bronchodilatation |
Bronchokonstriktion |
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Herz |
Tachykardie |
Bradykardie |
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Verdauungssystem |
Hemmt Digestion / Gallenblase Fördert Glukosefreisetzung aus der Leber motorische Relaxation |
Fördert Digestion und Darmmotorik Fördert Glukoseaufnahme in die Leber |
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Endokrines System |
Regt Nebennierenmark an (Katecholaminfreisetzung) |
-- |
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Harnblase |
Relaxation |
Kontraktion |
NANC und andere Cotransmitter Nach Ritter / Flower / Henderson / Loke / MacEwan / Rang, Rang & Dale's Pharmacology, 9th ed. Elsevier 2020 |
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Transmitter |
Lage |
Funktion |
Nicht-Peptide |
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ATP |
Postganglionäre sympathische Neurone |
Rasche Depolarisierung / Kontraktion glatter Muskeln (z.B. Blutgefäße, vas deferens) |
GABA 5-HT |
Darmnerven |
Peristaltik |
Dopamin |
Renale und andere sympathische Neuronen |
Vasodilatation |
NO |
Nerven in Magen und Beckenregion |
Magenentleerung Erektion |
Peptide |
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NPY |
Postganglionäre sympathische Neurone | Verstärkt konstriktorische Wirkung, hemmt Freisetzung von Noradrenalin |
VIP |
Salivatorische parasympathische Nerven NANC-Steuerung von Luftwegen |
Vasodilatation ACh-Cotransmitter Bronchodilatation |
GnRH | Sympathische Ganglien |
Langsame Depolarisierung ACh-Cotransmitter |
Substanz P | Sympathische Ganglien Darmnerven |
Langsame Depolarisierung ACh-Cotransmitter |
CGRP | Unmyelinisierte sensorische Neurone |
Vasodilatation Entzündung |
Das autonome (sympathische, parasympathische und intestinale) Nervensystem steuert innere Organe. Der Sympathikus unterstützt die Anpassung an wechselnde Anforderungen des Organismus (Sauerstoff- und Substrattransport für Kampf- oder
Fluchtreaktionen, Schärfung der Sinne). Der Parasympathikus dient der Aufrechterhaltung eines inneren Milieus und zeigt
im Gegensatz zum Sympathikus kaum Divergenz (präzise Steuerung). Eine
Blockade peripherer autonomer Nerven führt (im Gegensatz zur
Skelettmuskel) nicht zu totalem Funktionsausfall des betroffenen
Gebietes, Drüsen- und glatte Muskelzellen erhalten ihre Spontanaktivität Afferenzen aus Eingeweiden bringen sensorische Information zum ZNS und laufen über zwei Stränge: Das kraniale System über Hirnnerven zum Hirnstamm, das spinale System zum Rückenmark. Diese Afferenzen (Dehnung der Lunge, Blutgase, Blutvolumen und Blutdruck, Nahrung und Verdauungssystem, Füllung von Blase und Mastdarm) ermöglichen autonome Reflexe - über das kraniale System hauptsächlich für Mechano- und Chemosensibilität, das spinale System vorwiegend betreffend Temperatur / Gewebeverletzung / Schmerz. Die Afferenzen beeinflussen endogene Rhythmen, Kreislauf und Atmung, Verdauung, Blasenmotorik, Genitalreflexe, Hautdurchblutung, Pupillenweite, Akkommodation. Autonome Efferenzen steuern glatte Muskulatur (Iris, Ziliarmuskel, Bronchien, Darmmuskulatur, Urogenitaltrakt), Herzmuskel und Drüsen Limbisches System und Hypothalamus steuern das autonome Nervensystem. Je nach Funktionsmuster werden Teilsysteme antagonistisch oder synergistisch aktiviert. Das Funktionsgleichgewicht Sympathikus / Parasympathikus entspricht der Balance Ergotropie / Trophotropie. Parasympathische Neuronengruppen liegen im Hirnstamm und im Sakralmark (S2-4, kraniosakrales System), die prä- auf postganglionäre Umschaltung erfolgt organnah. Sympathische Neuronengruppen liegen im Thorakal- und Lumbalmark (T1 bis L3, thorakolumbales System), die Umschaltung erfolgt im oder in der Nähe des Grenzstrang(s) Präganglionärer Transmitter ist generell Acetylcholin, die Rezeptoren nennt man nikotinisch. Die Wirkungen sind lokal begrenzt und von kurzer Dauer. Die Divergenz prä- auf postganlionär reicht von 1:4 (Ziliarganglion: hohe Präzision) bis 1: mehrere hundert (Blutgefäße, Schweißdrüsen). In den Ganglien erfolgt die Verrechnung zahlreicher Eingänge; postganglionäre Neuronen verteilen entsprechende Impulse auf die Peripherie. Varikositäten sezernieren via Ca++-Ionen, VAMPs und SNAPs den jeweiligen Transmitter zusammen mit Kotransmittern in das umliegende Interstitium. Postsynaptisch- parasympathisches Acetylcholin wirkt auf muskarinische (mit VIP, NO), sympathische auf adrenerge Rezeptoren (mit NPY, ATP). Kotransmitter wirken langsam, aber effektiv Die Blasenmotorik wird vom autonomen System gesteuert. Der Sympathikus (lumbal) unterstützt die Dichtigkeit: Er fördert den Tonus des inneren Schließmuskels und entspannt die Blasenwand (geringer Füllungsdruck). Das pontine Kontinenzzentrum aktiviert über den Onuf'schen Kern im Rückenmark somatomotorische Fasern im N. pudendus und damit den äußeren Schließmuskel (hoher Ausstromwiderstand). Dehnungsrezeptoren in der Wand der Harnblase melden steigenden Blasendruck an das pontine Miktionszentrum, bei Freigabe des Detrusionsreflexes durch höhere Zentren wird die sympathische Aktivität gehemmt, die parasympathische angeregt (Miktion) Der Sympathikustonus kann unterschiedlich abgeschätzt werden: Ableitung der Aktivität sympathischer Efferenzen (MSNA, SSNA) , Noradrenalinspiegel in Blut oder Harn, Herzfrequenzvariabilität. Der Anstieg der Katecholaminspiegel im Blut hängt von der Art der Belastung ab (psychische Belastung: NA um die Hälfte, A ~2fach; Wechsel zu stehender Position: NA ~2fach, A um die Hälfte; körperliche Belastung NA ~4fach, A ~2fach; starke Hypoglykämie NA ~3fach, A ~20-fach; hämorrhagischer Schock NA ~8fach, A ~25fach). Physischer Stress regt eher die noradrenerge (Sympathikus), psychischer und metabolischer eher die adrenerge Achse an (Nebenniere) Der Parasympathikus fördert Regenerationsprozesse und verwaltet spezielle vegetative Reflexe. Er schont Organe (respiratorische Säuberungsfunktion, Schutz der Augen), spart Energie (Herzverlangsamung) und wirkt anregend auf Verdauungssystem, Blase und Rektum. |