Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

     
Transport im kardiovaskulären System (Kreislauf, Blut, Lymphe)

Untersuchung und Beeinflussung der Kreislauffunktion
© H. Hinghofer-Szalkay
Anamnese: ἀνά-μνησις = Wieder-Erinnerung
hydrostatisch: ὕδωρ = Wasser, stare = (still)stehen (unbewegte Flüssigkeit!)
Korotkoff-Geräusche: Nikolai S. Korotkow
Müller-Versuch: Erich A. Müller
Schellong-Test: Fritz Schellong
Sphygmo (mano) metrie: σφυγμός = Pulsschlag, μαν
ός = dünn ("Puls-Verdünnungsmesser")
Valsalva-Versuch: Antonio Valsalva
Windkessel: Behälter, der Druckschwankungen minimiert (windkessel vessels')


Bei der Messung des arteriellen Blutdrucks passieren in der Praxis besonders oft Fehler. Um valide Ruhewerte zu erhalten, muss physische und psychische Ruhe gewährleistet sein (Person alleine in ruhigem Raum ohne Reizfaktoren, 15 Minuten ungestörtes "Auschillen", automatisierte Messung); die Messstelle liegt auf Herzhöhe (hydrostatischer Druckgradient), die Breite der Manschette ist auf den Extremitätenumfang abgestimmt. Die Höhe des Blutdrucks ist abhängig von zusätzlichen Faktoren, wie Atemposition, Körperlage, Tageszeit, Blutvolumen, Elektrolythaushalt.

Nichtinvasive Blutdruckmessungen sind ungenau, die Angabe der Werte sollte keine Genauigkeit vortäuschen.

Soll der Zustand des kardiovaskulären Systems (des "Kreislaufs") ermittelt werden, ist - neben "Momentaufnahmen" aktueller Zustandsgrößen (Blutdruck, Herzfrequenz, Elektrolyte, EKG..) - die Dynamik der Reaktionen auf bestimmte Reize (Änderungen der Zustandsgrößen) besonders aufschlussreich, zum Beispiel:

   -- Beim Valsalva-Versuch wird der Zeitverlauf von Blutdruck und Herzfrequenz während und nach Atmung gegen einen definierten Pressdruck ermittelt

   -- Kipptischversuche (oder der Stehtest nach Schellong) untersuchen Blutdruck und Herzfrequenz, oft auch zusätzlicher Größen, in Reaktion auf Änderung der Körperlage

   -- Der Cold pressor test (Eintauchen einer Hand in Eiswasser) erhöht Sympathikustonus, Herzfrequenz und Blutdruck (einige Minuten Vasokonstriktion); auch der Blutspiegel an Katecholaminen steigt an.


 
Plasma- und Blutvolumenbestimmung    Aussagekraft von Blutdruckwerten Blutdruckmessung und Blutdruckeinstellung Kreislauftestung  Pulswellengeschwindigkeit und Kreislaufzeit  Blutströmung Künstliche Kreislaufbelastung

Core messages
  
Messung von Plasma- und Blutvolumen

Zu Verteilungsräumen (Flüssigkeitskompartimenten) im Körper s. auch dort
 
Das Volumen des Blutes bzw. Blutplasmas im Kreislauf ist nicht direkt messbar (dazu müsste es vollständig in ein Messgefäß verbracht werden; bildgebende Verfahren können das gesamte Blutvolumen nicht korrekt erfassen).

Man kann aber Substanzen in den Kreislauf einbringen, die sich im fraglichen Volumen (und nur darin) verteilen und deren Konzentration Aufschluss über das Verteilungsvolumen gibt (Indikator-Verdünnungsprinzip).

Natürlich verbleibt die Indikatorsubstanz nicht dauerhaft gebunden bzw. im fraglichen Kompartiment; sie wandert allmählich aus dem Kreislauf, wird abgebaut und/oder ausgeschieden. Daher werden Zeitprotokolle genutzt (z.B. 5 konsekutive Blutabnahmen in 6-Minuten-Intervallen), um aus dem Konzentrationsverlauf des Indikators nach Injektion auf eine hypothetische Situation seiner perfekten Verteilung zum "Zeitpunkt null" (Injektion) zurückzurechnen. Damit werden Fehler durch anfänglich unvollsträndige Durchmischung einerseits, Verschwinden des Indikators aus dem fraglichen Verteilungsraum andererseits minimiert. Das erfordert mehrfache Probenentnahmen und erhöht den messtechnischen Aufwand, ist aber für eine hinlängliche Präzision der Methode notwendig.
 

Abbildung: Indikatorverdünnungsprinzip

Eine bestimmte Menge eines Indikatorstoffes (blau) wird in einem unbekannten Volumen aufgelöst. Hat er sich gleichmäßig darin verteilt, kann über seine Konzentration auf das zu bestimmende Volumen rückgerechnet werden - zum Beispiel das Blutvolumen (symbolisiert durch den Inhalt der Badewanne). Das Prinzip funktioniert nur, wenn der Indikator während der Messdauer in der Blutbahn verbleibt. 
 
Dividiert man die Indikatormenge durch seine - nach gleichmäßiger Durchmischung gemessene - Konzentration im Blut, erhält man das gesuchte Verteilungsvolumen (Messung des Indikators z.B. über Farbintensität oder Radioaktivität)


Je größer das Volumen, desto stärker wird der Indikator verdünnt → niedrige Konzentration. Ist eine vollständige Äquilibrierung erfolgt - im Blutkreislauf dauert das mindestens einige Minuten -, ergibt sich das gesuchte Volumen (V) aus der Menge (oder Aktivität) des injizierten Indikators (Mi), gebrochen durch seine Konzentration (c: Menge / Volumen) im betreffenden Kompartiment, nach
 
V = Mi / c
 
Ist das ermittelte Volumen das Plasmavolumen, stehen in der Formel die Symbole VP (für V) und cP (für c).

Die Menge (M) des injizierten Indikators wird häufig als das Produkt aus Volumen (der injizierten Markerflüssigkeit: Vi) und Indikatorkonzentration (in dieser Probe: ci) angegeben - was die obige Formel etwas komplizierter aussehen lässt:

V = (Vi . ci) / cP
 
wobei cP die Indikatorkonzentration im Plasma zum "Zeitpunkt null" bedeutet; V ist dann das gesuchte Plasmavolumen (VP).
 
   In welchem Volumen verteilt sich der Indikatorstoff? Das hängt davon ab, an welche Moleküle bzw. Strukturen er bindet. Ist es z.B. Plasma-Albumin, dann detektiert die Methode das Plasmavolumen.

Man verwendet z.B. mit dem Radioisotop Jod-131 markiertes Humanalbumin. Dieses verteilt sich rasch im gesamten Plasmavolumen und wandert nur allmählich transkapillär in das interstitielle Kompartiment. In diesem Fall wird der ß-Zerfall detektiert.

Auch wird Kohlenmonoxid (CO) in kleinen Mengen im Rahmen eines Rückatmungsprotokolls (rebreathing) verwendet, das sich an das Hämoglobin in der Erythrozyten bindet. Ermittelt wird der Anteil Carboxyhämoglobin mittels Blutgasanalyse.

Die verwendete Substanz muss in jedem Fall einige Bedingungen erfüllen: Ungiftig und ungefährlich, verlässlich messbar, während der Messdauer im Kreislauf verbleibend (z.B. durch Bindung an Protein oder Erythrozyten).
 
Kennt man das Plasmavolumen (VP) und den Hämatokrit (Ht), kann daraus das Blutvolumen (VB) errechnet werden:
 
VB = VP / (1 - Ht)
 
wobei der Hämatokrit in Fraktion angegeben wird (z.B. 0,4 bei 40%). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Hämatokrit in der Mikrozirkulation oft nur 30-50% des Wertes in einer Blutprobe beträgt, die aus einem größeren Gefäß (Makrozirkulation) stammt. Der aus einer Blutprobe ermittelte Hämatokrit ist höher als der Ganzkörperhämatokrit und sollte mit einem Korrekturfaktor multipliziert werden:
  "Kapillarblut" stammt nicht aus Blutkapillaren, sondern ist arterielles Blut (z.B. aus einer gestochenen Fingerbeere), das in einer Kapillare (einem dünnen, meist heparinisierten Röhrchen) aufgefangen wird.

Der Ganzkörper-Hämatokrit beträgt im Durchschnitt 87% des aus einer Blutprobe (z.B. aus dem Finger) ermittelten Wertes. 0,87 ist also der Korrekturfaktor, wenn man aus einem gemessenen Ht-Wert auf den für den gesamten Kreislauf gültigen Wert rückrechnen will.
 
    Rechenbeispiel: Das Plasmavolumen wurde mit 3,1 l bestimmt, der Hämatokritwert (Fingerbeere) beträgt 0,46. Wie groß ist das Blutvolumen?

Auflösung:
1) Der Ganzkörperhämatokrit beträgt 0,46 mal 0,87 → 0,40; [1 / Ht] = 0,60
2) 3,1 / 0,6 = 5,17 .. das Blutvolumen beträgt knapp 5,2 Liter.
 
Was sagen Blutdruckwerte aus?
 
Die Blutdruckmessung gehört zu den am häufigsten gebrauchten (und auch falsch angewendeten, missverstandenen oder überinterpretierten) Verfahren der medizinisch-klinischen Diagnostik. Ohne ein gründliches Verständnis der physikalischen, testtheoretischen und physiologischen Grundlagen steht die Interpretation von Blutdruckwerten auf tönernen Füßen, sind fehlerhafte therapeutische Konsequenzen - etwa die Behandlung einer in Wirklichkeit nicht existierenden Hypertonie - nicht selten.

Abbildung: Hydrostatische Druckschichtung (Mittelwerte) in Arterien und Venen
  Nach einer Vorlage bei Loring Rowell: Human circulation - regulation during physical stress. Oxford University Press, NY 1986

Die angegebenen Werte gelten für 1 G (Erdbeschleunigung) bei einer mittelgroßen stehenden Person.
 
Die arteriellen Drucke liegen (auf jeder Höhe) etwa 100 mmHg über den venösen


Die Beurteilung der Kreislauffunktion  beginnt im Allgemeinen mit Beobachtung und Erhebung der Vorgeschichte:
 
     Beobachtung (Zeichen adäquater Durchblutung der Organe / Gewebe? Schmerzen? Mentale und emotionale Belastbarkeit? Kurzatmigkeit? Kollapsneigung?)
 
     Anamnese (Risikofaktoren? Lebensstil? Verwandtschaft?)
   
Erst dann - nur in Ausnahmefällen als Erstes - folgt die

     Untersuchung (Perkussion, Auskultation; Herzgeräusche? Herzfrequenz, systolischer und diastolischer Blutdruck? etc)

Einfache physikalische Überlegungen helfen bereits, die Kreislauffunktion besser zu verstehen:

In einem kommunizierenden Gefäßsystem ist der Druck umso höher, je weiter "unten" gemessen wird (hydrostatische Druckschichtung; Abbildung). In den Beinvenen reichert sich beim Sitzenden oder im Stehen Blut an, die Halsvenen sind hingegen nicht gefüllt, außer wenn durch Pressen oder Belastung der venöse Druck ansteigt. Hervorspringende Halsvenen beim ruhig aufrecht sitzenden Patienten (kein Singen, Pressen o.ä.) gelten als diagnostisches Zeichen (Rückstau vor dem Herzen: Herzinsuffizienz).
 
Über Untersuchungsmöglichkeiten der Herzfunktion s. dort
 
Blutdruckmessung
  
  Die übliche nichtinvasive Blutdruckmessung mittels Staumanschette (Sphygmo (mano) metrie) beruht auf dem Prinzip, dass die Blutströmung durch den Manschettendruck so über das Gewebe auf die Arterie übertragen wird, dass
 
     die Strömung in der Arterie dann vollständig blockiert wird, wenn der Manschettendruck den systolischen Druck im Arteriensystem übersteigt; und dass
 
     die Strömung in der Arterie zu keinem Zeitpunkt mehr zum Erliegen kommt, wenn der Manschettendruck den diastolischen Druck im Arteriensystem unterschreitet.

Diese von Riva-Rocci eingeführte Methode ("RR") nutzt das Prinzip, eine im Gewebe (z.B. des Oberarmes) liegende Arterie durch definierten Manschettendruck zu komprimieren und das Öffnungsverhalten als Funktion des Okklusionsdrucks für die Abschätzung des jeweiligen Innendrucks im Gefäß zu nutzen.
Als Faustregel kann gelten, dass die Breite der Messmanschette etwa 40% des jeweiligen Oberarmumfangs betragen soll. Ist die Manschette schmäler, braucht man höhere Drucke zum Erreichen der Kompression der Arterie (falsch hohe Werte), ist sie zu breit, werden die Kompressionsdrucke zu früh erreicht (falsch niedrige Blutdruckwerte).

Als Kriterien werden herangezogen:
 
 
   Korotkoff-Geräusche bei Druckreduktion in der Manschette, nachdem diese über den systolischen Wert aufgeblasen wurde (auskultatorisches Kriterium): Systolischer (Auftreten) und diastolischer Druck (Verschwinden der Geräusche) werden ermittelt (cuff and manometer method)
 

     Erstes Auftreten tastbaren Pulses bei Druckreduktion in der Manschette (palpatorisches Kriterium). Diese Methode erlaubt nur die Messung des systolischen (nicht des diastolischen) Drucks
 

     Während der Messung auftretende Druckschwankungen in der Manschette (oszillometrisches Kriterium): Maximale Oszillationen zeigen die Höhe des arteriellen Mitteldrucks an. Der diastolische Druck wird errechnet, nicht gemessen (automated oscillometric method
 

     Blutströmung (Ultraschall-Doppler) peripher von der Engstelle: Strömung als Funktion des Manschettendrucks.
 
Der arterielle Blutdruck (Faustregel für den Mitteldruck in Herzhöhe: Herzzeitvolumen mal peripherer Gefäßwiderstand) hängt von zahlreichen Faktoren ab:


     Höhe der Messstelle - je dm Höhenunterschied ändert sich der hydrostatische Druck um 1 kPa = 7,5 mmHg

     Förderleistung des linken Ventrikels (steigt diese, baut sich ein höherer arterieller Druck im Gefäßsystem auf)

     Eigenschaften der Arterien (Windkesseleffekt) - steife Arterien erhöhen den Druck, vor allem den systolischen, da sie Volumenpulse weniger gut auffangen

     gesamter peripherer Gefäßwiderstand - nimmt dieser zu, fließt Blut langsamer in das Niederdrucksystem aus, es steigt der arterielle Druck, vor allem der diastolische
  
     
Die Absolutgenauigkeit (accuracy) der nichtinvasiven Blutdruckmessung ist eingeschränkt, der zu erwartende Fehler beträgt etwa ±10 mmHg oder mehr. Wichtig ist die Manschettenbreite; je dünner die Extremität, desto eher wird bei gegebenen Druckverhältnissen die Arterie verschlossen (deshalb verwendet man schmale "Kindermanschetten" für dünne Extremitäten und breitere Manschetten, wenn der Arm einen großen Umfang aufweist).

Für die Praxis sind die ermittelten Werte als Orientierungshilfe
geeignet (wenn grobe Fehler vermieden werden), man darf diese Blutdruckwerte aber nicht überbewerten; lächerlich sind bei dieser Methode Angaben des Blutdrucks auf 3 oder mehr Stellen (z.B. "136/89" - Pseudogenauigkeit!).
 

Abbildung: Invasive Blutdruckmessung (Sonde in a. radialis)

Die invasive Methode erlaubt präzisere Blutdruckmessungen und das kontinuierliche Monitoring der Pulswellenform. Kanülen werden z.B. in der a. radialis, femoralis oder dorsalis pedis placiert. Patienten (oder Probanden) müssen laufend überwacht, Blutungen, Thrombosierungen und Infektionen verhindert werden


  Invasive Blutdruckmessungen haben den Vorteil höherer Genauigkeit und des direkten Zugangs zur Messstelle. Sie erfolgen mittels in die Arterie eingebrachter Sonde und externem Druckfühler ( Abbildung). Mit diesem Verfahren kann hohe Präzision und Absolutgenauigkeit erreicht werden, es eignet sich für Blutdruckmonitoring in Extremsituationen (perioperativ, Intensivstation).
 
Die erste invasive Blutdruckmessung wurde vermutlich von Stephen Hales durchgeführt. 1733 verband er ein 3 Meter langes Glasrohr über eine Ganstrachea mit der Halsschlagader eines Pferdes (das nicht betäubt und in dieser Situation sicher beträchtlich hyperton war) und maß die Höhe der Blutsäule im Rohr (annähernd in m H2O, das spezifische Gewicht von Blut liegt nur 6% über 1). Ein Jahrhundert später führte Jean L.M. Poiseuille die Verwendung von Quecksilber für die Manometrie ein - die hohe Massendichte (~13,5 mal die von Wasser) macht Druckmessungen (in mmHg) mit wesentlich kürzeren U-Rohren möglich. Poiseuille konnte zeigen, dass der Blutdruckabfall von der Aorta zu peripheren Arterien sehr gering ist (und diese Strecke daher kaum Strömungswiderstand bietet).
 
Blutdruckmessungen mittels Quecksilbermanometer waren zu träge, um den raschen Oszillationen des arteriellen Drucks zu folgen, sie zeigen zeitlich gemittelte Werte an. Heute verwendet man elektronische Drucksensoren (eine dünne Metallplatte verändert bei Druckänderungen ihren elektrischen Widerstand), sie bieten hohe Messgenauigkeit und zeitliche Auflösung.
 
Auch moderne Sensoren werden gegen Manometer mit Flüssigkeitssäule geeicht. Druckangaben in cm H2O oder in mmHg sind nach wie vor üblich; 1 kPa entspricht 10 cm H2O entspricht 7,5 mmHg.
 
Der Blutdruck wird vom Kreislaufzentrum reguliert, dieses reagiert sowohl auf periphere (afferente) Impulse (Barorezeptoren) als auch auf zentrale (z.B. bei Stresseinwirkung). Dementsprechend dynamisch kann der Blutdruckverlauf sein; die Werte können sich innerhalb kürzester Zeit verändern, insbesondere mit körperlicher und geistiger Belastung sowie infolge Medikamenteneinwirkung.

Die arteriellen Blutdruckwerte spiegeln den "Basiszustand" des Kreislaufs nur dann valide wider, wenn die Messung unter echten Ruhebedingungen vorgenommen wird:
 
      Patient/in für mindestens 15 Minuten in einem ruhigen, abgeschirmten, wohltemperierten Raum, alleine, im Liegen (kein Stresseinfluss)

      Messung erfolgt auf Herzhöhe (hydrostatische Druckschichtung im Kreislauf; arterieller hydrostatischer Indifferenzpunkt etwa auf Höhe des Aortenbogens)


Bei nichtinvasiven Messungen ist weiters zu beachten:
  
     Messung erfolgt mehrfach und automatisiert

     Messung erfolgt mit geeigneter Manschette, sonst Verfälschung der Messwerte (Breite je nach Oberarmdurchmesser; "Kindermanschetten" sind schmäler)

Selten werden in der Praxis alle diese Randbedingungen beachtet, dementsprechend gering ist dann die Gültigkeit der ermittelten Blutdruckwerte.

  
   Fehler, die bei der Blutdruckmessung zu beachten / vermeiden sind:

     Messanordnung: Messfehler durch Gerätschaft (ungeeichtes Gerät, falsche Manschette)

     Position: Messstelle über oder unter Herzniveau (Messung an der Hand!)

     Belastung: Patient/in während Messung nicht im Ruhezustand (psychisch / physisch belastet)

     Orthostatischer Einfluss (Stehen - Sitzen - Liegen)

     Medikamente (inkl. Koffein, Nikotin)

     Stuhl- oder Harndrang

Ist eine Arterie eingeengt (komprimiert), nimmt der Blutdruck distal von der Engstelle ab

Findet man reduzierte Druckwerte nur an einem Arm (bei gleicher Lagerung), kann hier eine Stenose zwischen a. brachialis bzw. truncus brachiocephalicus und Messstelle vorliegen


  Normalerweise beträgt der Blutdruckwert, der unter solchen definierten Ruhebedingungen erhoben wird, nicht mehr als 130 / 85. Der Ruheblutdruck sollte nicht über 140 / 90 mmHg liegen. Wenn höhere Werte persistieren, gilt dies als arterielle Hypertonie.
 
Als arterielle Hypotonie gelten chronisch rezidivierende, symptomatische (Schwindelgefühl) Blutdruckwerte unter 110/60 bei Männern und 100/60 bei Frauen.
 
Behandlung: Einer arteriellen Hypotonie kann auf nichtmedikamentösem Wege auf mehrere Arten begegnet werden:

     Wenn blutdrucksenkende Medikamente verwendet werden: Reduktion / Absetzen
 
     Auslösefaktoren vermeiden, z.B.: Längeres Stehen, Hitze (orthostatische Hypotonie / Kollaps); rasches Aufstehen; starker Alkoholgenuss
 
     Falls venöse Insuffizienz besteht: Stützstrümpfe, elastische Binden an den Beinen
 
     Bei Kollapsgefahr: Rückenlage, Beine hochlagern (vgl. dort)

  Bei Hypotonie wirksame Medikamente sind z.B.
 
     Sympathomimetika (periphere Vasokonstriktion),
 
     Volumenerhöher (Fludrocortison: hohe Mineralcorticoidwirkung).

Arterielle Hypertonie kann über mehrere physiologische Mechanismen (evt. in Kombination) bekämpft werden. Dazu gehören:
 
     Diuretika (Volumenabnahme → verringerter Füllungsdruck → Herzentlastung) 
 
     ß-Rezeptor-Antagonisten (periphere Vasodilatation)
 
     ACE-Hemmer (Abnahme Angiotensin II → periphere Vasodilatation)
  
Physiologische Einflüsse auf die Höhe des Blutdrucks

Der Blutdruck oszilliert mit der Atmung (Traube-Hering-Wellen): Inspiration senkt den Blutdruck um einige mmHg; die gleichzeitig steigende Herzfrequenz (Sinusarrhythmie) kann den resultierenden Abfall der ventrikulären Pumpleistung nicht ganz kompensieren.

Bei Lagewechsel (Aufstehen) vorübergehend niedrigere Werte bedeuten orthostatische Hypotonie (ohne Krankheitswert).

Im Schlaf kann der Blutdruck auf etwa 80/50 mmHg sinken, ohne dass eine Hypotonie vorläge;
die Gefäße im Splanchnikusbereich sind dilatiert, das Herz schlägt verlangsamt (Bradykardie), das Herzminutenvolumen ist erniedrigt.

Stress (Angst, Ärger), sexuelle Erregung und natürlich körperliche Belastung wirken blutdrucksteigernd; so steigert die Angst vor einem Vortrag oder einer medizinischen Untersuchung den Blutdruck um gut 20 mmHg,
steigert Muskelarbeit den arteriellen Mitteldruck um 10 bis 40 mmHg, oder treten beim Orgasmus Werte bis zu 200 / 120 mm Hg auf.
 
Kreislauftestung
 
Der Einfluss der relativen Höhe auf die Füllung der Venen zeigt sich in einfacher Weise in folgender Beobachtung: Die oberflächlichen Venen des gesenkten Armes sind prall mit Blut gefüllt (Überdruck); bei gehobenem Arm hingegen sind die Venenbette eingesunken (Unterdruck im Verhältnis zum umgebenden Gewebe). Der Wasserdruck nimmt pro Meter Tiefe um 1/10 Atmosphäre - 10 kPa oder 75 mm Hg - zu. Dies gilt (annähernd) auch im Kreislauf, weil Blut um nur ~5% dichter als Wasser ist (abhängig vom Hämatokrit: Dichte der Erythrozyten 1,09 g/ml, Dichte des Plasmas 1,02 g/ml). Bei ungestörten Druckmessungen ist die Registrierung des Venenpulses möglich.

Dabei ist der Ort, an dem sich bei Lageänderung des Körpers der hydrostatische Druck (venös, arteriell, ..) nicht ändert ("hydrostatische Indifferenz"), von mehreren Faktoren abhängig (Blutvolumen, Gefäßtonus etc). Auch spielt eine große Rolle, exakt welche Körperlagen miteinander verglichen werden.
 


Abbildung: Automatisierte Anlage zur Kreislauftestung
Quelle: iap

Kipptisch kombiniert mit LBNP-Anordnung. Registrierung von Blutdruck, Herzfrequenz, EKG, Thoraximpedanz; Berechnung von Schlagvolumen, peripherem Strömungswiderstand, vegetativer Regulationslage.
 
Beim Wechsel von liegender zu aufrechter Körperlage kann vorübergehend orthostatische Hypotonie auftreten


Lageänderungen des Körpers (postural changes) können als Methode zur Testung der Kreislaufregulation genutzt werden ( Abbildung). So kommt es beim Aufrichten aus der liegenden Grundposition (Kipptisch) zu zahlreichen physiologischen Anpassungsreaktionen:

     Die Pulsfrequenz nimmt um 10-20 bpm zu (Barorezeptorreflex: Steigender Sympathikustonus, sinkender parasympathischer Einfluss auf das Herz - positive Chronotropie). Dadurch soll der - aus hydrostatischen Gründen - plötzlich verringerte Blutrückstrom zum rechten Herzen insoweit kompensiert werden, dass der arterielle Blutdruck stabilisiert wird - trotz eines Abfalls des Herzminutenvolumens um ~30%

     Der periphere Gefäßwiderstand nimmt zu - erhöhter Sympathikustonus führt zu allgemeiner Vasokonstriktion. Auch hier ist der Barorezeptorreflex auslösend

     Zahlreiche hormonelle Antworten erfolgen mit einer gewissen Zeitverzögerung - z.B. Anstieg der Vasopressin-, Aldosteron- oder Adrenalin / Noradrenalinkonzentrationen im Blut

    
   Einzelheiten dazu s. dort

Für die Praxis am Wichtigsten ist der Wechsel zwischen liegender und aufrechter Position: Hier liegt der venöse "hydrostatische Indifferenzpunkt" etwa eine Handbreit unter der Zwerchfellkuppel, der arterielle ungefähr auf der Höhe der Klappenebene des Herzens. Das bedeutet auch, dass z.B. beim Aufstehen sowohl die kardiopulmonären (Volumen-) Rezeptoren als auch die arteriellen (Carotis-) Rezeptoren einen Druckabfall finden und gemeinsam den Baroreflex auslösen.

     Die Funktionstüchtigkeit der Kreislaufregulation kann mit dem Schellong-Test (=Orthostaseversuch) ermittelt werden: Blutdruck und Herzfrequenz werden zuerst am sitzenden, dann am stehenden Probanden gemessen. Normalerweise steigt die Herzfrequenz leicht (10-20 bpm) an, der arterielle Blutdruck bleibt stabil. Der Kreislauf ist dann in der Lage, die hydrostatischen Änderungen durch Lageänderung zu kompensieren.
 

Abbildung: Auswirkung eines Valsalva-Versuchs auf die Herzfrequenz
Quelle: iap

Gesunde junge Frau. Herzfrequenzkurve blau, Druck an Mundstück rot.
 
Durch die Druckerhöhung im Thorax während des Pressens nimmt die Herzfrequenz reflektorisch ab; anschließend steigt sie wegen der zunehmenden zentralen Hypovolämie


      Der Valsalva-Versuch ( Abbildung) testet die Kreislaufreaktion (Herzfrequenz, Blutdruck) auf eine (definierte: Messung an Mundstück) Steigerung des intrathorakalen Drucks durch Ausatembewegung gegen einen Widerstand. Beim Pressen nimmt die Herzfrequenz zunächst ab (Barorezeptorreflex reagiert auf den primär erhöhten Druck), dann zu (Schlagvolumen nimmt mit dem venösen Rückstrom rasch ab, damit sinkt auch der Blutdruck).

      Beim Müller-Versuch wird umgekehrt ein Unterdruck im Thorakalraum als Reiz zur Kreislaufstimulation verwendet.

      Beim Cold pressor test (CP-Test) wird eine Hand (üblicherweise für eine Minute) in Eiswasser getaucht. Über somatosensorische Afferenzen kommt es zur Aktivierung sympathischer Fasern und Vasokonstriktion, Blutdruckerhöhung um bis zu 40 mmHg (normalerweise 10-25 mmHg - dauert 2-3 Minuten an) und Freisetzung von Katecholaminen (im Blut nachweisbar).
 
Weiterführende Untersuchungen sind z.B. das EKG, Phonokardiographie, Pulskurvenregistrierung, Ermittlung der Pulswellengeschwindigkeit; weiters Blutuntersuchungen, bildgebende (CT, MRI) und funktionelle Verfahren (Ultraschall-Doppler, Belastungstests, Ergometrie etc.).
 
Über den Venenpuls s. dort
 
Pulswellengeschwindigkeit
 
Das Tempo, mit dem sich die systolische Druckwelle vom Herzen in die peripheren Arterien ausbreitet (Pulswellengeschwindigkeit PWG), gibt Aufschluss über die Volumendehnbarkeit (Compliance) der Arterienwände: Je geringer die Dehnbarkeit, desto höher die PWG (Arteriosklerose, Gefäßwandalterung). 

Erhöhte Steifigkeit der herznahen Arterien bedeutet für das linke Herz zusätzliche Belastung (gesteigerte Nachlast).
 
Pulswellengeschwindigkeit (PWG)
= Laufstrecke (d) / Laufzeit (t)
 
Bei jungen gesunden Personen beträgt die Pulswellengeschwindigkeitflug
 herznahe (Aortenbogen) etwa 4 m/s, peripher bis zu 10 m/s. Ältere Menschen mit steiferer Arterienwand zeigen Pulswellengeschwindigkeiten bis zu 15 m/s.

Die Ermittlung von [t] orientiert sich an der jeweiligen Stelle des beginnenden steilen Druckanstiegs (Ankunft der Pulswelle,
Abbildung).
 
Kreislaufzeit

 
Die Kreislaufzeit kann ermittelt werden, indem ein Indikator (Farbstoff) i.v. injiziert wird (Armvene) und die Zeit (nach Injektion)  bis zur Ankunft der Indikatorwolke an einer Messstelle (Ohr) ermittelt wird. Wie die Abbildung zeigt, können dabei eine Reihe von Kennzahlen gewonnen werden, die über die Dynamik der Indikatorpassage Auskunft geben. So gibt die Rezirkulationszeit die Dauer von der 1. bis zur 2. Passage (Gipfelkonzentration) des Indikators an der Messstelle an.
 

Abbildung: Farbstoffverdünnungsmethode zur Bestimmung von Passagezeiten
Nach einer Vorlage bei Roche Lexikon Medizin, 5. Aufl. Urban & Fischer 2003

Aus der mittleren Farbstoffkonzentration während der Passagezeit errechnet sich bei bekannter Indikatormenge das Verteilungsvolumen (Indikatorverdünnungsprinzip)

  cp, maximale Farbstoffkonzentration (peak concentration)  cpr, maximale Konzentration des rezirkulierenden Farbstoffs (peak concentration of recirculate dye EZ, Erscheinungszeit = ta (appearance time)  GZ, Gipfelzeit = tp (peak concentration time)   IZ, Injektionszeit
 

  KZ, Konzentrationszeit = ta → p = tp-ta (build-up time)   MZZ, mittlere Zirkulationszeit = Kreislaufzeit = t (mean transit time  PZ, Passagezeit = ta → d = td-ta (passage time)  RZ, Rezirkulationszeit = tp → pr = tpr-tp (recirculation time)
 

  tar, Erscheinungszeit des rezirkulierenden Farbstoffs (appearance time of recirculate dye)   td, 1% Farbstoffkonzentration der extrapolierten Kurve (1% peak concentration)   tpr, Gipfelzeit des rezirkulierenden Farbstoffs (peak concentration time of recirculate dye)   VZ, Verdünnungszeit = tp → d = td-tp (disappearance time)


Die Kreislaufzeit sinkt, wenn das Herzzeitvolumen erhöht ist und das Blut daher rascher rezirkuliert: Beispielsweise bei Fieber, Anämien oder Hyperthyreose (erhöhte Herzfrequenz), auch bei einem Rechts-Links-Shunt, bei dem das Blut zum Teil - unter Umgehung des Pulmonalkreislaufs - direkt vom rechten in das linke Herz übertitt (und mit ihm der Indikator). Ist das Herzzeitvolumen hingegen reduziert (z.B. bei Herzinsuffizienz), ist die Kreislaufzeit verlängert (Rückstau des Blutes vor dem Herzen).
 
Registrierung der Blutströmung

Die Strömung des Blutes in einer Arterie kann nichtinvasiv unter Verwendung des Doppler-Prinzips mittels Ultraschall gemessen werden (kontinuierlicher, continuous wave Doppler CWD - oder gepulster Doppler,  Pulsed-wave Doppler PWD). Damit kann z.B. die Strömung in einer Halsschlagader oder a. cerebri media (Hirndurchblutung), Nierengefäßen (renale Perfusion), Extremitätengefäßen u.a. dargestellt werden. Bei der gepulsten Dopplermethode sendet der Schallkopf kurze Schallsequenzen aus, unterbrochen durch stille Perioden des "Lauschens" auf das Echo.

Statt Ultraschall kann auch gepulster Laser verwendet werden (laser Doppler fluxmeter).

Eine weitere Möglichkeit der Strömungsmessung ist die Okklusionsplethysmographie: Eine Staumanschette wird um eine Extremität (oder einen Finger) gewickelt und plötzlich auf einen Druck gebracht, der die Venen verschließt (40 mmHg). Arteriell strömt weiterhin Blut in die Extremität, venös fließt es nicht mehr ab, die Extremität schwillt an (Umfangsmessung) - um den Betrag des pro Zeit zufließenden Blutes, also der Extermitäten- oder Fingerdurchblutung.

Zur Ermittlung einer definierten Flüssigkeitsströmung kann schließlich auch das Fick'sche Prinzip (Volumen / Zeit / Indikatorkonzentration) zur Anwendung kommen, z.B. als Bestimmung der PAH-Clearance: Der Indikator (PAH) wird mit dem Harn (fast vollständig) ausgeschieden, die errechnete Clearance entspricht daher der Passage von Plasma durch die Nieren (RPF).

In kleinen Gewebegebieten (Mikrozirkulation) kann die Kety-Methode zur Bestimmung der Blutströmung zur Anwendung kommen - auch dies eine Variante des Fick'schen Prinzips: Ein rasch diffundierender radioaktiver Marker (z.B. Xenon-133) wird in das Gebiet von Interesse injiziert und der Zeitverlauf des Verschwindens des Tracers (abnehmende Aktivität) aufgezeichnet (logarithmischer Plot). Die Steilheit des Aktivitätsabfalls kann durch gezielte Maßnahmen geändert und daraus der Perfusionseffekt errechnet werden.
 
Faktoren der Kreislaufbelastung
 

Der Blutkreislauf kann (zusätzlich zu physiologischen Faktoren wie Schwerkrafteinwirkung, körperliche Belastung, Hitzeeinwirkung u.a.) künstlich belastet werden - etwa durch zusätzliche Beschleunigungskräfte ("Achterbahn", Flugmanöver, Humanzentrifuge..). Solche Situationen können betroffene Personen an den Rand ihrer Kreislaufstabilität bringen, oder darüber hinaus (was zu Bewusstlosigkeit führt - z.B. orthostatischer Kollaps). Solche Extrembelastungen können auch gezielt genutzt werden, etwa zu Trainungszwecken (z.B. Astronautentraining) oder aus diagnostischen Zielsetzungen (Prüfung der Kreislaufbelastbarkeit).
 

Abbildung: Versuchsanordnung zum Einwirken von Unterdruck auf die untere Körperhälfte (LBNP)
Nach Goswami N, Blaber AP, Hinghofer-Szalkay H, Convertino VA. Lower Body Negative Pressure: Physiological Effects, Applications, and Implementation. Physiol Rev 2018; 99: 807-81

Der Unterdruck in der Box führt zur Verlagerung von Blut aus dem Thorakalraum in die untere Körperhälfte; dies führt zu einer Reduktion des Zentralvenendrucks und damit der Vorlast für das rechte Herz.
 
Das Zwerchfell rückt nach kaudal (rot strichlierte Linie), dadurch erhöht sich das Lungenvolumen

LBNP (lower body "negative" pressure). Eine Sonderform der Kreislaufbelasung ist das Einwirken von Unterdruck auf die untere Körperhälfte ( Abbildung). Vom Bauch abwärts kommt die Person in einen Unterdruckteil zu liegen; etwa auf Nabelhöhe sorgt eine Manschette für luftdichten Abschluss.

Je höher der Betrag des Unterdrucks, desto mehr Blut wird in den Bein- und Beckenvenen gespeichert; der vemöse Rückstrom zum Herzen nimmt ab, die Vorlast für das rechte Herz wird reduziert und damit auch das Herzminutenvolumen. Um den arteriellen Blutdruck zu stabilisieren, werden ähnliche Reflexmuster aktiviert wie bei orthostatischer Belastung (Aufrichten des Körpers) oder Blutverlust: Absinken des Parasympathikus- und Anstieg des Sympathikustonus, Aktivierung hormoneller Stabilisatoren (Reninmechanismus, Vasopressinausschüttung). Intensives LBNP (z.B. 100 mmHg Unterdruck) für längere Dauer kann zu Synkopen führen.

Die Belastung für das kardiovaskuläre System wird noch intensiver, wenn LBNP mit Orthostase kombiniert wird (
s. Abbildung oben). In diesem Fall kann die Resilienz des Kreislaufs sozusagen austitriert werden: Die Kombination Unterdruck - Kippwinkel - Zeitdauer der Reizkombination erlaubt eine ziemlich präzise Bestimmung der individuellen Kreislaufstabilität und damit der Maximalbelastung, die eine Person ohne Bewusstseinsverlust zu ertragen vermag. Nimmt die Gehirndurchblutung auf unter ~50% des Normalwertes (definiert bei normalerm Blut-pCO2, ohne Kreislaufbelastung) ab, steht die Person an der Schwelle der Bewusstlosigkeit; diese stellt sich dann schlagartig ein.

LBNP-Anordnungen kommen auch in der Raumfahrtmedizin zur Anwendung, um bei Personen, die für längere Zeit dem Zustand der Schwerelosigkeit ausgesetzt sind, regulative Antworten auf (künstlich erzeugte) Kreislaufbelastung zu provozieren - in der Hoffnung, der im Raumflug unvermeidlichen Schwächung der Kreislaufregulation (Dekonditionierung) entgegenzuwirken. Nach der Landung macht sich diese Kreislaufschwäche durch starken Blutdruckabfall im Stehen und Kollapsneigung bemerkbar.
 
 
Abbildung: Humanzentrifuge
Ames Research Center, Moffett Field, California, USA - Photo © H. Hinghofer-Szalkay

Diese Zentrifuge (Radius knapp 9 m) am Ames Research Center der NASA in Moffett Field, Kalifornien, verfügt über 4 Kabinen und erreicht ein Mehrfaches der auf der Erdoberfläche wirkenden 9,81 m/s2 (bis zu 20 G).
 
Kameras überwachen die Probanden, zu denen während des Versuchs akustischer und optischer Kontakt besteht und deren physiologischen Zustandswerte laufend aufgezeichnet werden. Körperlage und Atemtechnik haben wesentlichen Einfluss auf die Kreislaufstabilität



Humanzentrifugen ( Abbildung) dienen ähnlichen  Zwecken, der Aufwand ist erheblich größer: Sie ermöglichen eine Vervielfachung der Erdbeschleunigung. Die durch die Drehung der Kabine entstenende Zentrifugalkraft berechnet sich aus dem Produkt Radius mal Quadrat der Winkelgeschwindigkeit (Änderung des Rotationswinkels pro Zeit).

Solche Zentrifugen werden vor allem für Pilotenauswahl und -training genutzt; bei Raketenstarts treten Beschleunigungen bis zu 4 G (bei früheren Raketenmodellen auch mehr - Astronauten / Kosmonauten sind durch die halbliegende Stellung gut vor Greyout / Blackout geschützt), bei Flugmanövern (Kampfjets) bis zu 10 G auf.

Bei so hohen Beschleunigungskräften würden Jetpiloten (in sitzender Stellung) sofort bewusstlos, weil die zentripetalen Kräfte Blut vom Herzen weg in die untere Körperhälfte verlagern und der venöse Rückstrom zum Herzen nicht mehr ausreicht, um den arteriellen Druck aufrechtzuerhalten. Als Gegenmaßnahme kommen (automatisch bei höheren G-Kräften aktivierte) Überdruckhosen zum Einsatz. Diese werden schlagartig (mit Luft oder Flüssigkeit) gefüllt und komprimieren die Beinvenen, sodass das Blut zum Herzen gepresst wird und dadurch kardiale Vorlast, Herzminutenvolumen und arteriellen Blutdruck stabilisieren.
 

 
      Die hydrostatische Druckschichtung im Gefäßsystem muss bei der Blutdruckmessung berücksichtigt werden (z.B. Staumanschette in Herzhöhe). Druckangaben in mmHg sind immer noch üblich (1 kPa entspricht 7,5 mmHg). Bei der sphygmomanometrischen Methode (RR: Riva-Rocci) gelten auskultatorische (Auftreten / Verschwinden der Korotkoff-Geräusche), palpatorische (Verschwinden des Pulses), oszillometrische Kriterien (Druckschwankungen in der Manschette). Nichtinvasive Blutdruckmessung hat beschränkte Absolutgenauigkeit (±10 mmHg oder mehr); die Manschettenbreite muss auf den Durchmesser der Extremität abgestimmt sein. Invasive Messungen erlauben genauere / präzisere Blutdruckmessungen und kontinuierliches Monitoring der Pulswellenform. Der Ruheblutdruck sollte nicht über 140 / 90 mmHg liegen (Muskelarbeit erhöht den Mitteldruck um 10-40 mmHg), Werte unter 110/60 bei Männern / 100/60 bei Frauen indizieren arterielle Hypotonie (vorübergehend niedrige Werte nach dem Aufstehen bedeuten orthostatische Hypotonie und haben keinen Krankheitswert). Im Schlaf kann der Blutdruck auf ~80/50 mmHg sinken
 
      Lageänderungen können zur Testung der Kreislaufregulation dienen (Schellong-Test, Kipptischversuch). So sinkt beim Aufstehen aus liegender Position das Herzminutenvolumen um ~30% (Vorlast sinkt: das Herz liegt über dem venösen hydrostatischen Indifferenzpunkt), peripherer Widerstand und die Pulsfrequenz nehmen zu (Barorezeptorreflex: Carotisrezeptoren liegen über dem arteriellen hydrostatischen Indifferenzpunkt), der arterielle Blutdruck bleibt stabil. Hormonelle Antworten erfolgen verzögert (Anstieg des Katecholamin-, Vasopressin-, Aldosteronspiegels)
 
      Der Valsalva-Versuch testet Herzfrequenz und Blutdruck (mehrphasige Antworten) während und nach Steigerung des intrathorakalen Drucks durch Pressen. Beim Müller-Versuch wird umgekehrt ein Unterdruck im Thorakalraum gehalten. Beim Cold pressor test wird eine Hand für eine Minute in Eiswasser getaucht (Vasokonstriktion, Blutdruckerhöhung, Freisetzung von Katecholaminen)
 
      Die Pulswellengeschwindigkeit gibt Aufschluss über die Compliance der Arterienwände: Je geringer die Dehnbarkeit (Arteriosklerose), desto höher die PWG (junge gesunde Personen: Herznah ~4 m/s, peripher bis zu 10 m/s; steife Arterienwand: Bis zu 15 m/s)
 
      Die Kreislaufzeit wird durch Injektion eines Indikators und Messung der Zeit bis zur Ankunft der Indikatorwolke an einer Messstelle (Ohr) ermittelt. Die Rezirkulationszeit sinkt bei Erhöhung des Herzzeitvolumens; ist es reduziert, ist die Kreislaufzeit verlängert (z.B. Herzinsuffizienz)
 
      Mit Ultraschall kann die Blutströmung in einer Arterie (Hirndurchblutung: a. carotis, a. cerebri media) dargestellt werden (continuous wave Doppler CWD oder pulsed-wave Doppler PWD). Statt Ultraschall kann auch gepulster Laser verwendet werden (laser Doppler fluxmeter). Bei der Okklusionsplethysmographie wird der venöse Abfluss blockiert (40 mmHg), arteriell strömt das Blut zu, die Extremität schwillt an (Umfangsmessung). Unter Verwendung des Fick'schen Prinzips (Volumen / Zeit / Indikatorkonzentration) wird z.B. die PAH-Clearance ermittelt. Für kleine Gewebeareale wird die Kety-Methode verwendet: Ein rasch diffundierender radioaktiver Marker (Xenon-133) wird injiziert und der Zeitverlauf des Verschwindens des Tracers (abnehmende Aktivität) aufgezeichnet (logarithmischer Plot)
 
      Kreislauftestung durch Belastung kann erfolgen durch körperliche Arbeit (Ergometrie), zusätzliche Beschleunigungskräfte (Humanzentrifuge), Anwendung von Unterdruck auf die untere Körperhälfte (LBNP: Lower body negative pressure). Extrembelastungen werden zu Diagnose- (Maximalbelastbarkeit: Dauer bis Synkope) und Trainingszwecken (Piloten) genutzt. Sinkt die Gehirndurchblutung auf <50% des Normalwertes, droht Bewusstlosigkeit (orthostatischer Kollaps)
 

 



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