Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

     
Transport im kardiovaskulären System (Kreislauf, Blut, Lymphe)

Blutströmung und Blutviskosität
© H. Hinghofer-Szalkay
Fahraeus-Lindqvist-Effekt: Robin Fåhræus, Johan Torsten Lindqvist (1906-2007)
Hämatokrit: αιμα = Blut, κρι
νειν = urteilen
Hämorheologie: αιμα = Blut, ρεῖ = fließen, λόγος = Lehre
(nicht-) newtonische Flüssigkeit: Isaac Newton
Poise: Jean L.M. Poiseuille
Reynolds-Zahl: Osborne Reynolds
Thixotropie: θίξις = Berühren, τρέπω = wenden, ändern
Viskosität:
viscum = Mistel; aus Mistelbeeren wurde Vogelleim gewonnen (zäh wie Vogelleim)


Die Fließfähigkeit des Blutes ist ein kritischer Faktor für die Blutversorgung der Gewebe. Einerseits steigt mit dem Hämatokrit die O2-Transportkapazität des Blutes, andererseits sinkt seine Fließfähigkeit - die Viskosität nimmt zu, insbesondere bei Hämatokritwerten über 0,5 (50%).

Rote Blutkörperchen sind sehr flexibel. So bleibt das Blut trotz hohen Volumenanteils an Erythrozyten flüssig: Ihre Membran kann um den Zellinhalt "rollen", die Blutkörperchen können ihre Form dem Strömungsprofil anpassen.

Blutkörperchen ordnen sich in der Mikrozirkulation vor allem im Zentrum des Blutstroms an, das erleichtert die Passage und verringert den Strömungswiderstand. Daher ist die effektive Viskosität bei Gefäßen von etwa 10 µm Durchmesser am geringsten (Fahraeus-Lindqvist-Effekt).

Die an der Gefäßwand auftretenden Scherkräfte des vorüberströmenden Blutes werden von den Endothelzellen aufgenommen und auf ihr Zytoskelett übertragen; das löst die Freisetzung von Stoffen aus, die ihrerseits den Gefäßzustand (Gefäßweite) beeinflussen. So nimmt die Bildung von NO (Stickstoffmonoxid) mit steigender Schubspannung am Endothel zu, sodass sich das Gefäß erweitert.



Endothel als Mechanosensor Blutviskosität Hämatokrit, Sauerstofftransport, Tunnel- und Fahraeus-Lindqvist-Effekt  Laminare und turbulente Strömung

Praktische Aspekte       Core messages
   
Blut hat die besondere Eigenschaft, trotz seines hohen Volumenanteils an Zellen (bis 50%) leicht zu strömen (niedrige Viskosität) und so als flüssiges Transportorgan dienen zu können. Die Verformbarkeit der (kernlosen) roten Blutkörperchen im vaskulären Strömungsprofil erklärt die niedrige Strömungsviskosität des Blutes. Diese hängt von weiteren Faktoren ab, insbesondere dem Gefäßdurchmesser - das "Anschmiegen" der Erythrozyten an Strömungsschichten in größeren Gefäßen und die zentrale Anordnung der Blutkörperchen in Kapillaren ("Pfeilspitzenform") zählen dazu.
 
Fließfähigkeit und Viskosität: Umgekehrt proportional
 
Bei der Strömung durch das Gefäßsystem überwindet das Blut innere Widerstände (Reibung innerhalb des Blutes und an der Gefäßwand). Was bedeutet das für die Arbeit des Herzens einerseits, die Versorgung der Gewebe andererseits? Wie fließfähig muss Blut sein, wie bewegt es sich durch enge Kapillaren?
 


  Abbildung: Scherkräfte und Mechanotransduktion in Endothelzellen
Nach Davies PF, Hemodynamic shear stress and the endothelium in cardiovascular pathophysiology. Nature Clin Pract Cardiovasc Med 2009; 6: 16-26

A: Direkter Signalweg - mechanische Scherung (shear stress) an der Blutseite (luminale Seite) ändert die Permeabilität von deformationsempfindlichen Kationenkanälen, teilweise unter Mitwirkung von G-Proteinen
 
B: Endothelzellverband - Verformungskräfte an interzellulären Verbindungen beteiligen sich an der Mechanotransmission
 
C: Basalmembran - das Zytoskelett überträgt Kräfte u.a. auf Anhaftungsstellen am Untergrund (extrazelluläre Matrix), an denen Integrine fixiert sind und als Deformations-Ankerstellen wie auch als Ausgangspunkt mehrerer molekularer Mechanismen (Kinasenaktivierungen, Aktinaufbau) dienen
 
D:  Zellkern - vermutlich sind auch Deformationen des Zellkerns an der Aktivierung von Folgereaktionen beteiligt
 
Die Übertragung mechanischer Kräfte (Mechanotransmission) von extra- auf intrazellulär löst molekulare Reaktionen (Mechanotransduktion) in Endothelzellen aus, die sowohl (enzymatisch) im Zytoplasma als auch (über veränderte Genexpression) im Kern wirksam werden.

Cadherine sind Membranproteine, die interzelluläre Kontakte aufbauen  Catenine sind intrazelluläre Schaltstellen zwischen Cadherinen und Aktinfilamenten des Zytoskeletts  Integrine sind Membranproteine, die extrazelluläre Kontakte herstellen
 
    MAP-Kinasen sind mitogenaktivierte Proteinkinasen  NFB (nuclear factor light-chain-enhancer of activated B cells) ist ein Transkriptionsfaktor   PECAM-1 (Platelet endothelial cell adhesion molecule) ist ein Adhäsionsmolekül    Ras (nach rat sarcoma) ist eine GTPase

Die Fließeigenschaften des Blutes - Gegenstand der Hämorheologie - sind bestimmt durch

      Konzentration der Blutkörperchen (Hämatokrit )

      Verformbarkeit (Flexibilität) der Blutkörperchen

      Art der Strömung (laminar? turbulent?)

      Fließeigenschaften des Blutplasmas

      Temperatur des Blutes
 
Thixotropie: Mit zunehmender mechanischer Beanspruchung (Scherung in der Strömung) nehmen innere Widerstände ab und die Fließfähigkeit des Blutes zu (bei langsamer fließendem, insbesondere bei stehendem Blut nimmt die Fließfähigkeit ab), ein Verhalten, das man als thixotrop bezeichnet. (Blut soll im Kreislauf nicht aufhören zu fließen.)

Über Scherbelastung und Endothel s. auch dort
 
Insgesamt ergibt sich ein komplexes Verhalten bei der Bewegung von Blut durch die Gefäße. Eine Möglichkeit der Quantifizierung der dabei auftretenden Widerstände besteht über die Maßzahl der Viskosität, was etwa Fließzähigkeit heißt.
 
Schubspannung induziert Vasodilatation: Endothelzellen reagieren auf die Belastung, die über die Schubspannung beim Vorbeifließen des Blutes auf sie einwirkt, mit einer proportional zunehmenden Synthese von Stickstoffmonoxid.



    Schubspannung an den Endothelzellen regt die Aktivität endothelialer NO-Synthase an
 
    NO diffundiert in benachbarte glatte Gefäßmuskelzellen
 
    und stimuliert dort die Bildung von cGMP (aus GTP)
 
    das regt die cGMP-abhängige Proteinkinase (PKG) an
 
    die PKG öffnet calciumabhängige Kaliumkanäle
 
    die Muskelzelle hyperpolarisiert, dadurch weitet sich das Gefäß
 
    die Schubspannung am Endothel nimmt ab (negative Rückkopplung).
 
Blutviskosität
 

Viskosität (µ) ist ein Maß für die innere Reibung in einer strömenden Flüssigkeit. Bei laminarer Strömung gleiten (bei rundem Gefäßquerschnitt etwa röhrenförmige) Flüssigkeitsschichten geordnet aneinander vorbei - vom Rand zum Zentrum (axial) mit zunehmender Geschwindigkeit.
 

Abbildung: Viskosität ist definiert als Schubspannung (F/A) pro Scherrate (dV/dx)

Eine Kraft F bewegt Flüssigkeit schichtweise (Flächen A) aneinander vorbei.
 
dV = zurückgelegte Strecke, dx = Abstand zwischen den angenommenen Schichten


Im Blut herrscht laminare Strömung vor, nur ausnahmsweise wird die Strömung turbulent (Wirbelbildung). Blutkörperchen ordnen sich in engen Gefäßen automatisch in der axialen (raschesten) Schichte an (s. unten), sofern sie nicht - bedingt durch molekulare Mechanismen (Bindung an Selektine, Integrine) - an der Gefäßwand haften bleiben.

Viskosität (µ - "Zähigkeit") ist definiert als Quotient aus Schubspannung (F/A) und Scherrate (dV/dx):



       Schubspannung ist die Kraft F, die auf eine Flüssigkeitsschicht der Fläche A ausgeübt wird, um sie über eine bestimmte Strecke dV zu bewegen, um innere Widerstände in der Flüssigkeit zu überwinden. Die Dimension ist Kraft pro Fläche (Einheit im SI-System ist das Pascal: Pa = N/m2). In Gefäßen nimmt die Schubspannung bei laminarer Strömung von der Wand zum axialen Mittelstrom hin ab.

       Als Scherrate bezeichnet man die Relativbewegung dV einer gedachten Flüssigkeitsschicht pro Schichtdicke dx (Geschwindigkeit pro Abstand, Dimension Zeit-1).
 
Viskosität hat die Dimension Kraft mal Zeit pro Fläche (
1 (N.s)/m2 = 1 Pa.s). Die Einheit für die Viskosität ist das Poise (1 P = 0,1 Pa.s). Das Centi-Poise (cP) wird in der Physiologie verwendet, um die Viskosität von Körperflüssigkeiten anzugeben (1 cP = 1 mPa.s. Wasser hat 1 cP, Plasma ~2 cP, Blut ~4 cP, abhängig vor allem vom Hämatokrit,  Abbildung).

Homogene Flüssigkeiten (z.B. Wasser) zeigen keine Abhängigkeit der Viskosität von der Scherrate; man nennt solche Flüssigkeiten newtonisch, weil sie den Gesetzen der newtonschen Mechanik folgen. Komplexe Flüssigkeiten wie das Blut haben hingegen eine scherratenabhängige (variable) Viskosität; man nennt solche Flüssigkeiten nicht-newtonisch.
Flüssigkeiten können ganz verschiedene Formen variabler Viskosität aufweisen; die Fließeigenschaften des Blutes hängen von Scherrate und physikalisch-physiologischen Eigenschaften der Gefäße und Blutkörperchen ab.

Die Viskosität ist auch temperaturabhängig, sie sinkt mit steigender Temperatur (bessere Fließfähigkeit).

     Viskosimetrie: Mit üblichen Messgeräten ermittelte Werte für die Blutviskosität erlauben nur eine eingeschränkte Aussage über das tatsächliche Strömungsverhalten in der Mikrozirkulation. (Halb)mikroskopische Methoden geben mehr Aufschluss über physiologisch und medizinisch relevante Fließeigenschaften (s. weiter unten).
 

  Abbildung: Die Viskosität von Blutproben nimmt mit dem Hämatokrit nichtlinear zu
Nach Klabunde RE, Viscosity of blood. In: Cardiovascular Physiology Concepts (cvphysiology.com)

Mittels Viskosimeter (Abbildung unten) ermittelte Werte. Physiologisch hängt die Fließfähigkeit des Blutes stark von der Fließgeschwindigkeit, der Verformbarkeit der Blutkörperchen, der Geometrie der Gefäße u.a. ab. Bei niedriger Fließgeschwindigkeit kann es in der Mikrozirkulation zu Aggregation ("Geldrollenbildung") und Stase kommen.
 
Das kann zu Unterversorgung und nach längerer Zeit zu Nekrosen führen (z.B. Dekubitus). Daher ist es wichtig, die Perfusion in den kleinen Gefäßen aufrechtzuerhalten


Die Viskosität von Blutplasma beträgt ≤2 cP (Serum ist fibrinogenfrei und hat etwas geringere Werte). Die Plasmaviskosität ist vor allem durch die Konzentration an Plasmaproteinen (~70 g/l) bestimmt, insbesondere die Konzentration fädiger Moleküle wie Fibrinogen. Plasma trägt zur Blutviskosität zu einem eher geringen Teil bei.

Die Blutviskosität hängt von Eigenschaften des Blutes und der Gefäßwände ab:

       Hämatokrit

       Größe und Verformbarkeit der Blutkörperchen (innere Viskosität)

       Geometrie und adhäsive Eigenschaften der Gefäßwand

       Allfällige Aktivierung der Blutstillung (Thrombozytenaktivierung, Gerinnselbildung)

       Bluttemperatur: Kühlt man Blut von Körpertemperatur auf 0°C ab, steigt seine Viskosität um einen Faktor 2,5 an. Die allfällige Anwesenheit von Kryoglobulinen (kälteempfindlichen Antikörpern) kann diesen Effekt verstärken.

Bei normalen Hämatokritwerten (30-50%) und physiologischen Erythrozyteneigenschaften beträgt die Blutviskosität ~4 cP (etwa das Doppelte der Plasma-Viskosität). Nimmt der Hämatokrit zu, dann nimmt die Fließfähigkeit des Blutes überproportional ab, die Viskosität zu (
Abbildung). Das bedeutet, dass hohe Hämatokritwerte die Mikrozirkulation zusehends erschweren: Trotz hoher Hämoglobinmenge kann immer weniger Sauerstoff an das Gewebe gelangen.

 
Optimierung des Sauerstofftransports
 
Die Sauerstoff-Transportkapazität (1 Gramm Hämoglobin kann 1,34 ml Sauerstoff transportieren) ist bei mittleren (physiologischen) Hämatokritwerten an höchsten.
 
       Niedriger Hämatokrit (Werte ab ~15% sind mit physiologischen Körperfunktionen weitgehend vereinbar, die körperliche Belastbarkeit ist eingeschränkt) hat den Nachteil geringer Hämoglobinmenge, lässt Blut aber besonders leicht fließen und beschleunigt dadurch den Atemgastransport


       Hoher Hämatokrit (Werte >55%) bedeutet zwar viel Hämoglobin, das Blut gelangt aber bei abnehmender Fließfähigkeit nur schwer durch die Mikrozirkulation (Beispiel Verkehrsüberlastung: Viele Transporter, dennoch geringe Transportquote)
 
Niedriger Sauerstoffanteil in der Atemluft (z.B. Höhenanpassung) oder venös-arterielle Vermischung von Blut (Septumdefekt im Herzen) kann via Anregung der Erythropoese Hämatokritwerte bis zu ~70% verursachen (~8 Mio Erys pro µl Blut, normal ~4-5 Mio), ein Wert, der die Viskosität vervielfacht und das Blut dickflüssig macht.
 


Abbildung: Erythrozyten und Thrombozyten strömen durch ein kleines Gefäß (~15 µm Durchmesser)
Nach einer Vorlage bei me.stanford.edu

Strömungsrichtung nach links; die (asymmetrische) Form der Erys entspricht dem Strömungsprofil im Gefäß.
 
Blauviolett gezeigt: Thrombozyten

 
  vgl. dort


Die Durchblutung der feinsten Gefäße (Mikrozirkulation) dient der Ernährung und Versorgung der Gewebe. Wie aber gelangen Blutkörperchen durch Kapillaren, die enger sind als ihr Ruhedurchmesser? Die Lösung:
 
     Direkt am Endothel entlang strömt eine Plasmaschichte (geringe Viskosität)
 
     Die Blutkörperchen verformen sich entsprechend dem Strömungsprofil (größte Geschwindigkeit in der Mitte des Gefäßes - durch kleine Kapillaren schlüpfen Erythrozyten "pfeilspitzenförmig"). Der Fahraeus-Lindqvist-Effekt sagt aus, dass Blut besonders leicht durch das Kapillargebiet strömt, also eine niedrige effektive Viskosität aufweist
 
Die effektive ("scheinbare") Blutviskosität nimmt in der Mikrozirkulation ab und nähert sich der von Plasma an (geringster Betrag bei 7-10 µm Gefäßdurchmesser)
 
     Der 'Tunneleffekt' schließlich sagt aus, dass die Blutkörperchen im Axialstrom besonders rasch durch Kapillaren strömen, während Plasma langsamer weiterkommt. So ist der Hämatokrit in der Mikrozirkulation niedrig, meist weniger als die Hälfte des Wertes in einer Blutprobe, die aus einem größeren Gefäß stammt (daher beträgt der Ganzkörper-Hämatokrit nur ~87% des aus einer Blutprobe ermittelten Wertes)
 
Beispiel: Gemessener Hämatokrit 0,4 (40%) → Ganzkörperhämatokrit ~0,35 (35%)
 

  Abbildung: Effektive Viskosität als Funktion des Gefäßdurchmessers
Nach einer Vorlage bei Gekle / Taschenlehrbuch Physiologie, Thieme 2010

Achtung: Ordinate in relativen Einheiten (Plasma = 1, entsprechend ≤2 cP, blaue Linie). Die absolute Viskosität in cP hat etwa doppelte Zahlenwerte.
 
Rote Punkte: Einzelmessungen, Ausgleichskurve (dunkelgrün) errechnet.
 
Die Blutviskosität (effektiv) nimmt mit sinkendem Gefäßdurchmesser (im Bild von rechts nach links, Abszisse logarithmisch skaliert) von einem hohen Wert (hämatokritabhängig: z.B. 5 cP) laufend ab, bis ein Minimalwert (nahe an der Plasma-Viskosität) bei ~6 µm erreicht ist. Bei noch geringerem Durchmesser des Gefäßlumens (enge Kapillare) steigt die Viskosität wieder an


Insgesamt ergibt sich, dass die effektive Viskosität des Blutes bei Gefäßdurchmessern von einigen Zehntel-Millimetern (Arteriolen) zu sinken beginnt und bei 8-10 µm (Kapillaren) beinahe Plasmaviskosität (~2 cP) erreicht ( Abbildung). Dies ist vor allem durch den Fahraeus-Lindquist-Effekt bedingt.

Erst bei weiterer Abnahme des Gefäßdurchmessers - wenn der Durchmesser von Blutkörperchen, die allerdings noch "Pfeilform" zugunsten der Passage annehmen, erreicht wird - steigt die Viskosität wieder an ("Pfropfenströmung", 
Abbildung: linkes Kurvenende), bis die Blutzellen die Kapillare nicht mehr passieren können und es zu Stase (Stop der Bewegung des Blutes durch das Gefäß) kommt.
 
Stase tritt vornehmlich bei starker Reduktion der Strömungsgeschwindigkeit auf, da sich bei niedrigen Scherraten die Blutkörperchen aneinanderzulagern beginnen (agglutinieren: Rouleaux- oder "Geldrollen"- Bildung von Erythrozyten, begünstigt durch Fibrinogen).
Das kann die Blutviskosität auf über 20 cP erhöhen. Mit sinkender Scherrate nimmt die Viskosität von Blut zu und übersteigt bei Werten zwischen 0,1s-1 und 0,01s-1 das 100-fache der Viskosität von Wasser (die normale Scherrate des fließenden Blutes im Kreislauf liegt bei ~1000s-1). Um sie in den Normbereich von 3-5 cP zurückzubringen und wieder reguläre Strömungsverhältnisse herzustellen, müssen entstandene Haftungspunkte durch die wieder aufgenommene Strömung gelöst werden.

Längerdauernde Stase behindert den Austausch von Atemgasen und Nährstoffen mit dem Gewebe und führt zu pathologischen Abweichungen des Stoffwechsels, die zu Funktionsbeeinträchtigungen führen und in Nekrose des betroffenen Gewebeabschnittes münden kann, falls keine zur Aufrechterhaltung des Zellstoffwechsels ausreichende kollaterale Durchblutung möglich ist.

 

Abbildung: Viskosimetrie: Formen des Messteils
Nach Kim Y, Kim K, Park YK, Measurement techniques for red blood cell deformability: Recent advances. In: Moschandreou TE (ed): Blood Cell 2012 (e-book)

Die Kontaktfläche zum Blut kann die Form eines Zylindermantels, einer Kegeloberfläche oder einer Scheibe haben. Gemessen wird der Widerstand gegen eine Verformungskraft (Drehung). Auch andere Anordnungen sind möglich, z.B. Kugeln definierter Größe und Masse, deren Fallzeit durch die Probe gemessen wird


Das Verhalten der Gefäße wird nach Maßgabe des lokalen Bedarfs gesteuert. Steigt im Gewebe der Sauerstoffverbrauch, dann erschlaffen arterielle Widerstandsgefäße, und präkapilläre Sphinkteren (aus glatten Muskelzellen aufgebaute Verschlussringe) werden geöffnet. Dadurch nimmt das kapilläre Blutangebot zu.
 
Laminare und turbulente Strömung
 
In den meisten Fällen findet man in Blutgefäßen eine geschichtete (laminare) Strömung: Die äußerste Schicht gleitet am Endothel vorbei und hat die geringste Geschwindigkeit; je weiter man in die Mitte des Gefäßes kommt, desto schneller strömt das Blut. Blutkörperchen passen ihre Form diesem laminaren Geschwindigkeitsprofil an.
 

  Abbildung: Druck-Strömungs-Verhalten einer Newtonischen Flüssigkeit in einem starren Rohr
Nach einer Vorlage in Herring / Paterson: Levick's Introduction to Cardiovascular Physiology, 6th ed. 2018

Ab einer Reynolds-Zahl (Re) von etwa 2000 geht die laminare Strömung (deren Größe linear proportional zur treibenden Druckdifferenz ist) in eine turbulente Strömung über (proportional zur Wurzel des Druckgradienten).

Inset: Reynolds-Apparatur zur Darstellung des Strömungsprofils


Ändern sich bestimmte Parameter der Strömung, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das laminare Bewegungsprofil "abreisst" und Wirbel entstehen (turbulente Strömung). Dabei spielen der Gefäßdurchmesser, die Strömungsgeschwindigkeit, sowie die Massendichte und die Viskosität des strömenden Mediums (hier: Plasma, Blut) eine Rolle.

Gefäßweite (Innendurchmesser d), mittlere Strömungsgeschwindigkeit (ν) und Dichte (ρ) begünstigen das Auftreten von Turbulenzen - je größer ihr Betrag, desto wahrscheinlicher ist ein turbulentes Profil -, während mit zunehmender Viskosität (η) Turbulenzen weniger wahrscheinlich sind.

Diese Zusammenhänge können als Reynolds-Zahl (Re)
quantifiziert werden, die bei Rohrströmungen (Blutgefäße, Bronchien...) folgendermaßen errechnet wird:
 
Re = (d.ν.ρ) / η
   
wobei d = Innendurchmesser, ν = mittlere Strömungsgeschwindigkeit, ρ = Massendichte, η = Viskosität.
 
Turbulente Strömung entsteht umso wahrscheinlicher, je höher die Strömungsgeschwindigkeit ist
 
Wird die kritische Reynolds-Zahl überschritten, ist es wahrscheinlich, dass die laminare Strömung in eine turbulente übergeht. Für einfache (Newtonische) Flüssigkeiten (z.B. Wasser), die durch starrwandige Rohre fließen, hat die kritische Reynolds-Zahl einen Betrag von ~2000. Im Kreislauf, wo weder die Gefäße starr sind noch das durchfließende Blut sich newtonisch verhält, sind die Verhältnisse komplex:

    Ab Re-Werten von ~400 treten lokalisierte Wirbel auf, vor allem an Gefäßaufzweigungen - was z.B. in herznahen Abschnitten der Aorta und Pulmonalarterie während der Austreibungszeit physiologisch ist. In der Aortenwurzel erreicht der Re-Wert einen Betrag von ~4600 (Durchmesser d=2,5 cm, Spitzengeschwindigkeit ν=70 cm/s, Blutdichte ρ=1,05 g/ml, Blutviskosität η=4 mPa.s bzw. 0,04 gcm-1s-1), insbesondere bei Anämie, bei Schwangeren (sinkender Hämatokrit  geringe Blutviskosität) oder körperlicher Belastung (Spitzengeschwindigkeit steigt) können Strömungsgeräusche als Zeichen von Turbulenzen auftreten.

    Bei Widerstandsgefäßen, die einen sehr kleinen Durchmesser haben und wo das Blut langsam strömt, erreicht [Re] lediglich einen Betrag von ~0,5 - die Strömung bleibt laminar.

    In der Mikrozirkulation treten Turbulenzen erst recht nicht auf (sehr geringe Durchmesser und Strömungsgeschwindigkeiten) - unbeschadet des zusätzlich ins Spiel kommenden Fahraeus-Lindquist-Effekts: Bei Gefäßdurchmessern um 10µm ist die Viskosität herabgesetzt ([Re] steigt), bei noch geringerem Durchmesser steigt sie an ([Re] sinkt).

 Als Faustregel kann gelten: Blutströmung erfolgt bei Re-Werten <2000 laminar, bei Werten >3000 meist turbulent.

Turbulenzen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Flüssigkeit teils quer zur Gefäßachse strömen, sich Wirbel bilden, die Strömung insgesamt verlangsamt wird und akustische Phänomene ("Rauschen") auftreten. Die Durchblutung ist dabei erschwert und muss allenfalls durch erhöhte Druckgradienten aufrechterhalten werden; die Kurve der Zunahme der Strömung mit wachsender Druckdifferenz wird flacher.



 
Mangeldurchblutung (Ischämie), wie sie bei Kreislaufschock, Unterkühlung, Vergiftung usw. vorkommt, ist durch ein Stocken der Kapillardurchblutung (Stase), Zusammenbruch der Gefäßregulation und Gewebeschädigung gekennzeichnet. Stoffwechselprodukte reichern sich an und werden in den Kreislauf ausgeschwemmt, wenn die Durchblutung wieder zunimmt. Das kann zum Reperfusionssyndrom führen, bei dem es zum Zusammenbruch der Organfunktionen (Multiorganversagen) kommt.

Infusion geeigneter Plasmaersatzstoffe hat zur Folge, dass die Fließfähigkeit des Blutes zunimmt und einem Stillstand der Mikrozirkulation vorgebeugt werden kann.
 

 
      Die Fließeigenschaften des Blutes (messbar mittels Blutviskosimetrie) hängen ab von Hämatokrit (nichtlinear), Flexibilität der Blutkörperchen, Art der Strömung, Geometrie und adhäsiven Eigenschaften der Gefäßwand und Viskosität des Blutplasmas. Der Blutfluss wird durch Reibung zwischen den strömenden Schichten und an der Gefäßwand behindert (Viskosität - Dimension Kraft mal Zeit pro Fläche, Einheit cP = mPa.s - Maß für innere Reibung). Direkt am Endothel strömt eine Plasmaschicht; die Viskosität von Blutplasma beträgt ≤2 cP (Plasmaproteine ~70 g/l), diejenige von Blut (komplexe, nicht-newtonische Flüssigkeit) ~4 cP, sinkend (fließfähiger) mit zunehmender Scherung, höher (weniger fließfähig) bei langsamer Strömung (Blutviskosität kann bis ~20 cP steigen: Thixotropie; interzelluläre Haftungspunkte können durch zurückkehrende Strömung wieder gelöst werden). Scherkräfte ändern die Permeabilität deformationsempfindlicher endothelialer Kationenkanäle und induzieren Vasodilatation durch proportional zunehmende NO-Synthese
 
      Die Sauerstoff-Transportkapazität strömenden Blutes ist bei physiologischen Hämatokritwerten am höchsten (niedriger Hämatokrit = wenig Hämoglobin, hoher Hämatokrit = abnehmende Fließfähigkeit; Sauerstoffmangel kann über Anregung der Erythropoese Hämatokritwerte bis zu ~70% verursachen, entsprechend ~8 Mio Erys / µl). Blutkörperchen verformen sich entsprechend dem Strömungsprofil (größte Geschwindigkeit in der Gefäßmitte, Erythrozyten pfeilspitzenförmig): Blut strömt durch das Kapillargebiet besonders leicht (Minimalwert bei ~6 µm Kapillardurchmesser: Fahraeus-Lindqvist- Effekt) und Blutkörperchen im Axialstrom besonders rasch (Tunneleffekt), was den Hämatokrit in der Mikrozirkulation senkt (Ganzkörper-Hämatokrit ~87% des aus einer Blutprobe ermittelten Wertes)
 
      Die Strömung in Blutgefäßen erfolgt üblicherweise laminar: Die äußerste Schicht gleitet (langsam) am Endothel vorbei, mit Annäherung an die Gefäßmitte steigt die Geschwindigkeit. Blutkörperchen passen ihre Form diesem Geschwindigkeitsprofil an, erschweren die Strömung aber dennoch, insbesondere in kleinen Gefäßen. Ändern sich bestimmte Parameter der Strömung, steigt die Wahrscheinlichkeit von Wirbelbildungen (turbulente Strömung in größeren Gefäßen: Blut strömt teils quer zur Gefäßachse). Gefäßweite (Innendurchmesser d), mittlere Strömungsgeschwindigkeit (ν) und Dichte (ρ) begünstigen das Auftreten von Turbulenzen, zunehmende Viskosität (η) macht Turbulenzen weniger wahrscheinlich (Anämie → sinkender Hämatokrit  → geringe Blutviskosität → Turbulenzen wahrscheinlicher, akustisch wahrnehmbar). Die Reynolds-Zahl (Re) wird errechnet als Re = (d x ν x ρ) / η. Wird ein kritischer Wert überschritten, ist es wahrscheinlich, dass Turbulenzen auftreten. Ab Werten von ~400 treten im Kreislauf lokalisierte Wirbel auf, vor allem an Aufzweigungen großer Gefäße. An kleinen Gefäßen treten keine Turbulenzen auf, der Re-Wert ist zu niedrig
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.