Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
Physiologie der Nierenfunktion
und der ableitenden Harnwege
Untersuchung der Nierenfunktion
© H. Hinghofer-Szalkay
Diagnostik:
διά = durch, γνώσις = Erkenntnis,
Urteil
Diurese: διά = durch, οὐρέω = Harn lassen
Foetor: foetor = Gestank
Isosthenurie: ίσος = gleich, σθένος = Stärke
Isotop: ἴσος = gleich, τόπος = Ort (im Periodensystem)
Miktion: mingere = Wasser lassen
Oligurie: ὀλίγοι = wenig, ούρα = Harn
Pyelonephritis: πήληξ = Nierenbecken, νεφρός = Niere, ίτις bezeichnet eine Entzündung
Urämie: ούρα = Harn, αἷμα = Blut
Simple
Kriterien der Nierenfunktion sind am Harn abzulesen: Menge (24-h-Harn),
Beschaffenheit, Dichte (Osmolalität), Farbe, Sediment, Geruch.
Körperliche Zeichen deuten auf möglicherweise veränderte Nierenfunktion
hin: Blässe (Erythropoetinmangel?), Ödeme (Proteinmangel?), Hypertonie
(Renin?) etc.
Viele Blut-Laborwerte
sind durch die Nierenfunktion beeinflusst.
Substanzen, welche die Niere mit dem Harn ausscheiden muss
(harnpflichtige Stoffe, wie Harnstoff, Ammonium, Harnsäure, Kreatinin,
Kalium), bleiben bei Nephropathien vermehrt im Blut zurück, ihre
Werte steigen entsprechend an (und sie verursachen entsprechende
Symptome).
Die "Entsorgungsleistung" (Clearance)
bestimmter Indikatorstoffe gibt diagnostische Hinweise. Inulin- und Kreatininclearance quantifizieren die glomeruläre Filtrationsrate (GFR), welche bei erwachsenen Personen um die 100-120 ml/min betragen sollte.
Übersteigt das Angebot eines Stoffes im Filtrat die resorptive Transportleistung der Tubuli (tubuläres Maximum),
tritt die nicht zurückgewonnene Substanz im Harn auf.
Das ist z.B. der Fall bei starker Hyperglykämie (Diabetes mellitus), Zucker wird im Harn nachweisbar (Glukosurie).
|
Nephrologische Diagnostik umfasst
Anamnese, Untersuchung, funktionelle und
bildgebende Verfahren sowie Blutuntersuchungen.
Anamnese
Harnmenge: Störung der Diurese / Miktion? (Oligurie = weniger als 500 ml Harn/Tag, Anurie = <100 ml/d) - Neben der Messung des Harnvolumens (24-Stunden-Harn) geben rasche Änderungen des Körpergewichts Auskunft über die Harnausscheidung
Schmerzen: Nierenlager (Kolik?) Kopfschmerzen (Niereninsuffizienz? Hypertonie?)
Abbildung: Harnfarbe und Hydrierungszustand
Je
geringer die Wasserausscheidung (hoher Vasopressinspiegel), desto höher
die Konzentration gelöster (ausgeschiedener) Substanzen, die z.T.
Eigenfarbe besitzen - u.a. die Bilirubinderivate Urobilin und Urobilinogen
Konzentriervermögen: Ein einfacher Funktionstest besteht darin, das Vermögen der Niere zu
testen, die Konzentration der auszuscheidenden Stoffe im Harn über
Veränderung der Wassermenge (Harnvolumen) zu verändern (Diurese durch
Trinken, Antidiurese z.B. im Durstversuch). Diese Fähigkeit bezeichnet
man im Normalfall als Normosthenurie, ihren Verlust als Isosthenurie ("Harnstarre":
Massendichte konstant bei ca. 1015 g/l). Je konzentrierter der Harn,
desto intensiver ist seine Färbung ( Abbildung).
Untersuchungsbefund allgemein
Blässe (
Anämie?)
Urämischer
Foetor?
(über Mund und Haut abgegebener harnartiger Geruch) - der Harn
selbst hat einen Eigengeruch, der durch Nahrungsmittel (z.B. Spargel)
und Medikamente (z.B. Vitaminpräparate) beeinflusst sein kann.
Diabetiker haben süßlich riechenden Urin
Fieber (Pyelonephritis?)
Blutdruck (
Hypertonie?)
Laborbefunde: Harn- und Blutwerte
Das 24-Stunden-Harnvolumen
hängt stark von den Umständen ab: Normalerweise um die 1500 ml, kann
das Volumen wesentlich geringer sein (Wassermangel): Die Nieren können
die auszuscheidenden ("harnpflichtigen") Substanzen mehrfach
konzentrieren (Morgenharn ist
3-fach konzentriert, auf rund 900 mOsm), bis zu 1200 mOsm - das
Harnvolumen sinkt dann auf etwa einen halben Liter pro Tag).
Andererseits kann der Harn auf ein Siebentel (40 mOsm) der Isotonizität
(knapp 300 mOsm) verdünnt werden, dann fallen mehrere Liter Harn pro
Tag an (bei Diabetes insipidus ca. 20 Liter pro Tag oder mehr).
Harnsäure im Serum:
Männer 3,4-7,0 ng/dl (200-410 µM), Frauen 2,4-5,7 ng/dl (140-340 µM), postmenopausal steigend
Werte
erhöht bei eingeschränkter Filtration oder erhöhter Produktion (Gicht): Hyperurikämie
Ausscheidung im Harn: 0,2-1,5 g/24 h
Harnstoff (Plasma / Serum):
3-8 mM (20-50 mg/dl)
Werte erhöht bei Nierenversagen
Ausscheidung mit dem Harn: 18-33 g/24 h
Kreatinin im Serum:
Männer 50-100 µM <1,17 mg/dl), Frauen
40-90 µM (<0.95 mg/dl)
Erhöhte Werte bei Nierenversagen, Abbildung unten
Neugeborene (1-14 Tage): <77, 2-12 Monate <34, 1-3 Jahre <31, 4-7 Jahre <42, 8-13 Jahre <47-68 µM
Halbwertszeit im Blut: 2-3 Minuten
Ausscheidung mit dem Harn: Männer 1,5-2,5 g/d, Frauen
0,8-1,5 g/d (steigt mit Muskelmasse)
Abbildung: Tägliche Ausscheidungsraten mit dem Harn
Nach einer Vorlage bei intranet.tdmu.edu.ua
Referenzbereiche
hängen vom jeweiligen Labor ab und weichen voneinander ab. Zu
berücksichtigen sind auch Geschlechtsunterschiede, z.B. bei den
Kreatininwerten (m>f)
Harnuntersuchung
(Mittelstrahlurin, evt. Blasenpunktion):
Physikalische, Makro- und mikroskopische
Untersuchung
Volumen (24-Stunden-Harn)
Massendichte
("Harndichte") - abhängig von Wasserbilanz / Hydratationszustand, normalerweise
zwischen 1015 und 1025 g/l (physiologische Extremwerte: 1002 vs. 1030 g/l), bei hoher Freiwasserclearance
(Wasserausscheidung) bis 1000 g/l, bei Urinkonzentration (Dehydration)
Hypersthenurie: Dichte 1030 bis 1040 g/l. Proteinurie und Glukosurie erhöhen die Harndichte
Farbe
- physiologisch: Hell- bis dunkelgelbe Farbe durch Urochrome aus dem Hämoglobinabbau
(Sterkobilin, Urobilin). Farbintensität abhängig von Wasserclearance ("farblos" bei stark verdünntem Urin);
Braunfärbung durch Bilirubinämie bei Ikterus; Rotfärbung bei Blutungen
oder überhöhter Carotinzufuhr
Trübung - normalerweise klarer Harn, trüber (manchmal flockiger) Urin bei Entzündungen durch Leukozyten, Mikroorganismen
Sediment
- durch Zentrifugierung rasch darstellbar (Phasenkontrastmikroskopie),
kann "nicht-organisierte" (Kristalle aus Harnsäure, Bilirubin, Calciumsalzen, Phosphat, Tyrosin, Zystin) und "organisierte"
Bestandteile enthalten (Epithelzellen; Bakterien; Blutkörperchen;
"Urinzylinder" sind längliche Konkremente aus Proteinen, Lipiden u.a.: Hyaline Zylinder bestehen aus Tamm-Horsfall-Protein, s. unten)
Chemische Analyse
pH-Wert - 5,0 bis 6,0
<5,0 bei Hunger und Diabetes mellitus (Ketose), Dehydration, chronischen Lungenkrankheiten (respiratorische Azidose)
>6,0 bei vegetarischer Ernährung (wenig säurebildende Substrate), schwerem Erbrechen (Säureverlust), renalen Erkrankungen
Eiweiß
-
physiologisch bis 150 mg/d, davon 40-50% kleinmolekulares Protein,
10-15% Albumin, 40-50% im aufsteigenden dicken Schenkel der Henle-Schleife produziertes Uromodulin
(Tamm-Horsfall-Mukoprotein), das protektiv gegen Nephrolithiasis und
Entzündungen wirkt
Proteinurie: Eiweißausscheidung >150
mg/d; Ursachen: Eiweißverlust im Glomerulus (veränderte Kapillarwand)
oder gestörte Rückresorption im Tubulus
Glucose - ohne spezielle Zuckerbelastung <20 mg/dl Harn (Teststreifen)
Glukosurie: Glucoseausscheidung >160 mg/d (tubuläres Maximum für Glucose
überschritten, Grund: Hyperglykämie, angeborener Defekt des tubulären Glucosetransporters)
Hormone, z.B. Steroide, HCG (Schwangerschaftstest), Melatonin ...
weitere Bestandteile s. Tabelle
Spezielle Abbauprodukte, z.B. Dihydroxyphenylessigsäure (DOPAC) und Homovanillinsäure (HVA) als Maß der Katecholaminproduktion
Konzentrationswerte im Harn werden im Allgemeinen normiert auf den gleichzeitig gemessenen Kreatininwert (die Kreatininausscheidung ist ziemlich konstant), um den Effekt unterschiedlich starker Wasserausscheidung (welche alle Konzentrationswerte im Urin beeinflusst) zu
kompensieren.
Harnkultur
Bakteriurie ab 105
CFU/ml (CFU = colony forming units,
koloniebildende Einheiten - Abschätzung der Zahl lebender Bakterien
oder Pilze in einer Probe, die zu diesem Zweck kultiviert wird und in
der sich nur viable Mikroben vermehren); Leukozyten deuten auf
Entzündung hin (normalerweise <10
Leukos / µl Harn). Leukozyten sind auch per Teststreifen nachweisbar
(Reaktion auf Esterasen)
Blut
Hämaturie: Sichtbare Rotfärbung; Mikrohämaturie: >4 Erys / µl Harn oder >2 Erys pro Gesichtsfeld bei 400-facher Vergrößerung ohne Rotfärbung des Urins
Nach Zentrifugation kann das Sediment (Hämaturie: Erythrozyten)
oder der Überstand rot sein (Plasma rot gefärbt: Hämoglobinurie; Plasma
normal gefärbt: Myoglobinurie)
Basierend auf
der Überlegung, dass die Massendichte des Harns im Wesentlichen durch
die Konzentration ausgeschiedener harnpflichtiger Substanzen (Harnstoff
etc., s. Tabelle) gegeben ist, kann eine Grobabschätzung
der renalen Exkretionsleistung über Harnvolumen (mindestens 500 ml/d)
und -Dichte (Bereich ~1002-1030 g/l) erfolgen. Dabei gilt:
Mit einer
Zunahme der Harndichte um 1 g/l steigt die Osmolarität des Harns um ~40
mOsm/l (gilt für einen Bereich von 100 bis 1200 mOsm/l) |
24-Stunden-Harn
Tägliche Ausscheidung mit dem Harn
g/d
(außer Angaben in gelben Feldern)
Harnvolumen 1-2 l/d
|
Harnstoff
|
Gesamt-N
|
Chlorid
|
Natrium
|
Kalium
|
Phosphat
|
20-40
|
10-20
|
4-9 *
|
4-6 *
|
1,5-3
|
1-2,5
|
Calcium
|
Magnesium
|
Citrat
|
Phenolsulfat
|
Glucuronat
|
Sulfat
|
0,1-0,4
|
0,1-0,4
|
0,1-0,3
|
0,08-0,12
|
0,04-0,4
|
1-2
|
Glucose
|
Purinbasen |
Urobilinogen |
Porphyrine |
Indikan |
Serotonin
|
0,010-0,2 |
0,01-0,06 |
0,5-2 x 10-3 |
0,02-0,1 x 10-3 |
0-32 x 10-3 |
<200 mg/24h
|
Kreatinin |
Ammonium |
Protein |
Harnsäure |
Steroide |
5-HIAA
|
0,8-2,5 |
0,5-1 |
<0,15 |
0,2-1,5 |
0,05-0,25 |
<43 µM/24h
|
* Stark abhängig vom Kochsalzkonsum, Werte können auch wesentlich höher oder niedriger liegen
Osmolalität: Isotoner Harn hat ~290 mOsm/l;
Morgenharn ist wegen des nächtlichen Wasserverlusts konzentriert, er hat ~900 mOsm/l (
Antidiurese).
Blutuntersuchung
Blutbild: Chronische Nierenerkrankungen können renale Anämie zur Folge haben (Erythropoetinmangel)
Harnpflichtige Stoffe (Kreatinin, Harnstoff, Kalium,..)
Clearance (Kreatinin, Inulin, PAH - s. unten)
Immunologische Untersuchungen (z.B. Verdacht auf Glomerulonephritis): Z.B. Komplementfaktoren (C3, C4), diverse Antikörper
Clearance
Clearance
ist die (virtuelle) Plasmamenge, aus der ein bestimmter Stoff in einer Minute entfernt wird.
Die pro Minute ausgeschiedene Menge (M/min) wird im Harn gemessen.
Abbildung: Clearance-Konzept
Nach einer Vorlage in H. Hinghofer-Szalkay: Praktische Physiologie, 3. Aufl. Blackwell Berlin 1994
Beispiel
Inulin: Dieses körperfremde Kohlenhydrat wird glomerulär filtriert,
aber weder rückresorbiert noch sezerniert. Seine Clearance entspricht
der tubulär rückresorbierten Flüssigkeitsmenge, da diese Flüssigkeit
vom Inulin "gereinigt" wird
Die Clearancebestimmung zur Quantifizierung einer Strömung ist eine Spezialanwendung des Fick'schen Prinzips:
Ein pro Zeit bewegtes Volumen (hier: Plasmaströmung) steht in Beziehung
zur arterio-venösen Konzentrationsdifferenz eines Indikators (hier: Die
Niere scheidet den Indikator aus, daher sinkt die renal-venöse
Konzentration).
Aus der Ausscheidung im Urin (AU) und der Konzentration im Blutplasma (cP) wird die
Clearance (Volumen / Zeit) der betreffenden Stoffes errechnet:
Clearance (ml/min) = AU / cP |
(Vgl. die weiter vorne gegebene Clearance-Formel)
wobei die Ausscheidung (Menge pro Zeit) aus dem Produkt der tatsächlich gemessenen Größen berechnet wird: Harnausscheidung (Volumen / Zeit) mal Konzentration im Harn (Menge / Volumen) - das Volumen kürzt sich heraus, es verbleibt die gesuchte Zahl: Menge der pro Zeit ausgeschiedenen Substanz.
Die
renale Clearance kann zwischen Null (keine Ausscheidung) und (bei
vollständiger Ausscheidung) der pro Minute durch die Nieren geströmten
Plasmamenge liegen (renaler Plasmafluss RPF).
Filtrierte Stoffe, die zu 100% rückresorbiert werden (z.B. Glucose,
Aminosäuren), werden nicht ausgeschieden, ihre Clearance ist null. Ist
die Rückresorption allerdings überfordert ("tubuläres Maximum" - z.B.
Glukosurie bei erheblicher Hyperglykämie), geht ein Teil der Stoffmenge in den Harn
verloren (Clearance ist gegeben).
Ein glomerulär filtrierter Stoff, der tubulär nicht rückresorbiert
wird, wird ausgeschieden. Er ist in der rückresorbierten Flüssigkeit
nicht vorhanden, die Menge dieser ("gereinigten") Flüssigkeit
entspricht der Clearance des Stoffes und kann etwa mit
dem Volumen glomerulär filtrierter Flüssigkeit gleichgesetzt werden.
Wenn 99% der filtrierten Flüssigkeit tubulär resorbiert werden, ergibt
sich dabei ~1% Fehler ( Abbildung).
Inulinclearance und Kreatininclearance. Dies ist beim Inulin
der Fall, und man kann die Inulinclearance praktisch mit der
Filtrationsleistung der Glomeruli gleichsetzen (Inulinclearance = GFR).
Auch Kreatinin kann zur Abschätzung der Filtration herangezogen werden. Die Kreatininclearance
gibt bei gesunden Nieren ebenfalls etwa den Betrag der glomerulären
Filtration an, weil die Menge tubulär sezernierten Kreatinins gegenüber
der glomerulär filtrierten Menge vernachlässigbar klein ist. (Bei
eingeschränkter Nierenfunktion nimmt dieser Anteil zu, sodass der
Betrag der GFR überschätzt wird.)
Die
Kreatininproduktion
des Körpers hängt von seiner Muskelmasse ab, und diese wiederum von
Faktoren wie Körpermasse, Alter, Geschlecht. Mehrere Formeln
sind formuliert worden, um solche Einflüsse entsprechend zu
berücksichtigen, z.B. die Cockcroft-Gault-Formel.
Kreatinin ist ein Anhydrid des
Kreatins, welches vor allem in Muskel-
und Nervenzellen - über Phosphokreatin (PCr) - Phosphat auf ADP
überträgt und damit das ATP-recycling fördert (Kreatinphosphat kann die
Zelle nicht verlassen, Kreatin schon).
Die Harnstoffclearance liegt
bei 60-80 ml/min. Harnstoff unterliegt vollständig der glomerulären
Filtration, wird aber aufgrund seiner hohen Membranpermeabilität fast
zur Hälfte rückresorbiert. (Klinik: Bei sehr niedriger GFR kann man aus
dem Mittelwert aus Kreatininclearance - die dann einen zu hohen Wert liefert - und Harnstoffclearance
- die niedriger als die GFR ist - etwa auf die tatsächliche Größe der
glomerulären Fíltration rückschließen, die Fehler heben sich ungefähr
auf.)
Harnsäure wird glomerulär
filtriert und im proximalen Tubulus zunächst fast vollständig
rückresorbiert, dann zur Hälfte der glomerulär filtrierten Menge
sezerniert und wiederum zum Großteil resoriert; als Referenzbereich für die Harnsäureclearance gilt 6–12 ml/min.
PAH-Clearance. Die Clearance von Paraaminohippursäure
(PAH) entspricht zu mehr als 90% dem renalen Plasmafluss (RPF), da die über
die Arterien an die Niere anströmende PAH-Menge zu ~20% glomerulär
filtriert und zu >70% tubulär sezerniert wird.
Ein wichtiger Anhaltspunkt für die Funktionsfähigkeit der Nieren ist ihre Filtrationsleistung (glomeruläre Filtrationsrate GFR). Sie beträgt bei jüngeren Erwachsenen ~120 ml/min (genauer: 60-70 ml pro Minute pro m2 Körperoberfläche).
Der Betrag der GFR kann mit der Clearance eines Indikatorstoffes
gleichgesetzt werden, der glomerulär filtriert und anschließend vom
Tubulus weder rückresorbiert noch sezerniert wird (d.h. das
Tubulusepithel exprimiert keine entsprechenden Transporter). Das trifft
auf Inulin
zu - ein stärkeähnliches, frei filtrierbares Fructosepolymer (5 kDa),
das im Körper nicht vorkommt und zur Bestimmung seiner Clearance
kontrolliert infundiert werden muss, um einen stabilen Blutwert zu
erreichen - und weitgehend auch auf Kreatinin, das im Körper selbst gebildet und ebenfalls filtriert und renal ausgeschieden wird.
Kreatinin (creatinine)
entsteht aus Kreatinphosphat als
Abbauprodukt des Muskelstoffwechsels: Unter Abspaltung eines
Phosphatrests bildet sich aus Kreatin durch Ringschluss Kreatinin, das
in den Kreislauf abgegeben wird:
Pro 24 Stunden entstehen etwa 20 mg Kreatinin pro
kg Körpergewicht, m>f (Männer 20-25, Frauen 15-20 mg/kg/d - das entspricht bei einem 70 kg schweren Mann ~1,5 g/d, bei einer 70 kg schweren Frau ~1,2 g/d). Die Kreatininausscheidung nimmt im Allgemeinen mit dem Alter ab (niedrigere Muskelmasse).
Je mehr
Muskelgewebe im Körper vorhanden ist, desto mehr Kreatinin entsteht und
desto mehr wird renal filtriert - die Kreatininausscheidung ist eine
Funktion der Muskelmasse.
Kreatinin kann als endogener Indikator für die GFR genutzt werden. Man
braucht es (im Gegensatz zu Inulin) nicht zu injizieren (das übernimmt
die Muskulatur, gewissermaßen als fortlaufende Infusion). Man spricht
von endogener Kreatininclearance (endogen = aus dem Körper selbst stammend). Die Methode ist
einfacher durchführbar, wenn auch mit Fehlern behaftet, insbesondere
bei gestörter Nierenfunktion (die Inulinclearance ergibt verlässlichere
Werte, aber die Bestimmung der Inulinclearance - Infusion, Erreichen
eines konstanten Blutspiegels, Schwierigkeit einer verlässlichen
Bestimmung der Plasmakonzentration - ist für klinische Zwecke zu
aufwendig).
Die Kreatininkonzentration im
Blut einer Person ist ziemlich konstant (etwa 1 mg/dl, s. oben) und kann in die Clearanceformel
eingesetzt werden:
CCr = ACr / PCr
ACr
ist die mit dem Harn ausgeschiedene Kreatininmenge - errechnet aus
Volumen des im Beobachtungszeitraum produzierten Harns mal der darin
ermittelten Kreatininkonzentration -, PCr
ist die Kreatininkonzentration im Blutplasma (die im Organismus während
der Beobachtungszeit praktisch unverändert bleibt). Es genügt also,
eine venöse Blutprobe und eine Harnprobe auf den Kreatiningehalt zu
bestimmen und die ermittelten Konzentrationswerte sowie die (während
der Beobachtungszeit produzierte) Harnmenge in die Formel einzusetzen.
Unter idealen Bedingungen entspricht die Kreatininclearance der
glomerulären Filtration in der gegebenen Beobachtungszeit.
Bei hohen
Kreatinin-Blutwerten weicht die Kreatininclearance von der GFR
zunehmend ab, da Kreatinin dann auch vermehrt tubulär sezerniert wird ( Abbildung).
Abbildung: Serumkreatinin als Funktion der GFR
Nach einer Vorlage bei rsidefenser.blogspot.com
Bei
normaler Filtrationsleistung (100-120 ml/min) entfernt die Niere das
aus dem Muskelstoffwechsel konstant anfallende Kreatinin über
vollständige glomeruläre Filtration - plus etwas tubuläre Sekretion
(deshalb liegt die Kreatininkurve über der GFR-Kurve) - aus dem Blut. Der
Plasma-Kreatininwert ist niedrig (~0,7 mg/dl oder ~60 µM).
Sinkt die
Filtrationsleistung, nimmt das Plasma-Kreatinin zunächst nur leicht zu
(Linie A/B). Je stärker die GFR reduziert ist, desto steiler steigt das
Serumkreatinin an (Linie C/D).
Der Normwertbereich für das Plasma-Kreatinin endet bei etwa 1 mg/dl (s. oben). Je größer die Muskelmasse
(z.B. Kraftsportler), desto mehr Kreatinin fällt in der Zeiteinheit an,
und desto weiter nach oben (zu höheren Kreatininkonzentrationen) ist
die Funktionskurve verschoben
Die Nichtlinearität zwischen Kreatinin-Serumwert (Ordinate) und GFR
(Abszisse) erklärt sich aus dem gleichbleibenden Produkt aus
Konzentration und Filtrationsrate: Nimmt z.B. die GFR auf die Hälfte
ab, verdoppelt sich der Kreatininspiegel; bei einer Reduktion des GFR
auf ein Viertel vervierfacht sich die Konzentration; bei einem Achtel
der GFR steigt die Konzentration um den Faktor 8; usw
(Hyperbelfunktion).
Aus dem Serum-Kreatininspiegel bei verschiedenen Personen auf die jeweilige glomeruläre Filtration rückzuschließen, ist schwierig und fehlerbehaftet. Individuelle Verschiedenheiten machen sich bemerkbar: So hat eine kachektische Person (mit geringer Muskelmasse)
nur sehr wenig Kreatinin auszuscheiden, die Nieren können diese Menge
im Allgemeinen leicht bewältigen; bei intensivem Muskeltraining mit wesentlich
höherer Kreatininsynthese hingegen sind von Haus aus höhere
Kreatininkonzentrationen zu erwarten, auch bei
normaler renaler Filtrationsleistung.
Individuell (bei ein und derselben Person) hingegen kann der Zeitverlauf des
Serum-Kreatinins sehr wohl auf veränderte glomeruläre
Filtration hinweisen: Die Muskelmasse ändert sich in kurzen
Zeiträumen (z.B. Wochen) kaum, eine kurzfristige Steigerung das
Serum-Kreatinins weist dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine
Reduktion der glomerulären Filtrationsleistung hin.
Durchblutung und Plasmadurchströmung
Wird ein Stoff vollständig aus dem die Niere durchströmenden Plasma entfernt, so ist seine
Clearance gleich der Plasmamenge, die durch die Niere geströmt ist (renaler Plasmafluss RPF). Eine solche Substanz ist Para-Amino-Hippursäure (PAH), die
Nierendurchblutung kann (unter Berücksichtigung des Hämatokrit) aus
ihrer Clearance berechnet werden. Das der Niere zuströmende PAH wird
aus dem Blutplasma (bei nicht zu hoher Konzentration) zu ~20% durch glomeruläre Filtration und (in der Nierenrinde) zu ~70% durch tubuläre Sekretion entfernt.
Zur Ermittlung der PAH-Clearance benötigt man eine Harn- (Konzentration mal Volumen = ausgeschiedene PAH-Menge MU) und eine Blutprobe (PAH-Konzentration im Blutplasma cP). Die Clearance ist dann MU/cP (bezogen jeweils auf die Beobachtungszeit).
Die PAH-Clearance beträgt etwa 90% der renalen Plasmaströmung: PAH
wird in der Rinde tubulär (soferne die infundierte Menge nicht zu groß ist) vollständig sezerniert (die Tubuli im Mark - die ca. 10% der renalen Durchblutung empfangen - sezernieren PAH hingegen nicht).
Die PAH-Clearance liegt bei 500-700 ml/min
|
Bezogen auf die Körperoberfläche kursiert als Richtwert auch der Zahlenbereich 550-720 ml/min/1,73m2.
Die Bestimmung der PAH-Clearance (obwohl nach wie vor eine beliebte
Prüfungsfrage in der Physiologie) spielt in der klinischen Diagnostik
keine Rolle mehr; sie wird für wissenschaftliche Zwecke als
Referenzmethode eingesetzt.
Die renale Durchblutung errechnet sich
unter Berücksichtigung des Hämatokrit als
Renale Perfusion = RPF x 1/(1-Ht) |
Der durchschnittliche Referenzwert für jüngere Erwachsene ist eine Nierendurchblutung von ~1 l/min und ein RPF von ~600 ml/min (d.h. bei einem Hämatokrit von 0,4: Erythrozyten 0,4 l, Plasma 0,6 l).
Aus RPF und Hämatokrit kann man die renale Perfusion errechnen
|
Mit zunehmendem Alter nehmen sowohl die Filtrationsleistung als auch die Durchblutung der Niere ab.
Mathematische Methoden (Anwendung von Compartmentmodellen) ermöglichen
es, Clearancewerte aufgrund des Zeitverlaufs der Blutkonzentration
nach Injektion eines Indikators zu
ermitteln (ohne Messung der Harnausscheidung).
Viele
Symptome einer Nierenerkrankung machen sich systemisch bemerkbar, z.B.
im Blutdruck (Goldblatt-Hochdruck bei eingeengten Nierenarterien, etc).
Die renale Perfusion dient zu >90% der Durchblutung der
Nierenrinde, <10% für die des Marks. Die
Durchblutung der Nierenarterien und ihrer Hauptäste
kann dopplersonografisch beurteilt werden (farbcodierte
Duplexsonografie).
Bildgebende Verfahren
Abbildung: 99mTc-Szintigramm gesunder Nieren
Nach einer Vorlage bei diomedia.com
Kurzlebiges metastabiles Technetium-99, gekoppelt an 2,3-Dimercaptosuccinsäure, wird 2 Stunden vor der Untersuchung intravenös verabreicht, lagert sich an funktionstüchtiges Nierengewebe an und emittiert Gammastrahlung
Nierenszintigramme ( Abbildung) werden bei Verdacht auf eine Schädigung oder
Beeinträchtigung der Nierenfunktion zur Darstellung der Niere sowie zur Kontrolle der renalen Perfusion und
Funktion genützt
Sonographie (Ultraschall) dient der Orientierung, zur Abschätzung raumfordernder Prozesse und von Gefäßproblemen (Stenosen, Thrombosen)
Weitere Methoden sind
Computertomographie (Uratsteine sind röntgennegativ),
Magnetresonanztomographie,
Angiographie (Darstellung der Gefäße),
i.v.-Infusionsurographie mit nierengängigen Kontrastmitteln,
Ausscheidungsurographie: Urographie = Pyelographie (Darstellung von Nierenbecken, Ureter und Harnblase),
Miktions-Zystourethrographie (Funktion der ableitenden Harnwege)
Abbildung: Dopplersonografische Darstellung der Nierengefäße
Nach einer Vorlage bei dreamstime.com
Die farbcodierte Darstellung zeigt Richtung und Geschwindigkeit (~+50 bis -50 cm/s) der Blutströmung
Weiters in Betracht kommen nuklearmedizinische Verfahren (Isotopennephrografie , seitengetrennte Clearance, evt.
vor und nach Gabe eines rasch wirksamen ACE-Hemmers zum Nachweis
funktionell wirksamer Stenosen der a. renalis).
Nierenbiopsie
Zur feingeweblichen Untersuchung wird unter Ultraschallkontrolle
mittels Punktionsnadel von dorsal her transkutan eine Gewebeprobe aus
der Niere entnommen; diese wird lichtmikroskopisch sowie
immunhistochemisch untersucht.
Zur Harnuntersuchung (Mittelstrahlurin) kommen physikalische, makro- und mikroskopische Untersuchungen in Frage: Bestimmung des Volumens (24-Stunden-Harn), Farbe (gelb durch Sterkobilin, Urobilin aus dem Hämoglobinabbau, farblos bei stark verdünntem Urin, braun bei Ikterus, rot bei Blutungen), pH-Wert (5,0 bis 6,0; <5,0
bei Hunger und Ketose, Dehydration, respiratorischer Azidose, >6,0
bei vegetarischer Ernährung, schwerem Erbrechen, renalen Erkrankungen). Glucose (ohne spezielle Zuckerbelastung <20 mg/dl; Glukosurie bei >160 mg Glucoseausscheidung in 24 Stunden), Proteinausscheidung
(bis 150 mg/dl, davon 40-50% kleinmolekulares Protein, 10-15% Albumin,
40-50% Tamm-Horsfall-Mukoprotein). Trübung bei Entzündungen (normal <10 Leukos / µl Harn), Sediment (Epithelzellen, Bakterien normal <105 CFU/ml, Blutkörperchen normal <4 Erys/µl, Kristalle, Konkremente)
Hormone (normiert auf den gleichzeitig gemessenen Kreatininwert),
z.B. Steroide, HCG (Schwangerschaftstest), Melatonin,
Dihydroxyphenylessigsäure (DOPAC) und Homovanillinsäure (HVA) als Maß
der Katecholaminproduktion
Die Massendichte beträgt physiologisch zwischen 1002 und 1030 g/l, bei hoher
Freiwasserclearance bis 1000 g/l (Diabetes insipidus), bei Dehydration,
Proteinurie, Glukosurie bis 1040 g/l; mit einer Zunahme der Harndichte um 1 g/l steigt die Osmolarität des Harns um ~40 mOsm/l (100 bis 1200 mOsm/l). Isotoner Harn hat ~290 mOsm/l; Morgenharn ist wegen der nächtlichen Antidiurese konzentriert, er hat ~900 mOsm/l
Clearance ist die Plasmamenge, aus der ein Stoff pro Minute entfernt wird (Volumen / Zeit).
Aus der Ausscheidung im Urin (AU) und der Konzentration im Blutplasma
(cP) errechnet sie sich eine renale Clearance als AU / cP. Der Betrag liegt
zwischen Null (keine Ausscheidung / vollständige Rückresorption) und dem des renalen Plasmaflusses RPF (vollständige Ausscheidung). Die PAH-Clearance (Paraaminohippursäure) entspricht zu >90% dem RPF; diese beträgt ~600 ml/min. Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) beträgt bei jüngeren Erwachsenen ~120 ml/min. Die
Inulinclearance entspricht der GFR, die
Kreatininclearance mit Einschränkungen ebenfalls (Menge tubulär
sezernierten Kreatinins vernachlässigbar). Harnstoff wird glomerulär filtriert und zu
~40% rückresorbiert, die Clearance beträgt 60-80 ml/min. Die Harnsäureclearance beträgt 6–12 ml/min
Die Durchblutung der Nieren errechnet sich als RPF x 1/(1-Ht)
und beträgt ~1 l/min. Mit zunehmendem Alter nehmen sowohl die
Filtrationsleistung als auch die Durchblutung der Niere ab. Diese dient
zu >90% der Perfusion der Nierenrinde, <10% für die des Marks.
Die Durchblutung der Nierenarterien und ihrer Hauptäste kann
dopplersonographisch beurteilt werden
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Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen:
Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie
sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und
Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.