Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

     
Blutdruck, Wasserhaushalt, Säure-Basen-Status

Verteilungsräume, Flüssigkeitshaushalt und Blutdruckregulation
© H. Hinghofer-Szalkay

Angiotensin: ανγειον = (Blut)Gefäß, tendere = (an)spannen
Indikator: in-dicere = ansagen, ankündigen
Infusion: fundere = gießen, schütten, fließen
Kinetik:
κινεῖν = bewegen
Kompartiment: compartire (lat) trennen
tractus solitarius: tractus = Ausdehnung, Lage (von trahere = ziehen), solitarius = einzeln (von solus = allein)


Verteilungsräume (Compartments) sind Volumina, in denen sich ein bestimmter Stoff verteilt, nachdem er in den Körper (meist die Blutbahn) eingebracht wurde. Aus der Konzentration des Stoffes in diesem (Flüssigkeits- oder Gas-) Volumen kann dann das Verteilungsvolumen errechnet werden (Indikatorverdünnungsprinzip) - vorausgesetzt, die Verteilung erfolgt vollständig und gleichmäßig, sodass die entnommenen Proben repräsentative Konzentrationswerte aufweisen. Verbleibt die Substanz innerhalb anatomisch definierter Räume, dann eignet sich dieses Verfahren z.B. zur Abschätzung von Gesamtkörperwasser, intra- und extrazellulärem, intra- (Gefäße) und extravaskulärem Raum (Volumen = Menge / Konzentration).

   -- Verteilt sich ein Indikator im Blutplasma, ohne aus dem Kreislauf zu entweichen (z.B. eiweißgebunden), kann man aus der applizierten Menge und seiner Konzentration (nach vollständiger Durchmischung) auf das Plasmavolumen zurückrechnen.

   -- Wird der Indikator während des Beobachtungszeitraums abgebaut, in einem anderen Kompartiment (z.B. Fettgewebe) zwischengespeichert, oder ausgeschieden (z.B. Inulin), sinkt seine Konzentration im Blut in einer Weise, die Volumenberechnungen erschwert.

   -- Mathematische Verfahren erlauben auch - trotz sich ändernder Konzentration nach single-shot-Injektion des Indikators - die Berechnung von Kompartimentvolumina. Geht ein Indikator während des Messvorgangs kontinuierlich verloren (z.B. durch renale Ausscheidung), kann man seine Blutkonzentration durch dosierte Infusion stabil halten (Fließgleichgewicht, vereinfachte Berechnung).

Verteilungsräume werden nach dem Indikator benannt, der für ihre Ermittlung verwendet wurde, z.B. "Natriumraum", "Inulinraum" (diese beiden entsprechen in etwa dem extrazellulären Raum).

Ein Indikator muss zahlreiche Bedingungen erfüllen, wie unschädlich, abbaubar, eindeutig und spezifisch detektierbar (Radioaktivität, Färbung).


Kompartimente Natrium, extrazelluläres Volumen, Kreislauf Verteilung infundierter / injizierter Substanzen

    Transzelluläre Flüssigkeit


Core messages
   
Kompartimente im physiologischen Sinne trennen biologische Reaktionsräume mehr oder weniger dicht gegeneinander ab - z.B. separiert die Zellmembran den intrazellulären vom extrazellulären Raum. Stoffaustausch zwischen den Kompartimenten findet statt, aber gezielt und begrenzt - oft getrieben von (Diffusion, Osmose), manchmal auch gegen einen bestehenden Konzentrationsunterschied (Anreicherung durch aktiven Transport). Gerichteter Stoffwechsel ist auf diese Weise möglich, komplexes Leben ohne Kompartimentierung nicht vorstellbar.
 
Kompartimente sind Verteilungs- und Reaktionsräume
 
Kompartimente (compartments) sind - morphologisch definierbare oder virtuelle - Volumina, in denen sich körpereigene oder körperfremde Stoffe verteilen, nachdem sie in den Extrazellulärraum (in die Blutbahn) eingebracht wurden - durch körpereigene Produktion (z.B. Kreatinin in der Muskulatur) oder von außen (z.B. Injektion eines Pharmakons oder einer Indikatorsubstanz ).

  Zu Kompartimenten s. auch dort
 

Abbildung: Kompartimente und Systeme
Nach einer Vorlage bei Sinauer Associates (2001)

Der Organismus, unterwegs in seiner Umwelt: Er nimmt aus ihr Nahrung, Elektrolyte, Wasser auf und gibt Urin, Wasserdampf und Stuhl an sie ab. Der Blutkreislauf verteilt die Stoffe zwischen den verschiedenen Kompartimenten des Körpers (konvektiver Transport)


Kompartimente existieren auch in der Zelle:
 
      Teils decken sie sich mit dem Volumen von Zellorganellen (z.B. Zellkern, Mitochondrien, Inhalt von Golgi-Apparat, Vesikeln, endoplasmatischem Retikulum u.a.), die durch Membranen sichtbar von ihrer Umgebung separiert sind, welche für viele Moleküle eine Diffusionsbarriere darstellen,
 
      teils ergeben sie sich mittels molekularer Interaktionen und Strukturen durch "Gerüstmoleküle" (scaffold proteins), z.B. die Abgrenzung von zytoplasmatischen "Calciumwolken", die im Rahmen von Erregungsvorgängen vorübergehend frei- und wirksam werden.
 

Gesamtkörperwasser  Extrazelluläres Flüssigkeitsvolumen Intrazelluläres Flüssigkeitsvolumen

Zu Verteilungsräumen (Flüssigkaitskompartimenten) im Körper s. auch dort
  
 
Abbildung: Zusammensetzung von Körperflüssigkeiten im Vergleich
Nach einer Vorlage bei Thibodeau / Patton, Anatomy & Physiology (6th ed), Mosby Elsevier 2007
Blutplasma und interstitielle Flüssigkeit sind beides extrazelluläre Flüssigkeiten und unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung nur geringgradig - hohe Konzentration an Kochsalz (Na+ / Cl-), Bikarbonatkonzentration (HCO3-) ~25 mM. Deutlich differieren sie in der Eiweißkonzentration (höher im Blutplasma), aber auch in der Konzentration an organischen Säuren (org. ac, höher im Interstitium). Insgesamt weist das Plasma eine etwas höhere Gesamtkonzentration an gelösten Teilchen auf.

Die intrazelluläre Flüssigkeit weist eine im Vergleich zu den extrazellulären Flüssigkeiten wesentlich höhere Konzentration an Kaliumionen (K+) und auch Magnesiumionen (Mg++) auf - ein Ergebnis der Aktivität der Transporter in der Zellmembran (vor allem der Na/K-ATPase). Vergleichsweise sehr hoch ist weiters die Konzentration an Phosphaten (PO4-), Proteinen (beide wirken u.a. als Puffer) sowie der Sulfatspiegel (SO4-)


Flüssigkeitsvolumina im Körper (Blutvolumen, Liquormenge, intra- und extrazelluläre Volumina,...) werden von physiologischen Regelmechanismen in engen Bereichen gehalten, was für die normale Funktionalität wichtig ist (z.B. Blutdruck, Kreislaufstabilität, Perfusion von Organen etc). Dazu gehört die Aufnahme und Ausscheidung von Wasser und Elektrolyten (Volumenregulation). Treibende Kraft für die Aufrechterhaltung physiologischer Ionenkonzentrationen im Extra- und Intrazellulärraum ist die Aktivität der zahlreichen verschiedenen Transportsysteme in der Zellmembran, z.B. Na/K-Pumpe, Natriumkanäle, Kaliumkanäle, Symporter, Antiporter.

Die Unterschiede in der Zusammensetzung der Körperflüssigkeiten präzisiert die folgende Tabelle:
 
Zusammensetzung von Körperflüssigkeiten
(gerundete Werte)
Modifiziert nach Boron / Boulpaep, Concise Medical Physiology. Elsevier 2021

Blutplasma
proteinfrei
Interstitium
Zelle
Na+ (mM)
142
153
145
~15
K+ (mM) 4,4
4,7
4,5
120
Ca++ (mM) 1,2 (ionisiert)
2,4
(gesamt)
1,3 (ionisiert) 1,2 (ionisiert) 0,0001 (ionisiert)
Mg++ (mM) 0,6 (ionisiert)
0,9
(gesamt)
0,6 (ionisiert) 0,55 (ionisiert) 1 (ionisiert)
Cl- (mM) 102
110
116
20
HCO3- (mM) 22 (arteriell)
24
(venös)
24
25
16
H2PO4- / HPO4-- (mM) 0,7 (ionisiert)
1,4
(gesamt)
0,75 (ionisiert) 0,8 (ionisiert) 0,7 (frei gelöst)
Proteine
70 g/l
1 mM
-
~10 g/l
~300 g/l
Glucose
(mM)
5,5
5,9
5,9
sehr gering
pH
7,4
7,4
7,4
~7,2
Osmolalität
(mOsm / kg H2O)
291
290
290
290
 
 


   Die Bestimmung des Gesamtkörperwassers (TBW, total body water) erfolgt mit Tritiumoxid (T2O, 3H2O, schwerem Wasser). Dieser Indikator verhält sich wie normales Wasser und verteilt sich in der gesamten Körperflüssigkeit. Tritium
(1 Proton, 2 Neutronen) ist ein relativ stabiles Isotop des Wasserstoffs; es zerfällt mit einer Halbwertszeit von ca. 12,3 Jahren zu Helium und emittiert dabei Elektronen, ist also ein Betastrahler (radiometrische Bestimmung).
 
Indikatorverdünnungsprinzip: Eine Dosis
T2O (wasserklare Flüssigkeit) mit bekanntem Volumen und bekannter Aktivität (Anfangsdosis) dient als Indikator und wird intravenös injiziert. Sie verteilt sich im Körper und wird gleichzeitig - wie Wasser allgemein - laufend filtriert und renal ausgeschieden.
 
Die bis zum Zeitpunkt der Äquilibrierung (dieser Zeitpunkt dient der TBW-Bestimmung) aus dem Körper entfernte Menge des Indikators wird über die Radioaktivität des in der entsprechenden Äquilibrierungszeit ausgeschiedenen Harns abgeschätzt (die Ausscheidung mit dem Harn reduziert die im Verteilungsraum verbliebene Indikatormenge). Aus Volumen und Radioaktivität der Harnprobe wird die Menge enthaltenen  T2O (in g) errechnet.
 

Abbildung: Vergleich der wichtigsten Konzentrationswerte in Blutplasma, interstitieller und intrazellulärer Flüssigkeit
Modifiziert nach einer Vorlage bei Thibodeau / Patton, Anatomy & Physiology (6th ed), Mosby Elsevier 2007
Natrium ist das Leitkation, Chlorid das Leitanion der extrazellulären Flüssigkeiten; in den Zellen dominiert kationisch die Kaliumkonzentration.
 
Calciumionen liegen extrazellulär um einen Faktor ~103 konzentrierter vor als in intrazellulärer Flüssigkeit (Zellen speichern ihre Calciumionen vor allem im endoplasmatischen Retikulum, in Mitochondrien u.a.).
 
Die Konzentration an gelösten Proteinmolekülen ist im Zytosol fast 4-mal höher als im Blutplasma 

   Die Bestimmung des extrazellulären Flüssigkeitsvolumens (ECF, extracellular fluid volume) erfolgt mit einem Indikator, der nicht in andere Kompartimente übertritt, z.B. Inulin. Inulin kann in Serumproben photometrisch bestimmt werden. Das Indikatorverdünnungspronzip gilt hier sinngemäß in gleicher Weise.

Das jeweilige Verteilungsvolumen (V) wird dann berechnet nach der Indikatormenge (M) im Körper (infundiert minus ausgeschieden) dividiert durch die Konzentration (c) - jeweils nach vollständiger Durchmischung im Kompartiment, also
 
V = M / c

    Das intrazelluläre Flüssigkeitsvolumen (ICF, intracellular fluid volume) im Körper errechnet sich (näherungsweise, da unter Vernachlässigung des transzellulären Volumens) als die Differenz [Gesamtkörperwasser] - [extrazelluläres Flüssigkeitsvolumen].
  Rechenbeispiel: Es soll das intrazelluläre Flüssigkeitsvolumen einer Probandin ermittelt werden - aus folgenden Werten:
 
Infundiertes T2O: 2,5 g; ausgeschiedenes T2O: 0,4 g; T2O-Konzentration im Serum: 0,05 mg/ml
TBW: (2,5 - 0,4) / 0,05 = 42 Liter
 
Infundiertes Inulin: 1,6 g; ausgeschiedenes Inulin: 0,2 g; Inulinkonzentration im Serum: 0,1 mg/ml

ECF: (1,6 - 0,2) / 0,1 = 14 Liter
 
Resultat: Intrazelluläres Flüssigkeitsvolumen = 42 - 14 = 28 Liter
 
Verteilung des Körperwassers
(gerundete Werte)
Nach Boron / Boulpaep, Concise Medical Physiology. Elsevier 2021

Männer
Volumen (l)
Frauen
Volumen (l)
Körperwasser (TBW) gesamt
60% KG
42
50% KG
35
Intrazelluläre Flüssigkeit
60% TBW
25
60% TBW 21
Extrazelluläre Flüssigkeit (ECF)
40% TBW 17
40% TBW 14
Interstitielle Flüssigkeit
75% ECF
13
75% ECF 10
Blutplasma
20% ECF 3
20% ECF 3
Transzelluläre Flüssigkeit
5% ECF 1
5% ECF 1
Blutvolumen
PV/(1-Ht)
6
PV/(1-Ht) 5

KG = Körpergewicht,  PV = Plasmavolumen, Ht = Hämatokrit
  

  
Elektroneutralität: In jeder Körperflüssigkeit ist die Zahl positiver und negativer Ladungen gleich groß. Die wichtigsten positiven (kationischen) Ladungen werden bereitgestellt durch (Na+) (vorwiegend extrazellulär) und K+ (vorwiegend intrazellulär), die wichtigsten negativen (anionischen) durch Chlorid, Bicarbonat, Proteine, Phosphat.
 
Die Nieren sind unverzichtbar
für die Ausscheidung von Wasser, Salzen und einigen "harnpflichtigen" Stoffen; sie sind das exekutive Organ für die Regulierung der Körperflüssigkeiten. Zu diesen zählt der Transportraum, der außerhalb der Zellen liegt (extrazelluläre Flüssigkeit), ein Teil davon ist das Blutplasma.
 

Abbildung: Verteilung des Körperwassers bei einer 70kg schweren männlichen Referenzperson
Nach einer Vorlage in Boron W, Boulpaep E: Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Die wichtigsten Kompartimente sind Blut (links), Interstitium (extrazelluläre Geweberäume), transzelluläre Räume, sowie der intrazelluläre Raum (rechts).
 
Von den ~13 l interstitieller Flüssigkeit sind ~8 l frei (direkt mit Plasma oder Zellflüssigkeit austauschbar), 2 l im Knochen und 3 l in festem Bindegewebe (z.B. Sehnen) fixiert (nur verzögert austauschbar).
 
Extrazelluläre Flüssigkeit ist reich an Kochsalz, intrazelluläre Flüssigkeit weist eine hohe Konzentration an Kalium auf

    Transzelluläre Flüssigkeiten sind extrazelluläre Flüssigkeiten, die sich in komplett von Epithel umkleideten Räumen (transzellulären Räumen) befinden. Sie werden von unterschiedlichen Epithelien sezerniert, ihre Zusammensatzung unterscheidet sich untereinander und auch von der des Blutplasmas. Ihr Gesamtvolumen im Körper eines erwachsenen Menschen beträgt etwa 1 Liter.
 
Zu transzellulären Flüssigkeiten zählen

      Synovialflüssigkeit in den Gelenksräumen (einige ml pro größerem Gelenk)

      Hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (liquor cerebrospinalis, rund 150 ml, davon ca. 30 ml intraventrikulär)

      Intraokuläre Flüssigkeit (0,25 ml Kammerwasser pro Auge)

      Pleuraflüssigkeit (10-20 ml, Proteinkonzentraion <15 g/l)

      Perikardialflüssigkeit (~20 ml)

      Peritonealflüssigkeit (10-20 ml, Ovulationsperiode bis 50 ml)

Flüssigkeit in der Harnblase oder im Verdauungssystem zählt nicht dazu.

 


Ausreichendes Blutvolumen ist eine Voraussetzung für ein normales Funktionieren des Kreislaufs. Daher besteht ein enger Zusammenhang zwischen Flüssigkeits- und Blutdruckregulation; die Niere ist direkt in die Aufrechterhaltung der Blutversorgung des ganzen Organismus involviert.

Der Körper besteht zu einem Großteil aus Wasser, das sich unterschiedlich auf Subkompartimente verteilt: Rund 40% des Körpergewichts sind intrazelluläres, rund 20% extrazelluläres Wasser (bei hohem Fettanteil sind die Zahlen niedriger, bei niedrigem höher). Die extrazelluläre Flüssigkeit ist als primärer Verteilungsraum für Substrate, Hormone,
Stoffwechselprodukte, Medikamente etc. besonders signifikant:
 
Flüssigkeitskompartimente einer erwachsenen Person (70 kg)

Zahlen nach Lin / Smith / Pinnock, Fundamentals of Anaesthesia, 4th ed., Cambridge University Press 2016
Flüssigkeit
% des Körper-
gewichts
Volumen (l)
Interstitiell
15
10,5
Blutplasma
5
3,5
Transzellulär
1
0,7
Summe: Extrazellulär (gesamt)
21
14,7



  
Dabei besteht auch eine Altersabhängigkeit: Neugeborene bestehen zu 80% aus Wasser, Babys mit 6 Monaten zu 70%, Einjährige zu 60% - das bleibt dann ziemlich lang unverändert, erst bei älteren Personen nimmt der Wasseranteil am Körpergewicht weiter ab, auf etwa 50%.


Natrium und extrazellulärer Raum
 
Da Natrium das Leitkation der extrazellulären Flüssigkeit ist, stellt seine Regulation einen Schlüsselmechanismus sowohl der Osmo- als auch der Volumen- und damit Kreislaufregulation dar. Rezeptoren in Kreislauf und Leber informieren den nucleus tractus solitarii über verfügbares Blutvolumen und Kochsalzaufnahme; über den Hirnstamm werden Blutgefäße (peripherer Widerstand) und Nieren (Salzausscheidung) entsprechend gesteuert.
 

Abbildung: Regelkreis für Natriumhaushalt und Blutdruckregulation
Nach Guyenet PG, The sympathetic control of blood pressure. Nature Rev Neurosci 2006; 7: 335-46

Renale Natriumresorption und damit Blutvolumenregulation werden durch eine Rückkopplungsschleife stabilisiert, welche atriale Volumenrezeptoren im Herzen, den nucleus tractus solitarii im Hirnstamm, den nucl. paraventricularis im Hypothalamus und renale sympathische Nerven umfasst.
 
Die Aktivität renaler Sympathikusfasern wird von arteriellen Barorezeptoren beeinflusst, die primär über rostral-ventrolaterale Areale der medulla oblongata wirken, sowie über die Osmolarität in Blut und Gehirn (periphere Osmorezeptoren, Natriumsensoren im Hypothalamus).
 
Angiotensin (AT II) und Aldosteron beeinflussen die entsprechende Aktivität im nucleus paraventricularis des Hypothalamus, der spezialisierte Neuronen für die Steuerung der Nieren oder von Arteriolen im gesamten Organismus enthält.
 
Dadurch können regulatorische Teilmechanismen gezielt beeinflusst werden


Adäquater arterieller Blutdruck ist für die Nierenfunktion entscheidend: Unter 10 kPa (75 mm Hg) sind Nierendurchblutung und Harnbildung erschwert. Bei mangelnder Blutversorgung aktiviert die Niere das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System.

Aldosteron fördert die Rückgewinnung von Kochsalz (Abbildung) in Niere, Schweiß- und Speicheldrüsen, Dünn- und Dickdarm, und fördert die Ausscheidung von Kalium und H+. Es erhält das extrazelluläre Volumen aufrecht. Daraus ergibt sich seine positive Wirkung auf Blutvolumen und Kreislauf.

Vasopressin (ADH) wird bei Volumenmangel (insbesondere bei akuter Hypovolämie) vermehrt sezerniert, es ist das "Wassersparhormon" des Organismus und verstärkt die Rückresorption von Wasser in den Nieren.

Volumenmangel stimuliert auch das Durstempfinden, das sowohl über Druck- und Volumenfühler im Kreislauf, Osmorezeptoren und hormonelle Einflüsse (z.B. Angiotensin II) im Gehirn ausgelöst wird - Wasseraufnahme hilft, eine Dehydration wieder auszubalancieren.



Wohin gelangen infundierte Stoffe, und wie schnell?
 
Verteilung, Anreicherung, Umbau und Ausscheidung eines Stoffes im Körper werden als Kinetik dieser Substanz bezeichnet. Diese hängt von Fettlöslichkeit, Größe und  Ladung des Moleküls, sowie dem Zustand der Kapillarwände, des Interstitiums, der Zellmembranen, des Stoffwechsels und der Ausscheidungswege ab.

Über Applikationswege s. dort
 

Abbildung: Physiologisches Kompartmentmodell
Wikipedia

Physiologische Verteilungsräume - wie z.B. Intra- und Extrazellulärraum - können Grundlage für Modellrechnungen sein. Solchen Kompartimenten werden aufgrund experimenteller Untersuchungen Kenngrößen zugewiesen (Volumen, Austausch bestimmter Indikatoren u.a.). Das hier gezeigte Kompartmentmodell unterscheidet Räume, die sich an der Anatomie orientieren (Lunge, Herz, Darm, Nieren etc.).
 
Ein gutes Modell kann Eintritt, Verweildauer und Eliminierung bestimmter Stoffe (auch Medikamente) in Verteilungsräumen des Organismus gut voraussagen. Modelle sollen weder zu simpel noch zu komplex angesetzt sein, um einerseits befriedigende Ergebnisse zu liefern, andererseits für die Praxis geeignet zu sein


Kompartimente: Der Organismus kann als ein System von Verteilungsräumen gesehen werden, in denen sich Stoffe vorzugsweise aufhalten - Beispiele sind der Intra- und der Extrazellulärraum, der Intra- und der Extravasalraum usw.

Ein besonders wichtiger Verteilungsraum ist das Plasmavolumen, d.h. der extrazelluläre Anteil des Blutvolumens - bei erwachsenen Personen rund 3 Liter (abhängig von mehreren Größen, u.a. dem Hämatokrit: bei 3 l Plasma und einem Hämatokrit -
Volumenanteil von Blutkörperchen - von 0,4 ergibt sich 5 Liter Blutvolumen). Im Plasmavolumen lösen sich primär die meisten Stoffe, welche die Blutbahn betreten, und das Blutplasma ist die primäre Quelle von Flüssigkeit, die in das Gewebe filtriert (und den Zellen zur Verfügung gestellt) wird.

All diese Verteilungsräume haben definierte Aufgaben zu erfüllen (z.B. das Blutvolumen als Basis-Zustandsgröße für die normale Kreislauffunktion).
 
Ein “Indikator” (z.B. farbige oder radioaktive Substanz) wird injiziert, seine Vermischung im Verteilungsraum abgewartet und seine Konzentration bestimmt (je größer der Verteilungsraum, desto kleiner die Konzentration des Stoffes).
 
Das Prinzip lautet: Konzentration des Indikatorstoffes (nach seiner Verteilung) = Menge (M) des eingebrachten Indikators / Volumen (V), das ermittelt werden soll: c = M / V. Das gesuchte Volumen errechnet sich als

V = M / c
  

  
Die Größe dieser physiologischen Verteilungsräume stellt eine wichtige Information für den Arzt dar. Allerdings sind diese Volumina nicht direkt meßbar, sondern nur indirekt bzw. durch komplizierte Verfahren. Allgemein nennt man die Abschätzung eines solchen Verteilungsvolumens eine Kompartmentanalyse: Das Volumen, in dem sich ein Stoff verteilt, kann durch Indikatorverdünnung gemessen werden.

Meist nimmt man nach Injektion mehrfach Blutproben, misst den Zeitverlauf des Konzentrationsabfalls und extrapoliert den Verteilungsraum zum Zeitpunkt der Injektion (Kompensation für Ausscheidungsverlust). Kompartmentgrenzen werden von den sich verteilenden Indikatorstoffen selten strikt eingehalten, was die Berechnung von Verteilungsräumen erschwert. (Andererseits wäre ohne solche "Undichtigkeiten" der Stoff unbegrenzt im Kompartment gefangen und könnte nie ausgeschieden werden.)


Kennt man das Volumen einer Körperflüssigkeit, so kann man aus der Konzentration eines Stoffes dessen Menge im Kompartiment berechnen. Zum Beispiel:
 
     Wie viel Plasmaeiweiß befindet sich bei einer Eiweißkonzentration von 70 g/l in der Blutbahn, wenn das Plasmavolumen 3 Liter beträgt? (Antwort: 210 g)
 
Kleine Moleküle gelangen aus der Blutbahn rasch ins Interstitium. Große Moleküle (Kolloide, Plasmaeiweiße) bleiben zunächst weitgehend im Blutplasma - der Verlust von Albumin beträgt z.B. 5% der im Plasma vorhandenen Menge pro Stunde.
 

Abbildung: Kompartimente - Zellen, Kapillaren, Interstitium
Nach einer Vorlage in Porth's Pathophysiology, 7th ed., 2005 Lippincott Williams & Wilkins

Das Kapillargebiet ist der Ort des Stoffaustauschs zwischen Transportsystem (Blutkreislauf, Lymphsystem) und Zellen im Gewebe. Der extravasale Stoffaustausch erfolgt über das Interstitium, das ist der Raum zwischen Kapillaren einerseits, Gewebezellen andererseits


Der Übertritt von Stoffen über Kompartimentgrenzen hinweg beruht auf

     Transport auf dem Blut- oder Lymphweg
 
     Filtration durch Kapillarwände (druckabhängig)
 
     Diffusion (konzentrationsabhängig; kann durch Permeasen unterstützt sein)
 
     aktivem Transport (gegen ein Konzentrationsgefälle; energieverbrauchend)
 
     Osmose (Wasser durchdringt semipermeable Grenzflächen, seinem Konzentrationsgradienten folgend)
 
     anderen Mechanismen, z.B. Mitwandern gelöster Stoffe (solvent drag, “Lösungsmittel-Sog”)

In der Blutbahn verteilen sich infundierte Stoffe innerhalb von Minuten (Kreislauf als Mischorgan; durchschnittliche Rezirkulation in ≤1 Minute). Die Aufnahme in das Interstitium und von hier in die Zellen dauert Stunden bis Tage.
 

 
      Kompartimente sind funktionell definierte Verteilungsräume (z.B. Na+-Raum), sie können mit anatomisch definierten Räumen (z.B. Extrazellulärraum) mehr oder weniger exakt korrelieren. Extrazelluläre Flüssigkeit ist reich an Kochsalz, intrazelluläre an Kalium. Die extrazelluläre Flüssigkeit ist primärer Verteilungsraum für Substrate, Hormone, Stoffwechselprodukte, Medikamente. Von ~13 l interstitieller Flüssigkeit sind ~8 l frei (direkt austauschbar), 2 l im Knochen und 3 l in festem Bindegewebe "geparkt" und nur langsam austauschbar. Transzelluläre Flüssigkeiten befinden sich in epithelial umkleideten Räumen, wie Liquor, Synovialflüssigkeit, Pleura-, Perikardial-, Peritonealflüssigkeit. Regelmechanismen stabilisieren die Volumina von Blut (wichtig für Blutdruck, Perfusion u.a.), Liquor und anderen Flüssigkeiten, einschließlich die Aufnahme (Darm) und Ausscheidung (Nieren) von Wasser und Elektrolyten (Volumenregulation)
 
      Kompartimente gibt es auch in der Zelle: Teils decken sie sich mit dem Volumen von Zellorganellen, die durch Membranen umschlossen sind (z.B. Zellkern, Mitochondrien), sie können sich auch vorübergehend mittels molekularer Interaktionen und Strukturen ("Gerüstmoleküle") ergeben, wie bei umschriebenen zytoplasmatischen Calciumwolken
 
      Kinetik betrifft Verteilung, Anreicherung, Umbau und Ausscheidung von Stoffen im Körper. Sie hängt ab von Fettlöslichkeit, Größe und  Ladung, Zustand der Kapillarwände, des Interstitiums, der Zellmembranen, des Stoffwechsels und der Ausscheidungswege. Verteilungsvolumina haben definierte Aufgaben, z.B. ist das Blutvolumen eine basale Zustandsgröße für die Kreislauffunktion (Vorlast für das Herz). Sie werden mittels Indikatorverdünnungsprinzip bestimmt (Volumen = Menge / Konzentration). Meist werden nach Injektion des Indikators mehrfach Blutproben genommen und aus dem Zeitverlauf des Konzentrationsabfalls der Verteilungsraum extrapoliert (Zeitpunkt der Injektion): Kleine Moleküle gelangen aus der Blutbahn rasch in das Interstitium. Große Moleküle verbleiben zunächst im Blutplasma (Albuminverlust durch endotheliale Transzytose ~5%/h)
 
      Stoffe übertreten Kompartimentgrenzen mittels Transport auf dem Blut- oder Lymphweg, Filtration durch Kapillarwände, Diffusion, aktivem Transport, Osmose oder  andere Mechanismen (solvent drag). In der Blutbahn verteilen sich infundierte Stoffe innerhalb von Minuten (Kreislauf als Mischorgan; durchschnittliche Rezirkulationszeit ≤1 Minute) mittels konvektivem Transport. Die Aufnahme in das Interstitium (vorwiegend diffusiv) und von hier in die Zellen dauert Stunden bis Tage
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.