Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

    
Sexualität, Reproduktion, Entwicklung und Wachstum

Sexualdimorphismus, Physiologie der Kohabitation
© H. Hinghofer-Szalkay

Bartholin-Drüse: Caspar Bartholin d.J.
Cowper-Drüse: William Cowper
Orgasmus: ὀργάω = glühen, heftig verlangen
Priapismus: Priapos
, griechischer Gott der Fruchtbarkeit
Pudendusnerv: pudor = Scham(gefühl)
Sex: sexus = Geschlecht



Der Ablauf der Kohabitation hat teils geschlechtsspezifische, teils generelle Merkmale. Zu letzteren zählen Kreislaufeffekte (Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg), Tachypnoe, Mydriasis; man unterscheidet eine Erregungs-, Plateau-, Orgasmus- und Rückbildungsphase.

Unmittelbar zuständig für die Koordination der Vorgänge sind Zentren im Lumbal- und Sakralmark:

   -- Bei der Frau ein lumbales Orgasmuszentrum mit motorischen und sympathischen Efferenzen

   -- beim Mann ein lumbales Ejakulationszentrum, ebenfalls mit motorischen und sympathischen Efferenzen

Beide Geschlechter haben
ein sakrales Erektionszentrum mit parasympathischen Efferenzen und sensorischen Afferenzen.

Das Gehirn beteiligt sich an der Aktivierung des Orgasmus, insbesondere das limbische System (sensorische Afferenzen, motorische und vegetative Efferenzen). Am Aufbau der sexuellen Erregung sind insbesondere der gyrus cinguli, die Insel, das Putamen und der Hypothalamus beteiligt.

Die Entwicklung des Gehirns unterliegt ab der frühen Fetalphase einem prägenden Einfluss durch Sexualhormone; in einigen Regionen ergibt sich daraus ein geschlechtsabhängiger Dimorphismus.

Sexualdimorphismus Sexuelle Erregung Funktionsmuster beim Mann Funktionsmuster bei der Frau  Transport der Spermien

Core messages
  
Der Begriff "Sexualdimorphismus" beruht auf der biologischen Bipolarität, welche typische Merkmale männlicher und weiblicher Organismen hervorbringt. Dieser Dimorphismus beruht weitgehend auf hormonellen Verschiedenheiten, die nicht nur die Geschlechtsorgane und -merkmale, sondern auch das Nervensystem und dessen funktionellen Äußerungen - das Verhalten - betreffen. Unter "Kohabitation" wird in diesem Zusammenhang der Geschlechtsverkehr (als biologischer Akt) verstanden.
 
Das Sexualverhalten wird über mehrere Ebenen des Zentralnervensystems koordiniert
 

Es gibt kein "Sexualzentrum" im engeren Sinne, mehrere Gebiete im Gehirn (insbesondere limbisches System) und Rückenmark (lumbal: Orgasmus- bzw. Ejakulationszentrum, sakral: Erektionszentrum) sind gemeinsam an der Steuerung von Sexualreflexen beteiligt.

Sexualdimorphismus: Bezüglich verschiedener Kriterien (Morphologie, Synapsendichte, molekulare Ausstattung, Funktion) in Gehirnen von Männern und Frauen ist die Verteilung einiger Merkmale geschlechtsabhängig. Erklärbar ist dies (zumindest teilweise) durch unterschiedliche endokrine Muster: Testosteron hat starken Einfluss auf die Gehirnentwicklung, wobei viele Wirkungen nach seiner Konversion zu Östrogenen (d.h. über Östrogenrezeptoren) erfolgen (das Gehirn enthält Aromatase). Östradiol im physiologischen Konzentrationsbereich stimuliert das Denk- und Merkvermögen (hohe Östradiolspiegel wirken auf letzteres hingegen inhibierend).
 

Abbildung: Sexualdimorphismus des Gehirns
Nach Cahill L, Why sex matters for neuroscience. Nat Rev Neurosci 2006; 7: 477-84

Das Volumen verschiedener Gehirnregionen wurde mittels MRI bestimmt und auf das gesamte Hirnvolumen normalisiert.
 
Gezeigt sind statistisch signifikante Unterschiede (z.B. sind im Balken bei Frauen mehr Axone vorhanden als bei Männern).
 
Einige dieser Merkmale wirken sich auf kognitive Funktionen aus und könnten auch Auslösung und Ablauf der Kohabitation beeinflussen


      Graue Substanz ist z.T. geschlechtsabhängig unterschiedlich ausgeprägt: Bei Männern stärker im Bereich des limbischen Systems (amygdalae, Hippokampus, Parahippokampus, frontopolaler Kortex), bei Frauen stärker im oberen und ventrolateralen Frontalhirn, mittleren gyrus cinguli, Teilen des parietalen und okzipitalen Kortex (
Abbildung).
 
      Der Nucleus striae terminalis (bed nucleus of the stria terminalis, extended amygdala) ist bei Männern doppelt so stark ausgeprägt wie bei Frauen und enthält doppelt so viele Somatostatin-Neurone
 
      Hypothalamuskerne (nucleus praemamillaris posterior, 3rd interstitial nucleus of the anterior hypothalamus - INAH-3) sind beim Mann größer als bei der Frau, während
 
      Frauen mehr Östrogen-ß-Rezeptoren im anteroventralen Hypothalamus aufweisen
 
      Balkenfasern sind bei Frauen zahlreicher als bei Männern ( Abbildung); Männer haben ein stärker "lateralisiertes" Gehirn als Frauen

Untersuchungen haben Hinweise dafür gefunden, dass Frauen zusammenpassende Objekte rascher erkennen, verbal schneller agieren und motorische Präzisionsaufgaben effizienter lösen können; Männer sollen über besseres räumliches Vorstellungsvermögen verfügen und zielgerichtete Bewegungsabläufe rascher abwickeln.

Es gilt als möglich, dass (jeweils bezogen auf die Mittelwerte der Verteilung, nicht notwendigerweise statistisch signifikant unterschiedlich) bei Männern motorische und räumliche, bei Frauen Gedächtnis- und sozial-kognitive Fähigkeiten stärker entwickelt sind. Anorexie (93%) und Bulimie (75%) kommen häufiger bei Frauen, Autismus (80%) und Tourette-Syndrom (90%) häufiger bei Männern vor. Schizophrene Männer haben öfter Kognitionsstörungen, Frauen mit Mb. Alzheimer zeigen schwerere Symptome der Demenz.
 

Abbildung: Östrogeninduzierte Plastizität in kortikalen Neuronen
Nach Srivastava DP, Woolfrey KM, Penzes P. Insights into Rapid Modulation of Neuroplasticity by Brain Estrogens. Pharmacol Rev 2013; 65: 1318-50

Nach diesem Modell bewirkt Östradiol innerhalb etwa einer halben Stunde die Bildung neuer dendritischer Aussprossungen (30 Minuten), die dann während einer weiteren halben Stunde durch einen zweiten Reiz konsolidiert werden. Dabei werden neue Glutaminrezeptoren in die Membran der Aussprossungen transferiert (die Übertragung über NMDA-Rezeptoren nimmt zu, die über AMPA-Rezeptoren ab), die Konnektivität zwischen den Neuronen bleibt längere Zeit erhöht. Bleibt der 2. Reiz aus, retrahieren sich die neu gebildeten Aussprossungen, der Rezeptorbesatz kehrt zum ursprünglichen Zustand zurück.
 
In analoger Weise wirken Androgene modulierend auf Komponenten der Neuroplastizität ein


Mit Sicherheit beeinflussen Geschlechtshormone Wachstum und Differenzierung von Neuronen, die Ausbildung von Synapsen und die Bildung von Transmitter- und Hormonrezeptoren. Solche unterschiedlichen Ausprägungsmuster dienen als Grundlage für die Erklärung "männlichen" und "weiblichen" Sexualverhaltens.

      So haben Östrogene einen intensiven Aktivierungseffekt auf Struktur und Funktion von Neuronen: Östradiol kann die neuronale Erregbarkeit in zahlreichen Hirnregionen innerhalb von Minuten erhöhen; viele Neuronen werden unter Östrogenwirkung depolarisiert (Kaliumausstrom reduziert) und feuern mehr Aktionspotentiale ab. Östradiol bewirkt die Aussprossung neuer Dendritenfortsätze (
Abbildung), z.B. im Hippokampus; die Kombination mit zusätzlicher Stimulation bewirkt langanhaltende (~24 Stunden) Verstärkung der Konnektivität zwischen betroffenen Neuronen. Dieser Mechanismus erklärt wahrscheinlich auch Aspekte zyklusabhängiger Verhaltensänderungen.
 
      Androgene (Testosteron) haben einen frühen prägenden Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns und stimulieren Verhaltenselemente wie Appetit, Aggressivität, psychosexuelle Verhaltensmuster, Libido u.a.

Ob Mann oder Frau - das Gehirn zeigt ein gemischtes Muster an "männlichen" und "weiblichen" Funktionsmerkmalen. Statistisch überzeugende Differenzen finden sich nur bei wenigen Kriterien, wie z.B. der doppelten Größe und Neuronenzahl des präoptischen Areals im männlichen im Vergleich zum weiblichen Hypothalamus.
 
Sexuelle Erregung
 

Einschlägige Reizmuster (taktil, optisch, akustisch u.a.) werden über die Sinnesorgane vermittelt und lösen zusammen mit inneren Vorstellungen, Wünschen und Erwartungen körperliche Reaktionen hervor - motorische, autonom-nervöse und endokrine Muster, wie sie bei der Kohabitation zu beobachten sind. Ein zentraler Ort der Integration dieses Geschehens ist das limbische System, und hier insgesondere der Hypothalamus. Der Ablauf der typischen Funktionsmuster unterliegt dabei weiteren - äußeren und inneren - Einflüssen, wie z.B. Störungen der Intimität, moralischen Bedenken usw. usf.

Im hypothalamischen Ventromedialkern - sein wichtigster Eingang kommt von den Mandelkernen - gibt es Neuronengruppen, die bei sexueller Aktivität tätig sind. Benachbarte Neuronen sind vor allem bei aggressivem Verhalten aktiv, und die Orte dieser Neuronengruppen überschneiden sich teilweise. Bei Versuchstieren konnte gezeigt werden, dass schwache Aktivierung des Ventromedialkerns reproduktives Verhalten, stärkere hingegen Aggressionen anregt.
 

Abbildung: Hämodynamische Effekte eines Orgasmus
Nach einer Vorlage in Pollock ML, Schmidt DH (eds), Heart Disease and Rehabilitation, Wiley 1995

Der systolische Druck steigt in diesem Beispiel auf ~160 mmHg, die Herzfrequenz auf ~110 Schläge pro Minute (bpm). Die Werte normalisieren sich postorgiastisch innerhalb von 2 Minuten


Kohabitation. Der sexuelle Reaktionszyklus des Menschen wird in 4 Phasen eingeteilt:

        Erregungsphase (Erektion von Penis / Mamillen, Anschwellen von Schamlippen und Klitoris)
 
        Plateauphase (Drüsenaktivierung: bei Mann Cowper-Drüsen , bei der Frau Vaginaldrüsen)
 
        Orgasmusphase (Muskelkontraktionen im Genital- und Analbereich, Ejakulation / Kontraktionen der orgasmischen Manschette, maximale Sympathikusaktivität)
 
        Rückbildungsphase.
 
Sexuelle Erregung tritt zusammen mit intensiver Aktivität des autonomen Nervensystems auf. Folgende physiologischen Veränderungen sind dadurch bedingt:

      Anschwellen von Penis / Clitoris. Parasympathische Fasern setzen Acetylcholin, NO und VIP frei und bewirken dadurch Vasodilatation und Rückstau von Blut in den corpora cavernosa
 
      Pupillenweitung (Mydriasis; Merkspruch: Bei Sympathie gehen dem Betrachter die Augen auf )
 
      Erhöhung der Herzfrequenz bis zu 180 bpm (wie bei körperlicher Ausbelastung)
 
      Anstieg des Blutdrucks (systolisch um bis zu 100 mmHg, diastolisch um bis zu 50 mmHg - Werte können also für kurze Zeit physiologisch auf über 200/120 steigen)
 
      Atemfrequenz steigt bis auf ~40/min
 
      Aktivierung der Skelettmuskulatur
 
      "Sexflush": Rötung der Haut
 
      evt. Schweißsekretion
 
      Weiters kommt es zu hormonellen Reaktionen, z.B. Ausschüttung von Oxytozin und Prolaktin.
 
Funktionsmuster beim Mann
 
Beim Mann führt die sexuelle Erregung zu

      Erektion: Sexuelle Vorstellungen (imaginäre Reize), erotische Reize (visuell, olfaktorisch - Pheromone! -, akustisch) und somatisch-afferente Impulse von Haut (erogene Zonen) und Genitalbereich (insbesondere der glans penis), die über den N. pudendus geleitet werden, sowie von erogenen Hautzonen regen das parasympathische Erektionszentrum im Sakralmark (S2-4) an.

Ausschaltung der parasympathischen Innervation der männlichen Geschlechtsorgane (wie bei versehentlicher Zerstörung im Rahmen einer Entfernung von Beckenlymphknoten) beeinträchtigt oder verhindert die Erektion infolge taktiler Reizung (Afferenzen über den N. pudendus), nicht aber psychogene Erektion, die außer über den Parasympathikus auch über zusätzliche Efferenzen gesteuert wird.

  

Abbildung: Neurophysiologische Steuerung der Kohabitation beim Mann
Unter Verwendung von Abbildungsteilen in
Silverthorn, Human Physiology, an integrated approach, 4th Int'l ed. 2007, Pearson / Benjamin Cummings; und Physiologie: MLP Duale Reihe, Thieme 2010
Das Gehirn verarbeitet externe Sinnesreize erotischen Inhalts (visuell, akustisch, olfaktorisch), somatosensorische Inputs (von erogenen Zonen, insbesondere Geschlechtsorganen) und gleicht diese mit sexuellen Regungen und Vorstellungen (Gedanken) ab. Die resultierende Erregung ist die Basis für die Aktivierung peripherer Zentren (Erektionszentrum auf Höhe des Sakralmarks, Ejakulationszentrum auf Höhe des Lumbalmarks)


Die Efferenz zu den Genitalien läuft parasympathisch über Fasern der Nn. splanchnici pelvini (Nn. erigentes), den plexus hypogastricus inferior, und die Nn. cavernosi. Die Aktivierung dieser parasympathischen Fasern führt zu Vasodilatation:



In den Schwellkörpern (corpora cavernosa) wird aus (nitridergen) Nervenfasern - als Reaktion auf sexuelle Stimulation, die psychisch, visuell, akustisch und/oder taktil erfolgt - NO freigesetzt. NO bewirkt - über Guanylatzyklase, cGMP und Reduktion der [Ca++] im Sarkoplasma - Vasodilatation der versorgenden Arterien (Verzweigungen der A. profunda penis: Aa. helicinae).

Dies führt einerseits zu erleichtertem Bluteinstrom (gesenkter Widerstand auf der arteriellen Seite), andererseits werden die drainierenden Venen gegen die nicht dehnbaren äußeren Faszien gedrückt und kollabieren. So wird der Abfluss des Blutes aus den
sinusoidalen kavernösen Gefäßen der Schwellkörper mechanisch blockiert (erhöhter Fließwiderstand auf der venösen Seite). Die Kontraktion von Muskelfasern an der Basis des Penis verstärkt den Rückstaueffekt.

Der Blutrückstau führt zur Erektion, der Druck in den Penisgefäßen steigt bis auf ~50-70% des arteriellen Druckwertes (etwa 10 kPa). Die Erektion ermöglicht die Immission, d.h. die Einführung des Penis in die Vagina.
  

Parasympathische Aktivität dilatiert die Aa. helicinae und steigert die Blutmenge in den corpora cavernosa
  
NO regt die Guanylatzyklase an, cGMP erschlafft die glatte Muskulatur der Gefäßwand. Wird der cGMP-Abbau durch Phosphodiesterase im Penis gehemmt, hält die Erektion länger an (z.B. Sildenafil: Viagra®). Eine Dauererektion nennt man Priapismus.


Das folgende Bild zeigt die funktionelle Anatomie der nervösen Versorgung des männlichen Reproduktionssystems:
 

Abbildung: Innervation der männlichen Geschlechtsorgane
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Links: Die Erektion beruht auf dem Zusammenwirken einer sensorischen und dreier motorischer Funktionspfade:
 
  Sensorische Afferenzen über den dorsalen Penisnerv und N. pudendus vermitteln die einzige bewusst wahrnehmbare taktile Information aus dem Penis
 
  Präganglionäre parasympathische Fasern aus dem Sakralmark gelangen via N. hypogastricus zum plexus pelvicus. Von hier ziehen postganglionäre Fasern über den N. cavernosus zu Gefäßen und Penisgewebe
 
 
Präganglionäre sympathische Fasern aus dem Thorakolumbalmark schalten in prävertebralen Ganglien auf postganglionäre Neurone. Deren Neuriten ziehen über N. hypogastricus, plexus pelvicus und Nn. cavernosi in die Peripherie
 
 
Somatomotorische Fasern kommen aus Vorderhornzellen des Sakralmarks und ziehen über den N. pudendus zu quergestreiften Muskelzügen des Penis

Rechts: Die sympathische Versorgung der Geschlechtsorgane involviert ein komplexes Netzwerk aus Plexus und Ganglien


Die Urethra bleibt bei der weniger intensiven Erektion des corpus spongiosum (in das sie eingebettet ist) durchgängig.
 
     Zu Samenbildung und -erguss sowie zu Eigenschaften und Zusammensetzung des Spermas s. dort.
 
   
  Emission: Sympathische Fasern regen ab einer Erregungsschwelle genitale Drüsenzellen (in Nebenhoden, ductus deferens, Bulbourethral- oder Cowper-Drüsen sowie in der Prostata) zur Sekretion an. Dabei werden Spermien und Samenflüssigkeit in die Prostata abgegeben (Emission).

   
  Ejakulation: Sensorische Afferenzen aus Prostata und Harnröhre (Dehnung der Urethralwand) lösen daraufhin über das Ejakulationszentrum im Lumbalmark (L2-3) und efferente sympathische Fasern rhythmische Kontraktionen des Samenleiters, der Harnröhre (Mm. bulbocavernosus / ischiocavernosus) sowie des Beckenbodens aus. So wird das Ejakulat (=Spermien + Samenflüssigkeit) aus der Urethra befördert (Zusammensetzung des Sperma s. Tabelle). Das Volumen des Ejakulats beträgt normalerweise etwa 3-4ml; es enthält rund 20 Millionen Spermien / ml (>40 Millionen pro Ejakulat). 50% der Spermien sollten Vorwärtsbewegung zeigen, ~25% rasche Bewegung ("Kategorie a").

Afferente Fasern zur Großhirnrinde beteiligen sich gleichzeitig an der Aktivierung des Orgasmus. Im Zusammenspiel mit dem limbischen System erfolgen körperliche Reaktionen, die motorischer und vegetativer Natur (Sympathikus) sind.

Zahlreiche Gehirnstrukturen sind am Aufbau der sexuellen Erregung beteiligt, insbesondere der vordere gyrus cinguli, die vordere Insel, das Putamen und der Hypothalamus. Sie beteiligen sich an der Koordination autonom-nervöser und neuroendokriner Begleiterscheinungen.

Postorgiastisch finden sich hormonelle Reaktionen, z.B. eine Erhöhung des Prolaktin- und des Oxytozinspiegels. Kreislauf- und Atemfunktionen stellen sich wieder auf Ruhebedingungen ein, was einige Minuten dauern kann. Funktionell bedingte Verengungen im Prostatabereich können sich in diesem Zustand lösen.

  
Funktionsmuster bei der Frau
 
Bei der Frau sind die physiologischen Grundmuster und koordinierenden Zentren des sexuellen Reaktionszyklus ähnlich wie beim Mann strukturiert.
 
 
Abbildung: Neurophysiologische Steuerung der Kohabitation bei der Frau
Unter Verwendung von Abbildungsteilen in Silverthorn, Human Physiology, an integrated approach, 4th Int'l ed. 2007, Pearson / Benjamin Cummings; und Physiologie: MLP Duale Reihe, Thieme 2010

Das Gehirn verarbeitet externe Sinnesreize erotischen Inhalts (visuell, akustisch, olfaktorisch), somatosensorische Inputs (von erogenen Zonen, insbesondere Geschlechtsorganen) und gleicht diese mit sexuellen Regungen und Vorstellungen (Gedanken) ab.
 
Die resultierende Erregung ist die Basis für die Aktivierung peripherer Zentren (Erektionszentrum auf Höhe des Sakralmarks, Orgasmuszentrum auf Höhe des Lumbalmarks)



  
   In der Erektions- (Erregungs-) phase werden afferente Nervenimpulse ebenfalls vom Genitalbereich (insb. Klitoris) über den N. pudendus geleitet, sowie von erogenen Hautzonen über sensible afferente Fasern. Diese regen das parasympathische Erektionszentrum im Sakralmark (S2-4) an. Von den höheren Sinnen gelangen erotische Stimuli zum Gehirn, das auch sexuelle Imaginationen erzeugen kann.

Das parasympathische sakrale Erektionszentrum funktioniert ähnlich wie beim Mann: Erweiterung der genitalen Gefäße führt zum Anschwellen der labia minora (bis zum 3-fachen Volumen) und der Klitoris. Venöse Stauung in der Scheidenwand bewirkt verstärkte Transsudation mukoider Flüssigkeit, dies erhöht die Gleitfähigkeit der Vagina (Lubrikation). An der durch sexuelle Erregung ausgelösten Sekretion beteiligen sich die den Cowper-Drüsen beim Mann analogen Bartholin-Drüsen und die der Prostata analoge Paraurethraldrüse.

  
   Die Plateauphase ist eine Verlängerung der Erregungsphase. In dieser Phase vergrößern und erweitern sich die inneren zwei Drittel der Vagina, die Wand des äußeren Drittels wird stark durchblutet, füllt sich venös mit Blut und verengt sich um etwa ein Drittel. Die Muskeln des unteren Scheidendrittels vollziehen rhythmische Kontraktionen ("orgastische Manschette").

  
   Anhaltende sexuelle Stimulation des oberen Lumbalmarks (sympathisches "Orgasmuszentrum") durch auf- und absteigende Fasern (somatosensorisch und vegetativ) löst die Orgasmusphase aus, in der intensive sympathische Efferenzen wirksam werden (3 bis 15 rhythmische Kontraktionen der orgastischen Manschette). Im selben Rhythmus kontrahieren sich auch der Uterus (ausgelöst durch Oxytozin - das hypothalamisch-hypophysäre System ist in den Vorgang integriert) und der Beckenboden.

Zusammen mit venöser Stauung bedingt dies ein Aufrichten des - sich vergrößernden - Uterus. Dadurch kann der obere Vaginalabschnitt (hinterer Vaginalraum) mehr Sperma aufnehmen ("receptaculum seminis").
 
Die körperlichen Allgemeinreaktionen während des sexuellen Reaktionsablaufs sind oben beschrieben.

Im Gegensatz zum Mann sind intakte Sexualreflexe bei der Frau keine Bedingung für eine physiologische Konzeption.
 
Transport der Spermien

Nach Abschluss der Spermiogenese im Hoden sind die Spermatozoen strukturell reif, aber unbeweglich und noch nicht in der Lage zur Fertilisation. Sie werden über die Strömung der von den Sertoli-Zellen sezernierten Hodenflüssigkeit (verursacht durch den in den Tubuli entstehenden Sekretionsdruck) aus den tubuli seminiferi durch das rete testis (Kontraktionen myoider Zellen) und efferente Gänge (die auch eine zilienbedingte Strömung generieren) zum caput epididymis (Nebenhodenkopf) transportiert, in dessen 6 Meter langem Gang sie etwa 12 Tage verbringen und heranreifen: Ihre Motilität nimmt zu, das Akrosom entwickelt sich, die Zellmembran organisiert sich um, Rezeptoren für die zona pellucida werden exprimiert, und biochemische Eigenschaften sowohl im Zellkern (vermehrte Disulfidbrücken zwischen Nukleoproteinen) als auch der  Zellmembran (Anordnung von Glykosiden, Anreicherung mannosylierter Komponenten der periakrosomalen Membran) entwickeln sich. Wenn die Spermien das Ende des Nebenhodenkanälchens erreicht haben, sind sie befruchtungsfähig.
 

Abbildung: Spermientransport
Nach einer Vorlage in Carlson BM, Human Embryology and Developmental Biology, 7th ed. 2024 (Elsevier)

  Passage des Samens im männlichen (links, 3-5 Ejakulation) und im weiblichen (rechts) Fortpflanzungssystem.
 
Die Ziffern in roter Farbe (rechts) geben größenordnungsmäßige Anhaltswerte für typische Spermatozoenzahlen an den bezeichneten Stellen an - von zig Millionen in der Scheide bis zu einigen hundert in der Nähe der Eizelle


Im Zuge einer Ejakulation passieren die Spermien den Samenleiter (ductus deferens), und Sekret aus Samenbläschen (seminal vesicles) - reich an Fructose (Energiequelle für Spermatozyten) und Prostaglandinen - und Prostata (prostatic gland) - enthält Citrat, Magnesium, Zink, saure Phosphatase - wird beigemengt (vgl. dort).

Vagina: In der Scheide angelangt, beschützt der leicht basische pH-Wert (7,2-7,8) des Ejakulats die Spermatozoen vor dem sauren pH (4,3) der Vagina (Pufferwirkung), der seinerseits als Bakterienschutz dient: Innerhalb weniger Sekunden steigt der pH in der oberen Vagina bis auf leicht basische Werte an. Dieser Effekt hält nur wenige Minuten an, reicht aber aus, um einen Teil der Spermien in die Zervix gelangen zu lassen. Hier stellt sich ein leicht saurer pH-Wert (6,0-6,5) ein, der Motilität der Spermien zulässt. Gleichzeitig (innerhalb von Minuten) koaguliert das Ejakulat, vorwiegend bedingt durch die Anwesenheit spezieller Proteine (Semenogeline) aus den Samenbläschen. Das hat einen fixierenden und die Kapazitation verhindernden Effekt auf Spermatozyten. Das Gel wird innerhalb von 30-60 Minuten wieder abgebaut, ein Effekt einer aus der Prostata stammenden Serinprotease, des Glykoproteins prostataspezifisches Antigen (PSA, Semenogelase, Kallikrein-3). Dadurch wird die Gelmatrix abgebaut und einerseits die Motilität der Spermien wiederhergestellt, andererseits wirken die Spaltprodukte des Semenogelins antibakteriell.

Zervixkanal: Im Gebärmutterhals ist der muköse Schleim mittzyklisch dünnflüssiger und aufgelockert und ermöglicht so den Spermien die Passage Richtung Cavum uteri. Einige Spermien schaffen die Passage innerhalb von Minuten, scheinen aber geringe Fertilität aufzuweisen; andere brauchen 2-4 Tage.

Cavum uteri: Kranialwärts gerichtete Kontraktionswellen glatter Muskulatur der Uteruswand unterstützen die weitere Bewegung der Spermien Richtung Tuben. Es scheint, dass das Ovar mit dem dominanten Follikel die Passage der Spermien durch die uterotubuläre Verbindung derselben Seite begünstigt - vermutlich durch hormonelle Einflüsse (das Gefäßsystem ermöglicht eine seitenbetonte Wirkung) und Erhöhung der lokalen Temperatur um
~1,5°C im Vergleich zur kontralateralen Seite.

Tuba uterina: Sind Spermien im Eileiter angelangt, reichern sich Spermien im Isthmusbereich an und binden für
~24 Stunden an Glycane des Tubenepithels. Das Tubensekret fördert ihre Kapazitation (Erlangung der Befruchtungsfähigkeit). Dazu gehört die Entfernung von Cholesterin (das vorzeitige Kapazitation verhindert) sowie von zahlreichen der Glycoproteine, die sich in ihrer Zellmembran im Zuge der Passage durch den Nebenhoden angelagert haben. Nun werden die Spermatozoen hyperaktiv, das hilft ihnen, sich vom Tubenepithel zu lösen und - im Falle eines Kontakts mit der Eizelle - die corona radiata und zona pellucida zu durchdringen. Kapazitierte Spermien nutzen Rheotaxis, d.h. sie bewegen sich gegen die Strömung. Peristaltische Kontraktionswellen der Tubenmuskulatur helfen dabei, Ovum und Spermatozoen zusammenzubringen (dafür steht ein Zeitraum von 1-2 Tagen zur Verfügung), weiters Geruchssignale, für das Spermien Rezeptoren haben (z.B. Glutamat - umami) sowie Progesteron (aus dem cumulus oophorus) und andere Chemoattraktoren aus dem Bereich des Follikels, dem die gesprungene Eizelle entstammt.

Einige Spermien gelangen über die Fimbrien in die freie Bauchhöhle, können in die Tube der Gegenseite gelangen und hier (kontralateral) eine Eizelle befruchten. Spermien können für insgesamt etwa 80 Stunden im weiblichen Genitaltrakt funktionsfähig bleiben; verlieren sie ihre Funktionsfähigkeit, werden sie von Makrophagen (die durch das Epithel ausgetreten sind) aufgenommen.
 
  Über die Physiologie des männlichen Reproduktionssystems s. dort
 
  Über die Physiologie des weiblichen Reproduktionssystems s. dort
 
  Über Empfängnis, Befruchtung und Frühschwangerschaft s. nächste Seite




 

 
      Sexualhormone beeinflussen Ausprägung von Geschlechtsmerkmalen, Wachstum und Differenzierung von Neuronen und Synapsen, und Expression von Transmitter- und Hormonrezeptoren. Unterschiedliche Ausprägungsmuster erklären Dimorphismus und Sexualverhalten und äußern sich in unterschiedlich betonten funktionellen Fähigkeiten. Geschlechtshormone aktivieren Neuronen und die Erregbarkeit zahlreicher Hirnregionen, bewirken die Aussprossung neuer Dendritenfortsätze und intensivieren die interneuronale Konnektivität
 
      Visuelle, akustische, taktile und andere Sinnesreize lösen zusammen mit Vorstellungen, Wünschen und Erwartungen körperliche Reaktionen aus. Die Integration erfolgt im limbischen System und unterliegt äußeren und inneren Einflussfaktoren. Sexuelle Aktivität korreliert mit mäßiger Stimulierung des Ventromedialkerns im Hypothalamus (starke Reizung dieses Kerns provoziert aggressives Verhalten)
 
      Der sexuelle Reaktionszyklus des Menschen wird gegliedert in Erregungsphase (Erektion von Penis / Mamillen, Anschwellen von Schamlippen und Klitoris), Plateauphase (Aktivierung der Cowper- bzw. Vaginaldrüsen), Orgasmusphase (Muskelkontraktionen im Genital- und Analbereich, Ejakulation / Kontraktionen der orgasmischen Manschette, hohe Sympathikusaktivität) sowie Rückbildungsphase. Hoher Sympathikustonus bewirkt Mydriasis, Tachykardie, Blutdruckanstieg, Tachypnoe, Ausschüttung von Oxytozin und Prolaktin
 
      Beim Mann wirkt das parasympathische Sakralmark (S2-4) als Erektionszentrum (Efferenz über Nn. splanchnici pelvini, plexus hypogastricus inferior, Nn. cavernosi), das sympathische Lumbalmark (L2-3) als Ejakulationszentrum. Afferenzen aus dem Genitalbereich gelangen über den N. pudendus zum Rückenmark. In den corpora cavernosa setzen Nervenfasern NO frei (Vasodilatation, Bluteinstrom, Kompression abführender Venen), der Gefäßdruck steigt bis auf 10 kPa. Im corpus spongiosum ist der Druckanstieg gering, die Urethra bleibt durchgängig. Bei der Emission regen sympathische Fasern Nebenhoden, ductus deferens, Bulbourethraldrüsen und Prostata an, Spermien und Samenflüssigkeit werden abgegeben. Die Ejakulation erfolgt durch Kontraktionen des Samenleiters, der Harnröhre und des Beckenbodens. Das Ejakulat (3-4 ml) sollte >40 Millionen Spermien beinhalten: ~50% mit Vorwärts-, ~25% mit rascher Bewegung. Postorgiastisch finden sich erhöhte Prolaktin- und Oxytozinspiegel
 
      Bei der Frau wirkt das parasympathische Sakralmark (S2-4) als Erektionszentrum, das sympathische Lumbalmark (L2-3) als Orgasmuszentrum. Die physiologischen Grundmuster und koordinierenden Zentren des sexuellen Reaktionszyklus sind bei Mann und Frau analog strukturiert. Afferenzen von Klitoris und erogenen Hautzonen regen das Erektionszentrum an. Erweiterung der Gefäße lässt labia minora und Klitoris anschwellen, venöse Stauung bewirkt verstärkte vaginale Transsudation (Lubrikation). In der Plateauphase sind die inneren zwei Drittel der Vagina erweitert ("receptaculum seminis"). Das äußere Drittel kontrahiert in der Orgasmusphase mehrfach, der Uterus ebenfalls, angeregt durch Oxytozin
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.