Physiologie lernen - den Organismus verstehen
Wie funktioniert der menschliche Körper?
XII. Sexualität,
Reproduktion, Entwicklung, Wachstum XIV.
Der Organismus steht unter dem Einfluss sexuell relevanter Genpakete (X- und Y-Chromosom), die über
spezielle Faktoren (SRY: sex-determining region Y protein; MIF: Müllerian inhibiting factor)
die Differenzierung in Richtung männlicher oder weiblicher Organismus
triggern; sowie von Sexualhormonen, deren Bildung vom Gehirn
aus kontrolliert wird (das seinerseits unter dem Einfluss von
Steroidhormonen steht).
Die Wirkung aller Hormone ist an die
Anwesenheit
entsprechender Rezeptoren und die Funktion nachgeschalteter Mechanismen
geknüpft (z.B. Enzymketten, Ablesung von Genen); gleichzeitig kann
die Aktivität von
Rezeptoren für ein Hormon durch ein anderes Hormon beeinflusst sein
(Interaktion, Wirkungsmodifizierung).
Das "männliche" Geschlechtshormon
ist Testosteron, die "weiblichen" sind Östrogene (Estrogene) und Progesteron; sie
sind bei beiden Geschlechtern vorhanden und spezifisch
wirksam, und ihre Synthese von denselben Steuerfaktoren aus dem Gehirn
beeinflusst: Hypothalamisches Gonadotropin-Releasinghormon (GnRH) regt
die hypophysäre Freisetzung von LH-ICSH (Mann: Testosteronbildung,
Frau: Östrogenbildung) und FSH an (Mann: Samenbildung, Frau:
Eizellen-Anregung). Die Geschlechtshormone (und das Glykoprotein
Inhibin) hemmen wiederum (meist, nicht immer) die Bildung hypothalamisch-hypophysärer
Steuerfaktoren (Feedback).
Der Zyklus der Frau wird in eine Proliferations-, Ovulations- und Sekretionsphase eingeteilt. Diese Rhythmik soll
auf eine Befruchtung und die Umstellung des Uterus (Gebärmutter) auf Gravidität vorbereiten.
Falls diese zustandekommt, beginnen Trophoblastenzellen -
unmittelbar nach der Einnistung
der Zygote - mit eigenständiger
Hormonproduktion und verhindern so die Abstoßung der
Gebärmutterschleimhaut - sie sichern das Fortbestehen der
Schwangerschaft. Neben Progesteron und
Östrogenen sezernieren diese Zellen (die später die Plazenta bilden) Choriongonadotropin, das ähnlich wie LH wirkt und den Uterus ruhigstellt. Während der Schwangerschaft kommt es in der feto-plazentaren
Einheit und im Organismus der Mutter zu
Veränderungen, die großteils hormonell gesteuert sind und
im Dienst eines stabilen Graviditätsablaufes stehen.
Zum Zeitpunkt der Geburt ist das Neugeborene noch über das
Immunsystem der Mutter geschützt. Bei der Geburt schaltet das Baby sozusagen auf
selbständige Physiologie um; die Mutter tritt in die
Laktationsperiode ein (die Milch enthält u.a. Antikörper). Schwangerschaftsbedingte adaptive Veränderungen des mütterlichen Organismus werden rückgängig gemacht, und es kommt zur
Restitution von Körperspeichern, die während der Gravidität angegriffen
worden sind (z.B. Calciumphosphat, Eisen).
Unmittelbar nach der Geburt läuft der kindliche Organismus durch Phasen
der Hypoxie, Hypoglykämie und Hypothermie. Der Bilirubinspiegel nimmt
in der ersten postpartalen Woche stark zu (icterus neonatorum),
bis die Leber des Neugeborenen zu ausreichender Konjugation der
Produkte des Hämoglobinabbaus (um die sich präpartal die mütterlichen
Hepatozyten gekümmert haben) imstande ist.
Das Körperwachstum und
entsprechende Stoffwechselvorgänge stehen unter dem Einfluss mehrerer
Hormone, vor allem des Wachstumshormons GH, des von ihm angeregten
hepatischen Somatomedins IGF1 (dieses regt die Nukleinsäure- und
Proteinsynthese sowie die Mitoserate in Epiphysenfugen an) und der
Schilddrüsenhormone. Das Körperwachstum beträgt zunächst ~20 cm/Jahr,
sinkt dann auf 6-8 cm/a und steigt präpubertär nochmals auf etwa 10
cm/a an (pubertärer Sexualhormonanstieg), um schließlich
mit Eintritt in die Adoleszenz (Verknöcherung der Epiphysenfugen) ganz
zu sistieren.
© H. Hinghofer-Szalkay