Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

    
Sexualität, Reproduktion, Entwicklung und Wachstum
 
  Geburtsvorgang und Wochenbettperiode
© H. Hinghofer-Szalkay

Akme: ἀκμή = Spitze, Gipfel
Ferguson-Reflex:  James K.W. Ferguson (Toronto 1941)
Kardiotokografie: καρδίᾱ = Herz, τόκος = Geburt, γράφειν = schreiben, (auf)zeichnen
Lochien:  λόχος = Geburt
Myometrium: μυς = Muskel, μήτρα = Gebärmutter
Oxytozin: ὠκύς = rasch, τόκος = Geburt
Perineum (Perinäum): περίνεος = Damm


Während der wachsende Uterus bis etwa einen Monat vor dem Termin weitgehend ruht und die feto-plazentare Einheit ungestört ist, wird er schließlich durch Umstellung der Rezeptorbestückung und zunehmende endokrine Reize sensibilisiert: Es treten rhythmische Kontraktionen (Wehen) auf. Diese haben unterschiedliche Funktion: Sie nehmen an Intensität und Frequenz zu (Senk-, Vor-, Eröffnungswehen), bewirken die Geburt (Presswehen), entfernen postpartal die Plazenta (Nachgeburtswehen) und helfen bei Blutstillung und Rückbildung (Nachwehen).

Gesteuert wird die Motorik des Uterus durch mehrfache endokrine Faktoren, wie Östrogene, Oxytozin, Relaxin und Prostaglandine. Östrogene erhöhen die Zahl der Oxytozinrezeptoren - peripartal bis zu 200-fach, unterstützt durch sinkenden Progesteronspiegel. Der Ferguson-Reflex verstärkt die Kontraktionen, was Dehnungsreiz und Oxytozinausschüttung weiter steigert und zusammen mit der hohen Rezeptordichte die Wehentätigkeit maximiert.

Zu den geburtsbedingten Veränderungen im Fetus / Neugeborenen zählen der Wechsel von fetalem zu eigenständigem Kreislauf, die Entfaltung der Lunge, die Umstellung der Blutgaswerte.

Prolactin läßt die Brustdrüse wachsen und unterstützt die Milchbildung; Oxytozin löst beim Stillen die Kontraktion myoepithelialer Zellen und damit die Laktation aus. Muttermilch enthält außer Laktose, Fett, Proteinen, Mineralien und Vitaminen
auch immunologischen Schutz (Antikörper).


Wehentätigkeit Geburt und perinatale Veränderungen
Sauerstofftransport und fetales Hämoglobin Laktation, Muttermilch Steuerung der Brustdrüsen Wehenhemmung, Kardiotokografie

Praktische Aspekte       Core messages
  
Regelmäßige und in der Intensität zunehmende Wehen künden den Beginn des Geburtsvorgangs an. Dieser läuft in mehreren Phasen ab: Verkürzung und Öffnung des Zerixkanals, Tiefertreten des Babys im Geburtskanal und vollständige Geburt, Ablösung und Ausstoßen der Plazenta und Abnabelung, schließlich postpartum Erholung von Mutter und Neugeborenem. Daran schließt die Phase der Laktation an.
 
Wehen sind koordinierte Aktivierungswellen im Myometrium
 
Eine Wehe (labor) ist eine Kontraktion des Uterus (an der alle Muskelzellen teilnehmen, vergleichbar einem Herzschlag in Zeitlupe); sie wird durch oszillierende Depolarisation schrittmacherartiger Myometriumzellen ausgelöst.
  

Abbildung: Wehenstadien

Eine Wehe ist eine Kontraktion des Myometriums. Die in der Abbildung definierten Größen dienen zur klinischen Einordnung des Geschehens

Das Myometrium muss zu koordinierten Kontraktionen erst befähigt werden: Uterus, Plazenta und Fetus produzieren Prostaglandine, welche die Bildung von gap junctions im Myometrium anregen (und dadurch Kontraktionen koordinieren helfen, zusammen mit Östrogenen) und die Zervix aufweichen - sie entspannen den Geburtskanal bei der Geburt. Auch Relaxine (Proteohormone) aus Gelbkörper, Plazenta und Dezidua wirkt erschlaffend auf den Geburtskanal.
Der Uterus ist gegenüber Prostaglandinen immer empfindlich, reagiert
in der 1. Schwangerschaftshälfte hingegen so gut wie nicht auf Oxytozin . Östrogene erhöhen die Zahl der Oxytozinrezeptoren an den Myometriumzellen ab Schwangerschaftsmitte bis auf das 80-fache und direkt vor der Geburt auf das 200-fache des Ruhewertes, unterstützt durch den nunmehr sinkenden Progesteronspiegel. Die reflektorische Ausschüttung von Oxytozin zu Beginn der Geburt zusammen mit der hohen Rezeptordichte bewirkt eine intensive Wehentätigkeit.

Oxytozin wird aus dem Hinterlappen der mütterlichen Hypophyse (und auch aus dem des Feten) ausgeschüttet; Dehnungsrezeptoren im Geburtskanal werden durch das Tieferrücken des Kopfes gereizt und setzen eine positive Rückkopplung in Gang (Ferguson-Reflex : Mehr Oxytozin stärkere Wehentätigkeit stärkerer Dehnungsreiz). Die Prostaglandinsynthese - vermittelt durch Cyclooxygenasen (COX1) - wird durch Oxytozin, und wie die Oxytozinausschüttung durch Wehen angeregt.
   


Abbildung: Hormonelle Steuerung der Wehentätigkeit

Steuernde Faktoren stammen aus dem hypothalamisch-hypophysären System, aus der fetoplazentaren Einheit, und aus dem Uterus selbst.
 
Positive Rückkopplung: Die Wehe presst den Kopf in den Geburtskanal, Dehnungsrezeptoren melden an den Hypothalamus, was die Oxytozinausschüttung stimuliert. Dadurch wird die Wehe weiter verstärkt


Relaxine weichen bindegewebige Strukturen im Beckenbereich sowie die Zervix auf und haben auch Kreislaufwirkungen (erhöhtes Herzzeitvolumen, gesteigerte Gefäßdehnbarkeit, vermehrte Nierendurchblutung). Sie werden von der Plazenta, vom Chorion, der Dezidua sowie den Ovarien (corpus luteum) gebildet.

CRH wird (außer im Gehirn) auch von der Plazenta gebildet. Gegen Ende der Schwangerschaft steigt sein Blutspiegel stark an, und es werden mehrere Rollen dieses Hormons für die Einleitung des Geburtsvorgangs vermutet:

       CRH erhöht über Wirkung auf die fetale Nebenniere und das mütterliche Gehirn den Dehydroepiandrosteron- (DHEA)- Spiegel; DHEA fördert die Wehentätigkeit

       CRH steigert die Verfügbarkeit von Prostaglandinen im uteroplazentaren System; Prostaglandine triggern Wehen

       CRH könnte vorher auch wehenmindernd wirken (durch Steigerung des cAMP im Myometrium).
  

Abbildung: Phasen der Geburt
Nach einer Vorlage bei Children's Hospital of Wisconsin / chw.org


Während der aktiven Phase weitet sich der Muttermund (Zervix), um dem Kopf Platz zu machen. Nach der Geburt des Kindes löst sich die Plazenta ab (Nachgeburt)


Bei einer Wehe unterscheidet man drei Phasen ( Abbildung):

    Anstieg der Muskelkraft (stadium incrementi)

    Kontraktionsmaximum (Wehenspitze, Akme )

    Erschlaffung (stadium decrementi).

Die Wehendauer ist die Zeit vom Beginn des stadium incrementi bis zum Abschluss des stadium decrementi, die Wehenstärke ist die Kontraktionskraft während der Akme, die Wehenfrequenz ist durch den zeitlichen Abstand der Akmen gegeben. Zwischen den einzelnen Wehen liegt jeweils eine Wehenpause.
 
     Schwangerschaftswehen treten - unregelmäßig - während der gesamten Gravidität auf, sind schmerzlos und als “Training” der Uterusmuskulatur anzusehen (Braxton-Hicks-Kontraktionen)

     Senkwehen bewirken das “Senken des Leibes” und treten 3-4 Wochen vor dem Geburtstermin auf

     Vorwehen beginnen einige Tage vor der Geburt und wirken als “Stellwehen” (Einstellen des Feten); sie erfolgen unregelmäßig und sind oft so stark, dass sie mit Eröffnungswehen verwechselt werden

     Eröffnungswehen treten regelmäßig auf, zuerst alle 10-15 Minuten, mit steigender Wehenfrequenz bis zu 5minütigen Abständen. Sie führen zur Erweiterung des Geburtskanals

     Presswehen (“Schüttelwehen”) beginnen mit der kompletten Öffnung der Zervix und bewirken die Geburt (childbirth) des Kindes (Entbindung = delivery). Der Uteruskörper umfasst das Kind und presst es, zusammen mit der Bauchpresse (unterstützt durch richtige Atemtechnik), durch den Geburtskanal. Da der Beckeneingang queroval, der Ausgang längsoval konfiguriert ist, dreht sich zuerst der Kopf des Kindes mit seiner Längsachse, dann der Schultergürtel, entsprechend um 90 Grad nach. Die Lunge ist mit Amnionflüssigkeit gefüllt (Atembewegungen treten ab dem vierten Schwangerschaftsmonat auf). Beim Durchtritt des Brustkorbs wird ein Teil der Amnionflüssigkeit aus den Alveolen ausgepresst, der Rest wird nach der Geburt resorbiert

     Nachgeburtswehen führen zum Auspressen der Plazenta

     Nachwehen im Wochenbett fördern die Zurückbildung (Involution) des Uterus (Oxytozin wird auch beim Stillen ausgeschüttet) und fördern die Blutstillung (Kontraktion der Blutgefäße).
 
Geburt und perinatale Vorgänge
 
Geburtstermin: Vom 1. Tag der letzten Regelblutung vor der Empfängnis gerechnet, dauert die normale Schwangerschaft etwa 40 Wochen (280 Tage). Die Wahrscheinlichkeitsverteilung erstreckt sich dabei über einen Zeitraum von mehreren Wochen: Am errechneten Geburtstermin (ET) erfolgen etwa 4% der Geburten, und 66% in einem Zeitraum, der zwischen Tag 270 und 290 liegt. Dies entspricht etwa dem Bereich der einfachen Standardabweichung SD (~68%); 95% der Geburten (2 SD) erfolgen in einem doppelt so großen Zeitraum, also ungefähr zwischen Tag 260 und 300. Mit anderen Worten, 19 von 20 dieser Babys werden in einem Zeitraum von ~40 Tagen um den ET herum geboren; der ET ist der statistische Mittelwert, trifft aber nur für jede 25. Geburt zu.

Schmerzen
unter der Geburt zählen zu den stärksten, die der Mensch erfahren kann (intensiver als z.B. Knochenbrüche, Phantomschmerzen, Zahnschmerzen, postherpetische Neuralgie); sie haben viszerale (Eingeweide-) und somatische Komponenten. Kontraktionen des Uterus können Ischämie des Myometriums bedingen, was die Freisetzung von Kalium, Bradykinin, Histamin und Serotonin bewirkt (
s. Schmerzmediatoren). Starke Dehnung im unteren Uterus- sowie Zervixbereich stimuliert weiters Mechanorezeptoren.

Schmerzen unter Vor- und Eröffnungswehen betreffen das untere Uterussegment und die - starken Dehnungskräften ausgesetzte - Zervix. Afferenzen aus dem unteren Uterussegment und der inneren Zervix projizieren auf thorakolumbale Rückenmarksegmente (Th10-L1). Der viszerale Schmerz ist auf dieser Höhe z.B. paravertebral blockierbar. Presswehen sind scharf und gut lokalisierbar, sie stammen aus dem Bereich der Vagina und des Perineum (Beckenboden) und projizieren in das Sakralmark (N. pudendus; S2-S4) - diese Projektionen lassen sich z.B. durch Pundendusblockade beeinflussen. Dehnungsschmerzen aus Blase, Urethra und Rektum kommen dazu.

Zu den physiologischen Auswirkungen perinataler Schmerzen gehören neuroendokrine Effekte (Erhöhung des Sympathikustonus, Steigerung des Adrenalinspiegels um das 3-6fache, des Noradrenalinspiegels um das 2-4fache, des Cortisolspiegels um das 2-3fache); sowie Effekte auf Herz (Steigerung des Herzminutenvolumens), Kreislauf (Anstieg von peripherem Widerstand und Blutdruck), Atmung (Hyperventilation kann Hypokapnie bewirken),
Darm und Blase (Hemmung der Motilität). Gehirn- und Uterusdurchblutung sinken unter diesen Umständen, fetale Hypoxie kann auftreten.
 
Ammoniak (NH3) ist das Endprodukt der plazentaren Desaminierung
(primäres Abbauprodukt der Aminosäuren). Es wird von der Umbilikalvene aufgenommen und kann zur Proteinsynthese und Harnstoffsynthese in der fetalen Leber Verwendung finden. Metabolische Schwierigkeiten unter der Geburt erhöhen u.a. den Ammoniumspiegel; Nabelschnurblut wird dann auf Ammoniak / Ammonium untersucht. Die Konzentrationswerte können physiologischerweise in einem weiten Bereich schwanken, im Mittel liegen sie höher als im späteren Leben:

  Ammonium im Blut
Umbilikalarterie ~60 µM, Umbilikalvene ~50 µM
Normale klinische Referenzwerte
s. dort

Bei Neugeborenen liegt der Referenzbereich für den Serumspiegel bis etwa 140 µM/l; mit 1-6 Monaten bei 13-55 µM/l - praktisch gleich wie beim Erwachsenen.

Rotes Blutbild beim Feten: Der Hämatokrit im fetalen Blut ist höher
(≥50%) als bei Erwachsenen (~40%), damit auch der Hämoglobingehalt sowie die Sauerstoffmenge pro Volumeneinheit Blut (hohe Sauerstofftransportkapazität des fetalen Blutes). Nachteil des gesteigerten Hämatokrit ist eine höhere Fließzähigkeit des Blutes.

Am Ende der Schwangerschaft beträgt die fetale
Herzfrequenz 110-160 Schläge / Minute. Ein deutliches Absinken unter diesen Frequenzbereich ist ein Zeichen eines Sauerstoffmangels - Ausdruck eines Bradykardiereflexes, der bei Hypoxämie über die glomera carotica & aortica des Feten ausgelöst wird (Kardiotokografie s. ganz unten).
 
  

Abbildung: Fetaler Kreislauf unmittelbar vor der Geburt
Nach Gao Y, Raj JU. Regulation of the Pulmonary Circulation in the Fetus and Newborn. Physiol Rev 2000; 90: 1271-90

Sauerstoffsättigung des Hämoglobins in grünen Kreisflächen: Die Hypoxie (Hb-Sättigung 45-65%) des Fetus ist physiologisch.
 
Schwarze Zahlen: Perfusion in % des kombinierten Herzzeitvolumens (=Fördervolumen rechter plus linker Ventrikel). Prozentzahlen geben den Anteil am kombinierten rechts- (60%) und linksventrikulären (40%) Herzminutenvolumens an.
 
    AO, Aorta    DA, ductus arteriosus (Botalli)    FO, foramen ovale    IVC, vena cava inferior    PA, Pulmonalarterie    PV, Pulmonalvene    SVC, vena cava superior


Die Pumpleistung des fetalen Herzens wird - wegen der teilweisen Überlagerung der Blutförderung des rechten und linken Herzens - als links- und rechtsventrikulär kombiniertes Herzminutenvolumen angegeben. Der rechte Ventrikel fördert beim Fetus mehr Blut (60% des kombinierten Herzminutenvolumens, Abbildung) als der linke (40%). Der fetale Kreislauf läßt einen Kurzschluss (shunt) zu
 
      vom rechten zum linken Vorhof (foramen ovale: 19% des kombinierten Herzzeitvolumens) und
 

      von der Pulmonalarterie in die Aorta (ductus arteriosus: 39% des kombinierten Herzzeitvolumens, Abbildung).

Das Resultat ist eine weitgehende Umgehung des Lungenkreislaufs, bedingt durch den hohen Strömungswiderstand der Pulmonalgefäße (hoher Vasomotorentonus). Für den Pulmonalkreislauf bleiben nur ~21% des links- und rechtsventrikulär kombinierten Herzzeitvolumens übrig (
Abbildung).

Postpartale Umstellung der Hämodynamik. Die Gefäße stellen sich entsprechend den neuen Anforderungen um: Der Plazentarkreislaufs fällt weg (und damit ein Organs, das vorher die Hälfte des Herzminutenvolumens konsumiert hat), die Gefäße in der Lungenstrombahn öffnen sich, und Shunts werden geschlossen:
 
      Das foramen ovale schließt sich rasch, aber oft nicht vollständig - bedingt durch den Druckgradienten von linkem zu rechtem Vorhof (Klappenfunktion)
 
      Der ductus arteriosus Botalli okkludiert innerhalb weniger Stunden durch Kontraktion der Gefäßwand (steigender pO2?). Nach einigen Wochen ist das Lumen durch Thrombosierung und Abbau der Gefäßwand anatomisch verschlossen.

Gefäßtonus
(pulmonary resistance) und damit Widerstand im Pulmonalkreislauf nehmen auf etwa die Hälfte ab - unterstützt durch hohen Sauerstoffpartialdruck, zunehmende Scherbelastung des Endothels sowie Weitung des Gefäßlumens durch Restrukturierung der Gefäßwand. Dadurch nimmt die Durchblutung der Lunge zu (von knapp 140 auf ~245 ml/min/kg), der Perfusionsdruck sinkt von ~55 auf ~20 mmHg - bei erwachsenen Personen beträgt der Druck in den Lungenarterien 10-15 mmHg (systolisch 20-25, diastolisch ~10 mmHg).

Der periphere Gefäßwiderstand (total peripheral resistance) im "großen" Kreislauf nimmt zu - und damit auch der Blutdruck, der präpartal nur um ~60 mmHg beträgt.
 

 
Blutgase: Vor der Geburt sind die fetalen pO2- und pH-Werte relativ niedrig. Auch hat das Kind unter der Geburt beträchtliche Hypoxie- und Azidosetoleranz. Mit der Abnabelung tritt beim Neugeborenen schließlich ein akuter Sauerstoffmangel auf, der - vermutlich in Kombination mit steigender Hyperkapnie, taktilen Reizen und sinkender Umgebungstemperatur - reflektorisch zum ersten Atemzug führt, womit die Füllung der Lunge mit Luft beginnt. Dieser Atemzug (ca. 40 ml) geht mit enormen Druckschwankungen (bis zu etwa 10 kPa, Abbildung) einher, was auch die Umstellung des Kreislaufs von fetalem zu postpartalem Muster unterstützt.
 

Abbildung: Druck-Volumen- Abfolge in der Lunge bei Neugeborenen: Erste Atemzüge und 40 Minuten nach der Geburt
Nach Smith CA, The first breath. Scientific American 1963; 209:  27-35

Nach der Geburt wird das Baby durch eine Vielzahl taktiler, thermischer, visueller und akustischer Reize überhäuft. Der Sauerstoffpartialdruck und der pH-Wert im Blut sinken, der pCO2 steigt an. All dies trägt zur Auslösung des ersten Atemzuges bei. Dieser bedarf einer besonders intensiven Anstrengung, da die Lunge noch flüssigkeitsgefüllt ist und die Atemwege einen hohen Widerstand bieten


    Dabei wird die Einatmung (beim ersten Atemzug treten extrem hohe Druckwerte auf, Abbildung) durch die Anwesenheit von Surfactants erleichtert. Diese reduzieren die Oberflächenspannung, die sich bei der Bildung von Luft-Flüssigkeits-Grenzen in den Lungenbläschen aufbaut, um eine Zehnerpotenz.

Mit der Geburt kommt es zu den ersten Atemzügen des Babys, die mit enormem inspiratorischem Arbeitsaufwand einhergehen:
Elastische und Oberflächenkräfte erschweren die Inspiration, die Druckschwankungen sind sehr hoch (eine Größenordnung über dem Betrag späterer physiologischer Werte), um Luft in die mit Amnionflüssigkeit gefüllte Lunge zu saugen und dabei zu entfalten.

Bei mangelnder
Surfactant-Bildung (Frühgeburten) kommt es zum Infant respiratory distress syndrome (Neugeborenen-Atemnotsyndrom): Die Alveolen füllen sich kaum mit Luft, es kommt zu Hypoxie. Eine CPAP-Beatmung (continuous positive airway pressure) kann notwendig werden.

Gasanalysen im kindlichen Blut helfen zu erkennen, ob eine ausreichende Versorgung über die Nabelschnur erfolgt. Sinken die pO2-Werte, besteht die Gefahr hypoxischer Schädigung, und eine Sectio kann notwendig werden.

Nach der Geburt nimmt die Uterusdurchblutung schlagartig ab (relative Ischämie). In der Wochenbettphase treten verschiedene Arten von Uteruskontraktionen auf:

     Dauerkontraktion (“tonische Retraktion”) für 4-5 Tage, beginnend 4-5 Stunden nach der Nachgeburt;

     Spontane, rhythmische Nachwehen (die nach 2-3 Tagen aufhören);

     Laktationswehen (“Reizwehen” durch den Stillreflex: Oxytozinausschüttung reflektorisch beim Anlegen des Kindes).
 
Rückbildungsvorgänge: Teile der Gebärmutterschleimhaut werden resorbiert, andere als Lochien
(Wochenfluss) - ein normalerweise keimfreies, weitgehend geruchloses Sekret - nach außen abgegeben. Es kommt zu Involution und an der Stelle der Ablösung der Plazenta zu Wundheilung.

Das Ovar nimmt seine Funktionen wieder auf, die Östrogenbildung stellt sich auf das normale Ausmaß ein. Die Bauchdeckenmuskulatur wird tonisiert, die Wassereinlagerung in den Körper geht zurück, Körpergewicht, Blutvolumen und Blutbild kehren allmählich zu den Ausgangswerten zurück.

  
Fetales Hämoglobin
  
Neugeborenes: Unmittelbar nach der Geburt haben Säuglinge um ein Drittel höhere Erythrozyten-, Hämoglobin- und Hämatokritwerte als Erwachsene. Die Erythrozyten enthalten noch viel fetales Hämoglobin (HbF); dieses bindet Sauerstoff stärker als Erwachsenen-Hämoglobin (Abbildungen).
 

Abbildung: Expression von α- and β-Globin-Genen
Nach Storz JF, Gene Duplication and Evolutionary Innovations in Hemoglobin-Oxygen Transport. Physiology 2016; 31: 223-32

Oben: Funktionelle Optimierung wird erreicht, indem die Expression der Globingene ontogenetisch entsprechend reguliert wird. Die Kennkurven für die Sauerstoffbindung sind unterschiedlich (s. dort).
 
Mitte: Die Blutbildungsorgane sind zuerst der Dottersack, ab SSW 6 die Leber, ab SSW 18 auch die Milz, und in der zweiten Schwangerschaftshälfte zunehmend (ab dem 3. postpartalen Monat ausschließlich) das Knochenmark.
 
Unten: Zeitverlauf der Anteile von α-, ζ-, γ- und β-Ketten an der Globinsynthese prä- und postpartal


       Zum fetalen Hämoglobin (HbF)  s. auch dort
 
Durch die steilere HbF-Bindungskurve kann - beim selben Sauerstoffpartialdruck - eine erhebliche Menge Sauerstoff vom mütterlichen auf das fetale Hämoglobin übertreten.
 
Im Differentialblutbild fällt der hohe Anteil der Lymphozyten (bis 50%) auf (Erwachsener: ca. 25%).
 
Das Gewicht des Neugeborenen nimmt in den ersten 3 bis 5 Tagen um bis zu 10% ab; das Atem- und Wärmeregulationszentrum reifen noch funktionell aus, Körpertemperatur und Atemmuster sind zunächst nicht sehr stabil. Es besteht eine Azidoseneigung und Ödembereitschaft.

Der Blutzuckerspiegel des Neugeborenen sinkt - bedingt durch die hohe Glucosemetabolisierung von 4-8 mg/kg/min und das plötzliche Ausbleiben der plazentaren Versorgung - innerhalb weniger Stunden postpartal auf etwa 2 mM ab, wobei die Glykogenreserven der Leber aufgebraucht werden. Nimmt
das Baby Milch auf und kann so eine neue Balance des Kohlenhydratmetabolismus finden (einschließlich Glukoneogenese aus Alanin, Glycerin, Laktat durch entsprechende Enzyminduktion), kann der Glucosespiegel noch am ersten postpartalen Tag zum normalen Nüchternwert von 4-5 mM zurückkehren (s. auch dort).

Mit der gestiegenen Verfügbarkeit von Sauerstoff im Körper des Babys nimmt die Nutzung von Fettsäuren für den Energiestoffwechsel zu. Etwa 16% des Körpergewichts eines Neugeborenen entfällt auf Fettgewebe; Lipide werden über die fettreiche Muttermilch fortlaufend zugeführt. Das Gehirn nutzt (neben Glucose) Ketonkörper - für bis zu 15% seines Energiebedarfs (der Stoffwechsel des Babys ist leicht ketotisch).

Die Umstellungen im Verdauungsapparat sind durch Ausreifen der Leberfunktionen und Einspielen der Resorptionsvorgänge gekennzeichnet. Beginnend mit einem zunächst sterilen Darm, baut sich mit der Geburt im Neugeborenendarm schrittweise eine mikrobiologische Flora auf (E. coli, Enterobakterien, Streptokokken..). Dies dauert mehrere Jahre, die Besiedlungsdichte und -komplexität steigt mit zunehmendem Lebensalter an, bis sich ein individualspezifisches Ökosystem etabliert hat.
 

Eine vorübergehende Überforderung der Leberfunktion bedingt den physiologischen postnatalen Ikterus (Gelbsucht). Die Plazenta ermöglicht vor der Geburt den Abtransport des aus Hämoglobin stammenden Bilirubins über den mütterlichen Kreislauf, nach der Geburt wird das Bilirubin über die Galle ausgeschieden. Der Neugeborenenikterus erreicht nach 4-5 Tagen seinen Höhepunkt, Werte bis 20 mg/dl (20-facher Normalwert des Erwachsenen), oder sogar höher, können noch toleriert werden.

Bei zu steilem Anstieg (erhöhter Erythrozytenabbau bei Blutgruppen-Inkompatibilität) muss wegen der Gefahr einer Gehirnschädigung rechtzeitig therapiert werden: Phototherapie mit UV-Licht, oder Blutaustausch über die Nabelvene: Die Menge geschädigter Erythrozyten wird dadurch vermindert, und es fällt weniger Bilirubin zur Ausscheidung an.

 
Laktation
 
Laktogenese (Milchbildung, Galaktopoese): Vor der Geburt produziert die Brustdrüse wegen des hohen Östrogenspiegels keine Milch: Die hohen Konzentrationswerte an Östrogenen und Progesteron während der Schwangerschaft regen das Wachstum der Brustdrüse an (unterstützt durch Prolactin und hPL), hemmen aber gleichzeitig die Milchproduktion. Der steile Abfall der Östrogen- und Progesteronspiegel mit der Geburt (und dem Verlust der Plazenta) hebt den inhibitorischen Effekt auf und bewirkt eine sekretorische Aktivierung (ebenfalls unterstützt durch Prolactin und hPL). Auch Insulin und Glucocorticoide sind für die Anregung der Laktation unentbehrlich.

Obzwar das "Einschießen" der Milch erst 2-3 Tage postpartal in Schwung kommt, ist das Anlegen des Babys gleich nach der Geburt sinnvoll, da der Regelkreis (Saugen an der Brustwarze → afferente Nerven → Hypothalamus) dopaminerge Neuronen hemmt und die Prolactinproduktion stimuliert. Auch wird durch den Saugreiz die Oxytozinfreisetzung und damit nicht nur die Retraktion des Uterus ("Stillwehen"), sondern auch die Aktivierung myoepithelialer Zellen
( Abbildung unten) angeregt. Das Saugverhalten des Babys funktioniert auch dann, wenn aus der Brust noch gar keine Milch kommt.
 
Saugreiz an der Brust führt reflektorisch zu Oxytozinfreisetzung und Kontraktion myoepithelialer Zellen (Einschießen der Milch)

   Falls es notwendig ist, rasch abzustillen (Mastitis = Entzünding der Brustdrüse), kann dies mit einem Dopamin-Agonisten (z.B. Bromocriptin) erfolgen - dadurch wird die Prolactinproduktion im hypothalamisch-hypophysären System und damit die Milchbildung unterdrückt.

 

Abbildung: Zusammensetzung reifer Muttermilch im Vergleich zu Kuhmilch

Muttermilch ist relativ arm an Eiweiß und reich an Zucker (Laktose). Fettanteil und Brennwert (~70 Cal/dl) sind praktisch gleich hoch wie in Kuhmilch


      Bis zum 4. postpartalen Tag wird Kolostrum - "Erstmilch" - sezerniert. Diese dünnflüssige, gelbliche, auch Vormilch genannte Flüssigkeit ist ist fettarm und eiweißreich (3-9% - wesentlich mehr als in reifer Muttermilch, auch mehr als in Kuhmilch, vgl. Abbildung) . Kolostrum enthält 3% Fett, 4% Milchzucker (weniger als in reifer Muttermilch), 0.4% Salze (Kalium, Calcium, Natrium / Chlorid, Phosphat) und Spurenelemente (mehr als in reifer Muttermilch).

Schon das Kolostrum enthält
antimikrobielle und entzündungshemmende Proteine. Antikörper schützen den Säugling vor Infektionen und Allergien. Kolostrum hat weiters eine mild laxative Wirkung, was die Entfernung von Bilirubin über das Meconium ("Kindspech", der erste Stuhl Neugeborener) fördert.

100 ml Kolostrum enthalten 600 mg IgA (reife Muttermilch 80 mg), 80 mg IgG
(reife Muttermilch 30 mg), 125 mg IgM (reife Muttermilch 30 mg), 370 mg Lysozym (reife Muttermilch 240 mg) und 580 mg Laktoferrin (reife Muttermilch 200 mg) - vgl. dort.

Dann stellt sich die Zusammensetzung der Milch allmählich auf diejenige "reifer" Muttermilch um:

      Reife Muttermilch - sie wird nach ~2 Wochen gebildet - enthält 88% Wasser, 1,3% Eiweiß (u.a. Caseine), 4% Fett, knapp 7% Milchzucker (Laktose), 0.2% Salze und Spurenelemente. Pro Tag werden etwa 800 ml Milch produziert, was einen Energieaufwand von rund 2,6 MJ bedeutet (~600 Cal). Der Energiegehalt der Muttermilch beträgt 70 Cal (knapp 300 kJ) pro 100 ml.

Laktose steuert
~40% der Nahrungsenergie der Milch bei; sie wird im Golgi-Apparat der Drüsenzellen aus Glucose synthetisiert (Laktose-Synthase) und zieht osmotisch Wasser an (in sekretorische Vesikel), was den Wasseranteil der Milch erhöht.

Ein größerer Energieanteil stammt von Lipiden in der Milch, insbesondere Triglyzeriden (Neutralfett,
~50 g/d). Diese stammen zu einem guten Teil aus Chylomikronen und VLDL im mütterlichen Blutplasma und werden den Alveolarzellen mittels Lipoproteinlipase zugänglich gemacht. (Die laktierende Brustdrüse hat bei weitem die höchste Expression von Lipoproteinlipase aller Gewebe im Körper - etwa eine Zehnerpotenz stärker als Fettgewebe.)

Der andere Teil der Neutralfette stammt aus der de-novo-Lipogenese der Brustdrüsenzellen selbst. Etwa 20% der Fettsäuren in der Milch stammen aus der endogenen Synthese des Milchdrüsenepithels. Dabei entstehen mittelkettige Fettsäuren (8-12 C Länge). Babys können Lipide mit solch relativ kurzen Fettsäureketten leicht verdauen und oxidieren.


Weiters enthält Muttermilch Oligosaccharide (human milk oligosaccharides, HMOs), deren Muster bei jeder Frau anders ist.
Diese Oligosaccharide binden an Bakterien und fördern einerseits die Vielfalt der mikrobiellen Flora im Darm des Babys, tragen andererseits zu seinem Immunschutz bei.

Zum Schutz dient auch das extrem stark antibakteriell / antiviral wirkende Lactoferrin, das ebenfalls in der Milch enthalten ist.

Milch ist saurer (pH 6,8-7,1) als Blutplasma (7,4), sodass basische Bestandteile angereichert werden, saure in geringerer Konzentration als im Blut auftreten (Ionenfalle, ion trapping). Nichtelektrolyte wie Harnstoff oder Alkohol liegen in der Milch in der gleichen Konzentration wie im Blutplasma vor.
  

Abbildung: Stillreflex
Modifiziert nach Silverthorn, Human Physiology, an integrated approach, 4th Int'l ed. 2007, Pearson / Benjamin Cummings

Schreie des Babys lösen einen alleinigen Anstieg des Oxytozinspiegels im Blut der Mutter aus. Der Saugreiz an der Brust löst einen neurohumoralen Reflex aus, der zu Oxytozin- und Prolactinsekretion führt.
 
Dies fördert die Sekretion und das Einschießen der Milch (myoepitheliale Zellen sind kontraktil und umfassen die Drüsenazini); der Prolactinanstieg erhöht die Milchproduktion für den folgenden Stillvorgang


Was die Versorgung des Säuglings mit Vitaminen betrifft, können sich Engpässe ergeben:

     So enthält Muttermilch wenig Vitamin D, abhängig vom Vitaminstatus, der vor allem im Winter zu wünschen übrig läßt. Nimmt allerdings die Mutter z.B. 50 µg (2000 IE) Vitamin D3 täglich zu sich, ist ihre Milch deutlich antirachitisch wirksam. Auch bildet der Säugling selbst Vitamin D3, falls die Haut ausreichend UV-Licht erhält.

     Vitamin K wird kaum diaplazentar übertragen, auch die Muttermilch enthält nur wenig davon. Abhängig von der Ernährung der Mutter enthält die Milch um die 3 µg / 100 ml (Tagesbedarf für Kinder ~10 µg/kg Körpergewicht). Eine Vitamin-K-Prophylaxe wird in den meisten Ländern der Welt empfohlen, z.B. nach der Geburt, nach einer Woche und nach einem Monat je 3 × 2 mg.

     Muttermilch enthält durchschnittlich 0,05 µg Vitamin B12 /100 ml (Kuhmilch 0,4 µg/100 ml) - abhängig vom Ernährungsverhalten. Babies, die von vegan lebenden Müttern gestillt werden, können ohne Zufuhr tierischer Lebensmittel im 2. Lebenshalbjahr Vitaminmangelsymptome (megalozytäre Anämie) entwickeln, was allerdings durch bei vegetarischer Ernährungsweise typische hohe Folsäurezufuhr nicht selten überdeckt wird.
 
Geht man von einer täglichen Aufnahme von knapp 0,8 Liter Muttermilch und einem Calciumgehalt von 1/4 Gramm pro Liter aus, ergibt sich ein tägliches Calciumangebot von etwa 0,2 g/d. Die Resorptionsrate liegt bei 60-70%, d.h. die Calciumaufnahme des Neugeborenen liegt bei 120-140 mg/d. Die Resorption wird durch Laktose erleichtert; bei Formulanahrung mit höherem Calciumgehalt kann hingegen die Resorptionsquote um die Hälfte niedriger liegen.
  

Abbildung: Feinbau der Milchdrüse
Nach einer Vorlage bei physiologyplus.com/physiology-of-lactation/

Die Brustdrüse ist aus Drüsenläppchen (mammary gland alveoli) aufgebaut, welche in Drüsenlappen (secretory lobules) gruppiert sind und mittels jeweils 15-20 Milchgängen (ductuli) in Milchgangampullen (Milchsäckchen) in der Brustwarze münden (s. nächste Abbildung).
 
Die Kontraktion myoepithelialer Zellen wird durch Oxytozin angeregt und läßt die Milch in das Ausführungsgangsystem "einschießen"


 Die Milchsekretion beträgt 450-1200 ml (Mittelwert etwa 800 ml) pro Tag.

Wichtigster Faktor bei der Regulierung ist die "Nachfrage": Je öfter der Säugling gestillt wird, desto intensiver wirkt der reflektorische Anreiz zur Laktogenese und desto größer wird das Milchvolumen. Dabei löst der Saugreiz des Babys an der Brust die reflektorische Sekretion von Oxytozin und Prolactin aus (Stressfaktoren wie z.B.
Babygeschrei haben nur einen Oxytozineffekt). Die kombinierte Hormonausschüttung fördert sowohl
 
      oxytozinbedingt Sekretion und Einschießen der Milch (Ejektion = Abpressen  in die Ausführungsgänge - myoepitheliale Zellen umfassen die Drüsenazini und sind kontraktil) als auch
 
      prolactinbedingt erhöhte Milchproduktion
 
Der Kalorienbedarf des Säuglings ist - bezogen auf das Körpergewicht - mehr als dreimal höher (~600 kJ/kg/d) als beim Erwachsenen (~170 kJ/kg/d); tatsächlich nimmt er ~15-20% seines Körpergewichts an Milch täglich auf.
  

Abbildung: Milchbildung
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Das Drüsenläppchen (Azinus, Lobulus, Alveole) hat milchbildende Epithelzellen (großes Bild unten) und sternförmige myoepitheliale Zellen, deren Kontraktion die Milch "einschießen" lässt.
 
Mehrere Drüsenläppchen sind zu einem Drüsenlappen (Lobus) gruppiert (rechts oben) - von diesen enthält eine Brust etwa 20. Die Ausscheidung erfolgt über Ductuli und Milchgänge, schließlich Ampullen (Milchsäckchen).
 
Unterschiedliche Wege existieren für die Sekretion von Salzen, Zucker, Wasser, Eiweiß und Fett: Apikale Sekretion (1), transzelluläre Sekretion via Endo- und Exozytose (2), Bildung von Lipidtröpfchen (3), Transzytose (4), parazellulär (5)


      Die Stillende hat - wie in der Schwangerschaft - einen erhöhten Eiweißbedarf (1,2 - 2 g Protein / kg KG pro Tag). Fleisch, Fisch und Eier sind für die Ernährung der stillenden Frau (in moderaten Mengen) angebracht, auch mindestens einmal im Monat ~100 g Leber. Man geht davon aus, dass die Energieaufnahme um ~300 Cal/d erhöht sein sollte.

Die tägliche Flüssigkeitsaufnahme sollte ~2,5-3 Liter betragen, bei Zusatzbelastung (Hitze) entsprechend mehr. Energiereduzierte Kost (<1500 Cal/d) und Flüssigkeitseinschränkung (Trinkmenge <2 Liter) bedingt eine Abnahme des Milchvolumens.

  
   Wie bei Substratmangel ermöglicht der Stoffwechsel des Säuglings die Verwertung von Ketonkörpern (Acetoacetat, ß-Hydroxybutyrat). Damit kann er den hohen Fettanteil der Muttermilch optimal nutzen. Säuglinge können Blutglucose-Spiegel bis ~1,5 mM (Normalwert bei Erwachsenen 4-5 mM!) ohne neurologische Ausfälle tolerieren.

Mit dem Stillen gelangen hauptsächlich milchsäureproduzierende Bakterien in den Darm des Kindes. Die Milchsäure erschwert es pathogenen Bakterien, sich im Darm anzusiedeln (mit Flaschennahrung gefütterte Kinder entwickeln hingegen eine Darmflora, die derjeniger Erwachsener ähnelt).

 
Steuerung der Brustdrüsen
 

      Prolactin ist primärer Anreger der Milchbildung; seine Sekretion unterliegt mehrfacher Kontrolle, u.a. wird sie durch Dopamin gehemmt. Prolactin hat mehrere Wirkungen: Es wirkt mammogen (fördert das Brustdrüsenwachstum), lactogen (startet die Milchproduktion) und galactopoetisch (es erhält die einmal in Gang gekommene Milchbildung). Die Prolactinbildung bleibt die ersten drei postpartalen Wochen dauernd erhöht und sinkt dann auf einen Blutwert, der - solange mit dem Stillen fortgefahren wird - immer noch über dem Basisspiegel Nichtschwangerer liegt. Das Stillen erhöht dann jedes Mal den Prolactinspiegel vorübergehend weiter.
 
Bei Müttern, die nicht stillen, sinkt der Prolactinspiegel 1-2 Wochen nach der Geburt wieder auf Basiswerte ab.


Prolactin stammt aus laktotropen Zellen des Hypophysenvorderlappens. Ihre Zahl nimmt während der Schwangerschaft zu (Östrogenwirkung). Die Prolactin-Freisetzung steht unter tonischer Hemmung durch Dopamin, das über den hypothalamisch-hypophysären Pfortaderkreislauf an den HVL gelangt. Prolactin hemmt die Freisetzung von GnRH; regelmäßiges Stillen kann zu Amenorrhö führen ("natürliches Kontrazeptivum").

Die Sekretion von Prolactin wird vor allem durch den Stillreflex angeregt (neuroendokriner Reflex: Hemmung dopaminerger Neurone,
Abbildung), dabei steigt die Hormonkonzentration im Blut innerhalb von 30 Minuten auf das 10- bis 100-fache an. Frequenz und Dauer der Stillvorgänge korrelieren direkt mit dem Prolactinspiegel.

Prolactinrezeptoren (≥3 Subtypen) befinden sich nicht nur in der Brustdrüse, sondern auch in Gehirn, Ovarien, Herz und Lungen. Prolactin ist für die Heranreifung der Brustdrüse verantwortlich und hemmt die Freisetzung von GnRH (Ovulationshemmung während der Stillzeit!). Prolactinrezeptoren gehören zur Zytokinrezeptor-Familie und funktionieren über den JAK-STAT-Mechanismus.

      Weitere Hormone sind für die Laktogenese erorderlich: Insulin, Cortisol, Schilddrüsenhormone. Das Fettgewebe der Brust exprimiert Aromatase (CYP19) und fördert die lokale Produktion von Östrogenen aus zirkulierenden Androgenen. Hohe Steroidspiegel der Schwangerschaftsperiode fördern des Wachstum und Verzweigungen des Gang- und Alveolensystems der Brustdrüse. Östrogene fördern darüber hinaus die Sekretion von Prolactin in laktotropen Zellen der mütterlichen Hypophyse. Progesteron hemmt die Produktion und Sekretion der Milch; erst der peripartale Progesteronabfall gibt die Laktogenese innerhalb weniger Tage frei.
 
      Das "Einschießen" der Milch ist bedingt durch Oxytozin, das aus dem Hypophysenhinterlappen reflektorisch durch den Saugreiz an der Brustwarze freigesetzt wird (übrigens hat nicht einmal jedes tausendste Neugeborene bei der Geburt schon Zähne - der erste Milchzahn bricht im Schnitt erst mit 6-8 Monaten durch). Myoepitheliale Zellen ( Abbildung) kontrahieren sich und pressen aus den Alveolen der Milchdrüse den Inhalt in die Milchgänge. Diese führen zu sogenannten Strichkanälen, von denen 15 bis 20 in die Papille münden.

Die Stilldauer beträgt 10-15 Minuten, dann sind 98% der in der Drüse gespeicherten Milch ausgepresst. Ruhe und Entspannung (Einfluss des limbischen Systems auf Hypothalamus und Hypophyse) fördern den Stillvorgang.
 
  
   Man sollte vermeiden, in hektischer Umgebung (Handygebrauch etc) zu stillen. Weiters ist es sinnlos, die Stilldauer über 10-15 Minuten hinaus zu verlängern.

Die Milchgänge münden in die Brustwarze, eine stark innervierte, haarlose Erhebung, umgeben von pigmentierter Haut (Areola) mit Talgdrüsen. Sie ist stark innerviert und kann durch sympathischen Einfluss erigiert werden, was reflektorisch beim Stillen, aber auch bei sexueller Erregung oder Kälteeinfluss erfolgen kann.
 
Abstillen

Wird der Säugling vom Stillen entwöhnt, spricht man von Abstillen (weaning, Ablaktation).
 
      Primäres Abstillen liegt vor, wenn mit dem Stillen nach der Geburt gar nicht erst begonnen wird.
 
      Wann der richtige Zeitpunkt des sekundären Stillens gekommen ist, hängt von mehreren Faktoren ab (individuell, gesundheitlich, kulturell u.a.). Allgemein wird empfohlen, mit dem Stillen etwa 6 Monate fortzufahren (optimale Ernährung und immunologischer Schutz des Säuglings). Das spontane Abstillalter (baby-led weaning) kann beim Menschen mehrere Jahre betragen; üblicherweise wird (zunächst breiige, erst später festere) Beikost zugefüttert, sobald die Zunge - einige Monate postpartal - festere Nahrung nicht mehr reflektorisch aus dem Mund schiebt (Zungenstoßreflex). Am besten erfolgt eine allmähliche Entwöhnung des Säuglings von der Brust.

Die Involution des Brustdrüsengewebes folgt der Beendigung des Stillens und ist ein autokrin -
parallel zur endokrinen Steuerung - erfolgender Vorgang. Details dieses Mechanismus sind noch nicht bekannt.

     Die Lehre von der weiblichen Brust bezeichnet man als Senologie (nach frz. le sein, die Brust).
 


 
   Wehenhemmung: Treten mehrere Wochen vor dem Geburtstermin bereits regelmäßig Wehen auf, kann der Uterus durch Gabe eines Wehenhemmers beruhigt werden. Dies kann mit einem Sympathomimetikum erfolgen, das auf ß2-Rezeptoren wirkt (z.B. Fenoterol). Die Aktivierung von ß2-Rezeptoren relaxiert Myometriumzellen. Daher werden solche Mittel auch bei einer drohenden Frühgeburt oder zur Notfalltokolyse eingesetzt, d.h. wenn die Wehentätigkeit das Kind gefährdet. ß2-Sympathomimetika wirken 2-3 Minuten nach intravenöser Injektion; als Nebenwirkung kann der periphere Gefäßwiderstand sinken (Vasodilatation), was reflektorisch zu einer Erhöhung der Herzfrequenz führt.
 

Abbildung: Ein Kardiotokogramm
Nach Steer P, ABC of labour care: Assessment of mother and fetus in labour. BMJ 1999; 318: 858-61

Synchrone peripartale Registrierung der fetalen Herzaktion (z.B. Ultraschall) und der Wehenstärke (Dehnungsmessgürtel).
 
Das Beispiel zeigt oben vorübergehende Abnahmen der fetalen Herzfrequenz (Dezelerationen), unten die entsprechende Wehenaktivität

Kardiotokographie ( Abbildung) nennt man die Registrierung der fetalen Herzaktion (meist über Ultraschall-Doppler) zusammen mit der Wehenaktivität (Druckmesser: Transducer) unter der Geburt. Die Intensität des wehenabhängigen Drucksignals hängt stark von den anatomischen Gegebenheiten ab (schwaches Signal bei großem Bauchumfang).

Sauerstoffmangel beim Feten (unter starken Wehen) führt zu einer Absenkung (Dezeleration) der fetalen Herzfrequenz. Sinkt diese über mehrere Minuten auf unter 100 bpm, spricht man von einer schweren Bradykardie (normale Ruhefrequenz ~140 bpm).

Der postnatale Anstieg des Sauerstoffpartialdrucks beim Neugeborenen bedingt die Schließung des ductus arteriosus Botalli. Neugeborene, die unter Sauerstoffmangel leiden (z.B. infolge Pneumonie), haben einen erhöh
ine pränatale Milchsekretionpulom
ten pulmonalen Gefäßwiderstand. Der ductus arteriosus schließt sich nicht und der Rechts-Links-Shunt persistiert, was den Lungenkreislauf belastet.
 

 
      Wehen sind dreiphasig: Stadium incrementi, Akme, stadium decrementi. Schwangerschaftswehen sind schmerzlos, Senkwehen treten 3-4 Wochen vor dem Termin auf, Vorwehen einige Tage präpartal; Eröffnungswehen weiten den Geburtskanal, Presswehen beginnen mit der kompletten Öffnung der Zervix
 
      Der Uterus ist gegenüber Prostaglandinen immer empfindlich, gegenüber Oxytozin erst präpartal: Hohe Östrogen- / niedrige Progesteronspiegel induzieren die Expression von Oxytozinrezeptoren. Dehnung des Geburtskanals initiiert den Ferguson-Reflex: Dehnungsreiz → Oxytozin → stärkere Wehentätigkeit und Prostaglandinsynthese → Wehe → stärkerer Dehnungsreiz. Relaxine (Plazenta, Chorion, Dezidua, corpus luteum) weichen bindegewebige Strukturen auf, erhöhen Herzzeitvolumen und Nierendurchblutung. CRH (Gehirn, Plazenta) erhöht DHEA und beeinflusst die Wehentätigkeit
 
      Schmerzen unter der Geburt betreffen das untere Uterussegment und die Zervix (Projektion auf Th10-L1, paravertebral blockierbar), Vagina und Beckenboden (Projektion auf S2-S4, Pundendusblockade), Blase, Urethra, Rektum. Das steigert Sympathikustonus und Katecholaminspiegel, Atmung (Hyperventilation), Herzminutenvolumen, peripheren Widerstand und Blutdruck. Sinkende Uterusdurchblutung kann fetale Hypoxie bewirken
 
      Der rechte Ventrikel fördert 60%, der linke 40% des kombinierten Herzminutenvolumens. Der Lungenkreislauf ist vor der Geburt weitgehend verschlossen (hoher Gefäßtonus), Shunts bestehen vom rechten zum linken Vorhof (foramen ovale: 19%) und von der Pulmonalarterie in die Aorta (ductus arteriosus: 39% des kombinierten Herzzeitvolumens). Am Ende der Schwangerschaft beträgt die fetale Herzfrequenz 120-160 bpm (Kardiotokografie) - deutliches Absinken bedeutet Sauerstoffmangel (Bradykardiereflex). Der um ≥50% höhere Hämatokrit im fetalen Blut bedeutet hohe Sauerstofftransportkapazität, die Hb-Sauerstoffsättigung beträgt aber nur 45-65%
 
      Der Fetus hat beträchtliche Hypoxie- und Azidosetoleranz. Die Plazenta beansprucht die Hälfte seines Herzminutenvolumens; nach der Geburt fällt dieser Anteil weg, die Pulmonalgefäße öffnen (pO2 und Scherbelastung des Endothels steigen, Gefäßwand restrukturiert sich), der Widerstand im Pulmonalkreislauf sinkt, foramen ovale (Druckgradient von linkem zu rechtem Vorhof) und ductus arteriosus Botalli schließen (zunehmender pO2). Peripherer Gefäßwiderstand und Blutdruck (präpartal ~60 mmHg) nehmen zu. Der erste Atemzug erzeugt hohe Druckwerte; die Einatmung wird durch Surfactants erleichtert. Bis zur vollständigen Entfernung der Flüssigkeit aus der Lunge vergehen mehrere Tage
 
      Nachgeburtswehen führen zum Auspressen der Plazenta, Nachwehen fördern die Involution des Uterus: die Uterusdurchblutung nimmt schlagartig ab, einige Stunden postpartal tritt für mehrere Tage Dauerkontraktion (“tonische Retraktion”) auf, gefolgt von rhythmischen Nachwehen, schließlich Laktationswehen
 
      Das Neugeborene verliert postpartal (3-5 Tage) um bis zu 10% Gewicht; Körpertemperatur und Atemmuster schwanken, es besteht Azidoseneigung und Ödembereitschaft. Säuglinge können Blutglucose-Spiegel bis ~1,5 mM ohne neurologische Ausfälle tolerieren. Die Leberfunktionen stabilisieren sich (Bilirubinabbau, Neugeborenenikterus) innerhalb von Wochen, die Darmflora beginnt sich aufzubauen. Mit dem Stillen gelangen hauptsächlich milchsäureproduzierende Bakterien in den Darm des Kindes; Milchsäure erschwert die Ansiedelung pathogener Bakterien

      Nach der Geburt entfällt der blockierende (prolactin-antagonistische) Effekt hoher Östrogenspiegel auf die Laktogenese. Das Anlegen des Babys löst den Stillreflex aus (Hypothalamus → Oxytozin: Kontraktion myoepithelialer Zellen; Prolactin: Reifung der Brustdrüse). Das "Einschießen" der Milch kommt erst 2-3 Tage postpartal in Schwung. Die Laktogenese wird angeregt durch Prolactin (primär), Insulin, Cortisol, Schilddrüsenhormone. Pro Tag werden 450-1200 ml Milch gebildet
 
      Der Kalorienbedarf des Babys beträgt ~600 kJ/kg/d (Erwachsene ~170 kJ/kg/d); es nimmt ~15-20% seines Körpergewichts an Milch täglich auf. Muttermilch ist reich an Laktose; Fettanteil und Brennwert (~70 Cal/dl) sind praktisch gleich hoch wie in Kuhmilch, der Proteinanteil niedriger. Babys können Ketonkörper verwerten und so den hohen Fettanteil der Muttermilch optimal nutzen. Muttermilch enthält individuell kombinierte Oligosaccharide (HMOs), diese fördern die Vielfalt der mikrobiellen Flora des Babys und tragen zu seinem Immunschutz bei. Laktoferrin wirkt antibakteriell / antiviral. Muttermilch enthält oft wenig Vitamin D (UV-Licht, Substitution) und K (Vitamin-K-Prophylaxe)
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.