Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

  
Integrative Funktionen des Nervensystems, Physiologie des Verhaltens

Prinzipien der Hirnfunktion
© H. Hinghofer-Szalkay

Allocortex: ἄλλος = anders, cortex (lat) = Rinde
Brodmann-Areale:
Korbinian Brodmann
corpus amygdaloideum (lat) Mandelkern (amygdala = Mandel)
corpus callosum: callosus = schwielig (Wulstform des Balkens)
fissura Sylvii: Nach Franciscus Sylvius
Glutamat: Zuerst in Klebereiweiß gefunden (lat. gluten = Leim)
Isocortex: ἴσος = gleich,
, cortex (lat) = Rinde
nucleus caudatus (lat) geschweifter Kern (cauda = Schweif)
Pallium (lat) Überwurf, Mantel
Pallidum (lat) blasse Substanz
pons (lat) Brücke
Putamen (lat) Hülse, Schale
Reelin: to reel = taumeln (Fortbewegungsmuster Reelin-defekter Mäuse)
Striatum: Streifenkörper (stria = Streifen)
Synapse: σύν = zusammen, ἅπτειν = fassen, ergreifen, συναψις = Verbindung
Tensor: tendere = (an-, auf-)spannen
Vigilanz: vigilantia (lat) = Wachsamkeit, vgl. vigilare = wachen


Das Gehirn gilt als eines der komplexesten existierenden Systeme. Seine Moleküle, Synapsen, Zellen und Module werden intensiv erforscht; seine Funktionsweise als Ganzes ist noch lange nicht erfasst.

Der Zeitrahmen der zerebralen Vorgänge kann sehr unterschiedlich sein: Millisekunden (Aktionspotential, rasche Transmitter, Ionenkanäle), Sekunden bis Minuten (langsame Transmitter, second messenger), Stunden (Rezeptorzahl) oder noch länger (veränderte Genexpression, modifizierte Verbindungsstrategien).

Synapsen sind interzelluläre Schaltstellen; einige wenige arbeiten elektrisch, die meisten chemisch: Dutzende Transmitterstoffe sind bekannt. Der wichtigste anregende (depolarisierende) Transmitter ist Glutamat, hemmend (hyperoplarisierend) wirken GABA und Glycin. Dazu kommen zahlreiche Kotransmitter.

Synapsen können depolarisierend wirken, ihr Effekt heißt exzitatorisches postsynaptisches Potential (EPSP) - das "Vorspiel" zur Erregung (Aktionspotential). Wird das Membranpotential verstärkt (hyperpolarisierende Synapsenwirtkung), wirkt dies hemmend (inhibitorisches postsynaptisches Potential, IPSP). Auch können Synapsen auf andere "aufgeschaltet "sein und dadurch deren Wirkung verändern (z.B. präsynaptische Inhibition).

Im Neokortex sind Neuronengruppen zu kortikalen Säulen organisiert - mit jeweils ~1 mm3 Volumen, ~104 Neuronen und ~108 Synapsen; diese Recheneinheiten sind modular miteinander verschaltet. Assoziationsfasern stellen Kontakte mit Nachbarsäulen und entfernteren Teilen der Hemisphäre (ipsilateralen Arealen) her, Kommissurenfasern mit kontralateralen Rindengebieten (Seitenkreuzung im Balken), Projektionsfasern mit Neuronen außerhalb des Kortex.

Die Gesamtheit der Verbindungen im Nervensystem wird als
Konnektom bezeichnet.


Grundlagen
Großhirnrinde Neuronale Verbindungen Transmitter Hirnrinde, Bewusstsein und Hirnstamm Lateralisation kortikale Säulen  Entstehung kortikaler Potentiale, EEG 



Hirnrinde, Isocortex, Allocortex
    Reelin    Aufmerksamkeit    Bewusstsein

Praktische Aspekte        Core messages
 
Der Fadenwurm caenorhabditis elegans - ein beliebtes Modell zum Studium neuronaler Verschaltungen - hat exakt 302 Nervenzellen und 8000 Synapsen; das Gehirn einer Fruchtfliege enthält eine Viertelmillion, das einer Maus ~107, das einer Ratte 108, das eines Rhesusaffen 6.109, das eines Elefanten knapp 3.1011 Nervenzellen.

Die Gehirnmasse nimmt bei Säugetieren entsprechend dem Körpergewicht um einen Faktor von 100,7 zu (der Mensch liegt bei der entsprechenden Regression etwa zwischen Delphinen und Schimpansen). Aufgrund der so beschriebenen Funktion kann berechnet werden, welches Gehirngewicht einer Spezies aufgrund des Körpergewichts erwartet werden kann. Untersucht man zahlreiche Tierarten, ergibt sich eine entsprechende Regressionslinie zwischen Körper- und Hirnmasse. Der Enzephalisationsquotient (EQ) gibt das spezifische Gehirngewicht in Relation zu dem Wert an, den die Regressionslinie nahelegt (1 = Erwartungswert). Der EQ beträgt beim Menschen ~7,5 und ist damit der höchste im gesamten Tierreich.

Die Erforschung der Funktionen des Nervensystems nutzt unterschiedlicher Ansätze - von der molekularen Ebene über zellbiologische Untersuchungen bis zur Neurologie. Will man die Funktion nicht nur von Ionenkanälen und einzelnen Zellen, sondern des Gewebes in seiner Gesamtheit untersuchen (integrativer Ansatz), stellen sich zahlreiche Fragen und gibt es erhebliche methodische Probleme.
Neurophysiologie versucht, die involvierten Funktionsebenen in ihrer Wechselseitigkeit zu sehen. Auf der empirischen Ebene unterscheidet man im Prinzip drei Ansätze:
Registrieren (
Beobachten von Aktivität). Dieser Weg bezieht sich in erster Linie auf das Studium der neuronalen Antworten auf etwas, was erlebt wird (Sinneseindrücke,..) oder bei Bewegungen auftritt. Die Beziehung zwischen dem auslösenden Ereignis und der abgeleiteten Nervenaktivität wird umso weniger voraussagbar, je weiter entfernt von dem Auslöser registriert wird (z.B. optischer Reiz → Sinneszelle → Sehnerv → Okzipitalrinde...).
Stimulieren (Reizung von Nervenzellen). Hier stellt sich die Frage, wie genau ein "physiologischer" Stimulus aussehen muss, der eine klare Antwort zur Folge hat. Beispiel: Reizung einer Zelle der area 4 der Großhirnrinde führt nicht unbedingt zu einem motorischen Effekt; die Interaktion zwischen Neuronen ist enorm komplex, die Aktivierung einzelner Zellen kann ganz unterschiedliche - oder keine beobachtbaren - Auswirkungen haben.
Ausschalten. Ist eine Gehirnregion lädiert (eine Nervenbahn durchtrennt, die Durchblutung gestört o.ä.), treten Veränderungen auf, aber was lernen wir daraus? Das kommt sehr auf die Funktion des lädierten Zellverbandes an (hat dieser beispielsweise inhibitorische Funktion, führt seine Ausschaltung nicht zu einem Ausfall, sondern zu Überaktivität entsprechender zerebraler Aktivität).
 
In jedem Fall erfordert eine korrekte Interpretation experimenteller Resultate ein hohes Maß an Vorkenntnis, Vorsicht und Bedachtnahme. Das Nervensystem weist einen Komplexitätsgrad auf, der die Funktion unseres Gehirns überhaupt ermöglicht, aber auch schwer verständlich macht.

Wie ist das Gehirn organisiert?
 
Das Gehirn des Menschen weist einen Grundplan auf ( Abbildung), den es mit anderen Wirbeltieren teilt - was den Lauf der Phylogenese widerspiegelt. Viele funktionelle Eigenheiten der Arbeitsweise unseres Nervensystems werden durch die Kenntnis dieses Grundplans verständlicher.
 

Abbildung: Prinzipieller Aufbau eines Vertebratengehirns
Modifiziert nach einer Vorlage in Butler / Brown / Stephenson / Speakman, Animal Physiology - An Environmental Perspective, Oxford University Press 2021

Das Zentralnervensystem besteht aus Rückenmark (medulla spinalis, links) und Gehirn (cerebrum). Letzteres weist mehrere Einheiten auf:
 
  Rautenhirn (Rhombencephalon, hindbrain), bestehend aus Myelencephalon (=medulla oblongata, verlängertes Mark) und Metencephalon (pons  plus Kleinhirn).
Durch das Rauten- und Mittelhirn zieht die formatio reticularis,
 
 
Mittelhirn (midbrain) - bestehend aus dem sensorischen Tectum (Vierhügelplatte, colliculi) und dem motorischen Tegmentum,
 
     Zwischenhirn (Diencephalon) und

  Großhirn (Endhirn, Telencephalon).
 
Als Hirnstamm wird die medulla oblongata und das Mesencephalon bezeichnet (durch diesen Teil erstreckt sich die formatio reticularis). Manchmal wird dem Hirnstamm auch das Diencephalon (Zwischenhirn) zugerechnet; dieses besteht aus Thalamus und Hypothalamus sowie dem rückwärtigen Teil der Hirnanhangsdrüse (Neurohypophyse). Als Vorderhirn (forebrain) bezeichnet man den aus Di- und Telencephalon bestehenden Teil des Gehirns.
 
Man kann das Telencephalon einteilen in Großhirnrinde, Riechkolben und telencephale Kerne (Pallidum, Striatum, Septum, Amygdala). Nach einer neueren - phylogenetisch begründeten - Einteilung besteht das Großhirn aus drei Hauptabschnitten: Dem Pallidum, dem Striatum und dem Pallium. Das Pallium enthält die Großhirnrinde, den bulbus olfactorius und den Hippocampus. Das Striatum (Streifenkörper) enthält (bei Säugetieren, also auch beim Menschen) vier zentrale Kerne: Die zu den Basalganglien gehörenden nucleus caudatus und Putamen sowie die zum limbischen System gehörenden nucleus accumbens und corpus amygdaloideum . Das dorsale Pallidum enthält den globus pallidus (palaeostriatum).
 
Zu den Basalganglien (s. dort)  gehören auch der diencephale nucleus subthalamicus sowie die substantia nigra an der Grenze zwischen Mes- und Diencephalon


Nervenzellen sind das Grundelement der neuronalen Funktionen, arbeiten aber nie isoliert im Körper. Ein einzelnes Neuron kann von zehntausenden anderen Neuronen synaptisch kontaktiert werden (Konvergenz), deren Einflüsse zu einer bestimmten Antwort umgesetzt wird - insbesondere die Generierung von Aktionspotentialen. Diese Antwort wird über ein Axon geleitet, das sich meist aufteilt und mehrere (bis zu tausende) andere Neuronen beeinflusst (Divergenz).
 
Neuronen erzeugen außer kurzzeitigen Rechenoperationen auch Gedächtnis, d.h. die durch Synapsen übertragenen Informationen können langlebige Spuren hinterlassen (synaptische Plastizität, synaptisches Wachstum) und sich über längere Zeit (bis zu Jahrzehnten) auswirken.
 
 Nervenzellgruppen reagieren auf Einflüsse von "außen" (Meldungen von Sinnesorganen) und "innen" (somatische Sensibilität), können Muskel und Drüsen anregen (z.B. Motorik, Hormonausschüttung, Immunantwort, Schweißsekretion, Darmtätigkeit..)
und von sich aus aktiv sein, etwa als von "Schrittmachern" (pacemaker) verursachte Spontanrhythmik neuraler Zellverbände. Solche Rhythmen werden wiederum durch andere neuronale Einflüsse moduliert, und das Zusammenspiel all dieser Faktoren ergibt ein komplexes Muster, wie es für das Verhalten eines Lebewesens kennzeichnend ist.

  Über synaptische Kommunikation von Nervenzellen s. dort

Das Nervensystem insgesamt besteht aus Gehirn, Rückenmark, Nerven und Ganglien. Außer Nervenzellen enthält es Glia (etwa 10-mal mehr Glia- als Nervenzellen), Blutgefäße und spezielle Strukturen, z.B. für Bildung und Abfluss von Hirn-Rückenmarks-Flüssigkeit (liquor cerebrospinalis), die sich vor allem in den vier Hirnventrikeln und im Zentralkanal befindet.
 

  Abbildung: Teile des Zentralnervensystems
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Die Großhirn besteht aus Frontal-, Parietal-, Temporal- und Okzipitalhirn.
 
Das Zwischenhirn (diencephalon) besteht aus Thalamus, Hypothalamus, Subthalamus (nucl. subthalamicus) und Metathalamus (corpora geniculata).
 
Der Hirnstamm enthält das Mittelhirn (mesencephalon) und Rautenhirn (rhombencephalon), letzteres bestehend aus Brücke (pons), verlängertem Mark (medulla oblongata) sowie Kleinhirn (cerebellum).
 
Das Zervikalmark besteht aus 8, das Thorakalmark aus 12, Lumbar- und Sakralmark aus jeweils 5 Segmenten


Das Gehirn einer erwachsenen Person wiegt ~1300-1500 Gramm (das Gehirn einer Honigbiene ~1 Milligramm). Das gesamte Zentralnervensystem (ZNS) eines erwachsenen Menschen enthält ~86 Milliarden Nervenzellen (davon Großhirnrinde ~16, Kleinhirnrinde ~50 Milliarden), von denen man mindestens 1000 Typen unterscheiden kann. Auch Gliazellen bilden eine größere Zahl morphologisch-funktioneller Differenzierungen aus als früher angenommen.

Das Zentralnervensystem besteht aus Großhirn (Telencephalon), Zwischenhirn (Diencephalon), Mittelhirn (Mesencephalon), Brücke (Pons), Kleinhirn (Cerebellum), verlängertem Mark (Medulla oblongata, im angloamerikanischen Sprachgebrauch medulla), und Rückenmark (spinal cord).

Das Großhirn besteht aus der Rinde (cortex cerebri) und darunter liegenden Strukturen (Nervenfaserbündel, Basalganglien) und wird in den folgenden Kapiteln besprochen. Über Kleinhirn, Hirnstamm und Rückenmark informierten eigene Abschnitte.
 

Abbildung: Achsenbezeichnungen im Bereich des ZNS
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Wegen der Krümmung in der Längsachse des Zentralnervensystems fallen anatomische und spezifische Bezeichnungen nur teilweise zusammen


Richtungsangaben sind durch die Tatsache bestimmt, dass die Längsachse des ZNS von im Wesentlichen kranio-kaudaler Richtung (Longitudinalachse, Z-Achse des Körpers) im Bereich des Vorderhirns in eine antero-posteriore Ausrichtung umschwenkt ( Abbildung).

Im rückwärtigen Großhirnbereich (parietal, okzipital, temporal) fallen die Bezeichnungen "dorsal" und "superior" mehr oder weniger zusammen, die Gegenrichtung ist "ventral". Im Bereich des Rückenmarks entspricht "ventral" der anterioren, "dorsal" der posterioren Ausrichtung.

Das ZNS ist aus zwei grundsätzlichen Zelltypen aufgebaut: Nervenzellen (=Neuronen) und einer (rund 10-fach) höheren Zahl an Gliazellen, welche die Neuronen bei ihren Funktionen unterstützen und ergänzen - man sieht sie heute als funktionelle Partner der Nervenzellen.
 
  Über elektrophysiologische Grundlagen s. dort
Über Durchblutung und Sauerstoffbedarf des Gehirns s. dort





Der tägliche Verlust an zerebralen Neuronen wird beim Erwachsenen auf 5-10 x 104 geschätzt (<1% des Ausgangsbestandes pro Jahrzehnt); bei schädigenden Einflüssen auf das Gehirn (Sauerstoffmangel, Gifte) oder pathologischen Vorgängen kann der Verlust wesentlich höher sein. Neubildung von Neuronen wurde an einigen Stellen nachgewiesen, insbesondere im Hippocampus.


Abbildung: Kortikale Netzwerke
Nach Zimmer C, 100 Trillion Connections. Scientific American 2011; 304: 58-63

Diffusionsgewichtete Magnetresonanztomographie (diffusion tensor imaging) ist ein bildgebendes Verfahren, das eine präzise Darstellung von Fasersystemen im Gehirn erlaubt (links). Es zeigt bevorzugte Knotenpunkte der neuronalen Datenverarbeitung auf.
 
Unter Konnektom versteht man eine vollständige Beschreibung der funktionellen Verbindungen, die das Gehirn ausmachen.
 
  > Human Connectome Project
   
Schon ein small world network- Modell des Gehirns (rechts) kann Gedächtnisspuren entwickeln (rot: Knotenpunkte)

Die wichtigsten interkortikalen Verbindungssysteme im Gehirn sind
  der fasciculus longitudinalis superior, er zieht vom Frontal- zum Parietal- und Temporalhirn (Aufmerksamkeit, Handlungskontrolle);
  der fasciculus occipitofrontalis, er zieht vom Okzipital- zum Frontalhirn (Verarbeitung sensorischer Information);
  der fasciculus uncinatus, er zieht von Frontal- zum vorderen Temporalhirn (Emotions- und Sprachkontrolle);
  der fascuculus arcuatus, er zieht vom hinteren Temporal- zum Frontalhirn (Sprachkontrolle);
  das Cingulum (medial), es zieht vom Frontal- zum mediotemporalen Gehirn inklusive entorhinalem Kortex (Gedächtnisverarbeitung);
  der fasciculus longitudinalis inferior, er zieht vom Okzipital- zum Temporalhirn (Objekterkennung, Sprachverarbeitung);
  der fasciculus occipitalis verticalis, er zieht vom Okzipital- zum Parietalhirn (räumliche Wahrnehmung, Aufmerksamkeit).

Diese Fasersysteme stellen die "Autobahnen" der Informationsflüsse zwischen verschiedenen Teilen der Großhirnrinde dar - jeweils in der linken bzw. rechten Hirnhälfte. Dazu kommt der Balken (corpus callosum) - ein massives Fasersystem, das alle Teile des linken und rechten Kortex miteinander verbindet und so eine gekreuzte Informationsverarbeitung ermöglicht (vgl. dazu Lateralisation und split brain).

Die Leistungsfähigkeit des Gehirns hängt von zahlreichen Parametern ab (Durchblutung, Sauerstoff- und Glucoseangebot, Stoffwechsel, Zahl und Konnektivität von Neuronen, Isolation der Axone durch Myelinscheide u.a.). Der Energiedurchsatz des menschlichen Gehirns beträgt etwa 25 Watt (rund 1/4 des gesamten Grundumsatzes des Körpers, der
~100 W beträgt). Die Leistungsfähigkeit eines Nervenverbunds steht in Relation zur Komplexität des zu bewältigenden Rechenaufwandes.

Das Gehirn ist symmetrisch organisiert: Fast alle Strukturen sind bilateral vertreten - nur einige median gelegene Strukturen wie corpus callosum (Balken - bestehend aus Fasern, welche die beiden Hemisphären verbinden), Epiphyse (Zirbeldrüse) und Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) sind nicht paarig angelegt -, und die Repräsentation des Körpers ist im wesentlichen seitenverkehrt (die rechte Hirnhälfte korrespondiert mit der linken Körperhälfte und umgekehrt, die Gehirn und Körper verbindenden Nervenfasern kreuzen die Seite).

Großhirnrinde
 
     Als Hirnrinde (Kortex, Hirnmantel, Pallium, cerebral cortex) bezeichnet man die äußere, an Nervenzellen bzw. deren Somata und Dendritenbäumen reiche Schichte des Groß- (cortex cerebri) und Kleinhirns (cortex cerebelli). Die Großhirnrinde besteht zu ca. 90% aus dem sechsschichtigen Isocortex und zu ca. 10% aus dem drei- (olfaktorischer Kortex) bis vierschichtigen Allocortex (Palaeocortex, Periallocortex).

Die Oberfläche der Großhirnrinde einer erwachsenen Person - auf eine Ebene ausgebreitet - würde etwa 2200 cm2 betragen. Die Gehirnrinde enthält schätzungsweise 1,5 bis 2,0.1010 (15 bis 20 Milliarden) Neuronen (1 mm3 Gehirnrinde des Menschen enthält mehr als eine Milliarde Synapsen). Die Gesamtlänge der ~86 Milliarden Axone des Gehirns (Großhirn, Hirnstamm und Kleinhirn zusammengenommen) würde aneinandergereiht ungefähr 60.000 km betragen (1,5-mal der Erdumfang), und mit seinen
~1015 Synapsen   führt das Gehirn geschätzte 1016 Rechenoperationen pro Sekunde durch (jedes Neuron kann von anderen Neuronen über bis zu ~104  Synapsen kontaktiert werden).

Der Neokortex weist im Prinzip zwei Zelltypen auf: Pyramidenzellen und Sternzellen.
Pyramidenzellen finden sich vorwiegend in den laminae III, V und VI, Sternzellen eher in laminae II und IV. (Motorische Rindengebiete haben eine ausgeprägte lamina V, in sensorischen ist die lamina IV vorherrschend.)
  Pyramidenzellen (pyramidal cells) haben einenen ausgeprägten apikalen Dendrit ("Antenne") und an der Zellbasis mehrere basale Dendriten. Sie kommen in der lamina V als große Pyramidenzellen vor und projizieren (d.h. ihr Axon erstreckt sich bis) auf subkortikale Ziele, stellen also die Efferenz der Rinde dar. Kleine Pyramidenzellen finden sich in lamina III und projizieren auf benachbarte Ziele in der Hirnrinde (vertikale Kolumnen); diese Zellen haben assoziative Funktion.
  Sternzellen (stellate cells) bleiben mit ihren Fortsätzen in der Hirnrinde. Es gibt sie in zwei Varianten: Glatte Sternzellen (smooth stellates) sind inhibitorisch, nutzen GABA als Neurotransmitter und wirken als Interneurone, bedornte Sternzellen (spiny stellates) sind exzitatorisch und glutamaterg (s. weiter unten).

Zuleitende (afferente) Fasern zum Kortex stammen vor allem aus dem Thalamus, verzweigen sich vielfach im Bereich der laminae III und IV und erreichen vor allem Sternzellen (weniger Pyramidenzellen). Afferenzen aus der formatio reticularis des Hirnstamms haben einen breiter gestreuten, eher globalen Einfluss auf die Großhirnaktivität (Weckfunktion, Steuerung der Aufmerksamkeit).

Subkortikale
Strukturen sind an der Steuerung von Bewegungen und Regulierung von Emotionen beteiligt. Das Dienzephalon ordnet sensorische Information und steuert basale physiologische Funktionen. Das Mittelhirn hat vor allem grundlegende sensorische und motorische Aufgaben. Das an die Brücke gekoppelte Kleinhirn ist für die motorische Koordination unentbehrlich. Die medulla oblongata steuert vitale Körperfunktionen (z.B. Kreislauf, Atmung).


Über die embryonale Entwicklung des Kortex s. dort
    
Zur Geschichte der Hirnforschung s. dort  (externer Link)
  
 
Abbildung: Unterschiedliche Angriffszonen inhibitorischer Interneurone an einer Pyramidenzelle in der Großhirnrinde (Isokortex)
Nach einer Vorlage in Liqun Luo, Principles of Neurobiology, 2nd ed. CRC Press 2021

Die Axone der (glutamatergen) Pyramidenzellen (Dendritenbaum blau, Axon rot) projizieren aus dem Kortex. Ihre Erregungsgröße (Aktionspotentialbildung) wird durch GABAerge Interneurone gesenkt - u.a. Martinotti-, Korb- und Kandelaberzellen:
 
Martinotti-Zellen (Martinotti cells) dämpfen die Aktivität hocherregter Pyramidenzellen via axono-dendritischen Synapsen in oberen Rindenschichten
Korbzellen (basket cells) wirken nahe dem oder direkt auf das Soma der Pyramidenzellen (axono-somatisch) inhibierend
Kandelaberzellen (Kronleuchterzellen, chandelier cells) wirken ausschließlich auf das Axon der Pyramidenzelle (axono-axonal)

Synaptische Verschaltungen zwischen den kortikalen Neuronen folgen bestimmten Mustern, z.B. die Beeinflussung von Pyramidenzellen ( Abbildung):
 
    Die Mehrzahl der exzitatorischen (depolarisiernden) Synapsen findet sich auf dendritischen Dornenfortsätzen (dendritic spines) im Bereich der Dendriten - typischerweise ein präsynaptischer Input pro Dornenfortsatz.
 
    Inhibitorische Synapsen treten auf allen Teilen der Zielneurone auf - schwerpunktmäßig je nach Art des Interneurons: Martinotti-Zellen zielen auf distale Dendriten (und damit auf dendritische Spikes), Korbzellen auf den Zellkörper (und damit auf die Integration der Einflüsse von allen Dendriten), und Kandelaberzellen auf das Axon und damit auf die Triggerung von Aktionspotentialen. Diese Positionierung ermöglicht es inhibitorischen Synapsen, lokal auf die Erregungsbildung des Zielneurons Einfluss zu nehmen (Martinotti-Zellen hemmen die Bildung dendritischer Spikes, Korbzellen beeinflussen die Summe dendritischer Einflüsse auf den Axonhügel, Kandelaberzellen dämpfen direkt die Propagation axonaler Aktionspotentiale).

Die axonalen Endigungen (axon terminals) postsynaptischer Neuronen können ihrerseits synaptisch beeinflusst werden (z.B. durch Acetylcholin, Monoamine, Glutamat, GABA). Dabei wird nicht die Aktionspotentialfrequenz verändert, sondern die Effizienz der Freisetzung des Neurotransmitters.
 
Die Großhirnrinde des Menschen enthält etwa 16 Milliarden Nervenzellen, die in säulenförmigen Funktionseinheiten (Kolumnen, Minikolumnen) organisiert sind.

Die Gehirnrinde ist je nach Lokalisation auf bestimmte Aufgaben spezialisiert (z.B. motorisch, sensorisch, assoziativ). Der größte Teil (~90%) kann aus sechs Schichten aufgebaut gesehen werden
und wird als Isokortex (ίσος = gleich) bezeichnet. Davon grenzt man den Allokortex (άλλος = anders) ab, der sich vor allem im Riechhirn und Hippocampus findet (2-3 Schichten).

Inwieweit diese nach histologischen Merkmalen gegebene Einteilung mit der entwicklungsgeschichtlichen in Neokortex (Neopallium), Archikortex (Archipallium - Innenseite des Temporallappens: Hippocampus, gyrus dentatus, Fornix) und Paläokortex (Paläopallium: Riechhirn) übereinstimmt, ist nicht ganz klar.

Man unterscheidet folgende Gruppen kortikaler Neurone:
 
      Pyramidenzellen sind glutamaterg. Große Pyramidenzellen bauen die Efferenzen des Großhirns auf, ihre Axone verlassen den Kortex (Ausgang). Kleine Pyramidenzellen wirken assoziativ und projizieren auf kortikale Nachbargebiete.
 
      Körnerzellen (bedornte Sternzellen) empfangen extrakortikale Signale (Eingang) und dominieren die lamina IV, wo zahlreiche Afferenzen aus dem Thalamus und auch aus anderen Hirnregionen enden. Auch Körnerzellen sind glutamaterg.
 
      Interneurone. Sie sind meist GABAerg, wirken also dämpfend; man unterscheidet zahlreiche Formen (unbedornte Sternzellen, fusiforme Zellen, Marinotti-Zellen, Horizontalzellen, Doppelbuschzellen, Kandelaberzellen / Kronleuchterzellen, bipolare Zellen).
 

Abbildung: Entladungsmuster verschiedener kortikaler Neuronen
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Reizt man einzelne Nervenzellen der Großhirnrinde mit Gleichstrom (I), antworten diese mit unterschiedlichen Entladungsmustern (Vm: Membranpotential). Abszisse: Zeit in Millisekunden.
 
Inhibitorische Interneurone adaptieren nicht, sondern senden während der Reizdauer in regelmäßigen Zeitintervallen Aktionspotentiale
(oben).
 
Kleine Pyramidenzellen adaptieren, d.h. der zeitliche Abstand zwischen den Aktionspotentialen nimmt während des Reizes zu (Mitte).
 
Wieder andere (große Pyramidenzellen) antworten während der Reizung mit Salven (bursts) von Aktionspotentialen, getrennt durch Ruhephasen - sie generieren Entladungsrhythmen (unten)


Unterschiedliches Entladungsverhalten von Neuronen: Nervenzellen reagieren auf Stimulation mit verschiedenen Entladungsmustern ( Abbildung). Einige reagieren auf kontinuierliche elektrische Reizung mit fortdauernder Erregung (z.B. inhibitorische Neurone); andere adaptieren (z.B. kleine Pyramidenzellen); wieder andere beginnen sich rhythmisch zu entladen (z.B. große Pyramidenzellen). Solche Zellen wirken u.a. als Rhythmusgeneratoren in motorischen Kernen (z.B. im Atemzentrum).

Diese unterschiedlichen Entladungsmuster erklären sich durch den spezifischen Besatz der Zellmembranen mit Ionenkanälen. So exprimieren Neuronen unterschiedliche Sets langsamer Kanäle, die in verschiedener Weise an Dendriten, Soma und Axonhügel placiert sind. Getriggert werden sie vor allem vom aktuellen Membranpotential und der intrazellulären Calciumkonzentration.
 
Laminierung: Die Schichten des Isokortex und deren
wichtigsten Charakteristika sind die folgenden (Lamina I ist die äußerste - der pia mater anliegende -, Lamina VI die innerste, direkt an die weiße Substanz angrenzende Schicht):
 
    Lamina I = Molekularschicht (lamina molecularis) (molecular layer)
 
Diese Schicht enthält Axone afferenter Neurone,
die hindurchziehen und andere Kortexgebiete erreichen (Assoziationsfasern) sowie Dendriten von Neuronen aus tieferen Schichten, kaum Zellkörper
 
    Lamina II = Äußere Körnerschicht (lamina granularis externa) (external granular cell layer)
 
Enthält Sternzellen (Interneurone zwischen Pyramidenzellen), einige Pyramidenzellen

    Lamina III = Äußere Pyramidenschicht (lamina pyramidalis externa) (external pyramidal cell layer)
 
Hauptsächlich Pyramidenzellen, die über Assoziationsfasern mit anderen Rindengebieten verknüpft sind; einige Sternzellen. Mit der Tiefe nimmt die Größe der motorischen Neurone zu

    Lamina IV = Innere Körnerschicht (lamina granularis interna) (internal granular cell layer)
 
Erhält zahlreiche thalamische Eingänge, die hier enden, und kleine runde Neuronen ("granulärer Kortex"); Sternzellen stellen Verbindungen mit anderen Schichten her. Diese Schicht ist der wichtigste Addressat sensorischer Eingänge aus dem Thalamus, und ist in sensorischen Kortexarealen am stärksten ausgeprägt. Sie ist so komplex gestaltet, dass sie meist in drei Zonen unterteilt wird. Im motorischen Kortex ist die innere Körnerschicht so gut wie nicht vorhanden (daher "agranulärer" frontaler Kortex)

    Lamina V = Innere Pyramidenschicht (lamina pyramidalis interna) (internal pyramidal cell layer)
 
 
Ursprung zahlreicher Assoziations- und Projektionsfasern; Pyramidenellen projizieren auf Basalganglien, Hirnstamm, Rückenmark. Die Neurone sind größer als in der Lamina III

    Lamina VI = Multiforme Schicht (lamina multiformis) (multiform / polymorphic layer)
 
 
Neuronen projizieren auf den Thalamus, dieser projiziert zurück in die innere Körnerschicht (lamina IV)
     

Abbildung: Gehirnabschnitte und Funktionen (schematisch)

Das Bild zeigt exemplarisch Funktionsbereiche des Gehirns, bezogen auf seine anatomische Gliederung


Die Zusammenarbeit verschiedener Regionen der Großhirnrinde erlaubt komplexe kognitive Funktionen und die Ausbildung von Verhaltensmustern.

Die anatomische und funktionelle Organisation des Gehirns überlappen sich; auf bestimmte Funktionen spezialisierte Zentren
übernehmen jeweils Führungs- und Koordinationsrolle, wobei verschiedene Gehirnabschnitte ( Abbildung) involviert sein können und oft eng zusammenarbeiten. Funktionelle Studien offenbaren die erstaunliche Dynamik (und Individualität) bei der Aktivierung bestimmter Gehirnareale, wenn es um die Bewältigung spezifischer Aufgaben geht.

Der Ausfall eines Rindengebietes kann zumindest teilweise durch Umlernen kompensiert werden, indem intakte Kortexareale seine Funktion übernehmen.
 

Abbildung: Brodmann-Areale (BA)
Nach einer Vorlage in Purves DL, et al., eds. Neuroscience, 4th ed. Sunderland, MA: Sinauer; 2008

Oben: Laterale, unten: Mediale Ansicht. Einteilung nach zytoarchitektonischen Kriterien. Nicht für alle Brodmann-Areale ist die funktionelle Bedeutung bekannt
  
BA3, 1, 2: Primärer somatosensorischer Kortex - Störung: Verlust Propriozeption, Astereognosie, Agraphaesthesie

BA4: Primärer motorischer Kortex - Störung: Paralyse

BA5: Oberer Parietallappen - Störung: Astereognosie, Hemineglekt

BA6: Prämotorischer und supplementärmotorischer Kortex

BA7: Visuell-motorische Koordination

BA8: Enthält das frontale Augenfeld

BA9: Dorsales präfrontales Areal (Arbeitsgedächtnis, Entscheidungsfindung, soziales Erkennen)

BA10: Anteriorer Präfrontalkortex

BA11/12: Orbitofrontalkortex (Sensorische Integration, Entscheidungsfindung)

BA13/14/16: Inselkortex (Geschmack, Hören, Interozeption, Schmerz, Motorik, multimodale Verarbeitung)

BA15: Vorderer Temporalkortex

BA17: Primärer visueller Kortex

BA18/19: Assoziativer visueller Kortex

BA20: Unterer Temporalkortex (Objekterkennung)

BA21: Mittlerer Temporalkortex (Gesichtserkennung)

BA22: Teil des oberen Temporalkortex

BA23: Ventraler posteriorer Kortex des gyrus cinguli (Teil des limbischen Systems - Emotion, Gedächtnis, default mode network, Meditation)

BA24: Ventraler anteriorer Kortex des gyrus cinguli

BA25: Teil des ventromedialen Präfrontalkortex

BA26: Teil des retrosplenischen Kortex

BA27: Präsubiculum

BA28: Ventraler entorhinaler Kortex

BA29/30: Retrosplenischer Kortex (Episodisches Gedächtnis, Orientierung, Körpernavigation, Umweltbezug)

BA31/32/33: Teile des Kortex des gyrus cinguli (Teil des limbischen Systems - Emotion, Gedächtnis, default mode network, Meditation)

BA34: Dorsaler entorhinaler Kortex (auf gyrus parahippocampalis)

BA35/36: Teile des perirhinalen Kortex (Visuelles Erkennen, Kategorisieren, Gedächtnis)

BA37: Kortex des gyrus fusiformis (Farberkennung, Gesichts- und Körpererkennung, Spracherkennung)

BA38: Temporopolarer Kortex - Störung: Klüver-Bucy-Syndrom

BA39: Kortex des gyrus angularis (Teil des Wernicke-Zentrums?)

BA40: Kortex des gyrus marginalis (Teil des Wernicke-Zentrums?)

BA41/42: Auditiver Kortex

BA43: Primärer Geschmackskortex

BA44/45: Motorischer Sprachkortex (Broca-Zentrum)

BA46: Dorsolateraler Präfrontalkortex

BA47: Orbitaler Teil des unteren Frontalkortex

BA48: Retrosubicularer Kortex (medialer Temporalkortex)

BA52: Parainsulärer Kortex


Die Ausprägung dieser Schichten differiert je nach Hirnregion / Funktion; so sind die Pyramidenschichten in motorischen Gebieten stark, in sensorischen schwach ausgeprägt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellte Korbinian Brodmann eine auf zytoarchitektonischen Charakteristika beruhende Karte der Hirnrinde auf (Brodmann-Areale, Abbildung).

Dementsprechend wurden insgesamt etwa 50 Regionen definiert (je nach Zählweise); manche Gebiete werden weiter unterteilt, z.B. in 23a und 23b, area 52 liegt parainsulär.

Diese Einteilung hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren, ist aber erweitert worden: So kennt man heute mehr als 30 funktionell (elektrophysiologisch, konnektorisch) unterschiedliche visuelle Kortexareale (Brodmann identifizierte die visuellen areae 17 bis 21).
  
Transmitter: Etwa 80% der kortikalen Neuronen sind glutamaterg (und damit exzitatorisch): Pyramidenzellen (kleine in Schicht II und III, große in Schicht V) und Sternzellen (Schicht III und IV). Pyramidenzellen integrieren sehr zahlreiche synaptische Inputs und reagieren nur auf entsprechend "eindeutige" Exzitationsmuster (ausreichende Summation erregender Impulse führt zu Depolarisation über das Schwellenpotential hinaus) mit Aktionspotentialen.

Rund 20% der Neurone sind GABAerge (hemmende) Interneurone (Martinotti-Zellen, Korbzellen).

    Assoziationsfasern verbinden Kortexareale miteinander,
 
    Projektionsfasern den Kortex mit subkortikalen Teilen des ZNS (z.B. Thalamus, Brücke).
 
    Kommissurenfasern verbinden die beiden Hälften des Gehirns miteinander (über das corpus callosum).
 
  Wie korrespondieren Neuronengruppen?
 
  Zur Kommunikation von Neuronen s. auch dort
   

Dendriten EPSP, IPSP, Logische Operationen
 
Die Verbindungsstrategie zwischen den Nervenzellen ist Gegenstand intensiver Forschung. Man schätzt, dass die Summe aller Nervenfortsätze im menschlichen Gehirn eine Gesamtstrecke von fast 6 Millionen km Länge aufweisen - das wäre das ~15-fache der Entfernung Erde - Mond (0,38 Mio km). Dabei muss die "Verkabelung" angesichts der begrenzten Zahl genetischer Anweisungen relativ einfachen Prinzipien folgen.
 

Abbildung: Typische Verschaltungsmuster zwischen Neuronen
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 1st ed. Saunders 2003

Die Endverzweigungen von Axonen (präsynaptischer Apparat) können auf Dendriten bzw. deren Dornfortsätzen (dendritic spines), am Soma der Zielzelle, oder an deren Axon ansetzen (axodendritisch, axosomatisch, axoaxonal) - auch andere Verschaltungsmuster sind möglich


Vernetzung (wiring): Nervenzellen sind untereinander vernetzt, wobei einerseits eine Zelle mehrere andere synaptisch erreicht, andererseits jede Zelle von mehreren anderen erreicht wird (Divergenz, Konvergenz).

Dabei kann die Gewichtung der synaptischen Effizienz nicht nur unterschiedlich ausgeprägt sein (woraus sich bestimmte Muster ergeben, die von neuronalen Netzen erkannt werden), sondern diese Gewichtungen können sich auch ändern (wie das bei
Lernprozessen geschieht).

Die (postsynaptische) Zielmembran kann dendritisch (bzw. an einem Dornenfortsatz: dendritic spine, daher "axospinal" - 90% aller exzitatorischen Synapsen im ZNS), somatisch (Körper eines Neurons, nahe dem Zellkern) oder axonal gelegen sein. Aber auch dendrodendritische, somatosomatische und somatodendritische Synapsen wurden beschrieben. Dendro-dendritische Synapsen koordinieren die elektrische Aktivität benachbarter Dendritenbäume.

Die Vielfalt der Verschaltungsmöglichkeiten geht noch weiter: So können postsynaptische Zellen mittels Gasotransmittern (NO, CO) die präsynaptischen Endigungen zur Freisetzung von mehr Neurotransmitter anregen (retrograde Synapse). Neurotransmitter können auf größere Areale wirken und viele Neurone gleichzeitig beeinflussen (ektopische Übertragung). Axonale Varikositäten üben - ählich wie im peripher-autonomen System - einen stetigen Einfluss auf die neuronale Nachbarschaft aus (nondirected synapses). Solchermaßen werden ganze Gruppen von Neuronen funktionell koordiniert.

Schließlich gibt es auch elektrische Synapsen - über gap junctions kommt es zu direkter Beeinflussung des Membranpotentials benachbarter Neuronen. Im Gegensatz zu chemischen Synapsen gibt es hier praktisch keine Zeitverzögerung (~1 ms), gut für blitzartige Koordination, wie bei der Verschaltung von
Augenbewegungen steuernden Neuronen.
 
       
   Zur Ausbreitung von Aktionspotenzialen über kortikale Nervenzellen s. auch dort
 
Dendriten
 
Dendriten sind "Empfangsantennen" der Neurone. Während die Aufgabe des Axons die Generierung (am Axonhügel) und Weiterleitung (bis zu synaptischen Endigungen) von Aktionspotentialen ist, sammeln Dendriten (und Zellkörper) Informationen von anderen Neuronen ein, die über (axodendritische und axosomatische) Synapsen auf die Nervenzelle einströmen.

Dabei ist zu bedenken, dass die Übertragung der synaptischen Effekte (EPSPs, IPSPs) auf elektrotonischem Wege erfolgt, d.h. mit zunehmender Distanz Synapse-Axonhügel an Amplitude abnimmt. Je näher die Synapse am Axonhügel liegt, desto stärker ist ihr Effekt. Das kann durch verstärkte Synapsenwirkung distaler Synapsen wettgemacht werden, die Synapsengröße (und damit ihre Wirkamplitude) kann variieren. Insgesamt bestehen zahlreiche Möglichkeiten der Modifikation synaptischer Effekte bei der "Verrechnung" unterschiedlicher Eingänge am Dendritenbaum, was sich auf die Summation der synaptischen Potentialveränderungen auswirkt.
 

Abbildung: Chemische Synapse
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 1st ed. Saunders 2003

Synapsen nutzen eine Vielzahl von Transmittern, sind unterschiedlich groß, nutzen verschiedene Rezeptoren und postsynaptische Wirkungsmechanismen


Besonders häufig sind axospinale / axodendritische Synapsen. Die Ausstattung derer postsynaptischen Membran mit Ionenkanälen ist unterschiedlich: Spannungsabhängige Natrium- und  Calciumkanäle (und andere) sind in variierender Dichte vertreten, und der Besatz mit Ionenkanälen bestimmt das elektrische Antwortverhalten auf eingehende Reize. Die Membran der Dendriten ist meist weniger dicht mit spannungsgesteuerten Natriumkanälen besetzt als diejenige der Axone; dennoch übertragen sie lokale Depolarisierungseffekte besser als bei rein passiver (elektrotonischer) Ausbreitung. Resultierende exzitatorische Potentiale (EPSPs) bleiben meist unterschwellig und nehmen an einem räumlich breiteren Integrationsprozess im Bereich des Dendritenbaums teil.

Dabei spielen spannungsgesteuerte Permeasen (voltage-gated channels) eine wichtige Verstärkerrolle; sie können das postsynaptische Signal auf weite dendritische Strecken hin wirksam halten, ohne überschwellig zu wirken, d.h. Aktionspotentiale zu bilden. Aber auch Aktionspotentiale des Axonhügels können auf Dendriten rückwirken, verstärkt durch die Aktivierung spannungsgesteuerter Natriumkanäle.

An einigen Nervenzellen sind diese spannungsgesteuerten Ionenkanäle so dicht gepackt, dass sie - wie Axone - Aktionspotentiale generieren (z.B. an Purkinje-Zellen des Kleinhirns). Dies sind
Calciumpotentiale, die aber auf den Bereich der Dendriten beschränkt bleiben; ab dem Soma bzw. Axon "übernehmen" Natrium-abhängige Aktionspotentiale das Geschehen. Diese - wesentlich rascher ablaufenden - "Natrium-Spikes" propagieren über das Axon, in der Purkinjezelle aber kaum retrograd auf den Dendritenbaum.

Anders ist das z.B. in einigen Pyramidenzellen der Großhirnrinde, die auch im Dendritenbaum Spikes generieren; diese sind natrium- oder calciumabhängig, oder beides. Meist ist der Dendritenbaum aber unterschwellig-integrierend aktiv.


"Für ihre Entdeckungen zur Signalübertragung im Nervensystem" wurde der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2000 dem Schweden Arvid Carlsson, dem US-Amerikaner Paul Greengard und dem in Wien geborenen Eric Kandel zugesprochen. Während Carlsson die Rolle des Dopamins entdeckte und Greengard an Neuriten komplexer Gehirnpräparate arbeitete, wählte Kandel für seine Studien eine Meeresschnecke (Aplysia californica) als einfachen Modellorganismus, von dessen sehr großen Neuronen Potentialverläufe leicht ableitbar sind, der aber bereits Lernfähigkeit zeigt.
 
Summation und logische Operationen, EPSP / IPSP
 

Die auf einzelne Neuronen eintreffenden synaptischen Einflüsse ( Abbildung) sind in ihrer Wirkung teils

        bahnend (depolarisierend: exzitatorische postsynaptische Potentiale, EPSPs - durch vermehrten Einstrom und/oder verringerten Ausstrom positiver Ladungsträger) oder

    
   hemmend (inhibitorische postsynaptische Potentiale: IPSPs - z.B. durch Erhöhung der Chloridpermeabilität) auf die allfällige Generierung von Aktionspotentialen.
 

Abbildung: Konvergenz hemmender (inhibitorischer) und erregender (exzitatorischer) synaptischer Einflüsse an einer Nervenzelle
Nach einer Vorlage bei Pearson Education 2000

Dendriten verfügen je nach Zelltyp (unterschiedlich verteilt) über Na+- und (hauptsächlich) Ca++-Kanäle, sie verstärken oft synaptische Effekte auf das Membranpotential, aber sie bilden im Allgemeinen nicht selbst Aktionspotentiale.
  
Der Dendritenbaum hat integrierende Funktion, er "summiert" synaptische Effekte (EPSPs, IPSPs), die pro Sekunde in die Hunderte gehen können.
  
Der Zellkörper mit dem Axonhügel ist besonders dicht mit Na+-Kanälen ausgestattet, die empfindlich eingestellt sind, den Axonhügel besonders erregbar machen (Triggerzone: niedrige Reizschwelle) und so zum physiologischen Ausgangspunkt von Aktionspotentialen machen


  Näheres zu postsynaptischen Potentialen und Summation s. dort
 
Wie sich das Membranpotential ändert, wenn in der betreffenden Membran eine bestimmte Art von Ionenkanälen öffnet, hängt von der Lage des Gleichgewichtspotentials E (E für equilibrium) ab: Dies ist der Betrag desjenigen Membranpotentials Vm, bei dem keine Diffusion eines bestimmten Ions stattfindet.


Abbildung: Gleichgewichtspotentiale (E) und elektrochemische Gradienten für Natrium, Kalium, Calcium, Chlorid: Übersicht
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Pfeile geben den elektrochemischen Gradienten für das jeweilige Ion bei einem Ruhepotential (strichlierte Linie) von -80 mV an. Die Lage des Chlorid-Gleichgewichtspotentials ist gewebeabhängig


Dabei hängt dieser Betrag von den gegebenen Konzentrationswerten des betreffenden Ions (innerhalb und außerhalb der Membran) ab; z.B. beträgt [E] für Chlorid bei vielen Zelltypen etwa -47 mV ( Abbildung), d.h. bei dieser (geringen) Membranspannung fließt kein Cl- durch die Zellmembran (Öffnung der Chloridkanäle bei diesem Potentialbetrag ändert nichts am Membranpotential). Bei Skelettmuskelfasern hingegen beträgt [E] für Chlorid -89 mV; bei einem Ruhepotential von -80 mV würde eine Öffnung von Chloridkanälen daher zu Chlorideinstrom führen (extrazelluläre Konzentration höher als intrazelluläre) und die Zelle somit stärker aufladen.

Tatsächlich
funktionieren viele inhibitorische (hemmende) Synapsen so, dass sie die Öffnungswahrscheinlichkeit für Chlorid- und/oder Kaliumkanäle erhöhen und dadurch die Membran der postsynaptischen Zelle hyperpolarisieren.

Inhibitorische postsynaptische Potentiale (IPSPs) sind durch Erhöhung des Chlorideinstroms durch die postsynaptische Zellmembran bedingt - oder durch vermehrten Kaliumausstrom. Dies wird bei experimenteller Manipulation des Membranpotentials ersichtlich, wenn dabei die Spannungsänderung jeweils nach Aktivierung der Synapse registriert wird ( Abbildung):
 

Abbildung: Effekt der Aktivierung von IPSP-Synapsen bei unterschiedlichem Membranpotentialbetrag (blau)

Absinken der Kurve = Hyperpolarisierung, Anstieg = Depolarisierung.
  
Das Cl--Gleichgewichtspotential liegt bei etwa -70mV. Ausgehend vom "Ruhezustand" (Membranpotential ~-60mV) führt Aktivierung der IPSP-Synapse ( Abbildung unten) zu Hyperpolarisierung und damit zu Inhibition (erschwerter Erregbarkeit der postsynaptischen Zelle)


     Liegt das Membranpotential unter dem Betrag des Chlorid-Gleichgewichtspotentials (wie beim Ruhepotential), kommt es zu Einstrom von Cl- und Verstärkung der intrazellulären Negativität, also Hyperpolarisierung (inhibitorischer Effekt)

     Liegt das Membranpotential auf dem Betrag des Chlorid-Gleichgewichtspotentials, tut sich gar nichts

     Liegt das Membranpotential über dem Betrag des Chlorid-Gleichgewichtspotentials, strömt Chlorid aufgrund des starken elektrischen Gradienten aus der Zelle; Reizung der Synapse führt zu Depolarisierung (reversal potential).

Als typischer exzitierender Transmitterstoff gilt Glutamat
(s. unten), als inhibierende Glycin (z.B. Renshaw-Selbsthemmung motorischer Vorderhornzellen) und GABA (γ-Aminobuttersäure). Allerdings ist die synaptische Wirkung nicht vom Transmitter abhängig, sondern davon, welche Vorgänge die Aktivierung seiner Rezeptoren in der Empfänger-Zellmembran auslöst ( s. dort).
 
Prä- vs. postsynaptische Hemmung ( Abbildung):

    IPSP-Synapsen (violettes Neuron) hemmen direkt am Neuronenkörper (axo-somatische Synapse), indem sie das Membranpotential erhöhen (vorausgesetzt, der Betrag des Membranpotentials ist geringer als der Betrag des Chlorid-Gleichgewichtspotentials) und dadurch die Erregbarkeit senken (größere Entfernung des Membranpotentials vom Schwellenpotential). Man spricht von postsynaptischer Inhibition.

 
  Greifen axo-axonale Synapsen (grünes Neuron) direkt an einer exzitatorischen Synapse an, indem sie diese vordepolarisieren, dann senken sie dadurch den Effekt des Neurons (hellbraun), das einen exzitierenden Transmitter (meist Glutamat) abgibt.

Hier wird also durch Hintereinanderschaltung zweier exzitatorischer Prinzipien insgesamt eine Reduktion des Exzitationserfolgs erreicht (Abschwächung der Auswirkung von Aktionspotentialen eines "EPSP-Neurons").
 
Distanz der Synapse vom Axonhügel: Über das Neuron und seine Fortsätze breiten sich synaptische Potentialänderungen (EPSPs, meist ausgehend von der Dendriten-Peripherie: Typ-I-Synapsen; IPSPs, meist mit somanahem Ausgangspunkt: Typ-II-Synapsen) elektrotonisch über die Membran aus. Das bedeutet, dass Synapsen in der Nähe des Axonhügels (von dem Aktionspotentiale ausgehen) einen relativen "Vorteil" haben: Ihr Synapseneffekt schwächt sich auf dem kurzen Weg zum Axonhügel weniger ab als der einer weiter entfernt liegenden Synapse.
 
Neurone kompensieren dieses Faktum oft dadurch, dass sie in der Peripherie Synapsen mit höherer Wirkung tragen (höhere Rezeptordichte als bei "zentralen" Synapsen).
 
Axo-axonale Synapsen wiederum haben kaum Wirkung auf den Axonhügel; vielmehr modifizieren sie den Effekt anderer präsynaptischer Terminals (präsynaptische Inhibition oder Fazilitation).
 
Die Synapsenfunktion wird in vielfacher Weise durch die extrazelluläre Matrix beeinflusst: Diese stabilisiert die synaptische Konnektivität und damit auch Lernen und Gedächtnis. Synaptische Aktivität modifiziert die extrazelluläre Matrix, die Bildung dendritischer Filopodien und das Auswachsen von Dendritenfortsätzen (spines); umgekehrt stabilisiert die Matrix in dynamischer Weise neuronale Schaltkreise ( Abbildung).
   

Abbildung: Extrazelluläre Matrix und synaptische Plastizität
Nach Dityatev A, Schachner M, Sonderegger P. The dual role of the extracellular matrix in synaptic plasticity and homeostasis. Nature Rev Neurosci 2010; 11: 735-46

Reelin bindet an Very-low-density lipoprotein- (VLDLR) und Apolipoprotein E-Rezeptoren (APOER2).
  
Diese interagieren mit Adapterproteinen (DAB1, Disabled-1, Komponente im Reelin-Signalweg), dieses wiederum aktiviert Src-Tyrosinkinasen (SFK) und phorphoryliert / aktiviert NMDAR (N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoren).
  
Hyaluronsäure und das Glykoprotein Tenaszin C unterstützen die Aktivität neuronaler L-Typ-spannungsabhängiger Calciumkanäle (LVDCC). Der Ca++-Einstrom durch NMDAR und LVDCC etabliert die Langzeitpotenzierung
  
    AMPAR, α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazole propionic acid receptor - s. dort    PSD95, postsynaptic density protein 95 - auch SAP-90 (synapse-associated protein 90 -, eine membran-assoziierte Guanylat-Kinase

  
    Reelin   ist ein von frühembryonalen Neuronen (Cajal–Retzius-Zellen) sezerniertes, aus verschiedenen Subdomänen bestehendes Glykoprotein. Es bindet an Very-low-density lipoprotein-Rezeptoren und Apolipoprotein E-Rezeptoren (s. dort), fördert die Neurogenese im wachsenden Gehirn, kontrolliert zelluläre Interaktionen, beteiligt sich an der Steuerung der Migration und Positionierung von Nervenzellen, regt die Bildung von Dendriten (Spines) an und festigt das Langzeitgedächtnis.

  Die Signalübermittlung zwischen den Zellen erfolgt in verschiedenen Zeitbereichen:

     Millisekunden
(Aktionspotential, rasche Transmitter: spannungs- und ligandenaktivierte Ionenkanäle)
  
     Sekunden bis Minuten (langsame Transmitter, Neuromodulation, synaptische Plastizität: G-Proteine, second messenger)
  
     Stunden (neuroaktive Drogen: Rezeptor up-/down-Regulation) - oder auch länger (Remodelling: veränderte Genexpression). Für all diese Aktivität verbraucht das Gehirn gerade einmal ~20 Watt Energie (ein Notebook verbraucht ~40 Watt oder mehr) - korrespondierend zu einer Durchblutung von ~0,7-0,8 l/min und entsprechend einem Sauerstoffverbrauch von ~50 ml/min, das sind knapp 20% des gesamten O2-Verbrauchs des (körperlich ruhenden) Menschen (das Gehirngewicht beträgt ~2% des Körpergewichts). Beim Neugeborenen beträgt der Anteil sogar >60% des Sauerstoffverbrauchs. Etwa 4/5 des Energieverbrauchs im Gehirn wird für Informationsaustausch (Kommunikation in neuronalen Netzwerken) aufgebracht, der Rest zur Strukturerhaltung.

Interdisziplinäre Erforschung der Informationsverarbeitungsvorgänge im Gehirn ist das Gebiet der Computational Neurosciences. Mathematische Modellierungen werden auch zur Analyse von Musterbildung und -erkennung genutzt. Neuronale Netzwerke sind funktionelle Muster, nach denen miteinander verschaltete Neuronen bestimmte Aufgaben und Fähigkeiten annehmen. Zu den mit solchen Fragen befassten Gebieten gehören die Neuroinformatik und die Beschäftigung mit "künstlicher Intelligenz".
 
Neurotransmitter
vgl. dort
  
An den Synapsen wirken zahlreiche Überträgersubstanzen, die z.T. depolarisierend (erregend), hyperpolarisierend (hemmend), anderweitig modifizierend (Cotransmitter, wie Substanz P, vasoaktives intestinales Peptid (VIP), Neuropeptid Y) oder als Gasotransmitter wirken (Stickstoffmonoxid).

Werden Transmitter vor Ort gebildet, müssen die erforderlichen Enzyme vorhanden sein - die Synthese erfolgt im Soma des Neuriten, wo es raues endoplasmatisches Retikulum mit Ribosomen gibt, die Translation stattfinden kann und nach Passage durch den Golgi-Apparat proteinhaltige Vesikel entstehen. Wie gelangen diese in die präsynaptischen Zonen der Peripherie?
 

Abbildung: Schneller axonaler Transport
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Zellorganellen können mit einer Geschwindigkeit von ~400 (anterograd) bzw. ~200-300 mm/Tag (retrograd) durch das Axon einer Nervenzelle transportiert werden. Dieser "schnelle" Transport beruht auf der Aktivität von Transportproteinen: Kinesin für den anterograden, MAP-1C (E-Dynein) für den retrograden Transport
 
ER = Endoplasmatisches Retikulum


Um Vesikel mit neu gebildeten Proteinen in hinlänglichem Tempo in die axonale Peripherie zu bringen, bedarf es eines Vorganges, der als schneller axonaler Transport (fast axoplasmic transport) bezeichnet wird:

Dieser erfolgt entlang von Mikrotubuli, die mit ihrem Minus-Ende beim Soma beginnen und mit dem Plus-Ende in der Peripherie enden. Dadurch ist eine "Transportordnung" für Motorproteine gegeben:
Kinesin
moleküle bringen Passagiere mit
~400 mm in 24 Stunden vom Zellkörper weg (anterograd: zum Plus-Ende),
Dyneine (wie MAP-1C: MAP = microtubule associated protein) etwas langsamer - mit 200 bis 300 mm in 24 Stunden - zum Soma hin (retrograd: zum Minus-Ende der Mikrotubuli, Abbildung).

    Zu antegradem / retrogradem Transport s. auch dort

Da Axone über so gut wie keine Ribosomen verfügen (im Gegensatz zum Soma und Dendriten), müssen Proteine aus dem zentralen Zellkörper zum Axonende bzw. dessen Verzweigungen gebracht werden
:

     Enzyme, die sich an der Synthese des Transmitters beteiligen - z.B. Dopa-Decarboxylase zur Umwandlung von DOPA in Dopamin oder Dopamin-ß-Hydroxylase zur Bildung von Noradrenalin. Der so gebildete Neurotransmitter wird vesikulär gespeichert und bei Erregung vesikulär freigesetzt;
  
     Propeptide, aus denen in der Peripherie ein Peptid-Neurotransmitter abgespalten, vesikulär gespeichert und bei Erregung vesikulär freigesetzt wird.

Solche Moleküle - auch Lipide und Polysaccharide - befinden sich in oder heften sich außen an transportierte(n) Zellorganellen (Vesikel und Mitochondrien), die von Kinesinen und Dyneinen ("brain dynein": MAP-C1) an den Mikrotubuli entlang "geschleppt"werden. Der retrograde schnelle Rücktransport zum Soma betrifft Wachstumsfaktoren wie NGF, die auf diese Weise Information von der Peripherie zum Zellkörper bringen (wie der Mechanismus aussieht, ist nicht ganz klar - vielleicht über "signaltragende" Endosomen).
 
Neben dem schnellen gibt es auch einen langsamen axonalen Transport: Dessen Mechanismus ist unklar (vielleicht wie schneller Transport, nur mit zahlreichen Unterbrechungen), auch er erfordert ATP und intakte Mikrotubuli. Er bewegt Neurofilamente, mikrotubuläre Bestandteile und andere Elemente des Zytoskeletts, sowie lösliche Proteine mit einer Geschwindigkeit von 0,2 bis 8 mm pro Tag.

Ist die Nervenzelle erregt, gibt sie einen kleinen Teil des in der Axonperipherie gespeicherten Transmitters aus den unmittelbar präsynaptisch liegenden Vesikeln frei. Die Freisetzung der Neurotransmitter aus den Speichervesikeln ist ein präzise kontrollierter Vorgang:
   

Abbildung: Regulierte Exozytose (Modell) und SNARE-Komplex
Nach Seino S, Shibasaki T. PKA-Dependent and PKA-Independent Pathways for cAMP-Regulated Exocytosis. Physiol Rev 2005; 85: 1303-42

Sekretorische Vesikel werden zunächst für die Anlagerung an die Außenmembran bestimmt (targeting). Schlüsselkomponenten für die Anlagerung (docking), Vorbereitung (priming) und Herstellung einer offenen Verbindung mit dem Extrazellulärraum (Fusion) sind am SNARE-Komplex beteiligte Proteine wie
  
    Munc- (mammalian uncoordinated) Proteine, verankern Vesikel    Rab3 (Ras-related), an Ca++-abhängiger Exozytose beteiligte Proteine    RIMs (Regulating synaptic membrane exocytosis proteins), Familie zur Ras-Superfamilie gehörenden Proteine, die an der Vesikel-Exozytose beteiligt sind    SNAP-25 (Synaptosomal nerve-associated protein), Teil des SNARE-Komplexes    spannungsabhängige Caclciumkanäle s. dort    Synaptotagmine, Syntaxine s. dort   VAMP (vesicle-associated membrane protein), Familie vesikelassoziierter Proteine


SNAREs (Soluble N-ethylmaleimide-sensitive-factor attachment receptors) sind Proteinkomplexe in präsynaptischen Vesikeln, welche an der Fusion von Membranen beteiligt sind - wie bei Transmitter-Exozytose in den synaptischen Spalt ( Abbildung). Sie bilden Membranporen aus, durch welche der Transmitter aus dem Vesikelspeicher entweichen kann.
 
  Näheres zu SNARE-Proteinen s. dort
 
Man kennt mehr als 100 Neurotransmitter. Sie können an verschiedenen Stellen des beeinflussten Neurons zur Wirkung kommen; je nach der Lokalisation unterscheidet man
  
     axono-dendritische Synapsen (wirken auf Dendriten),
  
     axono-somatische Synapsen (wirken auf einen Zellkörper) oder
  
     axono-axonale Synapse (wirken auf ein Axon).

Meist wirken axonodendritische Synapsen exzitatorisch (depolarisierend), axonosomatische und axono-axonale inhibierend (hyperpolarisierend). Die Lage der Synapse hängt mit der jeweiligen Verschaltungsstrategie zusammen.

 
  Zu Neurotransmittern s. auch dort
 


Glutamaterg GABA- und glycinerg Projektionen aus dem Hirnstamm
 
Glutamat
    Der wichtigste erregende (depolarisierende) Transmitter im Gehirn ist Glutamat ( Näheres s. dort).

L-Glutamat bindet an entsprechende Rezeptoren (z.B. NMDA) und reduziert das Membranpotential der nachgeschalteten Zelle. Es findet sich an der Mehrzahl von Synapsen, welche dem Aufbau von Aktionspotentialen dienen. Glutamatrezeptoren können Ionenkanäle sein (NMDA-, AMPA-Rezeptoren) oder metabotrop (G-Protein-gekoppelt) funktionieren.

Glutamat wird im präsynaptischen Apparat vesikulär gespeichert und bei Erregung freigesetzt. Sie binden an - metabotrope und ionotrope - Glutamatrezeptoren und wirken postsynaptisch anregend (depolarisierend). Dabei können postsynaptisch einfache Exzitation, aber auch Langzeiteffekte (Potenzierung) auftreten, die am Aufbau von Gedächtniselementen beteiligt sind. Auch modulierende Einflüsse auf die neuronale Nachbarschaft können auftreten (Volumentransmission: Langsam fortschreitende extrazelluläre Informationsausbreitung).

Glutamat ist der führende Transmitter im ZNS, es kann aber in höherer Wirkdosis auch höchst toxisch wirken - ein Phänomen, das als Exzitotoxizität (excitotoxicity) bezeichnet wird (
Abbildung).
  

Abbildung: Glutamatbedingte Exzitotoxizität
Modifiziert nach einer Vorlage in Ritter / Flower / Henderson / Loke / MacEwan / Rang, Rang & Dale's Pharmacology, 9th ed. Elsevier 2020

Der Schlüsselfaktor der toxischen Wirkung erhöhter Glutamatwirkung auf Nervenzellen ist eine Erhöhung der zytoplasmatischen Ca++-Konzentration. Die Abbildung zeigt links schädigende ("Schurken"), im hellen Feld rechts protektive Faktoren / Mechanismen ("Helden").
 
Glutamat bindet an NMDA-, AMPA-  und metabotrope Rezeptoren.

Exzitotoxische Wirkungen ("Schurken"):
 
 Aktivierung von AMPA-Rezeptoren (2) führt zu Natriumeinstrom und Depolarisierung. Diese hebt den Magnesiumblock von NMDA-Rezeptoren auf (1) und öffnet spannungsabhängige Calciumkanäle (4) - beides lässt Ca++ in die Zelle einströmen.
 
Aktivierung metabotroper Rezeptoren (3) führt über IP3 zu Entspeicherung von Ca++ aus dem endoplasmatischen Retikulum. Der Einstrom von Na+ (2) regt den Na/Ca-Austauscher an und steigert so den Calciumspiegel im Zytoplasma.
 
Die Depolarisierung der Zelle hemmt ihre Aufnahme von Glutamat (6), was seine extrazelluläre Konzentration (und damit seine exzitotoxische Wirkung) weiter steigert.
 
Mitochondrien fungieren normalerweise als Ca++-"Fänger" (wie das endoplasmatische Retikulum). Erhöhte Calciumlast überfordert die Mitochondrien, senkt ihre ATP-Synthesekapazität und führt zur Bildung von Sauerstoffradikalen (ROS: reactive oxygen species). Diese tragen zu Membranschäden bei, wie auch Stickstoffmonoxid und Proteasen. Die beschädigte Membran lässt dann Ca++ aus dem Extrazellulärraum unkontrolliert in die Zelle eindringen.

Protektive Wirkungen ("Helden"):
 
Zu den Faktoren, die normalerweise das zytoplasmatische [Ca++] niedrig halten (und damit verbundene toxische Effekte verhindern), gehören die Aktivität des Glutamattransporters (6), der Calciumpumpe der Zellmembran (7) und indirekt die der Na/K-Pumpe (8).

Glu = Glutamataufnahme, IP3 = Inositoltriphosphat, NMDA = ionotroper Glutamatrezeptor, NO = Stickstoffmonoxid, ROS = Sauerstoffradikale, SOD = Superoxid-dismutase, VDCC = spannungsgesteuerter Calciumkanal


Exzitotoxizität:  Schädigung der Zellen (Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall, neurodegenerative Erkrankungen) kann durch Überstimulierung (vermehrte Glutamatwirkung) Nervenzellen schädigen. Schlüsselfaktor dabei ist ein übermäßiger Anstieg des [Ca++] im Zytoplasma - durch übermäßigen Ca++-Einstrom in die Zelle (Na/Ca-Austauscher: Glutamatbedingte Anregung von Natriumkanälen und NMDA-Rezeptoren, Depolarisierung spannungsabhängiger Calciumkanäle) sowie intrazelluläre Entspeicherung (metabotroper Glutamatrezeptor → IP3 endoplasmatisches Retikulum). Die Nervenzellen werden übererregt oder sterben sogar ab. (Gegenmaßnahme: Gabe von Rezeptorantagonisten.)
  
Hemmende (hyperpolarisierende) Transmitter sind GABA und Glycin:
 
GABA
  GABA ( Näheres s. dort)

γ-Aminobutyrat (gamma-aminobutyric acid, GABA) wirkt über verschiedene GABA-Rezeptoren. GABA hemmt postsynaptisch die neuronale Übertragung, indem es über ionotrope Rezeptoren (GABAA - an die z.B. Barbiturate binden) oder metabotrope Rezeptoren (GABAB) das Membranpotential stabilisieren bzw. erhöhen (über IPSPs).

Glia-Recycling: GABA wird nach seiner Freisetzung von Astrozyten aufgenommen und mitochondrial zu Glutamat umgewandelt. Schließlich wird dem präsynaptischen Neuron Glutamin für die Transmittersynthese wieder zur Verfügung gestellt.
 
Glycin

      Glycin ( Näheres s. dort)

Glycin wirkt über den Glycinrezeptor u.a. dämpfend auf die Erregbarkeit motorischer Vorderhornzellen (Renshaw-Hemmung). Glycin öffnet Chloridkanäle und hyperpolarisiert (über IPSP's) die Zielzelle.
 
Hirnrinde, Bewusstsein, Aufmerksamkeit und Hirnstamm
   vgl. dort

     Unter Aufmerksamkeit (attention) versteht man einen kognitiven Vorgang, bei dem das Bewusstsein auf bestimmte Inhalte fokussiert wird. Von Vigilanz spricht man, wenn die Aufmerksamkeit auf Ereignisse ohne besonderen Neuigkeits- bzw. Überraschungswert gerichtet ist (auch "Wachheit", z.B. beim Autofahren).

     Der Begriff Bewusstsein (consciousness) hat mehrere Bedeutungen, wie z.B.: Ein Zustand, bei dem Reize nicht nur aufgenommen, sondern auch erlebt werden und der sich vom Schlafzustand oder von Bewusstlosigkeit unterscheidet. Um bei Bewusstsein zu sein, bedarf es jedenfalls der gleichzeitigen Aktivität mehrerer Gehirnregionen - insbesondere der Großhirnrinde, des Thalamus und des Hirnstamms.

Ein Aktivitätsgrad und Funktionsmodus der Großhirnrinde, wie er mit dem Zustand des Wachseins und der Aufmerksamkeit vereinbar ist, bedarf einer Anregung durch Systeme, die im Hirnstamm wurzeln und breit in das Großhirn hinein projizieren. Diese Weckfunktion (arousal) geht im Wesentlichen von Neuronengruppen im Bereich des Hirnstamms aus (
Abbildung):

 
Abbildung: Noradrenerge, serotoninerge, dopaminerge und cholinerge Projektionen aus dem Hirnstamm
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 1st ed. Saunders 2003

Noradrenerge Neuronengruppen finden sich im Bereich der Brücke und der medulla oblongata, insbesondere im locus coeruleus. Projektionen erfolgen u.a. als mediales Vorderhirnbündel (aszendierend zu Großhirnrinde, Hippocampus und Hypothalamus, Kleinhirn) und deszendierend in das Rückenmark.

Dopaminerge Projektionen aus dem Hirnstamm erfolgen über vier Hauptwege: Nigrostriatal (motorische Kontrolle), mesolimbisch (Emotion und Belohnung), mesokortikal (Emotionen) und tuberohypophysär (Kontrolle der Hypophyse).

Serotoninerg sind Neurone in den Raphekernen. Diese projizieren in Großhirnrinde, limbisches System, Hypothalamus und Rückenmark und beeinflussen Verhalten, Stimmung, Emotionen, Schlaf, Schmerzempfinden, Körpertemperatur.

Cholinerge Neuronen projizieren in weite Hrinbereiche, u.a. Cortex cerebri, Septum, Hippocampus, Striatum, nucleus accumbens. Sie beteiligen sich am Weckverhalten (arousal), Bewegungskontrolle, Kurzzeitgedächtnis, Lernvorgängen.
  
     Über Acetylcholin, Katecholamine, Serotonin vgl. Hirnstammprojektionen      Zu Histamin, ATP s. dort      Zu Tachykininen und Opioiden s. dort


Diese stammesgeschichtlich älteren Hirnanteile haben zahlreiche motorische, sensorische, vegetative und hormonelle Funktionen und erfüllen außerdem emotionale, stimmungs- und aufmerksamkeitssteuernde Aufgaben.

Kerne im Hirnstamm - wie nucleus ruber, formatio reticularis, Vestibulariskerne, Atem- und Kreislaufzentrum - erfüllen lebenswichtige Funktionen. Dazu gehören die Stabilisierung des Körpers gegen die Wirkung der Schwerkraft (Halte- und Stellreflexe), die Anpassung der Gehbewegungen an die Geschwindigkeit der Fortbewegung, Schutzreflexe wie der Korneal-, Husten-, Nies- und Würgereflex.

Einige Kerne haben Projektionen in praktisch alle anderen Teile des Gehirns und wirken z.B. anregend und aufmerksamkeitssteigernd, modulierend und belohnend. So entsteht ein Netzwerk anregender Impulsmuster ("task positive network"), die in bestimmten Situationen und Befindlichkeiten unterschiedliche Orte der Großhirnrinde in variierender und dynamischer Weise anregen (s. dazu gängige Modelle in der nächsten Abbildung).

Als funktionellen Gegenpol zum arousal - Alertheit, zielorientierte Aufmerksamkeit, Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen - kann man einen Aktivitätsmodus des Gehirns sehen, wie er im Zustand des Entspanntseins, "Tagträumens", Nachsinnens bzw. Grübelns auftritt und der von der Tätigkeit eines als default mode network (DMN) - oder auch als "task negative network" - bezeichneten kortikalen Netzwerks abhängt ( s. dort).

Beide Zustände - die Konzentration auf die Auseinandersetzung mit der aktuellen Situation des Organismus in seiner Umwelt einerseits (arousal), der Zustand innerer Reflexion andererseits (default mode) - fallen in den Rahmen des "Bewusst-Seins": Der aktuelle Bezug zu Abläufen in der Umwelt bleibt bestehen, das Frontalhirn vermittelt die Einordnung der Person in den real vorhandenen aktuellen Umweltzusammenhang, man ist sich des "Hier und Jetzt" bewusst.

Ein ganz anderer Aktivitätsmodus stellt sich im Schlaf ein: Hier geht der Konnex zwischen dem "inneren Ich" und den Ereignissen der Umwelt verloren, und in Traumphasen gibt das Frontalhirn Assoziationen frei, die nicht mehr an die realen Abläufe des Augenblicks gebunden sind.

 

Abbildung: Netzwerkmodelle der Aufmerksamkeit
Nach einer Vorlage in Banich / Compton, Cognitive Neuroscience, 4th ed. 2018, Cambridge Univ. Press

Oben: Modell nach M. Mesulam. Die formatio reticularis aktiviert die Großhirnrinde, der hintere Parietalkortex entwirft eine sensorische Karte der Umwelt, der gyrus cinguli gewichtet nach der Bedeutung für die Motivation, das Frontalhirn steuert motorische Programme für die Interaktion mit der Umgebung bei.

Mitte: Das Modell nach M. Posner und M. Rothbart postuliert drei Aufmerksamkeits- Netzwerke: Eines für die Alertheit (grün), das die Aufmerksamkeit für neue Stimuli hoch hält; eines für die entsprechende Orientierung der Aufmerksamkeit (violett); und eines für die Zielgerichtetheit der motorischen Handlungen (rot).

Unten: Entsprechend dem Modell nach M. Corbetta und G. Shulman wird die visuelle Aufmerksamkeit von einem dorsalen (grün) und einem ventralen Netzwerk (gelb) gesteuert. Das dorsale kontrolliert nach diesem Konzept die Zielrichtung der Aufmerksamkeit, das ventrale findet sich hauptsächlich in der rechten Hirnhälfte und ist auf die Detektion verhaltensrelevanter Reize spezialisiert

Wie ist die Steuerung der Aufmerksamkeit in der Großhirnrinde organisiert? Dazu gibt es zahlreiche Beobachtungen und Modelle - drei besonders bekannte zeigt die Abbildung:

     Nach dem klassischen Modell nach M. Mesulam wird die Aufmerksamkeit durch ein kortikales Netzwerk gesteuert, das teilweise spezialisiert, teilweise redundant angelegt ist. Der hintere Parietalkortex entwirft eine sensorische Karte der Umwelt, der gyrus cinguli ordnet die Aufmerksamkeit nach der Bedeutung der Reizmuster für die Motivation zu, das Frontalhirn entwirft situationsadäquate motorische Programme.

     Das Modell nach M. Posner und M. Rothbart geht von drei - ebenfalls interdependenten - Netzwerken aus: Ein dominiertes für Aufmerksamkeit (locus coeruleus, Thalamus, rechte Hemisphäre), ein noradrenergacetylcholinerges, selektierendes zur Orientierung (obere Vierhügel, Parietalkortex, frontales Augenfeld); und ein vermutlich dopaminerg gesteuertes zur Kontrolle zielgerichteter Handlungsabläufe (Basalganglien, Präfrontalhirn, vorderer gyrus cinguli).

     Das Modell nach M. Corbetta und G. Shulman schlägt eine funktionelle Spezialisierung der visuellen Aufmerksamkeit auf zwei Subsysteme vor: Ein dorsales (intraparietaler Kortex, oberer Frontalkortex, frontales Augenfeld) stabilisiert die Zielrichtung der Aufmerksamkeit ("top-down"); ein hauptsächlich in der rechten Hirnhälfte befindliches, vielleicht in erster Linie vom locus coeruleus (noradrenerg) angetriebenes ventrales Subsystem (temporoparietaler Kortex, unterer Frontalkortex, vordere Insel) richtet die Aufmerksamkeit auf unerwartete neue Ziele und kann damit laufende Zuwendung unterbrechen ("bottom-up").

All diese Modelle beruhen auf zahlreichen Studien und legen keine strikte Trennung, sondern partielle Spezialisierung der genannten Rindenfelder nahe, deren Funktion dynamisch strukturiert ist, die bei der Steuerung der Aufmerksamkeit interagieren und sich gegenseitig ergänzen.
 
Über die Entstehung von Bewegungen und die Frage des freien Willens s. dort
 
Lateralisation
 
Die Hemisphären des Großhirns sind teilweise auf die Durchführung unterschiedlicher Aufgaben spezialisiert ( Abbildung). Das äußert sich auch anatomisch: Beispielsweise ist die seitliche Furche (fissura Sylvii ), die zwischen Temporal- und Parietallappen liegt, in der Mehrzahl der Fälle links länger als rechts ausgeprägt (vor allem bei Rechtshändern), die linke Insel ist größer als die rechte, die linke Hemisphäre weist einen höheren Anteil an grauer Substanz auf u.a.
 

Abbildung: Spezialisierung der Hemisphären (Lateralisation)
Nach einer Vorlage bei faculty.pasadena.edu

Linke und rechte Hemisphäre sind spezialisiert und müssen bei der Bearbeitung von Umwelt- und Körperreizen kooperieren. Bei Unterbrechung der seitenkreuzenden Fasern im Balken (corpus callosum) kommt es zu entsprechenden Funktionsausfällen (split brain, s. nächstes Bild)


Der Balken enthält Millionen von Nervenfasern, die homologe Stellen der rechten und der linken Hemisphäre miteinander verknüpfen und unterschiedlichen Myelinisierungsgrad aufweisen.

Funktionell zeigt sich die Lateralisation z.B. in der Sprachproduktion: Diese erfolgt bei 95% der Rechtshänder und 70% der Linkshänder im linken Gehirn (Broca-Zentrum, Wernicke-Zentrum etc.). Man sagt in diesen Fällen, die linke Hemisphäre ist sprachdominant.
 

Bei den meisten Menschen ist die linke Hemisphäre sprachdominant
 
Die rechte Hemisphäre konzentriert sich bei der Mehrzahl der Menschen auf Leistungen wie Gesichtserkennung (ein Wegfall dieser Fähigkeit wird als Prosopagnosie bezeichnet), musische / künstlerische Fähigkeiten, räumliches Vorstellungsvermögen.
 
Den Nobelpreis 1982 für Physiologie oder Medizin erhielt der amerikanische Neurobiologe Roger Sperry "für seine Entdeckungen über die funktionelle Spezialisierung der Gehirnhemisphären". Zusammen mit Michael Gazzaniga untersuchte er Patienten, denen der Balken durchtrennt wurde (split brain) und beschrieb Details der Lateralisation.

Man sagt, das linke Gehirn ist typischerweise auf die Lösung "logischer" Probleme spezialisiert, das rechte auf "Kreativität". Damit zusammenhängende Erkenntnisse sind nicht nur physiologisch / neurologisch bedeutsam, sie werden auch werbetechnisch, u.a. als "Hemisphärenmodell", genutzt.
 
Auch
die kortikale Beteiligung an motorischen Aufgaben wird von den Hemisphären unterschiedlich wahrgenommen. So deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass sich
 
     die linke Hemisphäre auf adaptive Funktionen sowie das Lernern neuer Bewegungssequenzen und Fähigkeiten spezialisiert, wobei ihre prädiktive Fähigkeit im Sinne einer Kostenoptimierung eine Rolle spielen dürfte.
 
     Die rechte Hemisphäre hingegen scheint sich um die Aktualisierung von Bewegungsabläufen und das Anhalten einer Bewegung bei Erreichen der Zielposition zu kümmern und dabei zur sensorimotorischen Stabilisierung beizutragen.

Besonders eindrucksvoll kommt die Tatsache, dass der Balken (corpus callosum ) fast ausschließlich die Kommunikation zwischen den beiden Hemisphären übernimmt, bei Patienten zum Vorschein, denen der Balken aus Gründen der Eindämmung von Krampfzuständen neurochirurgisch durchtrennt wurde (split brain). Sie können mit ihrer nicht-sprachdominanten Hemisphäre Probleme korrekt lösen, soferne dazu keine Sprachanalyse / Sprachproduktion nötig ist, aber sie können dies nicht bewusst tun bzw. benennen ( Abbildung).
 

Abbildung: Split brain: Beispiel Geruchsreiz (die linke Hemisphäre ist sprachdominant)
Nach einer Vorlage bei rohan.sdsu.edu

Einer Person mit durchtrenntem Balken wird in der rechten Nase ein Geruchsreiz angeboten. Die Person wurde vorher instruiert, mit der linken Hand einen zum Reiz passenden Gegenstand (unter mehreren anderen, die sie nur ertasten kann) auszusuchen. Dies führt sie korrekt aus (rechte Hemisphäre), nimmt aber den Geruchsreiz nicht wahr (linke Hemisphäre)


Man kann Personen (über Kopfhörer) gleichzeitig verschiedene akustische Muster auf das linke und rechte Ohr einwirken lassen (dichotische Präsentation). Rechtshänder identifizierten auf das rechte Ohr gespielte Worte meist besser als an das linke Ohr gesendete (right-ear advantage) (bei ~50% der Linkshänder ist es umgekehrt), ein Zeichen für die Tatsache, dass Sprache meist in der linken Hemisphäre prozessiert wird. Die hemisphärische Sprachverarbeitung kann auch bilateral erfolgen (wie bei jedem fünften Linkshänder).

      
  Zur Lateralisation der Sprachkontrolle s. auch dort
 

Ähnliches gilt für die visuelle Wahrnehmung: In die rechte Gesichtsfeldhälfte projizierte Buchstaben oder Worte (für ca. 0,15 Sekunden, um Blickbewegungen zuvorzukommen - Tachistoskop) werden (von linken Gehirn!) besser "verstanden" als in die linke Gesichtsfeldhälfte projizierte. Umgekehrt kann das rechte Gehirn (linke Gesichtsfeldhälfte) Gesichter oder geometrische Formen bei dieser Darbietung besser erkennen als das linke.

Bei Beschädigungen neokortikaler Verarbeitungsgebiete können benachbarte oder kontralaterale (korrespondierende) Hirngebiete deren Funktion erlernen und graduell übernehmen (abhängig vom Ausmaß der Schädigung und dem Alter der betroffenen Person).

Manche Menschen werden mit unterentwickeltem oder gänzlich fehlendem Balken geboren (Corpus-callosum-Agenesie - Inzidenz ~1:4000). Das bedeutet, die seitenkreuzenden Nervenfasern des Balkens (normalerweise 200 bis 300 Millionen an der Zahl) sind nicht angelegt, was z.B. an MRI-Bildern eindrucksvoll als Abwesenheit des corpus callosum deutlich wird. Liegt kein weiterer Symptomenkomplex vor, in dessen Rahmen die Agenesie auftritt, kann sie weitgehend oder völlig symptomfrei bleiben - das Gehirn schafft es, den Mangel an seitenkreuzenden Fasern zu kompensieren, vermutlich über alternative Wege. Dies ist nur ein Beispiel für die erstaunliche Plastizität des Gehirns.
 
Kortikale Säulen
 

Nervenzellen sind in der Gehirnrinde (~0,5 m2 Gesamtfläche) zu mehreren Schichten angeordnet und miteinander synaptisch zu Funktionseinheiten verknüpft. Diese sind im Wesentlichen senkrecht zur Hirnoberfläche orientiert und werden als kortikale Säulen bezeichnet (in Bezug auf die Sehrinde s. auch dort).

Kortikale Kolumnen bestehen aus ~104 Neuronen und enthalten ~108 Synapsen; sie sind ca. 1,5 mm hoch und haben einen Durchmesser von etwa einem halben Millimeter. Man kann sie mit Recheneinheiten in einem Computer vergleichen (Neuroinformatik). Sie nehmen Verbindung auf

      mit Nachbarsäulen;
 
      mit weiter entfernten Rindenarealen - Assoziationsfasern (association fibers) verbinden Teile der Rinde einer Hemisphäre untereinander;
 
      mit kontralateralen Rindengebieten - Kommissurenfasern (commissural fibers) verbinden die Rinde beider Hemisphären (sie ziehen durch das corpus callosum);
 
      mit extrakortikalen Zellen - Projektionsfasern (projection fibers) verknüpfen die Großhirnrinde mit anderen Teilen des ZNS.

Die Ausrichtung der Fasersysteme, welche die "rechnenden" Nervenzellen miteinander verbinden, scheint einem im Wesentlichen Koordinatensystem zu folgen, bei dem rechtwinkelig zueinander orientierte Kreuzungen bevorzugt werden.
 

Abbildung: Kortikale Module ("Säulen")

Die Zahlen beziehen sich auf die betreffende kortikale Schichte. Rot sind Projektionen aus dem Thalamus, blau intrakortikale Verbindungen ("Assoziationsfasern"), gelb solche aus der Hirnrinde hinaus angedeutet.

E = exzitatorisches, I = inhibitorisches Neuron


Kortikale Module sind untereinander mit Nervenfasern verbunden, die man folgendermaßen einteilen kann ( Abbildung):

      Thalamokortikale ("afferente"),
s. unten,

      kortiko-kortikale, und

      kortikofugale ("efferente") Projektionen.

Als Konnektom bezeichnet man die Gesamtheit der Verbindungen im Nervensystem. Es betrifft sowohl die Verbindung zwischen einzelnen Zellen ("Mikroskala"), Schichten und Säulen in der Hirnrinde ("Mesoskala") wie auch zwischen ganzen Hirnregionen ("Makroskala").

Beispielsweise kann die thermische Bewegung von Wassermolekülen als Messsignal dienen (diffusionsgewichtete Magnetresonanztomografie), bei der Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI: diffusion tensor imaging) wird dabei die Richtungsabhängigkeit erfasst ( Abbildung oben).

Da die methodische Auflösung im Millimeterbereich liegt, stellt das ermittelte Signal immer eine Mittlung über zahlreiche Einzelneurone dar.

Die entsprechende Ausbildung der kortikalen synaptischen Vernetzung liegt der Informationverarbeitung der Hirnrinde zugrunde, sie entwickelt sich von der frühen Kindheit an mit einem hohen Grad an Plastizität und reift bis zur Pubertät, in der sich auch die Markscheiden komplettieren.

Die synaptischen Verbindungen sind vor allem glutamaterge Projektionen auf Neurone (Sternzellen) in Schichte IV, die als "Empfangsstation" fungiert, und von hier auf Pyramidenzellen der Schichten II, III und schließlich Schichte V, die auf Ausgänge zu subkortikalen Zellen spezialisiert ist (
Abbildung). Die Pyramidenzellen der Schichte V haben besonders ausgeprägte, lange und verzweigte Axone. Auch gibt es direkte thalamokortikale Projektionen auf große Pyramidenzellen sowie auf hemmende Interneurone. Schichte VI schließlich erhält Information aus darüberliegenden Schichten sowie aus intralaminären Thalamuskernen, und projiziert auf den Thalamus zurück.

Reziproke Verbindungen sind ausgeprägt zwischen dem thalamischen nucleus medialis dorsalis und der frontalen Assoziationsrinde, sowie zwischen dem Pulvinar und parieto-temporalen Assoziationsrindengebieten.


In die Großhirnrinde treten Nervenfasern aus dem Thalamus (Sinnesinformation und motorische Impulse), dem aktivierenden retikulären System (ARAS) im Hirnstamm (Weckfunktion), und anderen Teilen der Großhirnrinde. Aus der Großhirnrinde treten Nervenfasern zu anderen Teilen der Großhirnrinde, zu Basalganglien und Kleinhirn, zu motorischen Vorderhornzellen und zu Zellen des autonom-nervösen Systems.

Assoziative Areale haben übergreifende Aufgaben: Der präfrontale Assoziationskortex des Stirnhirns beeinflusst z.B. ästhetisches Empfinden und ethische Erwägungen; der limbische Assoziationskortex am Vorderpol des Schläfenlappens koordiniert emotionale Impulse; der parieto-temporo-okzipitale Assoziationskortex fasst Information verschiedener Sinnesmodalitäten zusammen und teilt sie u.a. dem limbischen System mit.

Sind die Areale der Großhirnrinde spezifischen Körpergebieten / Fähigkeiten zuzuordnen? Funktionelle Hirnscans (Imaging) zeigen, dass das Gehirn so organisiert ist, dass bestimmte (körperliche, mentale) Tätigkeiten oder Erlebnisse mit Aktivitätsveränderung in ganz bestimmten Teilen des Kortex korrelieren. So liegt z.B. das Sprechvermögen im Broca-Areal, die Fähigkeit zum Sehen im Okzipitallappen. Sie zeigen aber auch, dass diese Zuordnungen plastisch sind, d.h. sich im Laufe der Zeit ändern können - etwa bei Lernvorgängen oder nach Ausfall von Rindengebieten, was die allmähliche Übernahme von Teilfähigkeiten durch benachbarte Rindengebiete zur Folge hat.

  Im 19. Jahrhundert etablierte sich die Vorstellung, dass diese Zuordnungen - bestimmte Fähigkeiten seien in entsprechenden Hirnarealen repräsentiert - Rückschlüsse auf die Persönlichkeit erlauben (z.B. mathematische Fähigkeiten, Aggressionsbereitschaft, kriminelle Neigungen...), nicht nur was die Ausprägung bestimmter Rindengebiete betrifft, sondern z.T. sogar über die Kopfform (Lokalisationslehre, Phrenologie). Die moderne Hirnforschung hat solche simplen Vorstellungen durch neurophysiologisch fundierte Erkenntnisse ersetzt und u.a. gezeigt, dass die Aktivität des Gehirns zwar einerseits auf aktuelle Probleme fokussiert, gleichzeitig aber global, äußerst vernetzt und bemerkenswert anpassungs- und lernfähig ist. Die Gestalt der Hirnoberfläche läßt die "Persönlichkeit" eines Menschen nicht erkennen.
 
Entstehung kortikaler Potentiale, EEG
  
Ein Elektroenzephalogramm entsteht durch Ableitung elektrischer Spannungsschwankungen von der Kopfhaut. Wie auch bei anderen physiologischen Ableitungen, treten Abweichungen von der "Nulllinie" dann auf, wenn an den betreffenden Ableitepunkten (bei unipolaren Ableitungen: Ableitelektrode vs. Referenzpotential) unterschiedliche Veränderungen des elektrischen Potentials auftreten (gleichbleibende Potentiale kommen nicht zur Geltung, siehe z.B. EKG).

Da einzelne Neuronen nur äußerst schwache Signale generieren, ist es die Summierung elektrischer Entladungen einer großen Zahl von Neuronen (vor allem kortikalen Pyramidenzellen), die zu "Wellen" im EEG führen. Dabei kommt es sowohl auf Synchronizität als auch auf die räumliche Ausrichtung der Signale an: Laufen Entladungsphänomene in die gleiche Richtung - zur Ableitelektrode hin oder von ihr weg -, ist der Effekt auf die Registrierung am stärksten.


Abbildung: Lokales kortikales Spannungsfeld
Nach einer Vorlage bei Strobbe G: Advanced Forward Models for EEG Source Imaging. Doktoratsschrift, Uni Gent 2015, ISBN 978-90-8578-785-3

Vereinfachte Darstellung extrazellulärer Stromlinien, ausgehend von postsynaptischer dendritischer Aktivität einer Pyramidenzelle. An den kathodischen Stellen (-, blau) erfolgt Na+-Einstrom in die, an den anodischen (+, rot) K+-Ausstrom aus der Zelle. Der rote Pfeil deutet die Ausbreitungsrichtung eines Aktionspotentials an.
  
Synchronisierte Entladungen sind bis zur Kopfhaut (mittels EEG) darstellbar


Neuronen der Großhirnrinde erhalten einen Teil ihrer neuronalen Zuflüsse über Projektionsfasern aus dem Thalamus. Diese thalamokortikalen Fasern stammen jeweils aus speziellen Thalamuskernen, z.B. gelangen Fasern aus dem corpus geniculatum mediale zur Hörrinde - und Pyramidenzellen senden Aktionspotentiale aus der Rinde. Solche thalamo- oder kortikofugalen Entladungsphänomene machen sich im EEG bemerkbar ( Abbildung).

Was passiert auf der Ebene der Einzelzelle? Die meisten Synapsen enden auf dendritischen Membranausstülpungen, den ~1 µm großen Dornenfortsätzen (spines), mit denen Pyramidenzellen förmlich übersät sind (einige 103 pro Zelle). (Die Dichte des Spine-Besatzes korreliert mit der Ausprägung kognitiver Fähigkeiten; bei Demenz nimmt sie ab.)

Diese Synapsen sind sehr oft glutamaterg, sie erzeugen über NMDA- und AMPA-Rezeptoren exzitatorische postsynaptische Potentiale (EPSPs). Durch gleichzeitiges Auftreten mehrerer dendritischer EPSPs kann an der adressierten Nervenzelle ein Aktionspotential ausgelöst werden (elektrotonische Fortleitung auf den Axonhügel, s. oben).
 
Summierte EPSPs sind eine Grundlage der Entstehung eines EEG
   
Als Funktionseinheit der neuronalen Aktivität gilt nicht die Aktivität einzelner Nervenzellen, sondern diejenige miteinander funktionell verschalteter Gruppen (Zellensemble, cell assembly). Eine solche "Gruppenaktivität" repräsentiert ein bestimmtes Objekt oder eine definierte Muskelgruppe (Bewegung), wobei eine bestimmte Nervenzelle an der Repräsentation unterschiedlicher Objekte beteiligt sein kann - das Objekt wird durch die Aktivität einer bestimmten Gruppe codiert.

Dabei wirken GABAerge hemmende Interneurone in einem 25-ms-Takt "neuordnend" auf die Ensemble-Bildung, ihre Aktivität erzeugt eine elektrische Schwingung mit einer Frequenz von ~40-Hz (γ-Oszillationen). Dieser
γ-Rhythmus tritt bei Konzentration auf mentale Ziele (Lernen) auf, z.B. beim aufmerksamen Verfolgen eines Vortrags.
 
Aufmerksame mentale Beschäftigung (wie Lernen) erzeugt γ-Wellen (30-40 / Sekunde)
 
Fließen an den aktivierten Synapsen Kationen in die erregte Zelle ein, dann führt dies zu winzigen Negativierungen ihrer extrazellulären Umgebung. Nach Ablauf des EPSPs strömt Kalium vermehrt aus der Zelle, die sich repolarisiert - das positiviert wiederum das extrazelluläre Potential. Das Interstitium um die Zelle durchläuft - dem intrazellulären Potential gegenphasige - elektrische Schwingungen. Man kann die Aktivität direkt aus der Hirnrinde abgreifen, was eine invasive Vorgangsweise erfordert (neurochirurgisches Einbringen kortikaler Multielektroden-Arrays).

Werden zahlreiche (~105) Synapsen gleichzeitig aktiv, führt dies zu ausreichend intensiven Potentialänderungen des Kortex, um sie als Elektrokortikogramm (ECoG) ableiten zu können (Signalamplituden bis 100 µV). Das ist eine "partiell invasive" Ableitung, die einen neurochirurgischen Eingriff erfordert (Einbringen von Elektroden in den Epi- oder Subduralraum).
 
Über uni- und bipolare Anleitestrategien s. dort
 
Sind die
Potentialänderungen auch von der Kopfhaut ableitbar (Abschwächung durch Knochen und Haut um den Faktor ~10), spricht man von einem Elektroenzephalogramm (EEG s. dort).

Man hat sich darauf geeinigt,
die (extrazellulär abgeleiteten) Potentialverläufe im ECoG / EEG so darzustellen, dass negative Potentialänderungen nach oben zeigen (und umgekehrt). Oberflächliche EPSPs stellen sich mit negativen (nach oben dargestellt), tiefe mit positiven (nach unten dargestellt) Zacken dar.

Im Ruhezustand (entspannt, meditierend, evt. Augen geschlossen) tritt ein α-Rhythmus mit 8-13 Wellen pro Sekunde auf.
Dieser wird durch einen basalen Eigenrhythmus thalamischer Neurone hervorgerufen, thalamo-kortikale Projektionen lassen den Kortex "mitschwingen" und diese Oszillationen äußern sich im ECoG / EEG als α-Rhythmik.
 
Der thalamische Grundrhythmus erzeugt EEG-Wellen im α-Rhythmus
   
Zum (im entspannten Zustand aktiven) Default Mode Network s. dort
 
Der ß-Rhythmus (14-30 Hz) tritt z.B. nach dem Öffnen der Augen auf, γ-Rhythmus (30-40 s-1) bei Konzentration auf Inhaltszusammenhänge (s. oben). Über das EEG während verschiedener Schlafstadien s. dort.



 
Gedächtnisstörungen (Amnesien) können den Übertritt ins Langzeitgedächtnis betreffen (antegrade Amnesie): Durch Erkrankungen wie das Korsakow-Syndrom (infolge Hirnschädigung u.a.) oder schockartige Ereignisse (Unfall, Blutung) verklingen neue Gedächtnisinhalte spurlos. Der Patient ist ab dem auslösenden Ereignis unfähig, sich Neues zu merken (der Inhalt einer Zeitung erscheint ihm immer wieder neu).

Durch Gehirnerschütterung, Gehirnschlag oder ähnliche Akutereignisse kann zweitens das Langzeitgedächtnis angegriffen sein (retrograde Amnesie). Je schwerer die Schädigung, umso weiter in die Vergangenheit reicht das zurückgreifende Vergessen. Retrograde Amnesien sind oft mit antegraden kombiniert. Amnesien können sich mit Besserung des Zustandes weitgehend wieder zurückbilden, scheinbar verlorene Gedächtnisinhalte wieder auffindbar werden.

Bewusstseinsstadien: Um den Bewusstseinsszustand einer Person abzuschätzen und eine allfällige Bewusstseinsstörung
einzuordnen, wird die Glasgow Coma Scale verwendet. Dabei werden für folgende drei Kriterien Punkte vergeben: Augenöffnung, verbale Reaktion und motorische Reaktion. Dabei gilt folgendes Bewertungsschema:

Augen öffnen
Beste motorische Reaktion
Beste verbale Reaktion
Punkte
-
befolgt Aufforderungen
-
6
-
gezielte Reaktion auf Schmerzreize
orientiert
5
spontan
ungezielte Reaktion auf Schmerzreize
desorientierte, konfuse Antwort
4
auf Ansprechen
abnorme Beugereaktionen
inadäquate Äußerung
3
auf Schmerzreiz
abnorme Streckreaktionen
unverständliche Laute
2
keine Reaktion
keine Reaktion
keine Äußerung
1
 
Ein schweres Schädel-Hirntrauma (Bewußtseinstrübung mehr als 24 Stunden) liegt bei 5-8 Punkten vor, ein mittelschweres (temporäre Bewußtseinstrübung, <24 h) bei 9-12, ein leichtes (nur Kopfschmerzen oder beschwerdefrei) bei 13-15 Punkten (maximal mögliche Punktezahl 15).
 

 
 
     Hauptfunktionen: Das Telenzephalon steuert Kognition und Verhalten; das Dienzephalon ordnet sensorische Information; das Mittelhirn verwaltet basale sensorische und motorische Funktionen; das Kleinhirn koordiniert motorische Abläufe; die medulla oblongata überwacht Kreislauf, Atmung und andere vitale Funktionen
 
     Die Großhirnrinde enthält Pyramidenzellen (glutamaterge Efferenzen), Körnerzellen (glutamaterge Afferenzen) und Interneurone (meist GABAerg)
 
     Der Isokortex ist sechsschichtig: Lamina I, Molekularschicht (Afferenzen, Assoziationsfasern); Lamina II, äußere Körnerschicht (Interneurone zwischen Pyramidenzellen); Lamina III, äußere Pyramidenschicht (Pyramidenzellen); Lamina IV, innere Körnerschicht (Afferenzen vom Thalamus); Lamina V, innere Pyramidenschicht (Assoziations- und Projektionssysteme); Lamina VI, multiforme Schicht (bidirektionale Verbindungen mit Thalamus)
 
     Der Axonhügel ist der erregbarste Teil des Neurons und der Entstehungsort von Aktionspotentialen ("Sender"). Diese laufen über das ganze Neuron, einerseits über den Neuriten in die Peripherie mit synaptischen Endigungen (Efferenz), andererseits über den Zellkörper mit seinen dendritischen Verzweigungen (Löschung laufender Summationsprozesse)
 
     Dendriten fungieren als Signalantennen der Nervenzellen ("Empfänger"), sie sammeln synaptische Einflüsse von anderen Nervenzellen und leiten diese auf elektrotonischem Weg auf die Nachbarmembran. Je näher die Synapsen am Axonhügel liegen, desto stärker ist ihr Effekt auf die Aktivität (Aktionspotentialfrequenz) des Neurons
 
     Summation bedeutet, dass sich der Einfluss einzelner Synapsen am "Empfangsteil" der Nervenzelle zu einem Gesamteffekt (Membranpotential) addiert. Es gibt depolarisierende (exzitatorische) und hyperpolarisierende (inhibitorische) Einflüsse: So wirken Glutamat typischerweise exzitatorisch, Glycin und GABA inhibitorisch. Die synaptische Wirkung hängt von den Mechanismen ab, welche die Transmitter an der postsynaptischen Membran auslösen. L-Glutamat ist ein Transmitter, der meist exzitatorisch wirkt - über Ionenkanäle (NMDA-, AMPA-Rezeptoren) oder metabotrop (über G-Proteine). GABA wirkt über ionotrope (GABAA) oder metabotrope Rezeptoren (GABAB), Glycin über Chloridkanäle
 
     Neurotransmitter werden von Nervenzellen (präsynaptischer Teil: Neuritenende) im Rahmen eines kontrollierten Vorgangs freigesetzt: Proteinkomplexe in präsynaptischen Speichervesikeln (SNAREs) befördern die Exozytose des Transmitters in den synaptischen Spalt. Synapsen können an Dendriten (axono-dendritisch), am Zellkörper (axono-somatisch) oder am Axon (axono-axonal) der Zielzelle wirken
 
     Das Gehirn zeigt Lateralisation: Die linke Hemisphäre Spezialisierung auf adaptive Funktionen und das Lernern neuer Bewegungssequenzen, die rechte auf Aktualisierung von Bewegungsabläufen und sensorimotorische Stabilisierung bei Erreichen einer Zielposition. Bei Läsionen können kontralaterale Teile Funktionsausfälle kompensieren
 
     Kortikale Kolumnen (~1,5 mm hoch, ~0,5 mm Durchmesser) sind Recheneinheiten in der Hirnrinde; sie kommunizieren mit Nachbarkolumnen, weiter entfernten (auch kontralateralen) Rindenarealen sowie extrakortikalen Zellen. Die Verbindungsfasern folgen einem rechtwinkelig zueinander orientierten Koordinatensystem
 
     Das EEG beruht im Wesentlichen auf der Summe von EPSPs, deren elektrische Signaturen sich über das Interstitium fortpflanzen. Der thalamische Grundrhythmus erzeugt α-Rhythmus (8-12 Wellen pro Sekunde), intensive mentale Beschäftigung γ-Wellen (30-40 / Sekunde)
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.