Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

   
Physiologie der Sinnesorgane
 
Afferenzen von Rückenmark bis Thalamus
© H. Hinghofer-Szalkay
corpus geniculatum: corpus = Körper, genu = Knie (Kniehöcker)
HCN-Kanal: Hyperpolarization-activated, cyclic nucleotide-gated cation channel
Pulvinar: pulvinar = Kissen, Polstersitz
Rexed-laminae: Bror Rexed
Thalamus:
θάλαμος = (innere) Kammer, Zimmer (Galen)




Die Zuleitung sensorischer Information zum Thalamus erfolgt teils über das Rückenmark (Somatosensorik), teils über Hirnnerven - Trigeminus (V) für Somatosensibilität im Gesichtsbereich, N. opticus (II) für den Gesichtssinn, N. vestibulocochlearis (VIII) für Gehör und Gleichgewicht. Fast die gesamte aus der sensiblen Peripherie zum Großhirn strömende Information wird im Thalamus bearbeitet (Ausnahme: Geruchssinn).

Die Aufgaben der Thalamuskerne sind teils unspezifisch, polymodal, teils spezifisch:

   -- Visuelle und akustische Sinnesimpulse werden modalitätsspezifisch in den corpora geniculata (Kniehöcker) überprüft, gegebenenfalls modifiziert und an primären visuellen und auditiven Kortex weitergeleitet
 
   -- Somatosensorische Information wird in ventrobasalen Kernen somatotopisch bearbeitet, Projektionen erfolgen vor allem in die hintere Zentralwindung
 
   -- Der nucleus ventralis verlangsamt (anterior) oder beschleunigt (lateralis) Willkürbewegungen
 
   -- Das pulvinar thalami ist ein assoziativer Kern, es arbeitet an sensorischer Integration, Augenbewegungs- und Sprachkontrolle und projiziert in assoziative Hirngebiete sowie den Gyrus cinguli
 
   -- Intralaminare Kerne (nucl. centromedianus), nucl. mediani und reticularis erhalten Afferenzen aus formatio reticularis und Vorderseitenstrang, und projizieren in die gesamte Großhirnrinde (Weckfunktion).

Rückenmarksebene Aufsteigende Bahnen Thalamus

Brown-Séquard-Syndrom       Core messages
  
Über Nervenfaserbündel des Rückenmarks gelangt afferente (aufsteigende, sensorische) Information zu Hirnstamm und Großhirn, sowie efferente (absteigende. motorische) von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm zur Muskulatur. Das autonome Nervensystem sendet parasympathische Impulse zu sakralen, das sympathische zu thorakalen und lumbalen Neuronen im Rückenmark. So stellt das Rückenmark die Verbindung zwischen dem Gehirn und der Körperperipherie her - mit Ausnahme der Gebiete und Organe, die über Hirnnerven versorgt werden.
 
Das Rückenmark leitet und verarbeitet Information und generiert motorische Muster
  Über die Generierung spinaler motorischer Muster s. dort

Fasern der Somatosensibilität (von Haut, Muskeln, Gelenken, Sehnen) treten in das Rückenmark über dessen Hinterwurzeln in das Hinterhorn ein ( Abbildung); viele enden hier und schalten segmental auf ein 2. Neuron um. Auf dieser Ebene lassen sich dadurch afferente Impulse früh verwerten (z.B. durch benachbarte Funktionskreise: Reflexmuster) oder durch - z.T. absteigende - Impulse modifizieren (z.B. Schmerzbearbeitung).
 
   
Abbildung: Zwei Segmente im Rückenmark
Nach einer Vorlage bei clinicalgate.com

Zwar gibt man numerierte Segmente - entsprechend den Ein- bzw. Austrittszonen der Rückenmarksnerven - an, aber das Rückenmark ist intern nicht scheibenförmig segmentiert: Vielmehr sind die entsprechenden Kerngruppen säulenförmig gruppiert und erstrecken sich über mehrere Segmente


Die oberflächlichen Zonen des Hinterhorns enthalten folgende Neuronengruppen:
 
     Endigungen primär-afferenter Axone aus der Peripherie (die Zellkörper liegen im Spinalganglion, das keiner Umschaltung dient)
 
     Interneurone - ihre Axone verlassen das Rückenmark nicht, bilden aber Verbindungen auch oberhalb und unterhalb der Eintrittsebene
 
     Projektionsneurone, die Impulse in das Gehirn leiten (wie das lemniskale System oder spinozerebelläre Fasern)
 
     Absteigende Axone aus verschiedenen Teilen des Gehirns (die modifizierend auf segmentale Verschaltungen einwirken können)
  
 
Abbildung: Repräsentative Querschnitte durch das Rückenmark
Nach einer Vorlage bei clinicalgate.com

Die oberen (kranialen) Abschnitte enthalten wegen der Leitungen (motorisch und sensorisch) zwischen Gehirn und kaudal gelegenen Zonen viel weiße Substanz. Der fasciculus gracilis verbindet die untere Extremität mit dem Gehirn, der fasciculus cuneatus die obere. Die zervikalen und lumbalen Abschnitte sind wegen der relativ aufwändigen neuralen Versorgung der Extremitäten verdickt (intumescentia cervicalis / lumbalis)


Interneurone stellen die größte Neuronengruppe im Hinterhorn dar und lassen sich in zwei Funktionsgruppen unterteilen:

  
  exzitatorische Interneurone - diese sind glutamaterg
 
     inhibitorische Interneurone - diese sind GABAerg oder glycinerg

Afferenzen zum Gehirn: Hinterhornneurone projizieren - nach Seitenkreuzung - mit ihren Axonen, die den lemniscus medialis aufbauen, auf den Thalamus (Projektionsneurone). Dort wird somatosensorische Information in unterschiedlichen Kerngebieten verarbeitet: Oberflächensensibilität von Rumpf und Extremitäten (über lemniscus medialis) im nucl. ventralis posterolateralis (VPL), von Gesicht und Mund im nucl. ventralis posteromedialis (VPM), Propriozeption (Muskeln, Gelenke) im nucl. ventralis posterior superior (VPS). Durch die Unmittelbarkeit der Projektion ist eine hohe Diskriminierungsgenauigkeit möglich.

Die graue (neuronenreiche) Substanz des Rückenmarks - betehend aus Hinter- und Vorderseitenhorn (dreidimensional: Hinter- und Vorderseitensäule) - ist eine Rechenzentrale: Sie beinhaltet zahlreiche synaptische Verschaltungen und ist in mehrere Zellschichten gegliedert, die nach Rexed als Zonen (laminae) I bis X bezeichnet werden ( Abbildung) und funktionell unterschiedliche Aufgaben haben.
  

Abbildung: Rexed-Zonen mit ihren hauptsächlichen Inputs (unten links) und Outputs (unten rechts)
Modifiziert nach einer Vorlage bei clinicalgate.com (Warren S, Yezierski RP, Capra NF. The Somatosensory System II: Nociception, Thermal Sense, and Touch)

Die graue Substanz des Rückenmarks läßt sich in Schichten (laminae) und Kerne (Nuclei) gliedern

      Das Hinterhorn ist aus den laminae I bis VII aufgebaut ( Abbildung). Ein Teil der sensiblen afferenten Fasern schaltet hier um.

In der lamina I und II liegt die Substantia gelatinosa (Schmerzafferenzen), in lamina III und IV der Nucleus proprius (Tiefen-, auch Oberflächensensibilität). Schmerzafferenzen (Aδ- und C-Fasern) schalten vor allem in den laminae I und II um; von hier wird auch lamina V erreicht.

Das 2. Neuron des hier wurzelnden Vorderseitenstrangs liegt vorwiegend in lamina I und V; auch in den laminae VII, VIII und X entspringen Vorderseitenstrangneurone.

Lamina-I-Neurone reagieren zum Teil auf mechanische Reize (sensual touch), andere auf nichtnoxische Temperaturreize, wieder andere auf Histamin (itch-neurons), die meisten aber auf Schmerz (nozizeptiv-spezifische Neurone).

Lamina-V-Neurone funktionieren hingegen modalitäts-unspezifisch. Sie können durch mechanische, thermische oder Schmerzreize aktiviert werden. Daher bezeichnet man sie als multirezeptiv (WDR-Neurone: Wide dynamic range).

  Über die Gate-control-Theorie s. dort
 
Laminae V und VI enthalten den Nucleus dorsalis nach Clarke (Tiefensensibilität: Lage der Extremitäten, Stellung des Körpers; Weiterleitung der Information über den tractus spinocerebellaris posterior).

Afferenzen zum Kleinhirn gelangen ungekreuzt über den tractus spinocerebellaris zur Kleinhirnrinde (Abbildung unten).

     Das Seitenhorn enthält den Nucleus intermediolateralis (Segmente C8 bis L3) mit sympathischen Neuronen, im Sakralmark finden sich hier die Nuclei parasympathici sacrales. Diese Systeme arbeiten efferent, also viszeromotorisch; viszerosensible Gebiete befinden sich hauptsächlich im Hinterhorn, sind allerdings auch diffus auf das Rückenmark verteilt.

      Das Vorderhorn (laminae VIII und IX) verfügt über motorische Vorderhorn- und Begleitzellen (Interneurone). Sie sind somatotopisch angeordnet: Stammnahe Muskeln (z.B. Schulter) werden von medial gelegenen, periphere (z.B. Unterarm) von lateral gelegenen Neuronengruppen innerviert.
  

Abbildung: Ziele der primären Afferenzen im Hinterhorn
Nach einer Vorlage bei clinicalgate.com

Die Afferenzen in der dorsalen "Empfangszone" des Hinterhorns teilen sich in einen medialen und eine lateralen Zustrom:
 
Der mediale enthält gut isolierte (raschere) mechanosensible Fasern, die teils aszendierende (die längsten bis zu den Hinterstrangkernen - nucl. gracilis und cuneatus), teils deszendierende Äste sowie teils solche zum Vorderhorn entsenden, und in die laminae II bis VI münden.
 
Der laterale hat dünne (langsamere) Fasern - Aδ und C -, die nach ihrem Eintritt kurze auf- und absteigende Äste haben (in der Lissauer-Zone, der lamina I außen aufliegend) und hauptsächlich in die laminae I und II (substantia gelatinosa), aber auch III-V projizieren


      Über die lamina X sind die Vorderseitenhörner beider Seiten miteinander verbunden; in ihr verläuft der Zentralkanal (er enthält liquor cerebrospinalis), um den herum sich das zentrale Höhlengrau befindet (das für die Schmerzmodifikation eine wichtige Rolle spielt und auch in die Weiterleitung paläo-spinothalamischer Impulse involviert ist, s. folgende Abbildung).
  
Aufsteigende Bahnen
 

Aufsteigende Systeme: Die Zuleitung somatischer Sensibilität von der Körperperipherie in das Gehirn erfolgt über mehrere Systeme. Teils wird sie an das Kleinhirn, teils an die Großhirnrinde (via den Thalamus) geleitet.
 
Afferenzen zum Kleinhirn
 
Das spinozerebelläre System (spinocerebellar tracts) übermittelt Propriozeption an das Kleinhirn, wobei Information auf dem thorakolumbalen Niveau (Beine, Stamm) über die Clarke-sche Säule (nucleus dorsalis), solche aus dem zervikalen Bereich (Arme) über den akzessorischen nucleus cuneatus geleitet wird:
 
Bahn
von..
Region
tractus spinocerebellaris posterior
Muskelspindeln
Sehnenspindeln
Beine und Stamm ipsilateral

tractus spinocerebellaris anterior Sehnenspindeln
tractus cuneocerebellaris
Muskelspindeln
Sehnenspindeln
ipsilateraler Arm

tractus spinocerebellaris rostralis
Sehnenspindeln
 
Afferenzen zum Großhirn

Propriozeption

      Gelenksrezeptoren (joint receptors): Information über Stellung und Bewegung der Extremitäten / Gelenke stammt - außer von Muskel- und Sehnenspindeln - auch von Mechanorezeptoren in Bändern und Gelenkskapseln. Faserdurchmesser und Leitungsgeschwindigkeit können hoch (Gruppe I, ähnlich wie von Pacini- und Golgi-Rezeptoren), mittel (Gruppe II, wie von Ruffini-Körperchen) oder niedrig sein (freie Nervenendigungen). Einige adaptieren vollständig (D-Rezeptoren), die Mehrzahl nur teilweise (PD-Rezeptoren) und signalisieren damit den Winkel, den das jeweilige Gelenk einnimmt. Die Afferenzen nehmen den Weg über die ipsilaterale Hintersäule, schalten in den Hinterstrangkernen (nucl. gracilis / cuneatus) um, kreuzen die Seite und ziehen über den lemniscus medialis zu posterolateralen Thalamuskernen ( lemniskales System s. Abbildung). Von dort erreicht die Information den somatosensorischen Kortex.
 
  Zu Muskel- und Sehnenspindeln s. dort
 
Kutane Afferenzen der Oberflächensensibilität werden über Vorderseiten- (anterolateral) und Hinterstränge (lemniskal) zum Thalamus und von dort zur parietalen Großhirnrinde geleitet:
 

Abbildung: Sensorische Afferenzen
Nach einer Vorlage bei Massey / Cunniffe / Noorani, Carpenter's Neurophysiology - A Conceptual Approach, 6th ed. CRC Press Taylor & Francis Group 2022

Gezeigt sind aufsteigende Bahnen über das lemniskale (Hinterstrang-) System mit hoher Seitenkreuzung (links) und über das anterolaterale (Vorder-Seitenstrang-) System mit tiefer Seitenkreuzung (rechts).
 
Die Systeme bestehen aus mindestens drei nacheinander geschalteten Neuronen: Das 1. Neuron leitet Information aus der Peripherie in das Rückenmark; das 2. Neuron von der ersten Umschaltung zum Thalamus . Das 3. Neuron projiziert von hier auf die Großhirnrinde.
 
Das anterolaterale System hat zwei Anteile: Den entwicklungsgeschichtlich älteren tractus spinothalamicus mit kollateralen Verschaltungen im Hirnstamm (Formatio reticularis, periaquäduktales Grau) und den (jüngeren) tractus spinothalamicus anterior.
 
Das lemniskale System (Lemniscus-medialis-System LMS) leitet Berührungs- und Lokalisationsinformation (epikritische Sensibilität), das Vorder-Seitenstrang-System (anterolaterales System ALS) eher ungenaue Lokalisations-, Berührungs- sowie Schmerz- und Temperaturinformation (protopathische Sensibilität)


      Druck, Berührung, Vibration:
 
Das
Hinterstrangsystem (tractus spinobulbaris), in dem primäre Afferenzen von mechanosensiblen Rezeptoren in der Haut (1. Neuron) sowie von bewusst verarbeitbarer Propriozeption zu den Hinterstrangkernen (nucl. gracilis und cuneatus) gelangen.

Hier wird epikritische Sensibilität geleitet (Tastsinn, Stellungssinn, Bewegungssinn).

Der fasciculus gracilis zieht zum nucleus gracilis, er bringt Information aus der
unteren Körperhälfte; der fasciculus cuneatus zum nucleus cuneatus (Information aus der oberen Körperhälfte, d.h. oberhalb von Th6).
 
Epikritische Sensibilität wird über die Hinterstränge (fasciculus gracilis, fasciculus cuneatus) vermittelt
   
Nach Verarbeitung der Information (aus dem 1. Neuron sowie aus zusätzlichen Inputs) in den Hinterstrangkernen kreuzt das 2. Neuron auf der Höhe der medulla oblongata die Seite (decussatio lemniscorum, Abbildung). Die Fasern des lemniscus medialis projizieren auf ventrale Thalamuskerne; hier beginnt das 3. Neuron der somatischen Afferenz und endet im primären somatosensorischen Kortex (S1) des gyrus postcentralis. 
 
      Schmerz und Temperatur:
 
Über den Vorderseitenstrang (anterolaterales System) gelangt Information aus den Eingeweiden sowie solche über Temperatur und Schmerz.
Die in das Rückenmark eintretenden 1. Neurone schalten im Hinterhorn um, das 2. Neuron kreuzt die Seite auf der Höhe des Nerveneintritts ins Rückenmark und zieht zum Thalamus (Abbildungen). Dieser Teil vermittelt Information über grob-taktile, thermische sowie Schmerzreize und ermöglicht deren Lokalisation.

   Über die Symptomatik bei Halbseitenläsion des Rückenmarks s. unten
 
  
Abbildung: Afferente Leistungssysteme (blau) im Rückenmark

Die Hinterstrangbahn (funiculus posterior) gehört zum lemniskalen System (lemniscus medialis von medulla oblongata bis Thalamus, vgl. vorige Abbildung).
 
Der tractus spinoolivaris sendet sowohl kutane (Oberflächensensibilität) als auch
Impulse von Muskel- und Sehnenspindeln (Propriozeption) an den unteren Olivenkern und von dort zu Purkinje-Zellen der Kleinhirnrinde (Kletterfasern s. dort).

C = zervikale, Th = thorakale, L = lumbale, S = sakrale Afferenzen


Spinale Afferenzen (aus dem Körper unterhalb des Kopfbereichs) schalten im nucl. ventralis posterolateralis (VPL) um, trigeminale (aus dem Gesichtsbereich) im nucl. ventralis posteromedialis (VPM). Der N. trigeminus vermittelt somatosensible Information aus dem Gesichtsbereich; mechanosensible Fasern (Aß) projizieren auf den nucl. ventralis posteromedialis (VPM), Aδ- und C-Fasern auch auf den nucl. posterior thalami.
 
Der Thalamus verwaltet den Informationsfluss zur Hirnrinde und steuert die Aufmerksamkeit
  
Die Funktionen des Thalamus sind für das Entstehen von Bewusstsein unerlässlich ("Tor zum Bewusstsein"); im Schlaf blockiert der Thalamus die Passage sensorischer Information zum Kortex. Im Zustand der Narkose ist die Aktivität thalamischer Kerne stark verringert. Projektionen auf primäre Rindenfelder funktionieren weiterhin, aber assoziative Sekundärantworten finden nicht mehr statt (Bewusstlosigkeit).

Mit der Motorik ist der Thalamus ebenso betraut wie mit einer Beteiligung an Funktionen des limbischen Systems.
  

  Abbildung: Spinale und trigeminale Afferenzen
Nach einer Vorlage bei clinicalgate.com (Warren S, Yezierski RP, Capra NF. The Somatosensory System II: Nociception, Thermal Sense, and Touch)

Gezeigt ist der Vorderseitenstrang (rot) sowie Afferenzen des Trigeminus (grün)


Man unterscheidet sensorische, sensomotorische, Assoziations- und unspezifische Thalamuskerne. Für die afferente (sensorische) Verarbeitung stehen folgende Systeme im Vordergrund:

     Spezifisch sensorisch die corpora geniculata (mediale und laterale Kniehöcker) für Sehen und Hören sowie die ventrobasalen Kerne für die somatische Sensibilität. Diese Kerne sind entwicklungsgeschichtlich jünger (Entwicklung mit Neokortex), arbeiten modalitätsspezifisch und sind somatotopisch klar geordnet.

     Sensomotorisch: Nucleus ventralis anterior (verlangsamt Willkürbewegungen) und lateralis (beschleunigt Willkürbewegungen).
 
     Sensorische Integration: Pulvinar thalami
 
Spinothalamische
Fasern ziehen zu verschiedenen thalamischen Kernen; dabei ziehen Neurone aus der lamina I (z.T. modalitätsspezifisch) als tractus spinothalamicus lateralis, und aus der lamina V (nicht modalitätsspezifisch, wide dynamic range-Neurone) als tractus spinothalamicus ventralis zu ihren Zielkernen im Thalamus.


Die Abbildung des Körpers in thalamischen Kerngebieten ist somatotopisch gegliedert, mit Überrepräsentation dicht innervierter Gebiete mit kleinen rezeptiven Feldern, wie z.B. die Fingerkuppen (ähnlich dem kortikalen Penfield-Homunculus). Das Antwortverhalten der Neurone ist nicht sehr modalitätsspezifisch, sie reagieren gemischt auf mechano-, thermo- oder auch nozizeptive Impulse.

Im Thalamus erfolgt laterale Hemmung zwecks Kontrasterhöhung: Kollateralen thalamokortikaler Neurone schalten auf GABAerge Zellen des nucl. reticularis thalami, die auf benachbarte Neurone im nucl. ventralis posteromedialis zurückprojizieren und Hemmungshöfe aufbauen.

  

  Abbildung: Schema der Thalamuskerne beim Menschen (vgl. dort)
Nach einer Vorlage in edoctoronline.com

    LP, nucleus lateralis posterior    VA, nucleus ventralis anterior    VL, nucleus ventralis lateralis    VPL, nucleus ventralis posterior lateralis    VPM, nucleus ventralis posterior medialis


Kerngebiete, die sensorische Impulse verarbeiten, liegen in der lateralen Kerngruppe und im Pulvinar:

     Der Nucleus ventralis posterolateralis (VPL) im ventrobasalen Kernkomplex erhält Information aus Rückenmark (Somatosensorik) und Hirnstamm (lemniscus medialis) und projiziert in den parietalen somatosensorischen Kortex. Sein Aufgabengebiet ist die Detektion von Berührung (Oberflächensensibilität) und der Gliedposition (Propriozeption). Er schaltet auch Geschmacksinformationen um.

     Der Nucleus ventralis posteromedialis (VPM) verarbeitet Information aus Gesicht und Mund (Afferenzen über Hirnnerven); Fasern aus VPL und VPM projizieren in die area 3b des somatosensorischen Kortex (Oberflächensensibilität).

     Der Nucleus ventralis posterior superior (im Bild nicht gezeigt) empfängt propriozeptive Signale aus Muskeln und Gelenken und projiziert in das Kortexareal 3a (Tiefensensibilität).

     Das Corpus geniculatum mediale verarbeitet auditive Information: Es sammelt Signale aus den unteren Vierhügeln (colliculi inferiores) und projiziert in die primäre Hörrinde.

  
  Das Corpus geniculatum laterale befasst sich mit der Verarbeitung visueller Information. Sein Eingang ist der N. opticus (Netzhaut), es projiziert in die primäre Sehrinde.

  
  Das Pulvinar (Pu) erhält Impulse aus den oberen Vierhügeln, dem Prätectum und dem Okzipitallappen; es projiziert in den Parieto-temporo-okzipitalen Assoziationskortex sowie den Gyrus cinguli. Seine Aufgaben sind sensorische Integration, Augenbewegungs- und Sprachkontrolle.

     Der Nucleus lateralis posterior* (LP) empfängt Signale aus den colliculi superiores (obere Vierhügel) sowie aus Prätectum und Okzipitallappen; er projiziert in den hinteren Parietalkortex. Er übernimmt Aufgaben der sensorischen Integration.
 
Unspezifische korrespondieren mit spezifischen Thalamuskernen; sie erhalten Afferenzen aus formatio reticularis, Kleinhirn und Basalganglien und projizieren in die gesamte Großhirnrinde. Vertreter sind die nuclei intralaminares (mit dem nucl. centromedianus), der nucl. reticularis und die nuclei mediani.
 
  Übersicht über die Funktionen des Thalamus
 
  Zur Beteiligung des Thalamus an der Motorik s. dort
 
  Über sinnesphysiologische Leistungen des Okzipital- und Parietalhirns, Temporalhirns und Frontalhirns s. dort


 

 
Halbseitenläsion (Brown-Séquard-Syndrom)
  
Bei - in Reinform selten auftretender - halbseitiger Blockade des Rückenmarks (traumatische Durchtrennung der Leitungsbahnen, druckbedingte Ischämie durch Herniation einer Bandscheibe, Tumor) treten motorische, sensible und vegetative Ausfälle auf:
 
 
Abbildung: Symptomatik bei Halbseitenläsion
Modifiziert nach einer Vorlage bei thieme.de/viamedici/ klinik-faecher-neurologie

In diesem Fall ist eine halbseitige spinale Leitungsblockade links angenommen. Im betroffenen Segment (Th10) tritt auf der Seite der Läsion eine schlaffe Lähmung auf, alle sensiblen Fähigkeiten sind blockiert.
 
Unterhalb des Blocks findet sich ipsilateral (hier links) eine spastische Lähmung und ein Ausfall der bewussten Propriozeption (Vibration, Tiefensensibilität), weil die Hinterstrangbahn unterbrochen ist.
 
Auf der Gegenseite (hier rechts) ist das Temperatur- und Schmerzempfinden aufgehoben (unterbrochene Vorderseitenstrangbahn)


    Motorisch kommt es ipsilateral zu einer Halbseitenlähmung, da die absteigenden Fasern zu den motorischen Vorderhornzellen zum Großteil (70-90%) die Seite (in der decussatio pyramidum) schon gekreuzt haben. Auf der Ebene des betroffenen Segments tritt auf der betreffenden Seite eine schlaffe Parese auf, die Eigenreflexe sind nicht auslösbar (Areflexie); unterhalb (kaudal davon) findet sich eine spastische Parese mit Hyperreflexie und Pyramidenbahnzeichen (Kloni), z.B. Babinski-Reflex (Großzehe hebt sich, Kleinzehen bewegen sich nach unten / außen bei Bestreichen des Außenrandes der Fußsohle von Ferse zu Kleinzehe).

    Sensibel tritt eine dissoziierte Empfindungsstörung auf: Unterbrechung der aufsteigenden Neuriten der Hinterstrangbahn unterbricht den Tastsinn ipsilateral (Ausfall der bewussten Propriozeption: Störung der Tiefensensibilität, Verlust der Vibrationsempfindung), Unterbrechung des Vorderseitenstranges blockiert kontralateral das Schmerz- und Temperaturempfinden (Analgesie, Thermanästhesie) und führt zu Minderung der Berührungsempfindlichkeit (Hypästhesie) infolge Läsion der spinothalamischen Fasern nach der Kreuzung in der vorderen Kommissur.

    Vegetativ: Vasomotorische Fasern der Seitenstränge - im betroffenen Segment auch Nervenzellkörper - sind mitbetroffen. Das bedingt zunächst Überwärmung und Rötung der Haut, die später in Unterdurchblutung und Zyanose münden kann; manchmal tritt fehlende Schweißsekretion auf.
 

 
      Hinter- und Vorderseitensäule sind mehrschichtige (lamina I bis X) graue Substanz mit zahlreichen synaptischen Verschaltungen und unterschiedlichen Aufgaben
 
      Das Hinterhorn (lamina I bis VII) enthält Endigungen zerebraler Efferenzen und primär-afferenter Axone aus der Peripherie, Interneurone (exzitatorisch und inhibitorisch) sowie Projektionsneurone (lemniskal, spinozerebellär). Lamina I und II (substantia gelatinosa) enthalten Schmerz- (Aδ- und C-), Lamina-V-Neurone multirezeptive Afferenzen (WDR-Neurone: wide dynamic range). Laminae V und VI vermitteln Tiefensensibilität und projizieren über den tractus spinocerebellaris auf das Kleinhirn
 
      Das Seitenhorn ist viszeromotorisch (von C8 bis L3 sympathisch, im Sakralmark parasympathisch); viszerosensible Gebiete befinden sich hauptsächlich im Hinterhorn
 
      Das Vorderhorn (laminae VIII und IX) vermittelt Motorik; stammnahe Muskeln sind von medialen, periphere von lateralen Neuronen innerviert. Die lamina X verbindet die Vorderseitenhörner beider Seiten miteinander und enthält das zentrale Höhlengrau
 
      Somatische Sensibilität wird dem Gehirn über zwei Systeme zugeleitet: Das Hinterstrangsystem (tractus spinobulbaris) leitet epikritische Sensibilität (Tast-, Stellungs-, Bewegungssinn) zu den Hinterstrangkernen (nucl. gracilis von unterer, nucl. cuneatus von oberer Körperhälfte); der Vorderseitenstrang (anterolaterales System) Schmerz und Temperaturempfinden
 
      Spinothalamische Fasern ziehen aus der lamina I (z.T. modalitätsspezifisch) als tractus spinothalamicus lateralis, aus der lamina V (nicht modalitätsspezifisch) als tractus spinothalamicus ventralis zu ihren Zielkernen. Der nucl. ventralis anterior (verlangsamt Willkürbewegungen) und lateralis (beschleunigt Willkürbewegungen); das Pulvinar dient sensorischer Integration
 
      Halbseitenläsionen (Brown-Séquard) treten in Reinform selten auf. Motorisch kommt es zu ipsilateraler Hemiplegie, sensibel zu dissoziierter Empfindungsstörung, vegetativ zu Rötung (früh) bis Zyanose (spät) und evt. fehlender Schweißsekretion
 

 


  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.