Das Makulasystem des Innenohres (Otolithenorgane: macula sacculi,
macula utriculi) misst Richtung und Größe von geradlinigen (Längs-,
Linear-) Beschleunigungen, die auf den Kopf einwirken und meldet, wo
oben und unten ist (Gravitationsrezeptoren). Einwirkende
Kräfte werden nach Koordinaten benannt: +Gx bedeutet
Beschleunigung des Körpers nach ventral, -Gx nach dorsal, +Gy nach
rechts, -Gy nach links, +Gz nach kranial, -Gz nach kaudal. Die
Eingeweide bewegen sich in die Gegenrichtung (Trägheit beschleunigter
Masse). Ein +Gz-Effekt tritt bei aufrechtem Stehen auf, ein +Gx-Effekt
in Rückenlage
Maculae sind ungefähr im rechten Winkel zueinander positioniert und tragen ~20.0000-30.000 Haarzellen. Scherbewegung einer
gelartigen Matrix erregt Zilien, die in sie eintauchen; jede Kopfposition erzeugt ein
bestimmtes Erregungsmuster der Zellen im Otolithenorgan. Neigt man den
Kopf, nimmt die Erregung von Haarzellen teils zu, teils ab - je nach Position
Die Dichte der Gelmatrix beträgt durch eingelagerte Calciumcarbonatkristalle (Ohrensteine, Otolithen, Otokonien,
Statolithen) 1,3-1,4 g/ml, die der Endolymphe ~1,0 g/ml. Daher werden
schräg oder senkrecht zur Beschleunigungsrichtung positionierte Maculae
angeregt. Das wirkt sich auf Membranpotential und Glutamatfreisetzung der Sinneszellen sowie
die Aktionspotentialfrequenz afferenter Nervenfasern aus: Neigung des
Kopfes ändert das Erregungsmuster der Makulaorgane und löst reflektorisch Gegenrollen
der Augen sowie somatische Korrekturbewegungen aus
Haarzellen reagieren auf Bewegungen in einer Richtung, die durch die
Fläche Stereozilien - Kinozilium definiert ist. Jede Haarzelle verfügt
über 50-150 Stereozilien, deren Spitzen über tip links verbunden sind, und ein Kinozilium. Endolymphe und Perilymphe sind über tight-junction-Abdichtungen
zwischen Stütz- und Haarzellen voneinander getrennt. Der hohe
Kaliumgehalt der Endolymphe (stria vascularis) bewirkt bei
entsprechender Biegung der
Stereozilien Kaliumeinstrom und Depolarisierung der Haarzellen. Als
sekundäre Sinneszellen bilden sie Rezeptorpotentiale und Glutamat, das
die Aktionspotentialfrequenz postsynaptisch-afferenter Nervenzellen des
VIII. Hirnnerven steuert
Das Bogengangsystem - links und rechts jeweils drei aufeinander etwa
senkrecht stehende Bogengänge - detektiert Drehbeschleunigungen.
Aufgrund der unterschiedlichen Achsenlagen werden meist alle 6
Cupulae (paddelförmige Schleimfahnen) durch Bewegung der Endolymphe
gereizt. Je nach Position führt Kopfdrehung an einigen Haarzellen zu
Depolarisation, an anderen zu Hyperpolarisation. Das Gehirn
rekonstruiert aus
dem neuronalen Erregungsmuster Stärke
und Richtung der Drehbeschleunigung und exekutiert Korrektur- und
Gegenstellbewegungen von Hals-, Rumpf- und Extremitätenmuskulatur
(Haltungs- und Stellreflexe)
Funktionsüberprüfungen des Vestibularsystems erfolgen mittels Drehstuhl
und testen reflektorische Verbindungen zwischen Innenohr, Hirnstamm
und Augenmuskeln. Kopfdrehungen bewirken kompensatorische Drehung auch
geschlossener Augen, unterbrochen von gegenläufigen ruckartigen
Augenbewegungen (Sakkaden) - gesteuert von pontinen Hirnstammzentren. Nystagmus
ist ein Hin- und Herbewegen der Augen, vestibulärer Nystagmus wird
durch Drehung ausgelöst. Die verantwortlichen Zentren liegen im oberen
Hirnstammbereich, Klein- und Großhirn. Versionen sind gleichsinnige
(z.B. nach rechts), Vergenzen gegensinnige (Konvergenz, Divergenz)
seitliche Bewegungen der Augäpfel (mm. recti medialis und lateralis)
Vestibulookuläre Reflexe
(VOR) sind von den Bogengängen ausgehende Reflexe, sie steuern
Kompensationsbewegungen der Augen bei Kopfdrehungen und halten das
Netzhautbild stabil. Die Drehachse kann vertikal (Kopfschütteln),
horizontal (Nicken) oder sagittal (seitliches Kippen des Kopfes)
liegen, dementsprechend unterscheidet man translatorische und
Rotations-VOR. Bewegten Gegenständen folgt das Auge mit glatten
Folgebewegungen (willkürlich lassen sich solche nicht auslösen), um den
Fixationspunkt auf der Netzhaut nicht zu verlieren. Durch Serien von
Nachfolgebewegungen und Sakkaden tritt optokinetischer Nystagmus auf
Der Gleichgewichtssinn ist zusammen mit Sehen, Hören, somatischer und
Tiefensensibilität Teil des Orientierungssystems. ~19.000 Neurone im
ganglion vestibulare projizieren auf Vestibulariskerne, den
flocculonodulären Teil des Kleinhirns, Thalamus und Großhirn
(Lagewahrnehmung), Hypothalamus (vegetative Reaktionen) und motorische
Vorderhornzellen. Sie steuern Okulo- (vestibulo-okuläre Reflexe) und
spinale Motorik (Gleichgewichtsreflexe) und erhalten somatosensible,
visuelle und Kleinhirnafferenzen
Okulogramme (EOG = Elektrookulographie) sind Aufzeichnungen der
Augenbewegungen (Auge als elektrischer Dipol - vorne positiv, ~1 mV
korneo-retinales Potenzial, Ableitung von Schläfe und Nasenrücken).
Eine spezielle Form ist die Nystagmographie
(ENG = Elektronystagmogramm). Nystagmen können horizontal (rechts
<--> links) oder vertikal auftreten. Zu Beginn einer Rotation
tritt ein vestibulärer Nystagmus in Rotationsrichtung auf
(perrotatorisch), bei Abbremsen zur Gegenseite (postrotatorisch)
Aufrichten des Kopfes um 60° bringt den lateralen Bogengang in
aufrechte Lage. Erwärmen oder Abkühlen seines lateralen Schenkels führt
dann zu Auf- oder Absteigen der Endolymphe, entsprechender Auslenkung
der Cupula und Auslösung des vestibulo-okulären Reflexes (”kalorischer Nystagmus“).
Die Sakkaden erfolgen auf die Seite der Erwärmung oder die Gegenseite
der Abkühlung. So kann eine getrennte Funktionsprüfung des linken und
rechten Vestibularorgans durchgeführt werden
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