Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

   
Physiologie der Sinnesorgane
 
  Physiologie des Hörorgans, Audiometrie
© H. Hinghofer-Szalkay

Akustik: ἀκούειν = hören
Bel / dezi-bel: Nach Alexander G. Bell
Cochlea: κοχλίας = Schraube, cochlea (lat) = Schnecke
Corti'sches Organ: Alfonso Corti
Helix: έλιξ = Windung, Spirale
Phon: φωνή = Laut, Ton, Stimme, Sprache
Pascal: Blaise Pascal
Prestin: presto (ital) = schnell
scapha (lat) = Kahn, Boot
Sone: sonus = Klang, Schall
Tragus: τράγος = Ziegenbock (Haarbüschel ähnlich dem einer Ziege geformt)

Das Gehör hat einen breiten Arbeitsbereich: Zwischen Empfindungs- und Schmerzschwelle liegt eine 106-fache Zunahme der Schalldruckintensität. Die Lautheit wird deshalb mit einem logarithmischen Maß angegeben: Dem Schalldruckpegel (SPL, sound pressure level) in Dezibel - dB(A) - bezogen auf einen Referenz-Schalldruck von 2.10-5 Pa. Bei 1000 Hz Schallfrequenz ist die dB-Skala definitionsgemäß mit der Skala des Lautstärkepegels - gemessen in Phon - identisch.

Die Empfindlichkeit des Ohres ist frequenzabhängig, am höchsten ist sie bei ~4 kHz. (Der Frequenzbereich der Sprache umfasst etwa 300-3000 Hz.)

Schall wird auf das Corti'sche Organ im Innenohr teils über den Schädelknochen ("Knochenleitung"), teils über die Gehörknöchelchen im Mittelohr ("Luftleitung") übertragen. Letztere passen den Schallwellenwiderstand zwischen Luft (Gehörgang) und Flüssigkeit (Perilymphe) so an, dass der Schalldruck etwa um den Faktor 20 erhöht wird. Das reduziert die Reflexion des auf das Trommelfell auftreffenden Schalls von 98% auf ~40%, und verdreißigfacht damit den Anteil des auf das Innenohr übertragenen Schalldrucks (von 2 auf 60% des auf das Ohr eintreffenden Wertes).

Kontraktion der Mittelohrmuskeln (m. stapedius und m. tensor tympani) versteift die Gehörknöchelchenkette und reduziert so deren Druckübertragung. Hohe, potentiell schädliche Schallintensität kann dadurch auf dem Weg zum Innenohr verringert werden und Schäden vermeiden helfen (Schutzreflex).

Die Schallwellen werden über das ovale Fenster auf die Perilymphe der scala vestibuli geleitet und laufen von dort Richtung Schneckenspitze (Helikotrema). Sie verlangsamen sich dabei, die Druckwellen nähern sich einander an, bis es an einer frequenzspezifischen Stelle zur Addition der Wellen, maximaler Auslenkung (Schwingung der Reißner'schen Membran) und Auslöschung der Wanderwelle kommt (topische Abbildung von Schallfrequenzanteilen des Schallmusters).

Das stimuliert Zilienfortsätze des Corti'schen Organs in der scala media und führt zur Reizung innerer Haarzellen; dieses Signal wird über afferente Fasern im N. acusticus an das Gehirn weitergeleitet. Äußere Haarzellen dienen der Verstärkung der Schwingungen und Verbesserung der Frequenzselektivität mittels Prestin, einem kontraktilen Membranprotein.

Je niedriger die Frequenz, desto weiter wandern die Druckwellen in der Schnecke; hohe Frequenzen werden schon in der Nähe des ovalen Fensters, niedrige (erst) in der Nähe des Helikotrema abgebildet.


Äußeres Ohr
Lautheit und Schalldruck Mittelohr Innenohr  Haarzellsystem

    (dezi-) Bel
    Steifigkeit, Wanderwellen

Praktische Aspekte       Core messages
  
Das Ohr ist ein Vibrationssensor für Schwingungen im hörbaren Bereich. Es ist ein fundamentaler Bestandteil für die Fähigkeit der Orientierung und der Kommunikation. Der Aufschlüsselung des Schalls dient das Corti'sche Organ im Innenohr. Die detektierten Schallmuster werden vom auditorischen Teil des Nervensystems analysiert und führen zu entsprechenden Reaktionen (z.B. Hinwendung, Fluchtbewegungen, sprachliche Reaktion etc). Das System zeichnet sich durch besondere Schnelligkeit und Präzision der Schallanalyse und allfälliger motorischer Antworten aus.
 
Äußeres Ohr
 

Schon die Ohrmuschel leistet einen Beitrag zur Ortsanalyse einer Schallquelle. Der konkave innere Rand (scapha) der Ohrleiste (helix) am äußeren Rand der Muschel bis hin zum knorpeligen Tragus direkt vor dem Eingang zum Gehörgang (meatus acusticus externus) sowie dem gegenüber liegenden Antitragus reflektiert einen Teil des Schalls, der zum Ohr gelangt ( Abbildung):
 

Abbildung: Schallortung in der Vertikalebene
Modifiziert nach einer Vorlage in in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Das Gehirn empfängt zwei Frontwellen des Schalls, die nacheinander von der Schallwelle zum äußeren Gehörgang gelangen: Direkt und nach Reflexion an der Ohrmuschel.
 
Laufzeitunterschiede treten abhängig von der Lage der Schallquelle - vor allem in der Vertikalen - auf. Die obere Ohrleiste ist weiter von Gehörgang entfernt als der (kaudal vom Gehörgang liegende) Antitragus; diese vertikale Differenz ermöglicht es dem Gehirn, aus den unterschiedlichen Zeitdifferenzen eine entsprechende oben / unten - Information zu extrahieren

 
Während die Ortung einer Schallquelle in der Horizontalen vor allem den Vergleich des akustischen Signals von beiden Ohren einbezieht (binaurales Hören), genügt für die Ortung in der Vertikalen schon ein Ohr. Prinzip ist die unterschiedliche Laufzeit am Innenrand der Ohrmuschel reflektierter Schallwellen:

Der Schall dringt teils direkt in den äußeren Gehörgang vor, teils verzögert nach Reflexion am Außenrand der Ohrmuschel. Töne, die von oben kommen, haben auf Grund der Form der Ohrmuschel (Reflexion im Bereich des Antitragus) eine kürzere Laufzeit des reflektierten Schalls (blau in der Abbildung) als solche, die von unten auf das Ohr einwirken (in der Abbildung rot: Reflexion am Oberrand der Ohrmuschel, der weiter vom Eingang zum äußeren Gehörgang entfernt ist).

Veränderungen der Position der Schallquelle in der Horizontalebene ergeben keine solchen Unterschiede. Die Unterstützung der Ortung von Schallquellen mittels Reflexion durch die Ohrmuschel funktioniert nur in der Vertikalebene (oben vs. unten).

Die Formen der Ohrmuscheln weisen beträchtliche
individuelle Unterschiede auf. Dementsprechend sind auch die akustischen Details bei der "Vorverarbeitung" der Schallmuster individualspezifisch. Aus den Mustern der akustischen Verzerrungen entsprechende räumliche Informationen zu errechnen, bedeutet die Berücksichtigung der gegebenen Geometrie des äußeren Ohres. Die passenden neuronalen Algorithmen sind nicht genetisch programmiert, sondern beruhen auf Erfahrung und werden individuell erlernt.

Das Gehör vermittelt Information über akustische Vorgänge in der Umgebung und im Körper selbst
 
Das Ohr vermittelt akustische Reize aus Umwelt und Körper (die eigene Stimme klingt anders als von außen: Schallleitung über das Gewebe von Hals und Kopf zusätzlich zur "Luftleitung"). Es verfügt über eine erstaunliche akustische Empfindlichkeit (Schall breitet sich über Longitudinalwellen aus):

Seitenunterschiede von ~1 dB SPL und ~0,00002 Sekunden Ankunftszeit (entspricht einem Winkel von 3°) können vom menschlichen Ohr wahrgenommen werden (Schallgeschwindigkeit in Luft ~340 m/s, mittlerer Ohrabstand beim Erwachsenen 0,22 m).

 

Abbildung: Gehörsystem und Innenohr
Kombiniert nach Vorlagen in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Oben: Das Labyrinth im Innenohr hat einen auditiven (Gehör) und einen vestibulären Teil (Gleichgewichtssinn).
 
Mitte: Der Schnitt durch die Schnecke geht 5-mal durch die Bogengänge. Reissner-Membran und Basilarmembran untergliedern die insgesamt 9 mm große Innenohrschnecke (cochlea) in drei Kompartimente (rechts vergrößert dargestellt):
  
Scala vestibuli und scala tympani gehen am Helikotrema ineinander über und enthalten Perilymphe, die eine für extrazelluläre Flüssigkeit typische Zusammensetzung hat. Von der scala media ist die scala vestibuli mittels der Reissner'schen Membran, die scala tympani mittels der Basilarmembran abgegrenzt.
  
Die scala media enthält Endolymphe und das Corti-Organ (das auf der Basilarmembran "reitet"), ist elektrisch geladen (+80 mV relativ zur Perilymphe: Endocochleäres Potential) und ähnelt in ihrem Elektrolytmuster (kaliumreich) intrazellulärer Flüssigkeit, bedingt durch die Aktivität der stria vascularis ( s. dort).
 
Unten links: Akustisch ausgelöste Wanderwellen durch die Cochlea bewirken Auslenkungen der Reissner- und Basilarmembran, was zu Relativbewegung zur Tektorialmembran und damit Abscherung der Haarzellen führt. Am Überlagerungsort (hier wird der betreffende Frequenzanteil "abgebildet") sind die Schwingungen am stärksten, weiter helikotremawärts nehmen sie rasch ab.
  
Innere Haarzellen liegen innerhalb, äußere Haarzellen außerhalb der Pfeilerzellen (=rods of Corti), die den Corti-Tunnel umrahmen. Rote Pfeile: Kompression / Expansion der äußeren Haarzellen durch Prestin.

Unten rechts: Innere und äußere Haarzelle. Auslenkungen des Innenohr-Kanalsystems infolge Durchlaufens von Schallwellen führen zu Abwinkelung der Sinneshaare der Haarzellen, was deren Membranpotential und folglich die Aktionspotentialaktivität der afferenten Nervenfasern (blau) beeinflusst - diese stammen zum Großteil von den inneren Haarzellen, die das Hören ermöglichen. Äußere Haarzellen verfügen über Prestin, ein kontraktiles Membranprotein, das seine Länge abhängig vom Membranpotential verändert: Es ermöglicht ultraschnelle mechanische Reaktionen der Haarzellen (Elektromotilität), was Schwingungsvorgänge verstärkt (das Innenohr sendet Schallimpulse aus: evoked / spontaneous otoacoustic emissions) und für die Präzision des Hörprozesses entscheidend ist (verbesserte Frequenzselektivität).
 
Rosa sind efferente Nervenfasern gezeigt, diese bringen Impulse von der oberen Olive an die Haarzellen - direkt an äußere, und an afferente Endigungen innerer Haarzellen (Transmitter: Acetylcholin). Diese olivo-cochleären Efferenzen können die cochleäre Verstärkung senken, indem sie den Prestinmechanismus äußerer Haarzellen unterdrücken


Der Intensitätsbereich ist ebenfalls enorm: zwischen Empfindungs- und Schmerzschwelle liegt eine millionenfache Zunahme der Schalldruckintensität.

  Lautheit: Um den großen physiologischen Bereich akustischer Druckschwankungen (sechs Zehnerpotenzen) mit handlichen Zahlen auszudrücken, wird die Stärke der Druckschwankungen (Druckeinheit Pascal : 1 Pa = 1 N/m−2 = 1 kg/m/s) durch ein logarithmisches Maß angegeben: als Schalldruckpegel (SPL = sound pressure level) in dezi-Bel - dB(A).

Dieser bezieht sich auf einen Referenzdruck (po) von 2.10-5 Pa (entspricht etwa dem Hörschwellendruck bei 1 kHz, der aber genau genommen bei 4 dB liegt), und es gilt

 
SPL [dB] = 20 . log (p/po)
 
     Das Bel ist eine nach Alexander Graham Bell benannte logarithmische Einheit (Logarithmus = Hochzahl). Sie wurde eingeführt, um über mehrere Potenzen reichende Energiepegel handlich zu formulieren (daher die Hochzahl). Der Schalldruckpegel nach dieser Definition ändert sich mit dem Quadrat (2!) des Quotienten zweier Leistungsmaße (hier: Schalldruck), d.h. 1 Bel entspricht 2.log(p/po).
 
Das Dezibel (Dezi-Bel dB) ist ein Zehntel Bel. So wie ein Meter aus 10 Dezimetern besteht, kann man statt 1 Bel auch 10 dB schreiben, und aus dem Zweier wird in der Formel ein "20". Die Zunahme des Schalldruckpegels um 20 dB entspricht einer Verzehnfachung des Schalldrucks.
  
    Welcher Zunahme des Schalldrucks entspricht eine Erhöhung des Schalldruckpegels um 60 dB?
 
Um auf die Zahl 60 zu kommen, muss die rechte Seite der oben gegebenen Formel verdreifacht werden (60 = 3 mal 20). Es handelt sich um eine Hochzahl (Basis 10), also ergibt sich 1000 (=103). Die Erhöhung um 60 dB entspricht einer Vertausendfachung des Schalldrucks.
 
Die Empfindlichkeit des Ohres ist frequenzabhängig; am höchsten ist sie
für Frequenzen zwischen ~1 und ~5 kHz (entspricht etwa dem Bereich gesprochener Sprache). Die subjektiv empfundene Lautheit wird über den Lautstärkepegel quantifiziert (Einheit: Phon ).
 

Abbildung: Isophone
Nach einer Vorlage in Blauert J, Räumliches Hören, S. Hirzel Verlag Stuttgart 1974

Isophone verbinden Töne gleicher Lautheit


Bei 1 kHz stimmen Dezibel- und Phon-Skala definitionsgemäß überein, Isophone (Kurven gleicher Lautheit, Abbildung) ziehen von hier aus unterschiedlich durch Schalldruck- Frequenz- Diagramme.
   
Bei 1000 Hz Tonfrequenz stimmen Lautstärke (in Phon) und Schalldruckpegel (in dB SPL) überein
 
Töne, die als gleich laut wahrgenommen werden, haben (unabhängig von der Frequenz) den selben Phonwert

   
Die Frequenz-Untergrenze des menschlichen Hörvermögens liegt bei 16-20 Hz, die obere bei 16-20 kHz, mit dem Alter abnehmend (mit 35 Jahren ~15 kHz, 50 Jahre ~12 kHz, im Greisenalter bis auf ~5 kHz - Presbyakusis).
 
Frequenzoptimum: Das Gehör des Menschen ist zwischen ~1 und ~5 kHz am empfindlichsten
 
Der Hörbereich liegt zwischen 16 Hz und maximal 20 kHz

Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) geht mit Hörverlust im oberen Frequenzbereich (>5 kHz) einher

   
Der tiefste Ton einer Bassgeige hat 45 Hz, der höchste einer Sopranistin 2000 Hz. Der Sprechbereich des Menschen liegt zwischen 300 und 3000 Hz.

     Die Lautheit kann in dB SPL oder auch in Sone angegeben werden. Dies ist eine subjektive Lautheitsskala: z.B. bewirkt eine Verdreifachung der empfundenen Lautheit einer Zunahme um 3 Sone. (Die Hörschwelle liegt bei 0 Sone.)

Gehörschäden treten bei längerer Einwirkung von ≥85 dB SPL (~22 Sone) auf (Gehörschutz notwendig), ab 120 dB genügt dafür schon eine kurze Beschallung; die Schmerzgrenze liegt bei >130 dB. (Das lauteste Brüllen, das von einem Mann registriert wurde, erreichte 128 dB; das lauteste Brüllen einer Frau 119 dB SPL.)

Die Empfindlichkeit des Ohres kann wechseln (Stapediusreflex s. unten). So bewirkt eine intensive Beschallung zunächst eine vorübergehende Erniedrigung der Empfindlichkeit (TTS: transitory threshold shift); bei besonders intensiver bzw. länger andauernder Beschallung resultieren permanente Hörschäden (PTS: permanent threshold shift).

Unterschiedsschwellen: Um zwei Töne als verschieden laut zu empfinden, müssen sie sich im Schalldruckpegel um mindestens 1 dB unterscheiden (Intensitäts- Unterschiedsschswelle). Die Frequenz- Unterschiedsschwelle hängt von der Tonhöhe ab: Im Bereich von 1000 Hz mindestens 3 Hz (d.h. 0,3%), bei Tonhöhen darüber oder darunter ist ein größerer Frequenzunterschied notwendig, um zwei Töne als verschieden hoch erkennen zu können.
            Über akustisch evozierte Potentiale (AEP) s. dort
    

Mittelohr (middle ear)
 

Schalldruckwellen gelangen über äußeren Gehörgang (Länge ca. 2,5 cm) und Trommelfell (Dicke: 0,1 mm) auf die Gehörknöchelchen im Mittelohr (Hammer = malleolus, Masse 25 mg; Amboss = incus, Masse 30 mg; Steigbügel = stapes, Masse 3 mg) zum Innenohr ("Luftleitung"). Schwingungen einer Schallquelle werden auch direkt über den Schädelknochen auf das Innenohr übertragen ("Knochenleitung").
 

Abbildung: Bewegung von Trommelfell, Gehörknöchelchen und Flüssigkeit im Innenohr bei Schalleinwirkung
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Links: In der "Kompressionsphase" eines externen Schallereignisses rückt das Trommelfell nach innen, die Gehörknöchelchenkette überträgt die Bewegung unter Erhöhung des Drucks (Kraft auf kleinere Fläche) auf die Perilymphe des Innenohrs.
 
Rechts: In der "Unterdruckphase" erfolgt die gegenteilige Bewegung: Die elastische Membran im runden Fenster rückt zurück, die Perilymphe strömt Richtung Mittelohr, das Trommelfell wölbt sich in die Ausgangslage zurück.
 
Pfeile: Druckgradient / Richtung der Bewegung




Flüssigkeit wie die Perilymphe im Innenohr hat einen wesentlich höheren Schallwellenwiderstand als Luft. (Senkt man den Kopf unter Wasser, hört man kaum mehr, was sich oben an der Luft akustisch abspielt.) Das Mittelohrsystem dient der Impedanzanpassung:

Die Gehörknöchelchen in der 1-2 ml umfassenden Paukenhöhle verstärken den Schalldruck um den Faktor 23 (Impedanzanpassung), hauptsächlich, weil die Trommelfellfläche (85 mm2, davon 55 mm2 schallaufnehmend) größer ist als die Fläche der Steigbügelplatte (3,2 mm2) im ovalen Fenster (Druck = Kraft pro Fläche!). Das ist deswegen bedeutsam, weil die Perilymphe (hauptsächlich Wasser) einen viel höheren Wellenwiderstand hat als Luft, und ohne Druckverstärkung würden 98% der Schallenergie vom Innenohr reflektiert - so sind es nur ~40%.
 
Die Gehörknöchelchenkette dient der Impedanzanpassung Luft - Wasser
    
Schallwellen bewegen Trommelfell → Trommelfell bewegt Gehörknöchelchen → Gehörknöchelchen bewegen Membran im foramen ovale → Schwingungen im foramen ovale bewegen Perilymphe → scala media wird deformiert → Haarzellen im Corti'schen Organ werden gereizt → Nervenimpulse wandern zum Gehirn
 
Das Schwingungsverhalten im Mittelohr kann durch Kontraktion der Mittelohrmuskeln wie mittels Stoßdämpfern abgeschwächt werden, was einen Schutz vor zu starker Reizung des Systems bei sehr lauter Beschallung ermöglicht:


Stapediusreflex (stapedial reflex, attenuation reflex): Die Mittelohrmuskeln - m. stapedius, m. tensor tympani ( Abbildung) - kontrahieren sich bei hohen (>90 dB) Schalldrucken und wirken dämpfend auf die Schallübertragung (der m. stapedius reduziert die Kraftübertragung auf das ovale Fenster, der m. tensor tympani versteift das Trommelfell).
 
Der Reflexweg läuft üver Cochlearisnerv und formatio reticularis (neben dem Facialiskern) und Motoneuronen zum Stapedius im N. VII.
 
 
Abbildung: Mittelohr
Nach einer Vorlage bei tweetboard.me/anatomy-of-ear-muscles

Der m. tensor tympani tut das, was sein Name besagt: Er versteift das Trommelfell.  Er entspringt am Knorpel der tuba auditiva (Ohrtrompete), zieht durch den canalis musculotubarius und setzt am manubrium mallei an. Er zieht den Amboss nach medial und spannt so das Trommelfell an. Er wird durch einen Ast des N. mandibularis innerviert.

Der m. stapedius reduziert ebenfalls die Schallübertragung. Er ist der kleinste quergestreifte Muskel des menschlichen Organismus. Über die Fußplatte des Steigbügels versteift er das ligamentum anulare im ovalen Fenster und reduziert so die Schallübertragung auf die Perilymphe. Er ist hier reseziert dargestellt (nur Ansatz sichtbar); er entspringt in der eminentia pyramidalis der Paukenhöhlenbucht und zieht durch das Mittelohr zum incus-stapes-Gelenk. Innerviert ist der Stapediusmuskel durch den Stapediusnerv, einen Ast des N. facialis
 
malleus = Hammer, incus = Amboss, stapes = Steigbügel


Der Stapediusreflex hat eine merkliche Latenz - er tritt 50-100 ms nach Beginn des auslösenden Reizes auf, schützt also z.B. kaum vor einem Knall. Da der Reflex insbesondere niedrige Frequenzen dämpft, erleichtert er das Unterscheiden hoher Töne bei niedrigfrequentem Grundrauschen. Wahrscheinlich dämpft der Reflex auch die Wahrnehmung der eigenen Stimme.
 

Die Ohrtrompete (tuba auditiva, Eustachi'sche Röhre) sorgt für Druckausgleich mit außen; bei verlegter Tube wird Luft von der Schleimhaut resorbiert und das Trommelfell nach innen gedellt, was das Gewebe spannt und Schmerz verursacht.

Aus dem Mittelohr wird Sekret zum Rachen transportiert (Reinigung, Infektionsschutz); Tubeninsuffizienz kann zu Mittelohrentzündung führen. Die Mündung der Tube in den Rachen kann mittels Spiegelung untersucht werden (sie ist beim direkten Blick auf die Rachenwand durch das Gaumensegel verdeckt).

 
Innenohr (inner ear)
Haarzellen

Frequenzcodierung: Die Schnecke im Felsenbein nimmt entlang der ~35 mm langen cochlea eine Frequenzanalyse vor (vergleichbar einer Fourier-Analyse). Der zeitliche Abstand der Druckwellen, die durch die scala vestibuli zur Schneckenspitze (Helikotrema) laufen, bestimmt den Ort, an dem sie aufeinander wie bei einer Brandung auflaufen und die scala media auslenken.
  

Abbildung: Hörorgan, Schallauflösung und Basilarmembran (Cochlea "entrollt")
Nach einer Vorlage in Kandel / Koester / Mack / Siegelbaum (eds), Principles of Neural Sciences, 6th ed. 2021 (McGraw Hill)

Am Eingang (foramen ovale) ist die Basilarmembran schmal und dick, Wanderwellen mit hoher Frequenz (<20 kHz) führen hier zu Überlagerung und Reizung des Corti-Organs. Helikotremawärts wird die Basilarmembran immer dünner und breiter und bildet niedrigere Frequenzen (>20 Hz) ab. Radiäre Fasern in der Membran beeinflussen ihre Elastizität; das System ist am foramen-ovale-Ende um einen Faktor 102 steifer als beim Helikotrema.
 
Die Frequenzen werden entlang der Cochlea etwa entsprechend ihrem Logarithmus abgebildet: Das erste Drittel der Cochlea registriert Frequenzen zwischen 2 und 20 kHz; das zweite Drittel zwischen 200 Hz und 2 kHz; das dritte zwischen 20 und 200 Hz

   vgl. dort


    Steifigkeit ist der Widerstand eines Körpers gegen eine elastische Verformung, die durch äußere Belastung (Kraft) aufgezwungen wird. Im Innenohr ist die Steifigkeit der Basilarmembran umso größer, je geringer ihre Schwingungsamplitude bei einem Schallreiz definierter Intensität ausfällt.

Wanderwellen breiten sich vom ovalen Fenster (hier ist die Basilarmembran etwa hundertmal steifer als apikal) in Richtung Helikotrema mit abnehmender Geschwindigkeit aus - z.B. ein 200 Hz-Ton in Stapesnähe mit ~4 m/s, in Helikotremanähe mit ~2 m/s
( Abbildung unten). Die Amplitude der Wanderwellen erreicht höchstens einige Nanometer (v. Békésy postulierte sogar ein Maximum von nur 0,1 nm, vgl. "Historisches").
 
    Druckwellen mit geringem Abstand (hochfrequenter Schall, hohe Töne) führen schon bald hinter dem ovalen Fenster zu Überlagerung, maximaler Auslenkung und Reizung des Corti-Organs sowie Auslöschung der Welle (die Wellen schaukeln sich gegenseitig auf und "versanden" anschließend).
 
    Wellen mit größerem Abstand (niedrigfrequenter Schall, tiefe Töne) gelangen weiter in die Schneckengänge ( Abbildung) und führen erst nahe dem Helikotrema zu Überlagerung, maximaler Auslenkung und Reizung des Corti-Organs sowie Auslöschung der Welle (Tonotopie, place code: Abbildung der Frequenzen entlang der Strecke Fensterplatte → Schneckenspitze).
 
Die größte Amplitude der Wanderwellen liegt bei hohen Frequenzen in der Nähe des Mittelohrs (nahe dem foramen ovale), bei tiefen Frequenzen in der Nähe der Schneckenspitze (helikotremanahe)
   
Zur Ortsanalyse kommt das Prinzip der Periodizitätsanalyse: Die Aktionspotentiale in den afferenten Nervenfasern stehen in fester Relation zur Phase des Rezeptorpotentials der zugehörigen Haarzellen. Das Gehirn kann durch Vergleich der Aktionspotentialmuster (an benachbarten Neuronen) eine präzisere Analyse der Frequenzanteile des Schalls vornehmen als durch Ortsanalyse alleine.
 
"Für seine Entdeckungen im physikalischen Mechanismus der Erregungen in der Schnecke des Ohres" erhielt Georg von Békésy 1961 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Békésy wandte sich von der damals gängigen Auffassung der Funktion der Cochlea ähnlich schwingenden Hörsaiten (Resonanzhypothese) abund postulierte stattdessen die Wanderwellentheorie. Im Grunde korrekt, wird diese Vorstellung heute durch den Verstärkungsmechanismus durch die äußeren Haarzellen (cochlear amplifier)
ergänzt (s. unten).
 
 
Abbildung: Abbiegung der Stereozilien durch Bewegung der Basilarmembran
Nach einer Vorlage in Kandel / Koester / Mack / Siegelbaum (eds), Principles of Neural Sciences, 6th ed. 2021 (McGraw Hill)

Schneckenachse (Modiolus) und Spiralganglion (nicht gezeigt) rechts. An der Projektionsstelle der betreffenden Schwingungsfrequenz entstehen die größten Druckdifferenzen zwischen scala tympani und scala vestibuli, was zu Auslenkungen der Basilarmembran führt. Das bedingt wiederum Scherbewegungen zwischen Tektorialmembran und Corti-Organ.
 
Die Haarzellen liegen zwischen der Retikularmembran (durch die sie ihre Mikrovilli, hier Stereozilien genannt, stecken) und der Basilarmembran (hier blau). Die Spitzen der Stereozilien der äußeren Haarzellen sind an der Tektorialmembran verankert und werden durch die Relativbewegungen zwischen Tektorial- und Retikularmembran hin- und herbewegt. Die Zilien der inneren Haarzellen liegen frei, werden aber durch das Hin- und Herströmen der Endolymphe abgewinkelt.
  
Oben: Bei Aufwärtsbewegung der Basilarmembran (entsprechend Bewegung der Stapesplatte Richtung Mittelohr) rückt die Retikularmembran nach außen (in der Abbildung links), die (durch Gerüste der Aktinfilamente versteiften) Stereozilien (rot) werden in Richtung der längsten abgebogen, die Haarzellen depolarisiert. Endolymphe fließt nach innen (hier rechts), auch die Zilien der inneren Haarzellen werden angeregt.

Mitte
: In der "Ruheposition" nehmen die Stereozilien ihre Mittelposition ein.

Unten
: Bei Abwärtsbewegung der Basilarmembran (
entsprechend Bewegung der Stapesplatte Richtung Innenohr) rückt die Retikularmembran nach innen (in der Abbildung rechts), die Stereozilien werden hyperpolarisiert


Jede Bewegung der Membran des ovalen Fensters wird durch eine entsprechende Bewegung der Membran des runden Fensters kompensiert, da das Innenohr flüssigkeitsgefüllt ist (nicht komprimierbar) und eine starre (Knochen-)Wand besitzt. Die Basilarmembran ist hingegen dehnbar und gibt den Druckereignissen nach, was Auslenkungen im Bereich des Corti'schen Organs zur Folge hat.

Mechanismus der Auslenkung im Bereich des Corti'schen Organs ( Abbildung): Die Haarzellen sind mittels der Retikularmembran - einer dünnen "perforierten" bindegewebigen Platte - am Übergang zwischen Zellkörper und Stereozilien fixiert.

Kommt es zu Ausscherungen der Basilarmembran, "reitet" das gesamte Corti'sche Organ mit; bei Auslenkungen nach oben gleitet die Reihe der Haarzellen nach innen (modioluswärts), die Tektorialmembran bewegt sich relativ dazu nach außen, und die Stereozilien werden nach außen gebogen (die der äußeren Haarzellen sind an der Tektorialmembran fixiert, die der inneren werden von der Endolymphströmung abgewinkelt).

Die Schwingungen der Basilarmembran zwingen dem System eine Oben-unten-Bewegung auf, und die Stereozilien schwingen zwischen "ein" und "aus" (s. Druckwellen und Rezeptorpotential unten). Das bedeutet, es treten Aktionspotentialsalven mit entsprechender Frequenz auf und werden über den Hörnerven an den nucl. cochlearis im Hirnstamm gemeldet.

Das Corti´sche Organ enthält verschiedene Zelltypen (die Funktion einiger davon ist noch nicht bekannt), darunter Pfeilerzellen (sie festigen den Abstand zwischen inneren und äußeren Haarzellen), Deiters-Zellen (diese stützen die äußeren Haarzellen) sowie innere und äußere Haarzellen. An der Stelle der Wellenüberlagerung senden innere Haarzellen Aktionspotentiale über den Hörnerv (N. vestibulocochlearis, VIII. Hirnnerv) zum Gehirn (s. unten).
  

Abbildung: Wellenpropagation entlang der Innenohrschnecke
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Links oben: Durch einen Ton konstanter Frequenz ausgelöste Druckwellen wandern durch das Innenohr. Durch den "Brandungseffekt" verursachte Überhöhungen der Schwingungsamplituden ergeben insgesamt eine Umhüllende, wie sie durch die strichlierte Linie angedeutet wird.
  
Die Auslenkungen der Basilarmembran gehen nicht über diese Umhüllende hinaus; an der Stelle der stärksten Auslenkung wird die entsprechende Frequenz "abgebildet". Der Effekt ist um einen Faktor von etwa 106 übertrieben dargestellt.

Rechts oben: Abbildung dreier Frequenzen. Je höher die Frequenz (z.B. 10 kHz), desto rascher kommt es zur kritischen Überhöhung der Druckwellen - hohe Frequenzen werden stapesnahe abgebildet. Wellen niedriger Frequenz wandern weiter, bevor der Brandungseffekt auftritt - sie werden helikotremanahe abgebildet.

Unten: Cochlea "entrollt" dargestellt (Länge etwa 35 mm). Der Cochleagang wird helikotremawärts zusehends enger, die Basilarmembran hingegen weiter; die Steifigkeit der Membran nimmt von der Basis der Cochlea (nahe dem foramen ovale) zum Helikotrema hin ab (100:1).
  
Dies bewirkt, dass hohe Frequenzen stapesnahe, niedrige helikotremanahe zu maximaler Auslenkung der Basilarmembran (und Reizung der Haarzellen im Corti'schen Organ) führen - Frequenzanteile des Schalls werden im Innenohr "abgebildet" (Tonotopie)


Die Perilymphe ähnelt in ihrer Zusammensetzung extrazellulärer (viel Na+, wenig K+), die Endolymphe hingegen intrazellulärer Flüssigkeit ([Na+] ~2 mM, [K+] ~150 mM). Die Basilarmembran dient als mechanische Stütze, nicht als Grenze zwischen Endo- und Perilymphe.

Die Endolymphe des scala media ist durch die Retikularmembran (diese wird von
den endolymphwärts gerichteten Enden der Stützzellen gebildet) von der Perilymphe der scala tympani, und durch die Reissner-Membran von der scala vestibuli getrennt.

Das Haarzellsystem
 
Im Corti-Organ befinden sich ~3.500 innere und ~12.000 äußere Haarzellen (dem Ohr steht eine entsprechende Zahl an Frequenzkanälen zur Schallauflösung zur Verfügung). Für das Hören benötigt man die (sensorischen) inneren Haarzellen; die äußeren sind Effektorzellen (mit ihnen alleine ist kein Hören möglich), sie beeinflussen die mechanischen Charakteristika der Basilarmembran und wirken sich so auf die Sensorik der inneren Haarzellen aus.
  

  Abbildung: Ein tip link
Nach einer Vorlage in Liqun Luo, Principles of Neurobiology, 2nd ed. CRC Press 2021

Tip links bauen sich aus zwei Vertretern der Cadherin-Familie auf: Cadherin 23 (Cdh23) und Protocadherin 15 (Pcdh15). Diese verankern sich in der Zellmembran banachbarter Stereovilli ("Zilien") und übertragen Scherkräfte, die bei mechanischer Reizung von Haarzellen im Innenohr auftreten.
 
Blau kolorierte Membranareale deuten (elektronenmikroskopisch dunkel erscheinende) insertional plaques an


Jede Haarzelle verfügt über 10-300 Stereozilien (eigentlich keine Zilien, daher richtiger: Stereovilli) - jeweils ~5 µm lang und 0,1-0,3 µm dick, und mittels tip links miteinander verbunden. Tip links sind elastische Filamente, die von der Seite einer Zilie zur Spitze einer Nachbarzilie ziehen. An diesen - elektronenmikroskopisch dunkel erscheinenden - insertional plaques werden bei Reizung Rezeptorpotentiale getriggert.

Tip links bestehen aus Cadherin (Cdh23) und Protocadherin (Pcdh15), die sich einerseits untereinander zu einem tip link verbinden, andererseits die Verankerung in jeweils zwei benachbarten Stereozilien aufbauen ( Abbildung).
 
Genetische Veränderungen an den Genen für Cadherin-23 und Protocadherin-15 können zu Taubheit führen.




Dehnung der Membran an Tip-link-Verankerungspunkten führt zur Öffnung von Kationenkanälen (TRPA1, transient receptor potential cation channels type 1). Da die Endolymphe eine sehr hohe Kaliumkonzentration aufweist (rund 150 mM!), führt dies zu K+-Einstrom in die Zelle. Die resultierende Depolarisierung triggert weiters den Einstrom von Ca++ durch spannungsgesteuerte Calciumkanäle. Dies führt wiederum zur Freisetzung von Glutamat an der Basis der Haarzelle und Depolarisierung der peripheren Endigungen bipolarer Zellen des Spiralganglions. Deren Axone ziehen im Hörnerven zum Gehirn.

Im ersten Abschnitt der Cochlea - wo hohe Frequenzen aufgelöst werden - sind die Stereozilien 4 µm, zum Helikotrema hin bis 7 µm lang. Jedes Stereozilium ist mit zentralen Aktinfilamenten ausgestattet, die durch spezielle Proteine (Plastin, Fascin, Epsin) fest miteinander verbunden sind und dem Zilium entsprechende Steifigkeit verleihen. An ihrer Spitze sind sie in der Kutikularplatte (einem Maschenwerk von Aktinfilamenten) verankert, was sie zu gemeinsamen Bewegungen bringt.

Das im Fetalstadium vorhandene Kinozilium (ein echtes Zilium, mit Axonem und 9 Mikrotubuli) einer Haarzelle in der Schnecke ist für die mechanoelektrische Transduktion im Corti-Organ nicht notwendig und verkümmert nach der Geburt.

Die Zilien der inneren Haarzellen berühren die (über ihnen liegende) Tektorialmembran nicht, sondern werden von der hin- und herströmenden Endolymphe bewegt (wobei sie erregt werden). Die Zilien der äußeren Haarzellen hingegen sind an der Tektorialmembran fixiert.
 

  Abbildung: Haarzellen-Rezeptorpotential
Nach einer Vorlage in Bear / Connors / Paradiso, Neuroscience - Exploring the Brain, 4th ed 2016

Oben: Generatorpotential (in Millivolt) einer Haarzelle in Abhängigkeit von der Zilienauslenkung (in Nanometern) - links vom längsten Zilium weg (Kaliumkanäle geschlossen → Hyperpolarisierung), rechts zum längsten Zilium hin (Kaliumkanäle geöffnet → Depolarisierung). Ein Zilium hat einen Durchmesser von etwa 500 nm, Auslenkungen von 0,3 nm sind bereits wahrnehmbar.
  
Unten: Zeitverlauf des Schalldrucks und des Generatorpotentials: Letzteres spiegelt ersteres exakt wider.
  
Bei Depolarisation kommt es zu Ca++-Einstrom durch spannungsgesteuerte Calciumkanäle, dadurch Freisetzung von Glutamat aus Speichervesikeln und Erregung afferenter (zum Gehirn führender) Fasern des VIII. Hirnnerven


Haarzellen sind spezialisierte Epithelzellen (keine Nervenzellen). Sie generieren in Abhängigkeit vom Ausmaß ihrer Abbiegung Rezeptorpotentiale mittels (wenig selektiver) mechanosensitiver Kationenkanäle vom Typ Tmc (transmembrane channel), die mit dem Ausmaß der mechanischen Verformung der scala media korrelieren und als Generatorpotentiale fungieren (  Abbildung).

Tmc1- und Tmc2-Proteine sind offenbar funktionelle Komponenten des mechanosensiblen Ionenkanals in der Zilienmembran von Haarzellen im Innenohr. Mutationen von Sequenzen für
transmembranale Domänen im Tmc1-Gen verändern die Ionenpermeabilität des mechanosensitiven Kanals, und multiple Dissens-Mutationen führen zu rezessiven oder dominanten Formen von Taubheit.

Auslenkung der Zilien zum "langen" Ende depolarisiert, zum "kurzen" Ende hyperpolarisiert die Zelle (vgl. Abbildung unten). Das Membranpotential beträgt zwischen -30 und -70 mV. In einer ungereizten Haarzelle sind ≥10% der mechanosensitiven Ionenkanäle offen.

Ein Geräusch, dessen Stärke gerade über der Hörschwelle liegt, verursacht ein Rezeptorpotential von ~0,1 mV Größe. Eine Auslenkung der Zilien um weniger als 1 nm (<10-3 µm) verursacht bereits eine messbare Änderung des Membranpotentials. Bei mäßiger Reizung schwingen die Haarzellbündel um einen Betrag von etwa ±1° hin und her (viel weniger als der ~0,2-µm-Durchmesser eines Stereoziliums). Eine Abbiegung der Zilien um 100 nm (0,1 µm) bewirkt bereits 90% des Maximaleffekts, der bei ~0,5 µm Zilienbewegung erreicht wird.

Depolarisierte Haarzellen setzen Glutamat frei, dieses führt zu
Depolarisation afferenter Nervenfaserendigungen und beeinflusst deren Aktionspotentialfrequenz (s. unten). Sowohl das Aktionspotential als auch die nachfolgende Refraktärzeit afferenter Cochlea-Neurone dauert jeweils 1 µs; das ermöglicht eine maximale Aktionspotentialfrequenz an afferenten Cochlearisfasern von etwa 500 Hz.

Haarzellen und die sie umgebenden Stützzellen bilden an ihren apikalen Polen - wo sie durch tight junctions eng miteinander verbunden sind - die Retikularmembran. Diese separiert die Endolymphe von der darunterliegenden Perilymphe. Auf diese Weise tauchen die Haarzellen apikal in Endolymphe, basal in Perilymphe ein.

Mutationen der Gene für Claudin-Moleküle der tight junctions verändern die parazelluläre Leitfähigkeit der Retikularmembran und reduzieren den Betrag des endocochleären Potentials.
 
 
  Innere Haarzellen (Abbildung oben) sind nicht an der Tektorialmembran fixiert, ihre frei beweglichen Zilien werden von der Endolymphe abgebogen, während diese im Rahmen der Schalldetektion zwischen Tektorialmembran und Haarzellen hin- und herströmt (hydrodynamische Kopplung).
  

   Abbildung: Transduktion an Haarzellen im Innenohr
Nach Vorlagen in Carlson NR / Birkett MA, Physiology of Behavior, 12th ed. Pearson 2017, und Liqun Luo, Principles of Neurobiology, 2nd ed. CRC Press 2021

Oben links: Positionierung der Zilien einer Haarzelle und ihre Verbindung über tip links genannte Stereozilien (rot).
 
Oben rechts: Bewegung der Zilienbündel in Richtung zum kürzesten Zilium verringert, in Richtung zum längsten erhöht die Entladungsrate der Neuronen, die an die Haarzelle angeschlossen sind (N. cochlearis).
 
Mitte: Mit zunehmendem Zug am tip link erhöht sich die Öffnungswahrscheinlichkeit verknüpfter TMC-Ionenkanäle (transmembrane channel-like protein) und damit der Einstrom von Kaliumionen. Dadurch wird das Membranpotential reduziert (Generatorpotential) und Aktionspotentiale am angeschlossenen Neuron ausgelöst.
 
Stehen die Zilien gerade (Ruheposition, hier in der Mitte dargestellt), beträgt die Öffnungswahrscheinlichkeit für die TMC-Kanäle etwa 10%. Es besteht also ein mäßiger Kationeneinstrom, was einer geringen Depolarisierung des Rezeptorpotentials entspricht. Maximale Öffnung der TMC-Kanäle (rechts) wird bei einer Abbiegung der Zilien zum "langen" Ende um ca. 0,5 µm erreicht.
 
Unten: Stereozilien detektieren mechanische Reize, indem die Durchlässigkeit von Kaliumkanälen in der Zilienmembran mit ihrer Abwinkelung variiert. Die extrazelluläre Flüssigkeit hat hier eine außergewöhnlich hohe [K+], sodass Kaliumionen durch offene Kaliumkanäle in die Zelle einströmen und die Zelle dadurch depolarisieren. Das führt zu Einstom von Calciumionen durch spannungssensitive Calciumkanäle in der Membran des Zellkörpers.
In weiterer Folge exozytiert (sezerniert) die Haarzelle eine gesteigerte Menge an Transmitter (Glutamat), die Aktionspotentialfrequenz am angeschlossenen Neuron nimmt zu



Bewegt sich die Basilarmembran nach oben, fließt Endolymphe nach zentral (Richtung Modiulus), bewegt den Zilienschopf Richtung längster Zilie, die Zelle depolarisiert; das öffnet spannungsabhängige Calciumkanäle, das intrazelluläre [Ca++] steigt, synaptische Vesikel werden exozytiert, Glutamat wird an Synapsen mit afferenten Nervenfasern freigesetzt.

   Innere Haarzellen sind auf -40 mV aufgeladen; zur Endolymphe (+80 mV) ergibt sich insgesamt eine Potentialdifferenz von 120 mV. Depolarisierung der Zelle bewirkt Glutamatfreisetzung.

Lautstärkencodierung: Fasern des Hörnerven bilden spontan Aktionspotentiale. Reizung durch Schall erhöht die Aktionspotentialfrequenz bis auf einige 103/s. Dies würde - auf sich alleine gestellt - die Codierung einer Schalldruckänderung von ~50 dB erlauben. Der tatsächliche dynamische Codierungsbereich beträgt ~120 dB; das erklärt sich damit, dass jede einzelne Haarzelle mit mehreren Neuronen (die unterschiedliche Erregungsschwellen haben) Kontakt hat. Mit der Stärke des Reizes nimmt die Zahl der aktivierten Neuronen zu.
 
~95% der afferenten Fasern im Hörnerven beziehen ihre Information von inneren Haarzellen,
die also das eigentliche Hören codieren (vgl.
Abbildung ganz unten).

Die Frequenz, mit der es zum Ein- und Ausstrom von Kaliumionen durch die Haarzellmembran kommt, entspricht der Frequenz des auslösenden (detektierten) Schalls. Die inneren Haarzellen haben intensive synaptische Kontakte zu afferenten Fasern; deren Aktionspotentiale sind zeitlich mit der Phase des Haarzell-Rezeptorpotentials verknüpft (Phasenkopplung).
 
    Äußere Haarzellen dienen nicht direkt der Schallanalyse, sondern der Verstärkung und Präzisierung des akustischen Signals. Ihre Zilien stehen in direktem Kontakt mit der Tektorialmembran; mechanosensible Kalium- und Calciumkanäle in der Membran der Zilienspitze (1-2 pro Zilium) ändern ihren Öffnungszustand entsprechend der Abwinkelung innerhalb von Bruchteilen einer Millisekunde.

Schwingt die Basilarmembran nach oben, bewirkt die Abwinkelung der Zilien eine Depolarisation der Haarzelle, und diese verkürzt sich um einige µm (Hyperpolarisation bewirkt umgekehrt eine Streckung der Haarzelle).




Wie funktioniert diese blitzartige Kontraktion von äußeren Haarzellen? Ihre laterale Membran weist eine Art Stützstrumpf auf, der aus dem kontraktilen Protein Prestin besteht (einige 106 Moleküle pro Zelle - s. Abbildung oben). Die Verkürzung funktioniert anders als der kontraktile Apparat in Muskelzellen: Sie benötigt kein ATP, kein Aktinsystem, kein extrazelluläres Ca++; Prestin gehört zur Familie der Anionentransporter, es reagiert auf Änderung des Membranpotentials unmittelbar mit einer eigenen mechanischen Antwort - und zwar um Größenordnungen rascher, als das für andere Motorproteine typisch ist.
 
    Die Kontraktion der Haarzelle unterstützt die Aufwärtsbewegung der Basilarmembran ("cochleärer Verstärker", cochlear amplifier).

Der Prestinmechanismus erhöht die Schwingungsamplitude der Basilarmembran, was insbesondere bei niedrigem Schalldruckpegel einen verstärkenden Effekt hat. Das verbessert die Auflösung von Frequenzanteilen
des detektierten Schalls - die Verstärkung erfolgt jeweils nur bei einer charakteristischen Frequenz -, insbesondere bei höheren Frequenzen (Verschärfung der akustischen Analyse, rote Kurve in der folgenden Abbildung). So können auch sehr schwache akustische Reize überschwellig wirksam werden.

Die Funktion der wenigen Afferenzen von äußeren Haarzellen zum Hörnerven ist unklar, vielleicht dienen sie der Schmerzleitung.

  Äußere Haarzellen sind auf -70 mV aufgeladen; zur Endolymphe (+80 mV) ergibt sich insgesamt eine Potentialdifferenz von 150 mV. Depolarisierung der Zelle bewirkt Kontraktion des Prestins.
 

Abbildung: Maximale Auslenkung der Basilarmembran in Relation zur Position in der Cochlea
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Auslöser ist ein reiner Ton (gegebene Frequenz) geringer Intensität.
  
Die blaue Kurve gibt das passive Antwortmuster der Basilarmembran wieder (z.B. bei anoxischem Sauerstoffmangel), die rote Kurve diejenige der "lebendigen" Cochlea, inklusive dem Beitrag des Prestinmechanismus in den äußeren Haarzellen (cochlear amplifier).
  
Die strichlierte Linie zeigt den Schwellenwert, der zu elektrophysiologischen Reaktionen des Innenohrs führt

Mutationen im Prestin-System reduzieren das Hörvermögen um ~40 dB und beeinträchtigen die Fähigkeit der Frequenzunterscheidung.
 
Olivocochleäre Efferenzen: Das Gehirn beeinflusst die Funktion der Haarzellen über efferente Fasern aus der oberen Olive ( Abbildung ganz oben). Diese sind cholinerg; sie wirken direkt auf äußere und indirekt (über Synapsen an afferenten postsynaptischen Nervenendigungen) auf innere Haarzellen. Acetylcholin aktiviert über ionotrope Rezeptoren den Einstrom von Ca++ in äußere Haarzellen; dies öffnet calciumaktivierte Kaliumkanäle, was die Zelle hyperpolarisiert und den Prestinmechanismus dämpft.
 
Durch olicocochleäre Efferenzen übt das Gehirn eine Kontrolle über die Signalverstärkung im Innenohr aus. Vermutlich dient dieser Mechanismus der auditiven Fokussierung, d.h. sie reduziert die Empfindlichkeit gegenüber unerwünschten (Stör-, Begleit-) Geräuschen.
 
Endocochleäres Potential: Zwischen Endo- und Perilymphe baut sich ein endocochleäres Potential von ~80 mV Stärke auf. Das Bezugspotential ist das der Perilymphe (0 mV), in der Endolymphe beträgt das Potential etwa +80 mV.
 
Die Endolymphe ist gegenüber dem umgebenden Extrazellulärraum auf etwa +80 mV aufgeladen
 
Verlust des endocochleären Potentials ist eine häufige Ursache für Hörverlust.

Das endocochleäre Potential wird von der stria vascularis aufgebaut: Diese enthält spezialisierte (nicht-sensorische) vestibular dark cells, das sind Marginalzellen, welche Kaliumionen in die Endolymphe sezernieren. Die Kaliumionen werden aus dem Kreislauf in das Interstitium nachgeliefert und wandern über vier Zelllagen: Fibrozyten, Basalzellen, Intermediär- und Marginalzellen ( Abbildung). Dabei durchqueren sie gap junctions, welche die ersten drei Zellreihen verbinden, und dann eine (extrazelluläre) intrastriatale Flüssigkeit zwischen intermediären und Marginalzellen ( Abbildung). Das K+ ladet den Endolymphraum der Schnecke positiv auf (80 mV).
 

Abbildung: Die stria vascularis sezerniert Kaliumionen in die Endolymphe
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Am Aufbau des endocochleären Potentials (Aufladung der Endolymphe in der scala media, ≥80 mV) sind mehrere Zellschichten der stria vascularis beteiligt:
  
    Bindegewebszellen des ligamentum spirale pumpen Kalium - basolateral via Na-K-Pumpe und Na/K/Cl-Symporter, apikal über gap junctions -
  
    durch Basalzellen hindurch (gap junctions) Richtung
  
    intermediäre Zellen, diese weiter - über Kaliumkanäle - in den interstitiellen Spaltraum (mit "intrastrialer" Flüssigkeit - diese ist bereits auf ~90 mV aufgeladen) zu - die scala media auskleidenden -
  
    spazialisierten Marginalzellen (vestibular dark cells), die basolateral mittels Na-K-Pumpe und Na/K/Cl-Symporter Kalium anreichern und apikal per Kaliumkanälen in die Endolymphe exportieren.

Ergebnis: Die Scala media weist hohe Kaliumkonzentration (~150 mM) und positive Ladung (~80 mV) auf


Die Haarzellen haben ein Ruhepotential von -55 (innere Haarzellen) bzw. -70 mV (äußere Haarzellen). Das Rezeptorpotential der inneren Haarzellen - also die reizsynchronen Veränderungen des Membranpotentials - folgen bei Frequenzen bis zu einigen hundert Hertz weitgehend den Auslenkungen der Basilarmembran.

Bei höheren Frequenzen oszillieren die Zilien zwar auch noch reizsynchron, es kommt bei der Reizung aber zusehends zu einer steten (und weniger oszillatorischen) Erhöhung des Kaliumeinstroms, Depolarisierung und Ausschüttung des Transmitters Glutamat.
 
Bei niedrigen Frequenzen folgt das Rezeptorpotential den Schwingungen der Basilarmembran
  
Das Gesamtpotential zwischen Haarzelle (intrazellulär -70 mV) und Endolymphe (extrazellulär +80 mV) beträgt bis zu 150 mV. Das Ruhepotential der Haarzellen addiert sich auf das endocochleäre Potential. Diese hohe Spannung steigert die Empfindlichkeit der Hördetektion, indem sie den elektrochemischen Gradienten für den K+-Einstrom in die Haarzelle erhöht  (Öffnung der Kaliumkanäle an den Haarzell-Stereozilien führt zu Kaliumeinstrom und Depolarisierung).
 


Abbildung: Vorgänge an einer inneren Haarzelle (Spannungswerte entsprechen einer "Momentaufnahme" und sind dynamisch)
Nach einer Vorlage bei R. TannerThies: Physiology - An Illustrated Review. Thieme 2011

Cochleäre Vibrationen bewirken Relativbewegung der Tektorial- gegen die Basalmembran, Abwinkelung der Stereozilien, Depolarisation und Verkürzung. Dies verstärkt den Reiz an den Stereozilien innerer Haarzellen (rosa Pfeil).
  
Deren kaliumbedingte Depolarisierung (hohe Kaliumkonzentration - >140 mM - der positiv aufgeladenen Endolymphe) öffnet Calciumkanäle, was Ca++-Einstrom und dies wiederum Glutamatfreisetzung zur Folge hat - afferente Neuronen (VIII. Hirnnerv) werden dadurch aktiviert.
 
Schlussleisten (tight junctions) zwischen Haar- und Gliazellen verhindern
parazellulären Stromfluss, sie isolieren die Haarzellschicht und trennen den Endolymph- (apikal) vom Perilymphraum (basolateral).
 
Gliazellen entfernen überschüssige Kaliumionen aus dem Extrazellulärraum via Aufnahme von Chloridionen (K/Cl-Symport)




Werden die Stereozilien der inneren Haarzellen bei Scherbewegungen gegeneinander verschoben (Durchgang von Wanderwellen), kommt es zur Öffnung mechanosensibler Ionenkanäle an der Spitze der Zilien, Kaliumeinstrom, Depolarisation und entsprechende Generatorpotentiale an den Haarzellen.

Warum depolarisiert Öffnung von Kaliumkanälen die Haarzelle? Üblicherweise führt Öffnung der Kaliumkanäle zu Hyperpolarisierung. Dass die Öffnung von Kaliumkanälen Haarzellen depolarisiertist ein Sonderfall und hat zwei Gründe:

       Die Kaliumkonzentration in der Endolymphe ist so hoch, dass das Kalium-Gleichgewichtspotential ~0 mV beträgt.
 
       Dazu kommt das endocochleäre Potential - der elektrische Gradient an der Membran beträgt um die 130 mV und treibt K+ durch offene Kaliumkanäle in die Zelle - das verringert das Membranpotential.

Depolarisation und Hyperpolarisation tritt an den Stereozilien synchron auf. Depolarisation öffnet spannungsabhängige Calciumkanäle (L-Typ), Ca++-Ionen strömen in die Zelle, und Glutamat wird als Transmitter freigesetzt. Das löst schließlich Aktionspotentiale an den afferenten Fasern des ganglion spirale aus.
 
Auslenkung der tip links depolarisiert die Haarzelle
   
Die inneren Haarzellen sind die eigentlichen Sensoren im Hörapparat; ihre Zerstörung führt zu kompletter Taubheit.
 
     
  Zur Physiologie von Haarzellen s. auch dort
 
Bei den äußeren Haarzellen ist ein anderer Mechanismus im Spiel: Sie sind hauptsächlich efferent innerviert, und bei Depolarisation kontrahieren sie, bei Hyperpolarisation strecken sie sich. Die Kontraktion ist ultraschnell und erfolgt durch Wirkung eines speziellen Eiweißes in der lateralen Wand der äußeren Haarzellen: das Prestin. Bei Depolarisation verringert es seine Fläche, die Zelle kontrahiert, dies überträgt sich auf den Schalldetektionsapparat und bildet einen aktiven Beitrag zur Empfindlichkeitssteigerung im Innenohr. Dieser "cochleäre Verstärker" (cochlear amplifier) bewirkt eine Verhundertfachung der Auslenkung der Basilarmembran ( Abbildung oben).

Nur so können die inneren Haarzellen auch bei niedrigem Schalldruck erregt werden. Auch wird durch die lokal eng begrenzte Verstärkung die Frequenzauflösung erhöht.
Wie wesentlich diese Mechanismen sind, zeigt sich an hochgradiger Schwerhörigkeit und herabgesetzter Frequenzauflösung (aber nicht kompletter Taubheit!) bei Verlust der äußeren Haarzellen.

Efferente Nervenfasern aus der oberen Olive - etwa eintausend an der Zahl - hemmen die
äußeren Haarzellen cholinerg; d.h. sie werden durch Acetylcholin hyperpolarisiert (Ca++-aktivierbarer Kaliumkanal). Dies führt zu lokaler Abnahme der Empfindlichkeit der Cochlea und erlaubt gezielte zentrale Modulation im Sinnesorgan.
 
Abbildung: Innervation der Haarzellen durch Neurone des ganglion spirale
Nach einer Vorlage in Kandel / Koester / Mack / Siegelbaum (eds), Principles of Neural Sciences, 6th ed. 2021 (McGraw Hill)

Das Spiralganglion (ca. 30.000 Ganglionzellen) innerviert die inneren Haarzellen besonders dicht: Eine innere Haarzelle projiziert auf ~10 Neuronen im Spiralganglion, so wird die Information von jeder Rezeptorzelle unabhängig über mehrere parallele Kanäle nach zentral gemeldet.
 
Einige Neuronen übertragen Signale (konvergent) von jeweils mehreren äußeren Haarzellen (afferente Fasern rot gezeigt).
 
Efferente Neurone von den oberen Olivenkernen (grün) innervieren vor allem äußere Haarzellen. Sie sind cholinerg (ionotrop) und hyperpolarisieren die Haarzellen durch Öffnung Ca++-sensitiver Kaliumkanäle. Einige Fasern enden auch an sensorischen Terminals innerer Haarzellen


Verschaltung auf afferente Fasern des Hörnerven. Der Hörnerv (N. cochlearis, auditory nerve) ist Teil des VIII. Hirnnerven; die Somata seiner Nervenzellen - die akustische Sinnesinformation an das Gehirn melden - liegen im ganglion spirale (das im Zentrum der Schnecke untergebracht ist und wegen seiner spiraligen Form so genannt wurde).

Einzelne Neurone des afferenten Systems haben unterschiedliche Frequenzempfindlichkeiten (tuning curves). Ihre Aktivität ist ebenfalls unterschiedlich: Die sentitivsten haben ihre Reizschwelle bei etwa 0 dB SPL, weisen eine hohe Spontanaktivität auf und erreichen ihre höchste Aktivität bereits bei 30 dB; andere sind weniger empfindlich und zeigen kaum Spontanaktivität, ihre Reaktion steigt aber bei höherem Schalldruck (bis über 100 dB) an. Neurone mit mittlerer Empfindlichkeit liegen zwischen diesen Extremen. Auch feuern bestimmte Neuronen zu bestimmten Abschnitten der Schallschwingung (phase locking).

Das Spiralganglion enthält zwischen 35.103 und 50.103 Neurone; die meisten (95%) kommunizieren mit inneren Haarzellen. Jede der etwa 3.500 davon sendet Impulse zu etwa 10 verschiedenen afferenten Neuronen ( Abbildung). Diese Anordnung ist nicht redundant: Die empfindlichsten Neurone haben den synaptischen Kontakt zu ihrer Haarzelle an der äußeren Seite, die am wenigsten empfindlichen auf der achsennahen Seite einer inneren Haarzelle. So werden verschieden starke Reizungen jeder einzelnen inneren Haarzelle über unterschiedliche Afferenzkanäle codiert.

Von den etwa 12.103 äußeren Haarzellen werden nur etwa 5% der Spiralganglienneuriten kontaktiert, und auf jede von diesen konvergiert Information von mehreren äußeren Haarzellen. Die akustische Information aus der Gehörschnecke stammt von den inneren Haarzellen; die äußeren dienen der Signalverstärkung (Prestin-Mechanismus, s. oben).

Olivocochleäres System: Efferente cholinerge Nervenfasern, die vom oberen Olivenkomplex der Brücke zur Gehörschnecke ziehen (olivo-cochleäres Bündel, ein Teil des VIII. Hirnnerven) beeinflussen die Reiztransformation im Innenohr. Ihre Axone nützen mehrere Neurotransmitter (vor allem Acetylcholin, auch GABA) / neuroaktive Peptide; durch rasche Aktivierung von SK-Kaliumkanälen wirken diese (überraschenderweise) hyperpolarisierend. Solche inhibitorischen Efferenzen vom Gehirn zum Gehörorgan könnten z.B. Schutzreflexe auslösen, die einer Schädigung der Haarzellen bei sehr lauten Schallreizen vorbeugen.




 
   Nebenwirkung: Schleifendiuretika (z.B. Furosemid) wirken diuretisch, indem sie den Na+-K+-2Cl--Transporter im dicken Teil des aufsteigenden Schenkels der Henle-Schleife hemmen. Allerdings blockieren sie auch einen analogen Cotransporter in der stria vascularis, worauf die Kalium-Konzentration in der Endolymphe und damit das für die akustische Reiztransduktion notwendige cochleäre Potential (s. oben) absinkt. Die Folge ist Taubheit, die zuerst reversibel, später bleibend ist. Daher gelten Schleifendiuretika als ototoxisch.

Auch Antibiotika (wie Kanamycin) können den Verstärkungseffekt der äußeren Haarzellen blockieren (die inneren Haarzellen bleiben unbeschädigt) und zu Innenohrtaubheit führen. Das zeigt, wie essentiell der Verstärkereffekt der äußeren Haarzellen für den Hörvorgang ist.
 

 
      Die Intensität eines Schalls korreliert mit der Stärke der Druckschwankungen, die er hervorruft. Der Schalldruckpegel ändert sich mit dem Quadrat (Hochzahl 2) des Quotienten zweier Schalldrucke. 1 Bel entspricht 2.log(p/po), für den Referenzdruck (po) wurde ein Wert von 2.10-5 Pa festgelegt. Der Schalldruckpegel (SPL = sound pressure level) wird in dezi-Bel, dB(A) als 20.log(p/po) errechnet (ein Dezi-Bel ist ein Zehntel Bel, aus "2" wird in der Formel "20"). Die Zunahme des Schalldruckpegels um 20 dB entspricht einer Verzehnfachung des Schalldrucks
 
      Die Empfindlichkeit des Ohres ist frequenzabhängig; am höchsten ist sie zwischen ~1 und ~5 kHz. Die Untergrenze des menschlichen Hörvermögens liegt bei 16-20 Hz, die obere bei 16-20 kHz, mit dem Alter abnehmend (Presbyakusis: Hörverlust im Frequenzbereich >5 kHz). Die Empfindlichkeit des Ohres kann wechseln (Stapediusreflex). Intensive Beschallung reduziert vorübergehend die Empfindlichkeit (TTS: transitory threshold shift); länger andauernde intensive Beschallung bewirkt permanente Hörschäden (PTS: permanent threshold shift)
 
      Die subjektiv empfundene Lautheit wird über den Lautstärkepegel quantifiziert (Einheit: Phon). Töne, die als gleich laut wahrgenommen werden (Isophone), haben den selben Phonwert. Bei 1 kHz stimmen Dezibel- und Phon-Skala definitionsgemäß überein
 
      Um zwei Töne als verschieden laut zu empfinden, muss sich ihr Schalldruckpegel um mindestens 1 dB unterscheiden (Intensitäts- Unterschiedsschswelle). Die Frequenz- Unterschiedsschwelle hängt von der Tonhöhe ab: Bei 1000 Hz ~3 Hz, darüber oder darunter >3 Hz
 
      Die Gehörknöchelchenkette dient der Impedanzanpassung Luft - Wasser (Erhöhung des Schalldrucks um den Faktor 23). Die Mittelohrmuskeln dämpfen bei hohen (>90 dB) Schalldrucken die Schallübertragung: Der m. stapedius reduziert die Kraftübertragung auf das ovale Fenster (Stapediusreflex), der m. tensor tympani versteift das Trommelfell. Der Reflex hat eine Latenz von ≤0,1 s und dämpft wahrscheinlich auch die Wahrnehmung der eigenen Stimme. Die tuba auditiva (Eustachii) dient dem Druckausgleich und dem Abtransport von Sekret zum Rachen (Reinigung, Infektionsschutz)
 
      In der Innenohrschnecke bestimmt der zeitliche Abstand der Druckwellen (Wanderwellen, Amplitude höchstens einige Nanometer), die durch die scala vestibuli laufen, den Ort, an dem sie die scala media maximal auslenken (Abbildungsort einer Frequenz). Ihre Geschwindigkeit nimmt ab, bis sie sich überlagern: Hohe Töne werden hahe dem ovalen Fenster abgebildet, tiefe näher am Helikotrema (Tonotopie entlang des Corti'schen Organs). Zur Ortsanalyse kommt bei tieferen Frequenzen Periodizitätsanalyse: Aktionspotentiale in den afferenten Fasern des Hörnerven stehen in fester Relation zur Phase des Rezeptorpotentials der zugehörigen Haarzellen
 
      Im Corti-Organ sind Haarzellen mittels Retikularmembran fixiert. Schwingt die Basilarmembran, nimmt sie das Corti'sche Organ mit; Relativbewegungen zur Tektorialmembran biegen Stereozilien der äußeren, Endolymphströmungen die der inneren Haarzellen. Letztere bilden in Abhängigkeit von ihrer Abbiegung Rezeptorpotenziale (Generatorpotentiale). Öffnung spannungsabhängiger Ca++-Kanäle setzt Glutamat frei, dieses erregt afferente Nervenfasern
 
      Innere Haarzellen haben synaptische Kontakte zu afferenten Fasern des Hörnerven, deren Aktionspotentiale sind mit dem Rezeptorpotential phasengekoppelt. Mit der Stärke des Reizes nimmt die Zahl der aktivierten Neuronen zu (Lautstärkencodierung). Kaliumkanäle in den Zilien der Haarzellen sind miteinander durch molekulare Brücken (tip links) verbunden.  Werden letztere angespannt, öffnen Kaliumkanäle, die folgende Depolarisation öffnet spannungsabhängige Calciumkanäle, Glutamat wird freigesetzt. Bei niedrigen Frequenzen folgt das Rezeptorpotential der inneren Haarzellen den Schwingungen der Basilarmembran, bei höheren ist der Kaliumeinstrom eher kontinuierlich. ~95% der afferenten Fasern im Hörnerven beziehen ihre Information von inneren Haarzellen
 
      Äußere Haarzellen verstärken das akustische Signal mittels des kontraktilen Proteins Prestin ("elektromechanische Transduktion"). Der cochleäre Verstärker bewirkt eine Verhundertfachung der Auslenkung der Basilarmembran
 
      Endocochleäres Potential: Die stria vascularis sezerniert Kaliumionen über vier Zelllagen in die Endolymphe: Gegenüber der Perilymphe bzw. dem umgebenden Extrazellulärraum ist sie positiv aufgeladen. Das Gesamtpotential zwischen Haarzelle (intrazellulär -70 mV) und Endolymphe (extrazellulär +80 mV) beträgt somit ~150 mV. Das Ruhepotential der Haarzellen addiert sich auf das endocochleäre Potential; dies steigert die Empfindlichkeit der Hördetektion (hoher elektrochemischer Gradient für den K+-Einstrom in die Haarzelle). Schleifendiuretika (Furosemid) blockieren den Na/K/2Cl-Cotransporter in der stria vascularis, senken die Kalium-Konzentration in der Endolymphe und damit das cochleäre Potential. Die Folge ist Taubheit, Schleifendiuretika wirken ototoxisch
 
      Verschaltung auf afferente Fasern des Hörnerven: Der N. cochlearis ist Teil des VIII. Hirnnerven; die Somata seiner Nervenzellen liegen im Spiralganglion. Die meisten (95%) seiner bis zu ~40.000 Neurone  kommunizieren mit ~4000 inneren Haarzellen: Jede von ihnen projiziert auf etwa 10 afferente Neuronen
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.