Erkennen und Verarbeiten von
Sinnesmeldungen, Wissen und Erinnern, Hören und Sprachverständnis,
Geschmacks- und Schmerzempfindung, sowie Beteiligung an der emotionalen
Kontrolle sind Aufgaben des Temporalhirns
.
Das Temporalhirn enthält assoziative Teile des Neokortex, den kortikalen Apparat des Hörsinns (Hörrinde, <Abbildung) sowie das
Wernicke-Areal
, ferner Anteile des
limbischen Systems (Hippokampus und entorhinaler, perirhinaler und parahippokampaler Kortex). Es ist für Aufbau und Speicherung von
Gedächtnisinhalten entscheidend; Verletzungen im limbischen Bereich des
Temporalhirns können zu massiven Gedächtnis- und Verhaltensstörungen führen (retrograde
Amnesie, Verlust des expliziten Lernens: Beispiel Henry Gustav Molaison).
Ist der assoziative Kortex betroffen, können auditorische, aber auch
visuelle Agnosien auftreten, das Erkennen oder Benennen von Objekten
oder Gesichtern kann erschwert bis unmöglich werden (Objektagnosie, Prosopagnosie
).
Die primäre Hörrinde im mittleren und oberen Temporalhirn (Heschl-sche Querwindung
= gyri temporales transversi) erhält aus dem medialen Kniehöcker über die
Hörstrahlung akustische Information aus der Innenohrschnecke (
s. dort). Dieser Rindenbereich enthält eine
tonotope Karte,
welche die Frequenzabbildung im Corti-schen Organ widerspiegelt.

<Abbildung: Frequenzentsprechung auf der Hörrinde
Nach einer Vorlage in rci.rutgers.edu
In der Hörrinde besteht eine tonotopische Abbildung: Die wahrgenommenen Frequenzen nehmen von anterior nach posterior zu
Hier
ist die komplexe Wahrnehmung auditorischer Muster und mit dem
Wernicke-Zentrum das Sprachverständnis lokalisiert. Der Temporalkortex analysiert Gesprochenes (vorwiegend links) und Musikmuster (rechts).
Wahrscheinlich gibt es spezies-spezifische Mustererkennung lockender,
warnender, emotionaler Inhalte (Beteiligung des limbischen Systems).
>Abbildung: Horizontalschnitt durch die Ebene des planum temporale
Nach einer Vorlage bei open.edu
Das sensorische Sprachareal (Wernicke) ist - direkt neben der Hörrinde - meist linkslastig im planum temporale repräsentiert, ein Beispiel für kortikale Asymmetrie
Der vordere Teil des Temporallappens erkennt die Bedeutung gesprochener Worte (250-350 ms nachdem diese geäußert wurden) - zusammen mit den eigentlichen Sprachzentren (Broca motorisch, Wernicke sensorisch - bei den meisten Menschen im linken Gehirn, >Abbildung).

<Abbildung: Gesichtserkennung
Modifiziert nach Szpir M: Accustomed to your face. Am Sci 1992; 80: 539
Einschlägige
visuelle Information gelangt aus dem Okzipitalhirn in Teile des
Temporallappens (hellgrün); die Gesichtserkennung erfolgt bei
Rechtshändern vorwiegend in der rechten Hemisphäre (die linke ist bei
der Gesichtserkennung weniger stark aktiviert).
Individuelle
Erfahrungen (biographische Information)
sind im Gebiet des vorderen Temporalpols gespeichert, das blau gezeigte
Gebiet integriert diese Information mit der Analyse der Charakteristika
des aktuell analysierten Gesichts
Die hinteren
Anteile des gyrus temporalis medius und inferior verarbeiten visuelle
Information. Hier werden Formen und Muster
erkannt. Im okzipito-temporalen gyrus fusiformis erfolgt
Objekterkennung:
Die Fusiform Face Area (FFA) des gyrus fusiformis - vor allem des rechten Temporallappens - dient der Erkennung und Zuordnung von Gesichtszügen (<Abbildung). Ein Funktionsausfall der
Gesichtserkennung heißt Prosopagnosie (Gesichtsblindheit), was bei ausgedehnten Läsionen sogar die Erkennung des eigenen Spiegelbildes unmöglich macht.
Benachbart daran findet sich die Fusiform Body Area (FBA), diese ist an der Erkennung von Körpern und Körperteilen beteiligt.
Durch Verbindungen mit ventralen Rindengebieten und dem limbischen
System (Amygdala) wird deren
emotionale Bedeutung ermittelt (z.B. Freund, Feind?). Diese Analyse
erfolgt (≤200 ms nach Ankunft des Gesprochenen am Ohr) noch bevor die
Bedeutung gesprochener Worte klar wird. (Das bewusste Erfassen der
Bedeutung geäußerter Worte erfolgt erst eine halbe Sekunde nach deren
Äußerung im Frontalhirn.)

Inhalte aus dem deklarativen Gedächtnis (Wissensgedächtnis) können
bewußt bearbeitet und wiedergegeben werden. Es besteht aus semantischem

und episodischem Gedächtnis. Das
semantische
Gedächtnis enthält allgemeine Fakten („Graz ist die Hauptstadt der Steiermark“) - Wissen, das von der Person unabhängig ist. Das
episodische Gedächtnis betrifft Erinnerungen, die persönlicher Natur sind (Erlebnisse).
Das Wernicke'sche Sprachzentrum
liegt bei den meisten Menschen in der linken Hemisphäre. Es liegt im
Brodmann-Areal 22 (Bild unten) und erhält Afferenzen vor allem aus der Hörrinde sowie der Sehrinde.
>Abbildung: Verbindungen zwischern sensorischem und motorischem Sprachzentrum
Modifiziert nach: Friederici AD, The Brain Basis of Language Processing: From Structure to Function. Phys Rev 2011; 92: 1357-92
Dorsale Pfade: Der fasciculus arcuatus
und fasciculus longitudinalis superior verbinden das Wernicke-Areal im rückwärtigen Teil der oberen Temporalwindung mit dem prämotorischen Kortex und dem Broca-Zentrum (Pfad 1 und Pfad 2).
Ventrale Pfade: Kurze Verbindungen der oberen Temporalwindung mit Broca-Areal (Pfad 1) und Operculum (Pfad 2)
Nach dem Wernicke-Geschwind-Modell
wird nach dem Erkennen geschriebener oder gesprochener Sprache im sensorischen Sprachzentrum Information u.a. über den fasciculus arcuatus
(verbindet das Broca- mit dem Wernicke-Zentrum) an das motorische Sprachzentrum im Frontallappen gesendet, um dort in die Sprachgenerierung einzufließen (<Abbildung). Das würde auch der
Rückkopplung (Kontrolle des eigenen Gesprochenen) dienen.
Neuere Befunde legen nahe, dass dieses Modell erweitert werden
muss. Insbesondere hat sich gezeigt, dass das Broca-Zentrum
auch einige der Fähigkeiten hat, die man zuerst speziell dem
Wernicke-Zentrum zugeschrieben hat; die Verbindung der
beiden Sprachzentren über den fasciculus arcuatus ist bidirektional;
und
die Sprachzentren verfügen über weitere Verbindungen (<Abbildung:
Das Wernicke-Areal ist mit prämotorischem Kortex und dem Broca-Zentrum
über dorsale und ventrale Pfade verbunden).
Beschädigung des Wernicke-Zentrums (das bei den meisten Menschen links lateralisiert ist) führen zu Störungen, die als sensorische Aphasie
bezeichnet wurden. Die Betroffenen können zwar flüssig sprechen, machen
aber Fehler, Wortneuschöpfungen und Lautverdrehungen; vor allem haben
sie Schwierigkeiten beim Sprachverständnis.
Elektrische Reizung des Temporalhirns kann komplexe Sensationen, wie
die Erinnerung an vergangene Erlebnisse, und auch Halluzinationen auslösen. Assoziative Gebiete des Temporallappens verarbeiten multimodale sensorische Afferenzen (Eingänge) aus dem auditorischen, somatosensorischen und visuellen Assoziationskortex, und nehmen Verbindung auf (Ausgänge) mit
Die posterioren (an das Okzipitalhirn grenzenden)
Teile des Temporalhirns (mittlere und untere Temporalwindung; area 20, 21, 37) verarbeiten
visuelle Information. Diese wird zur Objekterkennung
mit bereits gespeicherten Konstrukten (z.B. geometrische Formen, Gesichtszüge,..)
verglichen.
Durch Verbindungen mit dem ventromedialen Temporalhirn (area 38) werden gesehenen
Objekten emotionale Werte zugeordnet
(Zuwendung, Gefahr,..).
Die untere
Temporalwindung - vor allem area 20 - nimmt endgültige
Bewertungen zur Natur gesehener - insbesondere
fixierter (auf die fovea centralis projizierter) - Objekte wahr. Von hier
gehen Projektionen zum präfrontalen Orbitalhirn aus, welches das Gefühl
der 'Vertrautheit' mit erkannten Objekten vermittelt und Verbindungen zwischen
dem Temporalhirn und dem limbischen System liefert.
<Abbildung: Insel und ganglion stellatum
Nach einer Vorlage in dardipainclinic.com
Das
Ganglion stellatum versorgt Kopf, Hals, obere Extremität, Herz und
Lunge mit sympathischen Fasern und spielt u.a. für Schmerzzustände in
diesen Gebieten eine wesentliche Rolle
Die Insel (insula) wird
- mit der präfrontalen Orbitalrinde und dem Temporalpol - zum paralimbischen System (paralimbic cortex)
gerechnet: Dies ist eine zusammenfassende Bezeichnung für alle eng mit dem limbischen System verschalteten Hirnbereiche (posteromedialer orbitofrontaler Kortex, gyrus cinguli, Insel).
Sensorische ("homöostatische") Afferenzen erhält die Insel aus dem Thalamus. Sie hat zahlreiche Efferenzen zu / funktionelle Verbindungen mit
Die Insel wird als viszerosensorisches Rindengebiet gesehen. Sie repräsentiert den vegetativen Zustand
des Organismus und hat zahlreiche Funktionen, wobei der Körper somatotopisch repräsentiert ist:
Die Insel bewertet den Geschmackssinn,
ist in die Verarbeitung / Bewertung von
Schmerzsignalen eingebunden und spielt für die emotionalen
Aspekte des Schmerzes eine Rolle - u.a. ist sie mit dem ganglion stellatum verbunden (<Abbildung), das Kopf, Hals, obere Extremität, Herz und
Lunge mit sympathischen, insbesondere Schmerzfasern versorgt;
die Insel ist in die Steuerung der
Herz-Kreislauffunktion involviert, z.B. koordiniert die hintere Insel die Kreislaufantwort bei beginnender körperlicher Belastung (Anstieg des
Herzminutenvolumens, Blutdruckstabilisierung), und gilt als kardialer Kontrollkortex ('Herzzentrum');
sie beteiligt sich an der Kontrolle
des Sprechens.
Auch Funktionen des Immunsystems werden von der Inselrinde mitreguliert.

Zur
Verwaltung des "Körperbewusstseins" befindet sich die Insel mit
somatosensorischem Kortex, vorderem Zingulum und ventromedialem
Frontalhirn in einer reziproken Kreisschaltung

Die Insel vermittelt "introspektives" Erleben, das emotionale
Erfahrungen aufruft. Zum "Körperbewusstsein" gehört die Wahrnehung verschiedener motorischer Abläufe (somatomotorische wie Augen-
oder Handbewegungen; >Abbildung), aber auch die Beachtung der eigenen Herztätigkeit, Magenmotorik oder Blasendehnung,
sowie der Gleichgewichtssinn (Auslösung von Kinetose).
Weiters ist die Inselrinde beteiligt an der Verarbeitung von
Musikerlebnis, Mitgefühl und Lachen.
Die vorderen Inselteile
- im Wesentlichen die area 43 - beherbergen das primäre
gustatorische Zentrum. Die
vordere Insel steht in Zusammenhang mit zahlreichen Emotionen - Liebe,
Romantik, Glück, Vertrauen, Sexualität, Schönheit, Empathie, religiöse
Verzückung, Halluzination; andererseits Angst, Trauer, Zorn, Ablehnung,
Abscheu, Unsicherheit, soziale Zurückweisung, Unsicherheit.
Rechte und linke Insel weisen unterschiedliche funktionelle
Spezialisierung auf. So wurde beschrieben, dass positive Emotionen wie
angenehme Musik zusammen mit Aktivierung der linksseitigen vorderen
Insel sowie dem linken vorderen gyrus cinguli und dem linken
Frontalhirn auftreten;
negative Emotionen (Furcht) aktivieren die korresponidierenden
rechtsseitigen Strukturen. Andererseits nimmt das Volumen der rechten
vorderen Insel bei regelmäßigem Meditieren zu.
Die hinteren Inselteile
sind reziprok mit dem sekundären somatosensorischen Kortex verbunden und erhält Afferenzen aus dem Thalamus (nucl. ventralis).
<Abbildung: Lage des gyrus parahippocampalis
Nach einer Vorlage in acoustics.com
Der gyrus parahippocampalis liegt im medialen Schläfenlappen, angrenzend an den Hippokampus
Der gyrus parahippocampalis liegt im medialen Temporallappen und wird dem limbischen System zugezählt. Zusammen mit dem gyrus cinguli baut er den lobus limbicus
(nach Paul Broca) auf, der sich um den Balken windet und zwischen
telenzephalen Rindengebieten und subkortikalen limbischen Strukturen
liegt (>Abbildung ganz oben). Er ist das "Einfallstor" aufgearbeiteter multimodaler sensorischer Information zum Hippokampus.
Er scheint auch an der Erkennung von Umweltmerkmalen (Landschaft, Wohnung
etc) beteiligt zu sein (place cells).
Schädigungen (wie bei
Schlaganfall) können bewirken, dass Orte, Personen oder Gegenstände
nicht korrekt erkannt werden.
Wahrscheinlich geht die Funktion des
gyrus parahippocampalis über visuelles Zuordnen hinaus und schließt die
Erkennung von Sprache und auch von sozialen Zusammenhängen ein (so soll
der rechte gyrus parahippocampalis die Erkennung von Sarkasmus
ermöglichen).
Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen:
Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie
sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und
Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.