Physiologie
erforscht und beschreibt die Dynamik von Lebensvorgängen.
Humanphysiologie fokussiert die Betrachtung auf den Menschen und hat
starken Bezug auf Medizin und Klinik (medizinische Physiologie). Anwendung finden Erkenntnisse der
physiologischen Wissenschaften auf mehreren Ebenen, von Molekülen
(molekulare Physiologie) und Zellen (Zellphysiologie) über Organsysteme
(Reproduktion, Kreislauf, Atmung, Verdauung, Nervensystem,
Sinnesorgane, Immunsystem etc) bis zum ganzen Organismus (z.B. Arbeit
und Sport) und der Interaktion mit seiner Umwelt (Ökophysiologie).
Im Mittelpunkt der physiologischen Forschung stehen Mechanismen, die erklären, wie die Komponenten des Lebens interagieren ("Wie funktioniert das?"). Diese werden mit wissenschaftlichen
Methoden ergründet (Beobachtung, Experiment, Biometrie, Dateninterpretation) - reproduzierbar und nachvollziehbar. Unerwartete Ergebnisse erregen
dabei besondere Aufmerksamkeit: Beruhen sie auf einem Fehler in der methodischen
Nachweiskette, oder zeigen sie tatsächlich neue Erkenntnis auf?
Aus physiologischen Gegebenheiten ergeben sich unter anderem auch Orientierungshilfen für einen gesunden Lebensstil: Was ist geeignet, Körper und Geist fit
zu halten (Resilienz), Erkrankungen vorzubeugen
(Prävention)
und Heilprozesse zu unterstützen (therapeutisches Potenzial)? Die Berücksichtigung solcher
Erkenntnisse hilft dabei, Umstände zu fördern, die dem Körper
helfen, seine Kapazität zur Gesunderhaltung und
Selbstheilung zu nützen.
Klinischen Beobachtungen
und Messungen liegen physiologische Zusammenhänge zugrunde. Was ist "normal", was "gesund", was tolerierbar? Welche
Fehler können auf
dem Weg vom Organismus über das Erfassunssystem bis zu
resultierenden Daten auftreten, welche alters- und
geschlechtsbedingten Unterschiede sind zu erwarten, wie wirken sich
situationsbedingte (Körperlage, Belastung, Stress,
Zyklusphase, Medikation...) und Umweltfaktoren (Beleuchtungsstärke, Lärm, Temperatur, Luftdruck ...) auf
Zustandsvariable und Messergebnisse aus?
Zu den Grundlagen der Physiologie zählen Molekularbiologie, Biochemie, Biophysik. Biophysik
untersucht die Rolle physikalisch beschreibbarer Mechanismen und
Vorgänge in Zellen, Geweben und Organismen. Zu ihren Subdisziplinen
zählen Biomechanik und Elektrophysiologie. Generelle Prinzipien und
Methoden betreffen z.B. Masse, Bewegung
(Newton'sche Gesetze), Optik, Akustik, elektromagnetische Felder,
Strahlung etc.
Im Allgemeinen gilt:
Je umfassender die physiologische Funktion, desto komplexer das (betreffende regulierende / stabilisierende)
System. Mit zunehmender Komplexität des Systems pflegen auch medizinische Interventionen schwieriger zu werden.
Zwei Beispiele:
-- Blutungsneigung kann ebenso fatale Folgen haben wie ungenügende
Blutstillung. Die Blutgerinnung
ist vielgliedrig aufgebaut, das System durch zahlreiche Rückkopplungsschleifen
stabilisiert. So hat das Blut gerade diejenigen Eigenschaften, die in der gegebenen Situation optimal sind.
-- Es ist einfacher, den Blutzuckerspiegel vorübergehend zu senken (Insulingabe) als Übergewicht nachhaltig zu bekämpfen. Systemhierarchie: Physiologie
reicht von der molekularen Ebene über mehrere Komplexitätsniveaus bis zur Ebene der Evolutionsbiologie und Ökologie
(
Abbildung). Mit zunehmender Komplexität sind es immer zahlreichere
Bausteine aus der jeweils niedrigeren Ebene, die in ein höheres
Gesamtsystem einfließen.
↑
Körper
↑
physiologisches System
↑
Organ / Gewebe
↑
Zelle
↑
Organelle
↑
Strukturelement
↑
Biomolekül
↑
Vom ganz Kleinen (Atomphysik) bis zum ganz Großen
(Kosmologie) zieht sich ein roter Faden, und für die Arbeit in einer
gegebenen Größenordnung ist der Blick in "benachbarte" Dimensionen sehr
oft inspirierend. Ein interdisziplinärer Denkansatz ist hilfreich - wenn auch oft mühsam -, wenn es um ein tieferes Verständnis komplexer Zusammenhänge geht.
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Abbildung: Nukleosynthese (Bildung von Atomkernen)
Nach einer Vorlage bei Wikimedia.org / Cmglee
Kosmische Vorgänge lassen Elemente entstehen: Wasserstoff
und Helium waren im Universum
primär vorhanden, bei Einwirken hoher Energiemengen entstehen aus ihnen weitere
Elemente, die in die Umgebung verteilt werden (Supernova-Explosionen)
Wasserstoff und Helium sind nach dem Urknall als primäre
Elemente zuerst im Universum aufgetaucht und waren Ausgangssubstanz für
weitere Elemente. So entsteht Sauerstoff in "kleinen" bis "großen"
Sternen (
Abbildung), in weiterer Folge beispielsweise Alkali- und
Erdalkali-Elemente (Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium) sowie z.B.
Chlorid (Salze!).
Ohne diese Elemente kann Leben, wie wir es kennen, nicht stattfinden.
Große Sterne mit ≥1010 kg/m3 Dichte (Sonne ~1,4.103 kg/m3), bei Temperaturen von über einer Milliarde Grad (1.5×109
K), sind "Elementbrüter". Diese Materie kann dann in das
angrenzende Universum verteilt werden (Supernova-Explosionen).
"Sternenstaub"
kondensiert zu Himmelskörpern, und verschiedene planetare Vorgänge
lassen auch organische Moleküle entstehen, ebenfalls Grundlage für lebende Systeme. Man geht davon aus,
dass die Grundbausteine für Leben überall im
Universum zu finden sind.
Die Zahl
der Elemente, die im irdischen Leben (und im Körper des Menschen)
eine unverzichtbare Rolle spielen, ist im Vergleich zur Zahl der im
Universum vorkommenden eher gering. Fast die gesamte Masse (99%)
entfällt auf Wasserstoff, Sauerstoff (Wasser!), Kohlenstoff und
Stickstoff, der Rest auf Alkali- und Erdalkalimetalle (Natrium, Kalium, Calcium, Magnesium), Phosphor, Schwefel, Chlorid sowie ein Dutzend
Spurenelemente (
Abbildung).
Der Körper eines Menschen enthält ungefähr 1028 Atome (zehn Quadrilliarden - eine 1 mit 28 Nullen - eine Zahl, die sich unserer Vorstellungskraft entzieht: das
Millionenfache der Anzahl der Sterne, die im gesamten Universum
sichtbar sind). Dennoch zweifelt kaum jemand daran, dass unser Körper
letztlich aus Atomen besteht und dass ihre Interaktion den
Naturgesetzen folgt (Biochemie!).
Abbildung: Periodensystem und lebenswichtige Elemente
Nach einer Vorlage bei Alberts et al, Molecular Biology of the Cell, Garland 2008
Hervorgehoben sind die Elemente, die für Funktionen des menschlichen Körpers nachweislich benötigt werden
Rahmenbedingungen: Physiologie
sieht lebende Systeme im Kontext ihrer Umgebung, der "Matrix", in der sie sich entwickeln
und bewähren (woher kommen Energie, Nahrung, Sauerstoff etc, wohin
gehen Kohlendioxid, Ausscheidungen, diverse Produkte menschlicher
Aktivität?).
Zeitlich können solche Vorgänge von Sekundenbruchteilen (z.B. Wiederaufnahme eines synaptisch freigesetzten Transmitterstoffes)
bis zu geologischen Dimensionen (z.B. Kohlenstoff: Photosynthese →
Verkohlung → Verbrennung → Photosynthese) reichen (Recycling). Wie schwierig
eine vollständige Balance der für das Leben notwendigen Materieflüsse
künstlich herzustellen ist, zeigt das Beispiel materiell geschlossener
biologischer Lebenserhaltungssysteme (Raumfahrt).
Reduktionistisch vs. integrativ
Ein besonderes Kennzeichen der systemischen Physiologie ist, dass sie Zusammenhänge (Mensch mit seinen Umgebungsfaktoren) betrachtet (integrative Sicht).
Leben ist aus seiner natürlichen Umwelt herausgelöst (stofflich,
energetisch, zeitlich, räumlich, organisatorisch) nicht ausreichend zu
verstehen. Der integrative Ansatz (top-down-approach, holism, holistischer Ansatz) bemüht sich um eine Sicht "vom Großen Ganzen" aus, unter möglichst vollständiger Berücksichtigung relevanter Bedingungen und Begleitfaktoren des Lebens (integrative Physiologie).
Beispielsweise kann man den Menschen als Teil der belebten Natur
beschreiben und die lebensnotwendigen Umweltfaktoren (Nahrung, Wasser,
Luft..) sowie deren Stabilisierung (Biosphäre, ..) berücksichtigen.
Angesichts der Komplexität
solcher
Betrachtungsweisen ist es allerdings schwierig, bei integrativen Ansätzen wissenschaftlich
wünschenswerte Präzision der Fragestellungen zu bewahren; die
Falsifizierbarkeit (oder: Möglichkeit der "Entplausibilisierung") aufgestellter Hypothesen kann außer Reichweite gelangen.
Abbildung: Gefahr des Bottom-up-Ansatzes
Nach Hans Møller (mollers.dk)
Keiner erkennt den Elefanten: Blinde Fokussierung auf das Detail kann den Blick auf das Ganze verstellen
Umgekehrt kann man das Leben von seinen Elementen herzuleiten versuchen (Reduktionismus, bottom-up-approach, reductionism
): Die isolierte
Untersuchung und Beschreibung von den "Bausteinen" des Lebens her - wie
interagieren Atome, Moleküle, Molekülkomplexe, Zellorganellen, Zellen..? -
erlaubt es, Subsysteme als solche besser - ohne "störende" Einflüsse durch zusätzliche Faktoren - zu verstehen.
Diese
Vorgangswseise der "Laboreinschränkung" nennt man reduktionistisch:
Sie setzt bestimmte Faktoren voraus (dass z.B. Sauerstoff im
Labor vorhanden ist, seine Entstehung in der Biosphäre ist in die
Fragestellung nicht inkludiert), ohne ihr Vorhandensein erklären zu
müssen.
Reduktionistische Beschreibungen
(klassischer Darstellungsstil in Lehrbüchern) sind didaktisch nützlich, aber man sollte sich der
Tatsache bewusst bleiben, dass sie eine fokussierte, eingeengte Sicht der
Dinge bieten. Man kann dabei wesentliche Zusammenhänge übersehen (
Abbildung).
So ist es nicht möglich, enzephalographische Entladungsmuster aus der
Physiologie einer einzelnen Nervenzelle abzuleiten, die Struktur eines
EKG aus den Eigenschaften einer separaten Herzmuskelzelle, oder den
Ablauf einer Entzündung aus dem Studium eines weißen Blutkörperchens.
Der Lehrstoff
der Physiologie enthält sehr unterschiedliche Aspekte, wobei die Funktion im Vordergrund steht, zum Beispiel:
Funktionsweise von Zellen, Geweben, Organen
Ernährung, Energie- und Substrathaushalt, Temperaturregulation, Wasser-und Elektrolythaushalt, Säure-Basen-Status, Calcium-
und Mineralhaushalt, Knochensystem
Wirkungsweise von Hormonen, Sexualität,
Reproduktion, Entwicklung und Wachstum
Funktion der Sinnesorgane, Körperhaltung
und Motorik, Muskulatur,
Funktionen des Nervensystems
Abwehrvorgänge und Immunsystem
Abbildung: Einige physiologische Systeme
Modifiziert nach einer Vorlage in wiseGEEK.com
Als Systeme werden z.B. Zellorganellen,
Zellen, Organe, funktionelle Gewebeverbände, Organismen, Biome gesehen.
Komplexe Systeme sind aus einfachen (Subsystemen) zusammengesetzt,
dabei nehmen sie Eigenschaften an, die aus dem Verhalten der einfachen
nicht voraussagbar sind (emergente Eigenschaften)
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Physiologische Systeme sind zum Beispiel
Respiration (Atmung) - Lunge und Luftwege
Kardiovaskuläres System - Herz und Kreislauf (Transport von Atemgasen, Nährstoffen, Flüssigkeit, Wärme etc)
Nervensystem
(Nerven- und Gliazellen) - zentral (Gehirn und Rückenmark), peripher
(afferent / efferent; somatisch, autonom, enterisch), Sinnesorgane
Motorik (Muskeln: Skelett-, Herz, glatt)
Skelettsystem (Knochen, Knorpel, Bänder, Sehnen)
Kutanes System (Haut und Anhangsgebilde)
Digestion (Speicheldrüsen, Pharynx, Ösophagus, Gastrointestinaltrakt, Leber, Gallensystem, Pankreas)
Harnapparat (Nieren, Ureter, Harnblase, Urethra)
Reproduktives System (Fortpflanzung)
Endokrine Systeme (hormonbildende Drüsen)
Immunsystem (Abwehr, Reparatur, Heilung)
Was die
Physiologie zu einem konsistenten Fach macht, kann man an Hand gemeinsamer Aspekte identifizieren:
Evolution 
-
Geschichte des Lebens und der zugrundeliegenden Mechanismen
Ökosysteme - Leben existiert in Ökosystemen, bestehend aus abiotischer Umgebung und Partnerorganismen
Kausale Mechanismen - Wissenschaftliche Deutungen als Ursache und Wirkung
Zelle - Zellen sind die Bausteine des Lebens, wir kennen kein Leben ohne sie
Struktur und Funktion -
Leben als Wechselwirkung von Struktur und Funktion auf verschiedenen
Ebenen
Organisationsniveau - Lebewesen funktionieren auf mehreren Organisationsniveaus gleichzeitig
Informationsflüsse - Steter Informationsfluss innerhalb und zwischen Zellen, Organismen und ihrer Umgebung
Metabolismus - Lebewesen beziehen Materie und Energie aus
ihrer Umgebung und setzen sie nach ihren Bedürfnissen um
Homöostase 
- Physiologische Regelungsprozesse ermöglichen und stabilisieren optimale Bedingungen für Lebensvorgänge
Lebende Systeme sind stabil und anpassungsfähig
Homöostase
ist die Kontrolle lebenswichtiger Zustandsvariablen, wie z.B. Blutdruck
oder Sauerstoffaufnahme. Die Zahl solcher Zustandsvariablen (meistens
als "Parameter" bezeichnet) ist groß, und der Organismus verwendet
einen erheblichen Aufwand für ihre Stabilisierung. Homöostase ist ein dynamisches Phänomen: Geringe Abweichungen von einem jeweiligen Optimum
treten ständig auf und veranlassen (im Sinne eines "Systemchecks") die
laufende Feinjustrierung durch Regelsysteme, die dadurch die jeweiligen
Zielgrößen in ihrem optimalen Bereich halten. Zweck der Homöostase ist
die Stabilisierung des "inneren Milieus" (milieu intérieur - Claude Bernard, internal environment)
im Organismus. Zu den involvierten Faktoren gehören z.B. Wasser,
Elektrolyte, Nährstoffe, Atemgase, pH-Wert(e), Temperatur.
Man kann Physiologie
definieren als
die Suche nach optimalen
Funktionsweisen in lebenden Systemen. "Optimums-Punkte" können dabei im Sinne der Chaostheorie als Attraktoren - Orte der Stabilität - gesehen werden, welche funktionierende, gesunde, überlebensfähige Systeme
auszeichnen. Mechanismen, die das bewerkstelligen, funktionieren
homöostatisch:
Abbildung: Homöostase durch negative Rückkopplung
Nach einer Vorlage bei Person Education / Benjamin Cummings 2004
Physiologische
Systeme sind in der Lage, die Größe kritischer Zustandsvariabler so zu
stabilisieren, dass die Funktion des Ganzen nicht beeinträchtigt wird
Homöostase hat die Stabilisierung biologischer Funktionsmuster zum Ziel (
Abbildung). Lebenszustände werden durch Regelungs-, Rückkopplungs- (feedback) und Steuerungsmechanismen stabilisiert (Beispiel: Blutdruckregulation).
Äußere
Rahmenbedingungen können sich ändern - und mit ihnen das Funktionsoptimum eines Systems. Allostase betrifft die Fähigkeit, Stabilität durch Veränderung
- also adaptiv - zu erreichen.
"Homöostatisches" (homoios = gleich) und "allostatisches" (allos =
anders) Verhalten eines Systems sind je nach
Bedingungen und Erfordernissen gefragt. Parameter, Zustandsgrößen
und/oder Organisationsstrukturen müssen sich an wechselnde Bedingungen
anpassen; ohne Berücksichtigung veränderter Umweltbedingungen wäre
Stabilität schwer zu erhalten.
Abbildung: Beispiel einer endokrinen Rückkopplung
Nach einer Vorlage bei Thibodeau / Patton, Anatomy & Physiology (6th ed), Mosby Elsevier 2007
In diesem Beispiel ist der
Calciumspiegel im Blut ([Ca
++]) die Zustandsvariable, die durch einen hormonellen Rückkopplungskreis reguliert wird.
Stillen senkt den Calciumspiegel und löst so die hormonelle Stabilisierung der [Ca
++] aus. Zellen der Epithelkörperchen in der Schilddrüse messen den Calciumspiegel und sezernieren bei dessen Abfall
Parathormon. Dieses sorgt über Wirkung an
Osteoklasten für Mobilisierung von Calcium aus den Knochen
Homöostatische Regelkreise arbeiten in Netzwerken im Organismus zusammen.
Dabei können sie einander ergänzen (Synergismus), oder in Konkurrenz zueinander stehen (Antagonismus). Beispielsweise senkt Insulin den Blutzuckerspiegel, "antiinsulinäre" Hormone (Glukagon, Adrenalin, Cortisol) erhöhen ihn.
In
vielen Fällen kümmern sich mehr als nur ein System um die
Stabilisierung einer Zustandsgröße (Blutzuckerspiegel, Blutdruck,..),
insbesondere wenn die Regulation von kritischer Bedeutung ist (Redundanz). Fällt einer der beteiligten Regelkreise aus, kann die Regelgröße durch die Aktivität anderer Regelkreise stabilisiert bleiben.
Regelkreise können in hierarchischer Ordnung zueinander stehen, etwa steuern hypothalamische Hormone hypophysäre, und hypophysäre steuern glanduläre Hormone (Beispiel CRH → ACTH → Cortisol).
Schließlich existieren Prioritäten,
z.B. wenn bei körperlicher Belastung die Stabilität des Blutvolumens
vor derjeniger der Körpertemperatur rangiert (Schwitzen kühlt den
Körper, verringert aber das extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen).
Stresseinwirkungen, die Anpassung erfordern, sind z.B. orthostatische Belastung,
körperliche Arbeit, mikrobielle Herausforderung, extreme physikalische Umweltbedingungen (veränderte Druck- oder Temperaturbereiche), variierende Nahrungszufuhr etc.
Für die Medizin ist der physiologische Rahmen die Referenz
für die Beurteilung eines unphysiologischen Zustandes. Dabei reicht es
nicht immer, am unbelasteten Körper etwas zu messen; vielmehr ist es
oft notwendig, den Organismus einer Herausforderung zu unterziehen und
seine Reaktion darauf zu erfassen (funktionelle Untersuchung). So kann etwa der Nüchtern-Blutzuckerspiegel im Normbereich liegen, bei einer Zuckerbelastung (Glucose-Toleranztest) zeigt sich erst eine diabetische Regulationsschwäche.
Zu einer richtigen Einordnung ist es notwendig, die Bandbreite der Verteilung von Messgrößen (Referenzbereich)
und deren Abhängigkeit von gegebenen Größen (Alter, Geschlecht..) und
Situationen (Körperlage, Muskelaktivität, Stress..) zu kennen. Krankheit kann - im Sinne dieser Betrachtungsweise - als ein Zustand suboptimaler Funktion und mangelnden Anpassungsvermögens
aufgefasst werden.
Ursachen können primäre (z.B. Herzinfarkt → Kreislaufversagen) oder sekundäre pathologische Effekte hervorrufen (z.B. Kreislaufversagen → Ödembildung) und finden sich
im Organismus selbst (Genschäden, endogene Depression, Alterungsvorgänge, Infekte...) oder
in seiner Umwelt (z.B. Fehlernährung, die den Organismus schwächt und für
Störungen empfänglich macht; Veränderung der physikalisch-chemischen
Umweltkomponenten, wie Sauerstoff- oder Substratmangel; Einwirkungen, die zu Verletzungen
führen; Strahlung; etc), oder (sehr oft)
im Zusammenwirken von Faktoren, die im Organismus einerseits, in seiner Umwelt andererseits zu finden sind.
Meaning of life?
Die Sinnfrage verlässt den Boden der Naturwissenschaften - sie
orientiert sich an der Bedeutung bzw. dem Zweck des Lebens an sich, sie
ist teleologisch
ausgerichtet. Ist die Sinnfrage in diesem Rahmen
überhaupt sinnvoll?
Leben
entwickelt sich Schritt für Schritt, wohl als offenes Spiel (trial and error) und nicht als zielgerichtete Entwicklung, wohl
aber unter ständiger Anpassung an sich ändernde Bedingungen. Eine Übertragung entsprechend veränderter Eigenschaften auf nachfolgende Generationen kann dabei stattfinden.
Über Genetik und Epigenetik s. dort
Lebewesen, die mit den jeweils herrschenden
Bedingungen ihrer Umwelt am ehesten harmonieren, haben bessere
Überlebenschancen ("survival of the fittest").
Dabei versteht man unter "Fitness" ganz allgemein den Grad der
erfolgreichen Anpassung an wechselnde Bedingungen und Erfordernisse.
Physiologische Adaptation
kann in ganz unterschiedlichen Zeiträumen
erfolgen. Einige Beispiele: Motorische Programme werden reflektorisch innerhalb von
Sekundenbruchteilen adjustiert; hormonelle Reaktionen auf wechselnde
Situationsprofile können innerhalb von Minuten erfolgen; die Regelung
des Blutdrucks wird über Sekunden, Minuten, Stunden, Tage oder Monate
an die jeweiligen Bedingungen angepasst; Organismen können auf
Veränderungen von Umgebungsfaktoren über noch längere Zeiträume reagieren.
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Physiologie beschäftigt sich mit der Funktionsweise lebendiger Systeme,
medizinische Physiologie in einem klinischen Kontext. Physiologische
Forschung untersucht Mechanismen, die erklären, wie biologische Systeme
funktionieren - mit wissenschaftlichen Methoden. Physiologie
vertieft die Interpretation medizinischer Beobachtungen und Daten und
fließt in Prävention, Diagnostik, Therapie, biomedizinische Technik ein
Mit zunehmender Komplexität lebender Systeme erlangen diese emergente
Eigenschaften, welche über Merkmale und Verhalten ihrer (isolierten)
Komponenten (die im System interagieren) hinausgehen und aus der
Analyse der Einzelkomponenten nicht voraussagbar sind. Die
Systemhierarchie reicht von Molekülen bis zu Organismen und deren
Interaktion mit der Umwelt
Physiologie wird integrativ (top-down) und reduktionistisch (bottom-up) betrieben. Der integrative Ansatz bemüht
sich um
Berücksichtigung relevanter Bedingungen und Begleitfaktoren des Lebens
mit dem Ziel einer möglichst vollständigen Beschreibung; der
reduktionistische beschränkt sich auf die Analyse von Subsystemen unter
möglichst präzise definierten Bedingungen. Aspekte physiologischer
Untersuchung sind z.B.
Evolution, Wechselwirkung zwischen Struktur und Funktion, Organisationsniveaus, Informationsflüsse, Metabolismus, Homöostase, Anpassung
Homöostase ist die Kontrolle von Zustandsvariablen ("Parametern") wie Blutdruck oder Glucosespiegel. Physiologie untersucht Mechanismen, welche Zustandsvariable stabilisieren / beeinflussen / anpassen,
wobei Gebiete optimaler Arbeitsweise als Attraktoren (Chaostheorie) gesehen werden
können. Homöostase hütet Funktionsmuster durch Regelungs-,
Rückkopplungs- und Steuerungsmechanismen (Beispiel
Blutdruckregulation). Allostase betrifft die Fähigkeit, angesichts veränderter Rahmenbedingungen (Stresseinwirkungen) Stabilität adaptiv (durch bestgeeignete Veränderung von Zustandsgrößen) zu erreichen. Beispiele sind veränderte Druck- oder Temperaturbereiche, variierende Nahrungszufuhr, orthostatische Belastung, körperliche Arbeit, mikrobielle Herausforderung
|
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