Das Nervensystem ist - neben
Erythrozyten und Nierenmark - auf Glucose als
Energiequelle angewiesen. Eine ausreichende Glucosekonzentration im
Blut (≥3,7 mM/l) ist für seine Versorgung wesentlich. Daher bewirkt
ein Absinken des Blutzuckerspiegels zahlreiche neurologische Symptome,
wie Heißhunger, Orientierungsstörungen, Erweiterung der Pupillen, Doppelbilder, Muskelzittern, Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz, schließlich Bewusstlosigkeit. Mehrere Hormone sichern den Blutzuckerspiegel ab: Mit zunehmender Hypoglykämie zeigt sich ein Anstieg zunächst von Glucagon und Adrenalin, dann zusätzlich Wachstumshormon, schließlich auch Cortisol. Das hebt den Glucosespiegel wieder an (daher die Bezeichnung "kontra-insulinäre" Hormone). Das Verhältnis Glucagon- zu Insulinspiegel im Blut (Glucagon-Insulin-Quotient) spiegelt die aktuelle Stoffwechselsituation wider. Nach einer Mahlzeit (postprandial) überwiegt das Insulin, im Nüchternzustand hingegen (postresorptiv) das Glucagon. Aus Proglucagon entstehen in Pankreas, Darm und Gehirn Glucagon und glucagonähnliche Peptide (GLP1, GLP2) - mit breitem Aktionsradius: So fördert GLP1 Insulinempfindlichkeit und Glucoseaufnahme im Muskel, Knochenbildung und Herzfunktion, und schützt das Nervengewebe. Glucagon aktiviert Schlüsselenzyme für die Zuckerbereitstellung und inaktiviert ihre Gegenspieler; es regt die Gluconeogenese aus Glyzerin (Fettabbau), ß-Oxidation, Ketogenese in der Leber und die Lipolyse im Fettgewebe an. Adrenalin und Cortisol mobilisieren Glykogen- und Proteinspeicher sowie die Lipolyse, regen die Utilisation von Muskeleiweiß sowie die Gluconeogenese in der Leber an. Das gemeinsame Ergebnis der Wirkung kontrainsulinärer Hormone ist die bessere Verfügbarkeit an Substratmolekülen und eine Stabilisierung des Blutzuckerspiegels. |
Hormonelle Wirkungen auf den Blutzuckerspiegel Nach Ritter / Flower / Henderson / Loke / MacEwan / Rang, Rang & Dale's Pharmacology, 9th ed. Elsevier 2020 |
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Hormon |
Wichtigste Wirkungen |
Wichtigste Reize zur Sekretion |
Wichtigster Effekt |
blutzuckersenkend |
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Insulin |
↑Glucoseaufnahme ↑Glykogensynthese ↓Glykogenolyse ↓Gluconeogenese |
Rascher Anstieg Blutzuckerspiegel Inkretine (GIP, GLP-1) |
↓[Glucose] |
blutzuckersteigernd |
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Glucagon |
↑Glykogenolyse ↑Gluconeogenese |
Hypoglycämie ([Glucose] <3 mM) Muskelarbeit Stress etc |
↑[Glucose] |
Adrenalin |
↑Glykogenolyse |
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Glucocorticoide |
↓Glucoseaufnahme ↑Gluconeogenese ↓Glucoseaufnahme und -verbrauch |
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Somatotropin (hGH) |
↓Glucoseaufnahme |
Körperliche Aktivität (z.B. Ausdauertraining) senkt den Ruhe-Blutzuckerspiegel |
Glucagon fördert Glykogenolyse und Gluconeogenese, der Glucosespiegel steigt an |
Arginin stimuliert die Freisetzung sowohl von Insulin als auch von Glucagon |
~106 Langerhans-Inseln (1-2% der Pankreasmasse) sind stark vaskularisiert, autonom
innerviert und enthalten mehrere Zelltypen: α-Zellen (20-30%)
produzieren Glucagon (dessen Sekretion steigt bei Hypoglykämie bis
4-fach), Proglucagon, glucagonähnliche Peptide (GLP-1, GLP-2); β-Zellen (50-75%) produzieren
Insulin, Amylin
(bremst die Verdauungsvorgänge), GABA (senkt die Glucagonfreisetzung); δ-Zellen (~10%) produzieren
Somatostatin; PP- (γ-, F-) Zellen (<5%)
produzieren pankreatisches Polypeptid; ε-Zellen (<1%) produzieren
Ghrelin (fördert die Somatostatinfreisetzung, hemmt die glucoseinduzierte Insulinsekretion) Der Blutzuckerspiegel beträgt nüchtern um 4-5 mM (Referenzbereich 3,3-6,0 mM) oder 70-90 mg/dl. Nahrungsaufnahme steigert, körperliche Aktivität senkt den Blutzuckerspiegel. Postprandial steigt der Glucosespiegel um bis >50% (nach sehr kohlenhydratreichen Mahlzeiten bis +100%) an, die Rückkehr zu Nüchternwerten kann mehrere Stunden dauern. Der Quotient Insulin / Glucagon kennzeichnet den Status des Energiestoffwechsels: Er ist hoch nach Nahrungsaufnahme (Resorptionsphase; viel Insulin), die im Überschuss vorhandene Glucose wird gespeichert; in der Postresorptionsphase ist er niedrig (wenig Insulin), der Stoffwechsel greift auf körpereigene Energiespeicher zurück. Die Glucoseaufnahme des Gehirns ist ab 3,7 mM reduziert; Unruhe, Zittern, Heißhunger, Schweißausbruch treten ab 3,0 mM, Bewusstlosigkeit ab 2,7 mM Blutzucker auf Blutglucose unter ~4,6 mM reduziert die Insulinsekretion, Werte unter ~3,8 mM mobilisieren Glucagon und Adrenalin, unter ~3,7 mM GH (etwa eine Stunde bis zur insulin-antagonistischen Wirkung), unter ~3,2 mM Cortisol. α-Zellen setzen aus sekretorischen Granula Glucagon auf metabolische (Hypoglykämie, Aufnahme eiweißreicher Nahrung) und neurale Reize hin frei. Glucagon wirkt an Leber- und Fettzellen (heptahelikale Rezeptoren → cAMP↑ → PKA↑→ Phospholipase C → IP3↑ → intrazelluläres [Ca++]↑). Der Glucagonabbau beginnt schon bei der ersten Leberpassage (~80%), die biologische Halbwertszeit beträgt 5-6 Minuten, nur ein geringer Anteil gelangt in den systemischen Kreislauf (Fettgewebe) Im Gegensatz zur ß-Zelle sind die KATP-Kanäle der α-Zelle bei niedriger ATP-Konzentration (wenig Glucose) gehemmt. Niedriger Blutzucker reduziert den Kaliumausstrom, die Zelle depolarisiert, Glucagon wird freigesetzt - und umgekehrt. Glucagon kann die Glucoseversorgung durch die Leber in Sekundenschnelle anregen. Glucagon fördert die Gluconeogenese (Lipolyse in Fettgewebe, Aminosäuren werden genutzt, Stickstoff wird frei), weiters die Glykogenolyse, ß-Oxidation, Ketogenese. Glucagon senkt die Glykolyse, Glykogensynthese und Synthese freier Fettsäuren in der Leber (de novo-Lipogenese). Es wirkt energiemobilisierend und (wie GLP) herzstärkend (Frequenz, Schlagkraft) Die Glucagonsekretion wird angeregt durch Hypoglykämie, Aminosäuren (Arginin regt auch die Sekretion von Insulin an), sympathische (ß-adrenerg) und parasympathische Impulse; sie wird gehemmt durch Anstieg der Konzentration von Glucose und freien Fettsäuren im Blut, durch benachbarte Inselzellen (Insulin und GABA aus ß-Zellen, Somatostatin aus δ-Zellen) und Hormone aus dem Darm (Sekretin, GLP-1, GIP) L-Zellen sezernieren GLP-1 bei Anwesenheit von Nährstoffen (Zucker, Lipide, auch Proteine) im Darm, sowie auf neurale und hormonelle Stimuli hin. GLP-1 steigert Glucoseaufnahme und Insulinempfindlichkeit (Muskulatur), fördert Insulinfreisetzung (Pankreas), stärkt Herztätigkeit und Knochenaufbau; es senkt Glucagonsekretion, Appetit und Magenmotorik sowie hepatische Gluconeogenese Adrenalin (Stress) erhöht den Energieumsatz (β2-adrenerg), stellt Glucose und freie Fettsäuren durch Abbau von Leberglykogen, Lipolyse (ß3) und hepatische Gluconeogenese (ß2) bereit; der Blutzuckerspiegel steigt, unterstützt durch reduzierte Insulinproduktion (α2) und Freisetzung von Glucagon. Im Muskel erhöht Adrenalin die Glucose-Aufnahme Cortisol erhöht den Blutzuckerspiegel und leitet bei Belastung den Blutstrom zur Arbeitsmuskulatur um, führt zu Eiweißabbau im Muskel und regt die Gluconeogenese in der Leber an, senkt den zellulären Glucoseverbrauch und erhöht die Spaltung von Triglyzeriden im Fettgewebe (→ steigender Fettsäurespiegel im Blut) |