Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

  
Integration der Organsysteme
 
Interaktion von Organen
© H. Hinghofer-Szalkay

Agouti-related: Der für die Fellfarbe "agouti" verantwortliche Genlokus ist nach einem Nagetier benannt
An-orexie: ὄρεξις = Verlangen
Ghrelin: von Growth hormone release inducing
Leptin: λεπτός = dünn (Leptin wirkt appetitbremsend)
Orexigen: ὄρεξις = Verlangen, Appetit,
γενεά = Abstammung
Zirrhose: κίρρὀς = gelb ("gelbe Wucherung")



Organe und Gewebe interagieren über endokrine und neuronale Signale. Einige Beispiele:

   -- Darm, Leber, Nieren, Milz und Knochenmark arbeiten bei der Regulierung von Eisenhomöostase, Erythropoese und Sauerstofftransport zusammen

   -- Die Steuerung der Nahrungsaufnahme stimmt Substrat- und Energiestoffwechsel aufeinander ab: "Hungerzentrum" im lateralen Hypothalamus, "Sattheitszentrum" im medialen Hypothalamus, nucleus tractus solitarii im Hirnstamm, Signalstoffe aus dem gastrointestinalen System

   -- Die Leber als zentrales Stoffwechselorgan, die Nieren als Aufbereitungsorgan der Körperflüssigkeiten und das Gehirn als Konsument und gleichzeitig Steuerzentrale haben verknüpfte Funktionen

   -- Muskel- und Fettgewebe produzieren Myokine und Adipokine, mit denen sie aufeinander einwirken, in der Leber Stoffwechselschritte induzieren und den Hypothalamus beeinflussen

   -- Im Säure-Basen-Haushalt kooperieren Atmung (Abgabe von Kohlensäure), Nieren- (metabolische Regulation, Harn-pH) und Leberfunktion (Glutaminmechanismus, Stickstoffausscheidung).


Sauerstofftransport Stoffwechsel Kreislauf und Flüssigkeitsregulation Bewegungssystem (Muskel, Knochen) Leptin, Resistin, Adiponektin, Visfatin Verarbeitung von Stickstoff  Immunsystem und Energiehaushalt Verdauungshormone Mineralstoffhomöostase

Core messages
  
Da der Organismus als Gesamtheit funktioniert, ist es nicht erstaunlich, dass seine Organe und Gewebe bei vielen Aufgaben eng kooperieren. Zahlreiche Aufgaben sind auf mehrere, jeweils spezialisierte Zellpopulationen (mit unterschiedlicher Rezeptor-, Permeasen- und Enzymausstattung) aufgeteilt, und die physiologische "Königsdisziplin" besteht darin, die Mechanismen der Koordination zwischen diesen Spezialisten aufzuklären.

  Über die endokrine Achse Muskel - Knochen - Muskel s. dort
 
Sauerstofftransport
 
Ein gutes Beispiel ist die Zusammenarbeit von Darm, Leber, Nieren, Milz und Knochenmark bei der Regulierung von Eisenhomöostase und Erythropoese. Das Bindeglied ist der Sauerstofftransport, aber auch immunologische Aspekte spielen eine Rolle.
 
 
Abbildung: Zusammenspiel von Organen bei der Regulierung des Sauerstofftransports
Nach Koury MJ, Haase VH, Anaemia in kidney disease: harnessing hypoxia responses for therapy. Nature Rev Nephrol 2015; 11: 394–410

HIF (hypoxia-inducible factor) passt die Produktion von Erythropoetin (EPO) an die Bedürfnisse des Eisenstoffwechsels an, HIF-2 fürdert die EPO-Synthese in Leber und Nieren.
 
Eisenresorption: DCYTB (duodenal cytochrome b reductase 1) reduziert Fe3+ zu Fe2+, welches daraufhin via DMT1 (divalent metal transporter-1) in die Enterozyten (apikal) im Darm gelangt und dann (basolateral) via Ferroportin (FPN) in Rchtung Kreislauf abgegeben. HIF-2 regt die Expression von DCYTB, DMT1 sowie FPN an.
 
Eisentransport: Im Blut wird Eisen an Transferrin (TF) gebunden und so durch den Kreislauf zu Leber, Knochenmark und andere Gewebe transportiert. (Zellen des retikuloendothelialen Systems erhalten Eisen durch die Phagozytose absterbender Erythrozyten.)
 
Nimmt die Erythropoese im Knochnmark zu, erhöht sich auch die Produktion von Erythroferron (einem von Erythroblasten produzierten Peptidhormon, das die Wirkung von Hepcidin hemmt und so die Menge des für die Hämoglobinsynthese benötigten Eisens erhöht) sowie von GDF15 (growth differentiation factor 15), dessen Rolle noch erforscht wird (Angiogenese? Zellwachstum?).
 
Hemmung der Hepcidinsynthese erhöht die Synthese von Ferroportin in Darmschleimhaut, Leber und Makrophagen und mobilisiert dadurch Eisenspeicher im Körper


Hypoxie-induzierbare Faktoren (HIF) sprechen auf Sauerstoffmangel im Gewebe an. HIF-1 ist hauptverantwortlich für die normale Regulation der renalen Erythropoetin- (Epo-) Produktion, HIF-2 regt die Epo-Synthese in Niere und Leber an. Im Dünndarm reduziert die duodenale Zytochromreduktase (DCYTB) drei- zu zweiwertigem Eisen, dieses betritt die Schleimhautzelle (Enterozyt) via Metalltransporter (DMT1); beide (DCYTB und DMT1) werden von HIF-2 reguliert. Mittels Ferroportin (FPN) geht es dann in den Kreislauf; auch dieses ist HIF-2-gesteuert. Über das ebenfalls HIF-regulierte Transferrin (TF - Hypoxie steigert den Transferrinspiegel) gelangt Eisen dann in Leber, Knochenmark und andere Organe; im retikuloendothelialen System (Milz!) wird es aus alten Erythrozyten bzw. über Phagozytose gewonnen.

Erhöhte erythropoetische Aktivität im Knochenmark führt zur Bildung von Erythroferron - einem Proteohormon aus Erythroblasten - und dem besonders in verletztem Gewebe gebildeten Differenzierungsfaktor GDF15, beide
hemmen die Wirkung von Hepcidin. Das wiederum steigert die Expression von Ferroportin in Darm, Leber und Makrophagen, Eisenresorption und -mobilisierung nehmen zu.

Entzündliche Vorgänge regen die hepatische Hepzidinsynthese an, was die Expression von Ferroportin sowie den Eisenspiegel senkt (Mikroorganismen benötigen Eisen).


Stoffwechsel
 

Ein weiteres Beispiel für komplexe Interaktion von Organen und Geweben im Körper ist die Feinabstimmung des Substrat- / Energiestoffwechsels und die Steuerung von Hunger / Sattheit. Die entsprechenden Zentren liegen im Hypothalamus ("Hungerzentrum" im lateralen Hypothalamus, "Sattheitszentrum" im medialen Hypothalamus: Nucl. paraventricularis und ventromedialis). So ergeben sich Rückkopplungsmechanismen, welche die Aufnahme, Verwertung, Speicherung und den Abbau energiereicher Biomoleküle koordinieren und damit auch langfristig das Körpergewicht beeinflussen ( Abbildung).
 
 
Abbildung: Interaktion zwischen Wachstumshormonen, freien Fettsäuren und Insulin - Wirkung auf Leber, Fett- und Muskelgewebe
Nach Berryman DE et al, The GH/IGF-1 axis in obesity: pathophysiology and therapeutic considerations. Nature Rev Endocrinol 2013; 9: 346-56

Pulsatile Sekretion des Wachstumshormons (GH) triggert in der Leber Produktion und Sekretion von Insulin-like growth factor 1 (IGF-1), worauf dessen Blutspiegel steigt. IGF-1 und freie Fettsäuren (FFA) wirken negativ rückkoppelnd auf die hypothalamisch-hypophysäre Achse und hemmen weitere GH-Freisetzung. Auch mangelnde körperliche Fitness geht mit reduzierter GH-Sekretion einher.
  
Auf die GH-Freisetzung wirken auch Faktoren wie Adiponektin und Leptin. Insulin beeinflusst die Wirkungen des GH auf den Lipidstoffwechsel in der Leber: Es bremst die Fettsäureoxidation und steigert den Proteinabbau. Andererseits steigert GH die Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse.
  
GH wirkt direkt auf Fettgewebe, und indirekt (über IGF-1) auf den Muskel. Es senkt die Insulinempfindlichkeit, regt die Lipolyse an (dies steigert den Spiegel an freien Fettsäuren im Blut) und erhöht die Glucoseabgabe aus der Leber. Indirekt regt es den insulinabhängigen Glucoseeintritt in die Muskelzelle an, erhöht Fettsäureoxidation und Muskelmasse, steigert die IGF-1-Freisetzung aus der Leber, reduziert die Fettgewebsmasse und steigert vermutlich auch die körperliche Fitness. Die Wirkungen von therapeutischer GH-Zufuhr auf den Stoffwechsel sind umstritten (s. Text)
  
LDL-C, LDL-Cholesterin    TBFtotal body fat    VAT, viszerales Fettgewebe    VLDL, very-low density lipoprotein


Übergewicht ist eines der führenden Gesundheitsprobleme geworden. Wachstumshormon (GH) regt u.a. die Produktion des IGF-1 an und beeinflusst mit diesem gemeinsam den Lipid-, Eiweiß- und Kohlenhydratstoffwechsel ( Abbildung). Therapeutische Verabreichung von GH hat bei übergewichtigen Patienten vorteilhafte Wirkungen (Abnahme des Fettgewebes, besonders viszerales Fett), doch zeigen klinische Studien teils widersprüchliche Gesamteffekte.

  Viele Organfunktionen sind neuronal und biochemisch miteinander verknüpft, insbesondere das Substrat- und Metabolitenangebot über den Kreislauf hat Auswirkungen auf praktisch alle Gewebe und Organe des Körpers. Leber (als zentrales Stoffwechselorgan), Nieren (als "Aufbereitungsanlage" für die Körperflüssigkeiten) und Gehirn (als Konsument und oberstes Steuerorgan) sind Organe, die auf regen Stoffaustausch untereinander, aber auch mit anderen Geweben angewiesen sind. Bei Fehlfunktion der Leber kann es zu einer hepatischen Enzephalopathie oder Nierenversagen kommen.
 
 
Abbildung: Wechselwirkungen zwischen Nieren-, Leber- und respiratorischer Funktion bei der Einstellung des pH-Wertes
Nach einer Vorlage in New Human Physiology

Stickstoff kann den Körper als Harnstoff oder als Ammonium verlassen.
  
Die Leber wandelt den Großteil der im Stoffwechsel anfallenden NH4+ -Ionen - unter Verbrauch von Bicarbonat - in Harnstoff um, der Rest dient der Bildung von Glutamin. Beides gelangt in den Kreislauf.
  
Die Niere scheidet einerseits Harnstoff aus und kann aus Glutamin (mittels Glutaminase) wiederum Ammonium freisetzen, welches als Salz mit dem Harn ausgeschieden wird.
  
Mit NH4 werden saure Valenzen ausgeschieden. Bei Azidose wird daher vermehrt Glutamat herangezogen, um Ammonium zu bilden (dabei entsteht Glutamin). Bei Alkalose nimmt hingegen die Bildung von Harnstoff in der Leber  zu (dabei wird Bicarbonat verbraucht). Die renale Säureausscheidung beträgt ~70 mM/d ("nichtflüchtige" Säuren: Sulphat, Phosphat).
  
Der bei weitem größte Säureausscheider des Körpers ist die Atmung  (~24.000 mM Kohlensäure pro Tag), allerdings können damit keine nichtflüchtigen Säuren entfernt werden


  Über die Interaktion von Gehirn, Muskeln und Fettgewebe bei der regulierten zitterfreien Thermogenese s. dort
   
Verschiedene Hormonsysteme beteiligen sich an der Koordination von Organfunktionen (vor allem Leber, Nieren, gastrointestinales System und Zentralnervensystem).
 
   Über Zusammenhänge zwischen pH-Wert, Metabolismus und Organfunktionen s. dort


Fettgewebe ist nicht nur als Energiespeicher wirksam, sondern auch endokrin aktiv; so bilden Adipozyten Hormone, die zusammen als Adipo(cyto)kine bezeichnet werden:
 
Leptin, Resistin, Adiponektin, Visfatin
 
Der Stoffwechsel wird durch ein Netzwerk verschiedener Faktoren gesteuert und stabilisiert. Die zugrunde liegenden Mechanismen wirken organ- und gewebeübergreifend, stark integrativ. Nicht nur Hormone und Neurotransmitter, auch Nährstoffe und Substrate können dabei lenkend wirken: So regen Aminosäuren die Sekretion von Wachstumshormon (GH) aus der Hypophyse an, Kohlenhydrate und Aminosäuren die Freisetzung von Insulin aus dem Pankreas.

Muskel- und Fettgewebe zählen zu den Geweben, die zahlreiche metabolischen Hormone produzieren.

     Der Blutspiegel des Adipokins Leptin korreliert mit der Masse des Fettgewebes im Körper. Es wirkt über Leptinrezeptoren (LEP-R), die zur Familie der Zytokinrezeptoren gehören. Leptin wird fast ausschließlich von Adipozyten gebildet und sagt dem Gehirn, wie viel Fett im Körper gespeichert ist (es kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden). Leptin wirkt anorexigen (es bewirkt Sattheitsempfinden); Leptinmangel löst Hyperphagie aus.

Mindestens zwei Gruppen von Neuronen im nucleus arcuatus exprimieren Leptinrezeptoren, sprechen also auf den Leptinspiegel an: Anorexigene (POMC/CART) und orexigene (AgRP/NPY,
Abbildung).

  
Abbildung: Appetit-Kontrollsystem - orexigene und anorexigene Faktoren
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 3rd ed., Elsevier 2016

Sattheitszentrum ventromedial, Hungerzentrum lateral.
 
Leptin und Insulin regen POMC-sezernierende Neuronen an, und diese bilden das Melanocortin MSH, das anorexigen wirkt und die Energieabgabe des Körpers über den Sympathikus steigert.
 
Leptin und Insulin inhibieren außerdem orexigene Neuronen im nucl. arcuatus.
 
Die Neuronen dieser Zellen projizieren auf folgende Kerne: Lateraler Hypothalamus (Hungerzentrum), ventromedialer Hypothalamus (Sattheitszentrum), dorsomedialer Hypothalamus, nucl paraventricularis, nucl. tractus solitarii.
 
Ghrelin wird vom leeren Magen gebildet und wirkt appetitsteigernd (GHSR1a-Rezeptoren im nucl. arcuatus). CCK wirkt kurzzeitig auf den nucl. arcuatus

AgRP, Agouti-related peptide    CART, cocaine and amphetamine related transcript    CCK, Cholezystokinin    NPY, Neuropeptid Y    POMC, Proopiomelanocortin
  

  vgl. dort    


Leptin übernimmt eine Komponente der Langzeitregulierung von Appetit und Energiehaushalt: Es hemmt orexigene Zellen im Hypothalamus und die Freisetzung des intensiv orexigen wirkenden Transmitters Neuropeptid Y (NPY). Weiters fördert es die Expression des anorexigenen CART, wirkt also mehrfach appetitzügelnd.

Bei einem Überangebot an energieliefernden Substraten ist der Blutspiegel des Leptins hoch, bei Abmagerung und im Hungerzustand nimmt seine Konzentration ab. Dies regt wiederum Hunger und Nahrungsaufnahme an.

Die
Freisetzung von Leptin wird außerdem angeregt durch Glucocorticoide, Insulin und Östrogene.

   
  Im Hypothalamus hemmt Stimulation von Leptinrezeptoren das Hungergefühl, indem die Effekte von NPY und Anandamid antagonisiert, und die Bildung von α-MSH gefördert werden. Dies ist ein Langzeiteffekt.

Mangelnde Reizung von (bzw. fehlerhafte) Leptinrezeptoren lösen unkontrollierten Hunger aus, mit der Folge einer Adipositas. Kalorienrestriktion oder Fasten senkt den Leptinspiegel.

   
  Peripher finden sich Leptinrezeptoren an zahlreichen Zelltypen. Sie spielen eine große Rolle für den Energiehaushalt, auch für den Kreislauf, das Reproduktionssystem (Fertilität, Zyklus, Schwangerschaft, Laktation), das Bewegungssystem, Immunsystem usw.
 
    Resistin, auch adipose tissue-specific secretory factor (ADSF) genannt, ist ein Adipokin, das auch von Immunzellen und Epithelien sezerniert wird. Seine physiologische Rolle beim Menschen (Übergewicht? Diabetes?) ist noch umstritten.
 
    Adiponektin stammt auch aus der Plazenta und wird umgekehrt proportional zur Masse des Fettgewebes freigesetzt. Der (mit 2-20 mg/l für ein Proteohormon hohe) Adiponektinspiegel steigt bei Kalorienrestriktion; bei Übergewichtigen ist er am niedrigsten. Frauen weisen höhere Adiponektinspiegel auf als Männer (Sexualdimorphismus). Adiponektin reguliert mit anderen Adipokinen sowie Insulin den Energiestoffwechasel (Hungergefühl, Nahrungsaufnahme, Zuckerhaushalt, Fettsäureoxidation).
 

    Visfatin, ein weiteres Proteohormon, das aus viszeralem Fettgewebe stammt und dessen Plasmaspiegel mit dem Grad einer Adipositas korreliert. Es steigert die Insulinempfindlichkeit und senkt den Blutzuckerspiegel.
 
 
Abbildung: Wirkung von Kortisol, Katecholaminen, Wachstumshormon und Schilddrüsenhormonen auf Substratflüsse zwischen Organen und Geweben

As, Aminosäuren    Glc, Glucose    Glg, Glykogen    Fs, Fettsäuren    KK, Ketonkörper    Pr, Protein    Tg, Triglyzeride

Verschiedene weitere Wirkungen werden ihm zugeschrieben, wie die Behebung biochemischer Schäden (Radikale), Vermehrung von Mitochondrien, Wachstumsanregung von Blutgefäßen sowie Zytokinwirkungen. Diese Signalstoffe beteiligen sich an der Steuerung der Energiespeicherung bzw. -entspeicherung sowie an weiteren, z.B. immunologischen Regulationsmechanismen.

    Über Substratflüsse zwischen Organen und Geweben und ihre hormonelle Beeinflussung s. u.a. dort und Abbildung.
Kreislauf und Flüssigkeitsregulation
 

Bei der Regulation von Blutdruck und Körperflüssigkeiten kooperieren zahlreiche Organe: Kreislaufsystem (insbesondere Herz), Nieren, Lungen, endokrines System.

Sinkt der Blutdruck, dann nimmt auch die glomeruläre Filtration ab, die Rückresorption und die "Kochsalzlast" an der macula densa steigen an.

Der beschriebene Mechanismus des juxtaglomerulären Apparats steuert dem entgegen: Vasodilatation im vas afferens verstärkt die Filtration; das vas efferens wird über Angiotensin konstringiert, was die Filtration weiter erhöht; und über den Renin-Angiotensin-Aldosteron-Mechanismus steigt der Blutdruck.
  
  
Abbildung: Das Renin- Angiotensin- Aldosteronsystem und die Salz-Wasser-Bilanz des Körpers sind mit der Kreislauffunktion rückgekoppelt
Nach einer Vorlage in Wikipedia

ACE, angiotensin converting enzyme ADH, Vasopressin


Die hämodynamischen Verhältnisse im Bereich der Leber können über Vasodilatation im Splanchnikusgebiet das effektive Blutvolumen reduzieren (evt. "Widerstandsverlustschock"). Die hepatische Perfusion ist zum Teil zentral, zum Teil autoreguliert.

Die Leber ist ein bedeutsamer Blutspeicher (knapp 1/10 des gesamten Blutvolumens, schwankend mit Atemphase, Körperlage und Herzfunktion); so kann dieses Organ als bedeutsamer Volumenpuffer im Kreislauf in Erscheinung treten. Die Dehnbarkeit der Gefäße ist insbesondere im Bereich der Sinusoide hoch.

  
  Verminderte Dehnung kardiopulmonaler Rezeptoren führt zu reflektorischer Aktivierung des Renin- Angiotensin- Aldosteron- Systems in der Niere und der Aktivierung des Sympathikus sowie der Bildung von Adiuretin (=Vasopressin) im Gehirn.

  
  Das Herz wirkt andererseits über atriale natriuretische Peptide und baroreflektorisch auf die Nierenfunktion ein, beeinflusst dort u.a. die Ausscheidung von Salz und Wasser. In all diesen Fällen ist die Regulation der Funktionen des Kreislaufs eine zentrale Drehscheibe der Interaktion der Organe (kardiovaskuläre Reflexe).
 
 
Abbildung: Blutdruckreduktion aktiviert den Renin- Angiotensin- Aldosteron- Mechanismus
Nach einer Vorlage in jameda.de / wissensmedia (2008)

Der juxtaglomeruläre Apparat steigert infolge des geringeren Perfusionsdrucks die Reninfreisetzung. Dies führt über Angiotensin zu Blutdruckanstieg, das extrazelluläre Flüssigkeitsvolumen wird durch Aldosteron erhöht.
 
Die Reninfreisetzung wird schließlich durch den erhöhten Angiotensin- und Aldosteronspiegel wieder herunterreguliert



Bewegungssystem
 

  Das System der Knochen einerseits, der Skelettmuskulatur andererseits sind in mehrfacher Weise miteinander verknüpft. Das Skelettsystem fängt die Kräfte auf und leitet sie weiter, welche die an ihm ansetzenden Muskeln ausüben.

Man schätzt, dass die muskulären Kräfte bedeutsamer für die trophischen Impulse auf das Knochengewebe sind als äußere mechanische Einflüsse (z.B. am Femur >70% der Gesamtbelastung). Aber es sind nicht nur mechanische, sondern auch biochemische Informationen, die zwischen Muskeln und Knochen ausgetauscht werden (Crosstalk):

     Mechanische Faktoren - Muskelkraft überträgt sich auf Knochengewebe, Knochen geben der Muskelaktion Sinn und Richtung
 
     Parakrine / endokrine Faktoren: Myokine wirken nicht nur auf Muskel-, sondern auch Knochen- und andere Zellen

Einige Beispiele: Das aus Myozyten stammende Interleukin-15 regt nicht nur den Muskelaufbau an, sondern es erhöht auch den Knochen-Mineralgehalt - und es reduziert Körperfett. Myonectin (aus Muskelzellen) stimuliert die Aufnahme freier Fettsäuren nicht nur in Muskel-, sondern auch in Leber- und Fettzellen ("Muskel- Leber- Fettgewebe- Crosstalk"). Interleukin 6, dessen Blutspiegel mit steigender Muskelarbeit zunimmt, hat leptinähnliche Wirkungen. Leptin reduziert die Masse an Spongiosa, steigert aber die Masse an Compacta im Knochen.

Auch bei Alterungsvorgängen des Bewegungssystems spielen die Interaktionen zwischen Knochen- und Muskelzellen eine große Roll
e.
 

Stickstoffausscheidung
 
Der Großteil des aus dem Eiweißabbau stammenden Stickstoffs wird als Harnstoff ausgeschieden ( Abbildung) - täglich etwa 20-30 g. Im Blutkreislauf hat Harnstoff eine biologische Halbwertszeit von nur wenigen Minuten.
  
 
Abbildung: NH3-Austausch zwischen Organen
Nach einer Vorlage bei epgonline.org (nach Cordoba 2008)

GLN = Glutamin, GLU = Glutamat

Zum Glutamataustausch an Synapsen s. auch dort


Ammonium wird beim Gesunden zu ~50% im Skelettmuskel durch Aktivität der Glutamat-Ammonium-Ligase (früher Glutaminsynthetase) metabolisiert. Nimmt die Fähigkeit der Leber zur Metabolisierung von Ammoniak zu Glutamat ab, kann das Muskelgewebe zumindest zum Teil einspringen.

Erhöhte Blut-Ammoniumwerte (
Hyperammonämie: Plasma-Ammonium über 90 µg/dl oder 53 µM) bei eingeschränkter Leberfunktion (Zirrhose
) führen zu toxischen Auswirkungen auf das Gehirn (hepatische Enzephalopathie: verminderte Hirnleistung bis Koma).

Bei erhöhtem Ammoniumspiegel wirken sich zahlreiche Veränderungen auf Astrozyten aus, wie von Elektrolyten, Zytokinen und Rezeptoren. Ausreichende Kontrolle
des Ammoniumspiegels vorausgesetzt, ist der Zustand reversibel. (Hyperammonämie kann auch hereditär bedingt sein: neurometabolische Erkrankung.)

   Vgl. auch dort

  Der Glutamin-Glutamat-Mechanismus hilft bei der Säureausscheidung und setzt die Kooperation von Leber- und Tubuluszellen voraus. Die Leber stellt aus dem Eiweißabbau die Aminosäure Glutamin zur Verfügung, das in der Niere zu Glutamat und Ammonium abgebaut wird; letzteres kann ein Proton aufnehmen und damit Säurevalenzen (als Ammoniumsalz) aus dem Körper entfernen ( Abbildung).
 
Immunsystem und Energiehaushalt
 
 
Abbildung: Wirkungen von Leptin auf das Immunsystem
Nach La Cava A & Matarese G, The weight of leptin in immunity. Nat Rev Immunol 2004; 4: 371-9

Das aus dem Fettgewebe stammende Hormon-Zytokin Leptin verknüpft den Ernährungszustand mit neuroendokrinen und Immunfunktionen. Es beeinflusst die Funktionen des Thymus und die Bildung von Immunphasen-Proteinen. Es regt die Differenzierung von Helfer-T-Zellen an

Apoptose    Chemotaxis      DTH, delayed type hypersensitivity    IgG-switch  s. isotype switching    Interleukine    MHC, main histocompatibility complex    Perforin    TNF, Tumornekrosefaktor    Thymus
 
      Zu Fieber  s. dort

Leptin hat auch über die Regulierung des Appetits hinausgehende Wirkungen, insbesondere auf die Funktion des Immunsystems - wie in Lymphknoten und Knochenmark ( Abbildung).

So induziert es die Antigenpräsentation, Zytokinbildung, spezifische und unspezifische Defensivmechanismen und einiges mehr.
  
Metabolische Hormone und Gehirnfunktion
 

Verdauungshormone wie Cholezystokinin, pankreatisches Polypeptid, Amylin, Glucagon-like peptide, Ghrelin u.a., Leptin sowie Insulin werden je nach Stoffwechsellage freigesetzt und beeinflussen die Zentren im ZNS.

Information aus diesen Zentren gelangt zum nucl. tractus solitarii im Hirnstamm, der das autonome Nervensystem zu steuern hilft und dabei afferente Signale aus dem Darm, der Bauchspeicheldrüse und auch aus dem Mundbereich berücksichtigt.

Neurotransmitter aus dem nucl. arcuatus gelten als hungeranregend (Orexigene) und hungerhemmend (Anorexigene). Diese haben nicht nur die entsprechende Wirkung auf den Organismus - Orexigene erhöhen, Anorexigene senken die Energieaufnahme - sondern hemmen sich auch wechselseitig.
      Als orexigen gelten Neuropeptid Y (NPY) und das agouti-related peptide (AgRP) AgRP / NPY-Nervenzellen werden durch Ghrelin angeregt, durch Leptin, Insulin, CCK gehemmt.
 
      Anorexigen wirken Pro-opio-melanocortin (POMC) und das cocaine and amphetamine related transcript (CART). POMC / Cart-Nervenzellen werden durch Leptin, Insulin und CCK angeregt.
 
 
Abbildung: Gemeinsame Glucoseregulation kooperierender Organe
Nach Morton GJ & Schwartz MW, Leptin and the central nervous system control of glucose metabolism. Physiol Rev 2011; 91: 389-411

Gehirn, Darm, Leber, Pankreas, Muskel und Fettgewebe interagieren bei der Glucoseregulation. Leptin signalisiert die Verfügbarkeit von Langzeitspeichern, kurzfristig verfügbar sind Stoffe wie z.B. freie Fettsäuren

Im Hungerstoffwechsel erzeugt die Leber aus dem Fettsäureabbau Ketonkörper zur Versorgung anderer Gewebe - vor allem des Gehirns.
  
 
Homöostase der Mineralien
 

Die Regulation der Mineralstoffhomöostase ist ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit der Kooperation mehrerer Organe und Gewebe.

Wird Kalium vermehrt benötigt (Kaliummangel), wird es nur geringgradig (aber immer noch 1-3% der filtrierten Menge) mit dem Harn ausgeschieden. Bei kaliumarmer Ernährung über längere Zeit kann der unweigerliche renale Verlust zu Hypokaliämie führen.

      Kaliummangel entsteht durch verstärkte Verluste über die Nieren (harntreibende Mittel, verstärkte Aldosteronwirkung), Erbrechen oder Durchfall (Gastrointestinalsystem); Folgen sind vor allem Muskelschwäche und Herzrhythmusstörungen.

Kalium verläßt den Körper mit dem Harn (>90%), Schweiß und Stuhl (<10%); der Verlust beträgt 3-4 Gramm täglich, er wird normalerweise durch entsprechende Zufuhr über die Nahrung wettgemacht.  

      Hyperkaliämie: Steigt der Plasma-Kaliumspiegel plötzlich an (z.B. infolge Crush-Syndrom), kommt es zunächst zu Kaliumaufnahme in die Zellen (Kalium-Puffer, Normalisierung des Plasmaspiegels); innerhalb von Stunden steigt die (hormonabhängige) Kaliumsekretion in der Niere.

Ursache dieser Verzögerung ist der Wirkungsmechanismus: Ionenpumpen und Permeasen werden in die Membranen der Nierentubuluszellen eingebaut - das braucht Zeit.

Unter dem Einfluss von Aldosteron werden - je nach Kaliumbilanz im Körper - 20-180% der glomerulär filtrierten Menge ausgeschieden. Beispielsweise muss der wachsende Organismus Kalium zurückhalten; bei Atrophie geht dem Körper Kalium verloren.
 
      Zur Physiologie des Natriums (Leitkation der extrazellulären Flüssigkeit: ~ 15 l bei ~70 kg KG) und
 
      Zur Physiologie des Kaliums (Leitkation der intrazellulären Flüssigkeit: ~ 30 l bei ~70 kg KG) s. u.a. II.9 und X.6
 

 
     Darm, Leber, Nieren, Milz und Knochenmark kooperieren bei der Regulierung von Eisenhomöostase und Erythropoese. Das Bindeglied ist der Sauerstofftransport
 
     Aufnahme, Verwertung, Speicherung und Abbau energiereicher Biomoleküle werden über die Steuerung von Hunger und Sattheit koordiniert ("Hungerzentrum" im lateralen Hypothalamus, "Sattheitszentrum" im medialen Hypothalamus). Rückkopplungsmechanismen ergeben sich durch Meldungen aus der Peripherie des Körpers (Magen-Darm-Trakt, Pankreas, Leber, Fettgewebe. Muskulatur)
 
      Gehirn, Atmung, Leber und Nieren arbeiten bei der Stabilisierung des pH-Wertes zusammen: Die Atmung entfernt CO2 aus dem Körper, die Nieren nichtflüchtige Säuren, die Leber wandelt Ammonium - unter Verbrauch von Bicarbonat - in Harnstoff um, das Gehirn überwacht die Blutgaswerte
 
      Bei hohem Angebot an Energieträgern sezerniert Fettgewebe Leptin, dieses hemmt orexigene und fördert anorexigene Mechanismen im Hypothalamus und wirkt dadurch mehrfach appetitzügelnd. Bei mangelnder Energieverfügbarkeit sinkt die Leptinbildung, das befeuert den Hunger. Leptin wirkt auch im Immunsystem. Die Synthese von Visfatin korreliert mit dem Grad einer Adipositas. Umgekehrt nimmt die Bildung von Adiponektin mit der Masse an Fettgewebe ab
 
      Bei der Blutdruckregulation spielen die Einflüsse von Leber, Nieren, Nebennieren und Gehirn zusammen: So bilden Hepatozyten Angiotensinogen und die Nieren Renin; treffen diese aufeinander, entsteht Angiotensin I, das vor allem in der Lunge (ACE: Angiotensin converting enzyme) zu Angiotensin II wird. Dieses erhöht die Aktivität des Sympathikus, fördert die Aldosteronbildung und steigert den Blutdruck teils direkt (Vasokonstriktion), teils über eine Erhöhung des extrazellulären Volumens
 
      Im Bewegungssystem erfolgt eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Gewebe: Muskelkraft stärkt den Knochen, Knochen unterstützen und verteilen die Muskelkraft, und die Gelenke bieten eine Erweiterung der Freiheitsgrade. Myokine wirken nicht nur auf Myozyten, sondern auch auf andere Zellen, z.B. im Knochen
 
      Der Glutamin-Glutamat-Mechanismus (die Nieren bilden aus Glutamin, das aus dem hepatischen Stoffwechsel stammt, Glutamat und Ammonium) unterstützt die Stickstoffausscheidung und die Säure-Basen-Regulation des Körpers
 
      "Verdauungshormone" werden nicht nur im gastrointestinalen System, sondern auch im Gehirn synthetisiert; sie wirken in beiden Systemen. Cholezystokinin, pankreatisches Polypeptid, Amylin, Glucagon-like peptide, Ghrelin, Leptin, Insulin werden je nach Stoffwechsellage freigesetzt und beeinflussen das Gehirn
 
      Auch im Mineralhaushalt kooperieren verschiedene Organe. Steigt beispielsweise der Plasma-Kaliumspiegel plötzlich an, wie bei starken Muskelverletzungen, nehmen zunächst Körperzellen Zellen vermehrt Kalium auf (Normalisierung des Plasmaspiegels), dann scheiden die Nieren - hormongesteuert (Nebennieren) - Kalium mit dem Harn aus
 

 




  Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen: Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.