Physiologie lernen - den Organismus verstehen
Wie funktioniert der menschliche Körper?
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VII.
Respirationssystem, Atemgastransport
IX.
Die Atmung entfernt die bei weitem größte Menge an Säure aus dem Körper. Kohlendioxid
ist das Anhydrid der Kohlensäure, und mit der Atmung werden täglich ~15.000 mmol davon eliminiert - fast die gesamte Säureausscheidung des
Organismus. Atmet man zu wenig, nimmt nicht nur die
Sauerstoffversorgung ab, es steigt auch der CO2-Spiegel im
Blut (Hyperkapnie)
- was das Blut ansäuert (respiratorische Azidose) und die Hirngefäße
weitet (zerebrale Vasodilatation). Übertriebene Atmung erzeugt
umgekehrt Hypokapnie - das reduziert wiederum die zerebrale Perfusion,
u.U. bis zum Auftreten einer Ohnmacht.
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Die Mechanik der Ventilation (Luftbewegung) beruht auf dem
Strömungsgesetz: Zur Bewegung von Luft (durch Trachea,
Bronchien) bedarf es eines Druckunterschieds. Je größer
dieser ist (und je geringer der Strömungswiderstand, d.h. je weiter die
Bronchien), desto mehr Luft strömt, d.h. wird geatmet. Der äußere
Luftdruck ist (meist) konstant, also muss sich der Druck in den Alveolen
ändern: Pulmonaler Unterdruck läßt Luft
einströmen (Inspiration), Überdruck ausströmen (Exspiration).
Dazu muss das Volumen
der Alveolen verändert werden (Boyle-Mariotte-Gesetz: [Druck
mal Volumen] konstant). Bei Erweiterung des
Thorax (Kontraktion des Zwerchfells und
der äußeren Interkostalmuskeln) sinkt der Druck, es erfolgt Einatmung;
Retraktion der Lunge verringert das Volumen und steigert den
Alveolardruck, es erfolgt Ausatmung.
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Die Atmung beeinflusst die Partialdrucke von Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut. Daher werden diese Werte bei der
Atmungssteuerung berücksichtigt: Chemorezeptoren in Gehirn und Glomusorganen messen den pO2- und pCO2-Wert, steigender [pCO2] stimuliert die Atmung bis zum Mehrfachen des Ruhewertes. Der stärkste Atemanreiz ist Muskelaktivität: Diese kann die Atmung mehr als zwanzigfach erhöhen.
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Ein Gramm Hämoglobin (Hb) bindet bis zu 1,34 ml O2, abhängig vom pO2. Das ergibt ~200 ml O2 pro Liter Blut (~20 Vol-%). Je nach Bedarf und Durchblutung nehmen Gewebe
dem Hämoglobin einen höheren oder geringeren Anteil
des arteriell angebotenen Sauerstoffs ab - im
Durchschnitt bei körperlicher Ruhe etwa 25% (5 Vol-%). Körperliche Belastung steigert den Sauerstoffumsatz und die O2-Ausschöpfung des Hämoglobins (bis auf fast 100%).
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Der Atemgasaustausch erfolgt in den Alveolen (Lungenbläschen). Die
Luftwege haben Verteilungs- und Schutzfunktion, in ihnen findet so gut wie kein Gasaustausch statt, ihr Volumen (~150 ml) wird als Totraum bezeichnet. Beträgt das Atemvolumen 600
ml, dann pendelt ein Viertel (150 ml) der ein/ausgeatmeten Luft im
Totraum hin
und her, 3/4 dienen dem alveolären Gasaustausch.
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Die Lunge ist Umweltfaktoren ausgesetzt: Eingeatmete Luft
enthält schädliche Beimengungen (Staub, Krankheitserreger,
Reizgase). Zu den Schutzmechanismen zählen Schleimproduktion
und Flimmerstrom in den Atemwegen, Surfactant, Phagozyten und
protektive Moleküle in den Alveolen. Surfactant - eine Mischung aus
Lipiden und Proteinen - verringert außerdem die Oberflächenspannung (Wasser - Luft), die sonst
Alveolen kollabieren ließe. Mangelnde Produktion von
Surfactant (Frühgeburten) kann die
Entfaltung der Lunge behindern (respiratory distress syndrome).
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Bei ausgeatmeter Ruhelage befindet sich die funktionelle Residualkapazität (FRC) in der Lunge, geatmet wird das Atemzugvolumen (tidal volume). Darüber hinaus kann ein
inspiratorisches und ein exspiratorisches Reservevolumen geatmet werden. Einschränkungen der Atemweite
heißen restriktive
Störungen. Luftmengen können mit Spirometern
direkt (volumetrisch) ermittelt werden, nicht aber das Reservevolumen
(das nicht ausgeatmet werden kann), dessen Größe indirekt - mittels
Indikatorverdünnung (z.B. mit Helium) - bestimmt wird. Die Vitalkapazität
VC ist die Luftmenge, die zwischen maximaler Inspiration und maximaler Exspiration geatmet wird.
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Der Strömungswiderstand (resistance; ist er erhöht, spricht man von obstruktiver Störung) kann mittels einfacher Tests (Kerzenausblasen) oder über die maximale Exspirationsgeschwindigkeit abgeschätzt werden (Sekundenstoßwert: normalerweise >75% der VC in 1 Sekunde ausgeatmet). Der Betrag des Atemwegwiderstands wird mittels Messung der Strömung (Pneumotachographie) sowie (indirekt) des alveolären Druckverlaufs in einer luftdichten Kammer (Ganzkörperplethysmographie) ermittelt.
© H. Hinghofer-Szalkay