Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

      
Spezielle Endokrinologie
 
  Steuerung / Testung der Schilddrüsenfunktion
© H. Hinghofer-Szalkay

Exophthalmus: ἔξω = außen, ὀφθαλμός = Auge
Kretinismus: crétin (frz) = Idiot
Mb. Basedow: Carl v. Basedow
Szintigrafie: scintilla = Funke, γράφειν = (auf) zeichnen





Schilddrüsenhormonmoleküle sind im Blut fast zur Gänze eiweißgebunden, der Anteil an freiem Hormon kann sich aber ändern (und damit die biologische Wirksamkeit). Die Transportform T4 wird sowohl zum biologisch aktiven T3 (Dejodinase 1 und 2) als auch zum inaktiven reversen rT3 umgebaut (Dejodinase 3).

Die Schilddrüsenfunktion ist abhängig von Jodidangebot und TSH-Spiegel. Schilddrüsendiagnostik berücksichtigt einerseits biochemische Marker (insbesondere die Kombination Thyroxin / TSH), andererseits physiologische Wirkungen der Hormone auf den Organismus (funktionelle Testung).

Bei der Untersuchung achtet man auf die Größe des Organs (ist die Drüse vergrößert, kann es sich um reaktive Hypertrophie (Jodmangelkropf infolge hoher TSH-Wirkung) oder um hormonbildend aktives Gewebe handeln (Hyperthyreose, TSH gesenkt).

Aufschlussreich sind Auswirkungen verringerter oder erhöhter Schilddrüsenaktivität auf den ganzen Organismus:
 
 -- Ist ein Myxödem nachweisbar (Hypothyreose) oder die Haut warm und schweißig (Hyperthyreose)?
 
 -- Ist der Ruhepuls auffällig (Hypothyreose Bradykardie, Hyperthyreose Tachykardie)?
 
 -- Ist die Körpertemperatur verändert (Hypothyreose Hypothermie, Hyperthyreose Hyperthermie)?
 
 -- Liegt ein Exophthalmus vor? Wie ist die Schlafqualität? etc.


Übersicht  Funktionelle Überprüfung
 
Funktionelle Schilddrüsendiagnostik: Hormone und Stoffwechselzustand
 

Die Schilddrüse kann zu viel (Überfunktion, Hyperthyreose) oder zu wenig Hormon produzieren (Unterfunktion, Hypothyreose). Eine Hyperthyreose kann z.B. im Rahmen einer Autoimmunerkrankung (Mb. Basedow) oder als autogenes Adenom auftreten, eine Hypothyreose z.B. bei Jodmangel oder Autoimmunthyreoiditis.
 
                    
Abbildung: Regelkreis des Schilddrüsenhormon-Systems
Nach einer Vorlage bei lewest.web.unc.edu

TRH und TSH wirken über spezifische Rezeptoren an den Zielzellen. Der TSH-Rezeptor spielt eine zentrale Rolle bei der Kontrolle des Stoff- und Energieumsatzes im Körper. Die Schilddrüsenhormone (T4 / T3) bewirken negative Rückkopplung sowohl am Hypothalamus (nucl. paraventricularis) - allerdings relativ schwach -, vor allem an der Hypophyse, vorwiegend durch T4


Um den Zustand der Schilddrüse richtig einzuschätzen, bedarf es der Analyse von Funktion, Größe und Morphologie. Störungen können das ganze Organ oder nur Teile davon betreffen, Neoplasien können endokrin aktiv sein oder aber die Funktion unbeeinflusst lassen. Die funktionellen Auswirkungen der Schilddrüsenhormone erstrecken sich auf den ganzen Körper; so wirkt sich eine Überfunktion (Hyperthyreose) der Schilddrüse nicht nur auf den Stoffwechsel aus, sondern z.B. auch auf den Kreislauf ( Abbildung unten).
  
Jodmangel kann eine Vergrößerung der Schilddrüse bewirken (Jodmangelstruma)


Anamnese, Palpation (Größe, Beschaffenheit), Auskultation (Gefäßgeräusche bei Hyperthyreose, Stridor bei Einengung der Luftröhre), Hormonmuster ("Schilddrüsenfunktionsparameter") gehören zum Standard; weiters Röntgen, CT, Sonografie, Szintigrafie , Punktion.

Die Funktion von Hypothalamus, Hypophyse, Schilddrüse und Schilddrüsenhormonen ist mehrfach rückgekoppelt (
Abbildung). Thyreotropin (TSH) regt Tätigkeit und bei höherer Konzentration Wachstum der Schilddrüse an. Thyreotropin-Rezeptoren funktionieren (wie die der meisten Tropine) über G-Proteine und den cAMP-Weg. Fehlendes TSH bewirkt Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose). Die Bildung von TSH wird durch TRH gefördert, durch T3 / T4 (negative Rückkopplung) sowie durch Somatostatin (Wachstumsbremse) gehemmt.

TRH (Thyreoliberin) ist ein Tripeptid, das vor allem infolge von Kälte aus dem Hypothalamus freigesetzt wird (T3/T4 steigern die Wärmeproduktion.) Weitere Faktoren sind Schilddrüsenhormone im Blut (negative Rückkopplung) sowie zentralnervöse Einflüsse.

     
Referenzwerte Schilddrüsenhormone s. dort
    
Sind die Nebenschilddrüsen funktionell beeinträchtigt, kann auch eine Messung des Calcitoninspiegels angezeigt sein.
 
So gut wie alle Zellen haben T3-Hormonrezeptoren, zahlreiche Gene werden erst bei Anwesenheit von T3 exprimiert.
Funktionsstörungen der Schilddrüse produzieren Symptome, welche die physiologischen Angriffspunkte der Schilddrüsenhormone widerspiegeln.
 

Abbildung: Hypothyreose
Nach einer Vorlage bei DocPlayer.org (Jim Davis: Garfield)

Zu den Symptomen zählen: Kälteintoleranz, Müdigkeit, langsame Sprache, Apathie, Muskelschwäche, Konstipation, Haarausfall; später zusätzlich Bradykardie, Hypothermie, Gewichtszunahme, verdickte Haut


Jodmangel führt zu ungenügender Bildung von T3 und T4 (Hypothyreose). Dies regt durch negative Rückkopplung die Bildung großer Mengen TSH an, die Schilddrüse wächst über das normale Ausmaß (Jodmangelkropf), normale Hormonkonzentrationen werden dennoch nicht erreicht. Herabgesetzter Energieumsatz, Obstipation (Verstopfung), leicht erniedrigte Körpertemperatur, Kälteempfindlichkeit, geringere physische und mentale Leistungsfähigkeit, Müdigkeit, Myxödem gehören zu den Leitsymptomen einer Schilddrüsenunterfunktion. Hypothyreote Kinder zeigen Entwicklungsverzögerungen (bis hin zum Kretinismus ).
  

Eines der Symptome einer primären Hypothyreose ist Obstipation
 
Schilddrüsenunterfunktion bewirkt Hypothermie und Kälteempfindlichkeit
  
Gesteigerte Schilddrüsenfunktion (Hyperthyreose) äußert sich u.a. in erhöhtem Grundumsatz, beschleunigtem Herzschlag bis hin zu Herzüberlastung (Thyreotoxizität, Abbildung), Gewichtsverlust, Schweißigkeit, Unruhe und Schlafstörungen.
   

Abbildung: Wirkungen von Hyperthyreoidismus auf das kardiovaskuläre System
Nach Toft AD & Boon NA, Thyroid disease and the heart. Heart 2000; 84: 455-60

Erhöhte Schilddrüsenfunktion mit gesteigerter Sekretion von T3 und T4-Aktivität in der Peripherie wirkt sowohl über genomische als auch über nichtgenomische Mechanismen.
 
Die myokardialen Kontraktionen verlieren an Effizienz (zugunster der Produktion von Wärme), die Nachlast sinkt, der periphere Gefäßwiderstand kann um mehr als 50% reduziert sein (verursacht durch direkte T3-Effekte sowie erhöhten Lactatspiegel). Die Perfusion von Haut und Muskelgewebe steigt stark an, wie auch die Vorlast für das Herz, bedingt durch erhöhte ACE-Aktivität (Anstieg von Angiotensin II, vermehrte renale Natriumresorption) und gesteigerte Synthese von Erythropoetin (Anstieg der Erythrozytenmasse), was zusammen das Blutvolumen anhebt (Hypervolämie).
 
Hyperthyreose steigert die Herzfrequenz durch eine Kombination rascher diastolischer Depolarisierung der Schrittmacherzellen einerseits, verkürzte Aktionspotentiale andererseits. Auch nimmt die Dauer der Refaktärzeit ab. Diese Effekte zeigen sich auch an dern Zellen des atrialen Myokards, was die Neigung zu Vorhofflimmern erklärt.
 
*  = direkte T3-Wirkung


Funktionstests
 
Befunderhebung und Funktionstestung der Schilddrüse konzentrieren sich auf:

    Die Schildddrüse selbst: Vergrößerung (Tastbefund - sichtbarer Kropf?) Eine solche kann stumm oder hormonell aktiv sein ("heißer" Knoten). Einengungsgefühle, Atembeschwerden durch Einengung der Luftröhre? Szintigraphie des Organs zur Darstellung aktiver Gewebezonen

    Den Hautbefund: Myxödem (Bindegewebe), Feuchtigkeit (Schweiß)? Diese Symptome deuten auf eine Schilddrüsenunterfunktion hin

    Die Kreislauffunktion: Pulsfrequenz? Herzrhythmusstörungen? Blutdruck? Hyperthyreose senkt den peripheren Widerstand und wirkt steigernd auf mehrere Herzqualitäten (Lusitropie, Inotropie, Chronotropie - direkte T3-Effekte, s. Abbildung oben), sodass das Herzminutenvolumen stark erhöht ist, Störungen der Erregungsbildung und Reizleitung auftreten können und schließlich ein high output failure ("Toxizität" einer stark ausgeprägten Hyperthyreose) erfolgen kann
  
Schilddrüsenhormone erhöhen die ß1-Rezeptor- Expression und damit die Herzfrequenz
  
  Den Augenstatus: Hervortretende Augen (Exophthalmus? Hinweis auf Mb. Basedow )

  Laborwerte: Basaler TSH-Spiegel in Kombination mit T3 / T4 (Logik des hormonellen Rückkopplungskreises):

       TSH erniedrigt, T erhöht .. (primäre) Hyperthyreose, d.h. ursächlich von der Schilddrüse ausgehend. Die Erhöhung des Schilddrüsenhormonspiegels bewirkt im (intakten) Hypothalamus eine Senkung der TSH-Produktion (negative Rückkopplung)
 
       TSH erhöht, T erniedrigt .. (primäre) Hypothyreose. Die Erniedrigung des Schilddrüsenhormonspiegels bewirkt im (intakten) Hypothalamus eine Erhöhung der TSH-Produktion (negative Rückkopplung)

       Beide erhöht: sekundäre / tertiäre Hyperthyreose, d.h. von Hypophyse (sekundär) oder Hypothalamus (tertiär) ausgehende Überproduktion von TSH bzw. TRH

       Beide erniedrigt: sekundäre / tertiäre Hypothyreose, d.h. von Hypophyse (sekundär) oder Hypothalamus (tertiär) ausgehende Mangelproduktion von TSH bzw. TRH
    
Primäre Hyperthyreose: T4 erhöht, TSH (basal) erniedrigt
  
In letzterem Fall Durchführung eines Thyreoliberin-Tests: Der TSH-Spiegel wird vor und nach i.v.-Gabe von TRH gemessen. Der Test ist negativ bei hypophysärer (=sekundärer), positiv bei hypothalamischer (=tertiärer) Hypothyreose; bei primärer Hypothyreose hochpositiv (überschießend).

   Fall 3

 

 




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