Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
Ernährung und Verdauungssystem
Kauen, Schluckreflex, Ösophagus
© H. Hinghofer-Szalkay
Achalasie: Χαλασος = schlaff (fehlende Erschlaffung)
Epiglottis: ἐπί = auf, über, λῶττα = Zunge (auch: Sprache)
Gastroskopie: γαστήρ = Magen, σκοπεῖν = beobachten
Ösophagus: οισοφάγος = Schluckdarm
Parodont: παρά = neben, ὀδούς / ὀδόντος = Zahn
Sphincter: Σφίγξ = Würgerin
Die Kaubewegungen des Mund-Gesichts- ("orofazialen") Systems sind zum Großteil vom Hirnstamm unbewusst gesteuert: Ein "Kaumustergenerator" liefert - unter Beteiligung des Kleinhirns - zyklisch-rhythmische Kontraktionsmuster. Informationen von Rezeptoren der Mund-, Zungen- und
Rachenschleimhaut - diese detektieren physikalische (Mechano-,
Thermorezeptoren) und chemische Beschaffenheit (Geschmacks-,
Geruchsrezeptoren) des Mundinhaltes - sowie von den Zähnen werden miteinbezogen, die Aktivität der Speicheldrüsen stimuliert.
Beim ca. 5 Sekunden dauernden Schluckvorgang unterscheidet man
-- eine orale Phase, die willkürlich beeinflussbar ist (Steuerung durch Temporallappen, limbisches System und motorischen Kortex);
-- die pharyngeale Phase wird vom Hirnstamm koordiniert. Der obere Ösophagussphincter erschlafft zunächst, nach Passage des Bolus baut er kurz einen hohen Druck (bis ~100 mmHg) auf, der die
Verbindung zum Rachen verschließt und zum Transport Richtung Magen
beiträgt;
-- gleichzeitig garantiert die laryngeale Phase, dass der Kehlkopf den Zugang zur Luftröhre abdichtet.
-- In der oesophagealen Phase bringt die Peristaltik der Speiserähre (~4 cm/s) den Schluck bis zum Mageneingang (unterer Ösophagussphincter).
Dieser erschlafft vorübergehend, der Bolus gelangt in den Magen, die
Cardia kontrahiert wieder und dichtet den Mageneingang ab.
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Mundbereich: Kauen und Zähne, Mundschleimhaut Schlucken
Reflux
Praktische Aspekte
Core messages
Das Kauen hat drei Hauptfunktionen:
Erleichterung des Schluckvorganges durch Zerkleinerung des
Mundinhaltes; Durchmischung des Mundinhaltes mit Speichel; Vergrößerung
der Oberfläche, an der Enzyme auf die Bestandteile des Mundinhaltes
einwirken können. Entsprechend den weitgehend unbewusst ablaufenden Vorgängen des Kauens (Mastikation) und der Speichelbildung (Salivation) sind diese vorwiegend durch Zentren im Hirnstamm gesteuert.
Kauen ist ein weitgehend unbewusst ablaufender Vorgang
Als orofaziales System bezeichnet man den Raum in der Mundhöhle oberhalb des Kehlkopfs.
Hier erfolgt die erste Zerkleinerung fester Nahrung durch Kauen
und Bewegungen von Zunge und anderen muskulären Teilen des Pharynx.
Der Kauakt erfolgt teils gezielt (willkürlich beeinflussbar), teils entsteht
ein Rückkopplungszyklus, der weitgehend unbewusst
abläuft (chewing motor program - unter Beteiligung des Kleinhirns). Beim Kaureflex
kommt es durch das Absenken des Kiefers (Muskelspindeln) reflektorisch
zur Aktivierung der Kaumuskulatur, deren anschließende Kontraktion und
reflektorische Hemmung den Kiefer wieder absinken läßt.
Das Steuerzentrum für die Mastikation liegt im Hirnstamm ("Kaumustergenerator"). Hier liegen Neurone, welche Frequenz, Amplitude und Muster der Kauphasen als central pattern generator bestimmen. Verknüpft ist u.a. eine Anregung der Sekretion (Salivation).
Auf Änderungen des sensorischen Feedback aus dem Mund-Nasen-Rachenraum
(z.B. harte Beimengung, schlechter Geschmack,..) reagieren die
zuständigen Neuronengruppen mit entsprechenden Änderungen des
motorischen Programms, die komplexe Formen annehmen können (z.B.
Schutzreaktionen wie Unterbrechung des Kauens, Entfernen des
Mundinhaltes).
Abbildung: Lage und Funktion der wichtigsten am Kauvorgang beteiligten Muskeln
Nach Vorlagen bei surgeryreference.aofoundation.org und researchgate.net
Der Masseter und m. pterygoideus medialis (nicht gezeigt) sorgen für den Kieferschluss, der m. temporalis zieht zusätzlich den Unterkiefer zurück, der m. pterygoideus lateralis ermöglicht seitliche Mahlgleitbewegungen und schiebt den Unterkiefer vor.
Der m. digastricus wirkt als Antagonist der Kaumuskeln: Er öffnet den Kiefer
Der Kiefer wird durch Aktivität des Masseter und Pterygoideus medialis geschlossen (Zubeißen), der M. temporalis zieht den Unterkiefer zurück, der Pterygoideus lateralis schiebt den Unterkiefer vor und bewirkt seitliche Gleitbewegungen. Der Digastricus öffnet den Kiefer (Mundöffnung) und wirkt insoferne als Antagonist der Kaumuskeln.
Bilaterale Projektion von der motorischen Großhirnrinde: Die Kaumuskulatur wird über motorische Neurone des V. Hirnnerven (Trigeminus) versorgt. Diese erhalten Projektionen vom motorischen Kortex über den tractus corticonuclearis
(willkürliche Steuerbarkeit der Kaubewegungen) - und zwar beidseitig,
sodass eine einseitige Blockade dieser Bahn keine wesentliche Lähmung
der Kaumuskulatur hervorruft.
Sensorische Zuflüsse aus dem Mundbereich: Die
Mund-, Zungen- und Rachenschleimhaut ist bestückt mit Rezeptoren zur
Messung der physikalischen (Mechano-, Thermorezeptoren) und chemischen
Beschaffenheit (Geschmacks-, Geruchsrezeptoren) des Mundinhaltes. Dies
dient der Wahrnehmung (Großhirn) sowie der reflektorischen Steuerung
von Kauen und Speichelsekretion (Koordination im Hirnstamm: nucl. salivatorius des N. facialis).
Bearbeitung in den Mund aufgenommener Inhalte. Die
Gesamtheit der Mechanismen, welche Aufnahme, Zerkleinerung,
Anfeuchtung, Durchmischung, Vorverdauung und Weitertransport von mit
dem Mund aufgenommener Flüssigkeit und Nahrung zum Ziel haben, wird in
der Zahnmedizin als orofaziales System bezeichnet. Als Kau- oder Okklusionsebene bezeichnet man dabei den geometrischen Ort, an dem sich bei Kieferschluss die Zähne des Ober- und des Unterkiefers treffen.
Zahnwissen-Lexikon
Die Mundhöhle
weist (wie die meisten mit Schleimhaut überzogenen Körperflächen)
komplexe mikrobielle Populationen auf (mehrere hundert Spezies) - teils
Anaerobier (vor allem auf den Zähnen und in Zahntaschen), teils mit
aerobem Stoffwechsel. Auf der Zahnoberfläche findet sich so gut wie
immer (auch unmittelbar nach einer Reinigung) ein Mikrofilm mit
Bakterien (Mikrokolonien), der weiteren Mikroben als Anhaftungsstelle
dient und innerhalb von Tagen (von den Zahntaschen ausgehend) zu
Zahnbelägen werden kann. Hier haften sich auch Anaerobier an (andere
Mikroorganismen verbrauchen den im Zahnbelag vorhandenen Sauerstoff).
Die Bildung saurer Stoffwechselprodukte kann schließlich den
Zahnschmelz schädigen und zur Bildung von Zahnkaries (die eigentlich
eine Infektionskrankheit darstellt) führen.
Abbildung: Positionen und Bewegungen des Unterkiefers
Nach: Reitemeier / Schwenzer / Ehrenfeld, Einführung in die Zahnmedizin, Thieme 2006
Die Aufzeichnung der Grenzbewegungen des Unterkiefers in der durch die Schneidezähne definierten Sagittalebene (rot) wird als Posselt-Diagramm bezeichnet. Zweck seiner Aufzeichnung ist eine Funktionsanalyse des Kausystems
Was die bei Kaubewegungen auftretenden Bewegungen des Unterkiefers betrifft, spricht man von Hauptpositionen, die er bei Beginn einer Kaubewegung zum Oberkiefer einnimmt:
Ruhelage (Ruheschwebe): Sie ist bestimmt durch Kaumuskeltonus und
Kopfposition und wird definiert als die "unbewusste Abstandshaltung des
Unterkiefers zum Oberkiefer bei aufrechter Kopf- und Körperhaltung".
Der Zug der Schwerkraft am Unterkiefer aktiviert in der Kaumuskulatur
den
Muskelspindelreflex. Faktoren wie Kälte, Stress oder Pharmaka beeinflussen Muskeltonus und Ruhelage.
Diverse
aktive Stellungen wie (zentrische) Okklusion (=Verschluss),
Interkuspidalposition (maximaler Vielpunktkontakt zwischen den Kiefern)
u.a.
Bei den Kieferbewegungen (Kaumotorik) unterscheidet man weiters
Öffnungsbewegungen
(dabei sind mehrere Muskeln aktiv: M. pterygoideus lat., M.
digastricus, M. mylohyoideus), die Kondylen rücken nach vorne-unten)
Lateralbewegungen (komplexe Seitenverschiebung des Unterkiefers; je nach Bewegungsmuster spricht man von De-, Re-, Pro-, Subtrusion)
Schließbewegungen (die
Elevatoren M. masseter, M. temporalis, M. pterygoideus med. werden
aktiviert, die Kondylen wandern in die fossa mandibularis zurück).
Zähne als Rezeptoren. Die Zähne
können beim Kieferschluss insgesamt einer Kraft ausgesetzt sein, die
ausreicht, das Körpergewicht der Person zu halten. Die Kaukraft passt
sich der Beschaffenheit des Kaugutes an; bei plötzlich auftretendem
"hartem" Widerstand stellen Mechanorezeptoren im Zahnhalteapparat
(Parodont ) sicher, dass die Schließmuskulatur gehemmt wird (~40 ms silent period im Elektromyogramm).
Der maximale Kaudruck reicht etwa aus, um eine Haselnuss zu knacken.
Die Wahrnehmungsschwelle für Fremdkörper zwischen den Zahnreihen
beträgt ~0,01 mm (!).
Zähne und das gesamte orofaziale System haben außer der Zerkleinerung
des Kaugutes auch weitere Funktionen, wie z.B. bei der Lautbildung
(phonetische Funktion, dentale Artikulation) und im ästhetischen Sinne. Zahndefekte können sich insbesondere durch Störungen des s-Lauts auswirken (Lispeln).
Mundschleimhaut. Die Mundhöhle bietet eine Resorptionsfläche von etwa 0,2 m2.
Vor allem
kleinere, lipophile Moleküle, die schon in geringer Dosierung wirksam
sind, werden gut aufgenommen und gelangen direkt in den systemischen
Kreislauf (Umgehung des hepatischen first-pass-Effekts).
Das ist für Stoffe wie das gefäßerweiternde Glyzeroltrinitrat (Nitroglyzerin) bedeutsam, das sonst von der
Leber (zu) rasch metabolisiert würde. Um die Resorptionszeit zu
erhöhen, sollten solche Substanzen vor dem Verschlucken möglichst lange im Mund behalten werden.
Schlucken und Speiseröhrenpassage
Der Schluckvorgang wird durch den Schluckreflex
im “Schluckzentrum” des Hirnstamms (formatio reticularis der medulla
oblongata und unteren pons) koordiniert. Beteiligt sind fünf Hirnnerven(paare): III (trigeminus), VII (facialis), IX (glossopharyngeus), X (vagus) und XII (hypoglossus).
Der Schluckreflex wird
durch mechanische Reizung (Lippenschluß, Anspannen der Wangenmuskeln,
Zungenbewegung gegen den harten Gaumen) der Rachenrückwand und/oder des
Zungengrundes durch einen sich bildenden Bolus (Speisebrei,
Flüssigkeit) ausgelöst.
Schluckgröße: Mit einem Schluck
kann eine erwachsene Person bis zu ~40 ml Flüssigkeit (meist deutlich weniger) in den Magen
befördern (pro Tag schluckt der Mensch ein- bis dreitausendmal, die
Flüssigkeitsaufnahme beträgt dabei insgesamt etwa 1-2 l/d) - Nahrungsbrei bis ~20 ml pro Schluck.
Abbildung: Schluckvorgang
Nach einer Vorlage bei Thibodeau / Patton, Anatomy & Physiology (6th ed), Mosby Elsevier 2007
Oben:
Orale Phase. Der Beginn des Schluckreflexes kann durch Meldungen oraler
Rezeptoren ausgelöst werden und ist bewusst triggerbar. Die Zunge
presst den Bolus gegen den Gaumen (links). Rückwärtige Zungenpartien drücken den Bolus anschließend gegen Gaumen und
Rachenrückwand (rechts), in der sich der obere Konstriktor zusammenzieht und
zusammen mit dem weichen Gaumen eine Abdichtung gegen den Nasenraum erzeugt.
Mitte: Zungengrund und
hintere Pharynxmuskulatur (vor allem der mittlere Rachenkonstriktor)
drängen den Bolus nach kaudal (parhyngeale Phase, links). Der (Epiglottis) schließt (Schluckapnoe) und verhindert das Eindringen des Speisebreis in die Luftröhre bei gleichzeitigem Anheben des
Kehlkopfs (laryngeale Phase, rechts).
Der Druck im oberen Oesophagussphincter (m. cricopharyngeus,
constrictor pharyngis inferior) nimmt
vorübergehend ab, was das Weitergleiten des Bolus erleichtert. Die
orale und pharyngeale / laryngeale Phase zusammen dauern etwa eine
Sekunde.
Unten: Oesophageale Phase. Kontraktion des oberen Oesophagussphincters erzeugt einen Druck bis zu 100 mmHg, eine peristaltische Welle
(3-5 cm/s, Dauer 7-10 s) befördert den Bolus zum Magen (Skelettmuskulatur geht verlaufend in glatte Muskulatur über), die Cardia
(unterer Oesophagussphincter) relaxiert vorübergehend, um den Bolus in
den Magen gelangen zu lassen
Der Ablauf des Schluckvorgangs lässt sich in
mehrere Phasen gliedern ( Abbildung):
Die orale Phase
der Schlucksteuerung ist willkürlich beeinflussbar und vom medialen
Temporallappen, dem limbischen System sowie dem motorischen Kortex
gesteuert. Sie umfasst Anteile von Kau-, Zungen- und Wangenmuskelmotorik. Die Zunge hebt sich gegen das Dach der Mundhöhle
und schiebt den Schluck nach rückwärts. Der weiche Gaumen schmiegt sich
an die Rachenhinterwand und verschließt den Eingang zur Nasenhöhle.
(Patienten mit Gaumenspalte haben Schwierigkeiten, den Mundinhalt nicht
in die Nasenhöhle gelangen zu lassen.)
Sobald der Schluckvorgang freigegeben ist, beginnt die pharyngeale Phase unter Koordination des Schluckzentrums in verlängertem Mark und der Pons, wobei der dorsale sowie motorische Vaguskern (nucl. ambiguus im Tegmentum)
im Mittelpunkt steht. Der obere Ösophagussphincter
- der den höchsten Ruhetonus aller Spincter des gastrointestinalen
Systems aufweist und aus quergestreiften Muskelzellen aufgebaut ist -
erschlafft
vollständig, der Bolus passiert ihn, worauf der Sphincter kontrahiert
und für etwa eine Sekunde einen Druck von bis ~60-100 mmHg aufbaut. In der pharyngealen Phase ist atmen nicht möglich.
Gleichzeitig läuft eine laryngeale Phase ab, die sicherstellt, dass der Kehlkopf den Zugang zur Luftröhre abdichtet. Der Kehlkopf hebt sich, der
Kehldeckel (Epiglottis ) schließt den Eingang zu Kehlkopf und Luftröhre
ab.
Der gesamte Vorgang besteht aus mehreren Komponenten:
-- Abschluss gegenüber dem Nasopharynx durch den weichen Gaumen
-- Abdichtung gegenüber dem Kehlkopfeingang durch Adduktion der Stimmfalten und der Aryepiglottis-Falten
-- Anheben des Zungenbeins
-- Absenken der Epiglottis, um den Bolus von Kehlkopf weg nach posterior zu steuern
-- Erschlaffung des m. cricopharyngeus (unterer Rachen-Verschlussmuskel)
Oesophageale
Phase: Normalerweise haben die Kontraktionen der Speiseröhre rein
peristaltischen Charakter - ausgelöst durch den Schluckvorgang.
Diese Fortsetzung des willkürmotorisch kontrollierbaren Schluckaktes bezeichnet man als primäre Ösophagusperistaltik. Sie ist über Fasern
des N. vagus gesteuert und würde auch bei Durchtrennung des
Muskelschlauchs der Speiseröhre weiter ablaufen. Sie transportiert den Bolus mit ~4 cm/s Richtung Magen; der untere
Ösophagussphincter
(LOS: lower oesophageal sphincter) erschlafft, bis der Bolus (~5 Sekunden nach Beginn
des Schluckvorgangs) die Cardia (Mageneingangs-Schließmuskel) passiert.
Anschließend kontrahiert
der untere Sphincter für ~2 Sekunden. Dieser Vorgang wird durch das
lokale Nervengeflecht gesteuert.
Wird der Ösophagus nicht (vollständig) geleert, tritt durch dehnungsbedingten vago-vagalen Reflex eine sekundäre Peristaltik auf. Dehnung der Ösophaguswand triggert distal davon sekundäre Ösophagusperistaltik und eine Erschlaffung des unteren Sphincters (ohne dass ein Schluckvorgang stattgefunden hat). Das
kann
auch auftreten, wenn Mageninhalt retrograd in die
Speiseröhre gelangt (gastro-ösophagealer Reflux). Je größer der zu
befördernde Bolus, desto stärker die peristaltische Welle. (Sehr starke
Dehnung kann die Peristaltik auch stoppen.)
Glattmuskuläre Anteile der
Speiseröhre können dank ihres Nervenplexus auch nach Vagotomie (also
ohne parasympathische Beteiligung) peristaltische Aktivität generieren.
Schließlich stellt sich wieder der "Betriebsdruck" beider Sphincteren
bei 20-25 mmHg ein, der Ösophagus ist vollständig erschlafft.
(In diesem Zustand können mittels Sonde intrathorakale Druckmessungen -
Atemmechanik! - vorgenommen werden - Donders-Druck).
Die Kontraktion des unteren
Ösophagussphincters steht unter dem Einfluss mehrerer Wirkstoffe, z.B. wird der Spinktertonus durch Gastrin erhöht, durch Prostaglandin E reduziert.
Innervation der Speiseröhre: Die Speiseröhre
ist sensorisch, somatomotorisch (obere quergestreifte Anteile), sympathisch und parasympathisch (Vagusnerv:
Peristaltik, Relaxation des unteren Sphincters) versorgt.
Sensorische Impulse
laufen über vagale Afferenzen zum nucl. tractus solitarii ("nucl. solitarius" - Abbildung).
Motorik: Fasern des X. Hirnnerven
aus
dem nucleus ambiguus
steuern - via direkte Synapsen an motorischen Einheiten - quergestreifte (kraniale), und solche
aus dem dorsalen Kern - über Kontakte mit dem zwischen Longitudinal- und Zirkulärschicht gelegenen Nervenplexus -
glattmuskuläre (kaudale) Anteile der Speiseröhre.
Die Auslösung einer peristaltischen Ösophaguswelle wird normalerweise nicht bewusst wahrgenommen. Ziel
der Peristaltik ist immer die vollständige Entleerung des Ösophagus
("Reinigungsfunktion" - kann mehrere nacheinander auftretende
peristaltische Wellen erfordern). Die genauen Steuerungsmechanismen
sind komplex und nur unvollständig verstanden. Die Peristaltik der
Speiseröhre wird sowohl lokal als auch von Hirnstamm gesteuert. Die
Relaxation des oberen Ösophagussphincters erfolgt durch lokale
Unterdrückung von Impulsen aus dem Schluckzentrum.
Die
Peristaltik des Ösophagus ist so kräftig, dass sie auch gegen
die Schwerkraft (z.B. im Kopfstand) Speiseröhreninhalt in den Magen
befördern kann.
Abbildung: Peristaltik des Ösophagus
Nach Goyal RK, Paterson
WG. Esophageal motility. In: Wood JD, ed. Handbook of Physiology: The
Gastrointestinal System. Washington, DC: American Physiological
Society, 1989: 865–908
Links: Ein Magenkatheter mit Drucksensoren liegt in der Speiseröhre. Rechts:
Synchrone Druckregistrierungen von verschiedenen Messstellen (grüne
Punkte). Die Marke gibt den Zeitpunkt an, an dem die Schluckwelle im
Pharynxbereich (Registrierung ganz oben) mit der Entspannung des oberen
Ösophagussphincters zusammenfällt.
Die Kontraktion der
Rachenmuskulatur - hier wird ein Spitzendruck von ~100 mmHg erreicht - fällt mit der Entspannung des oberen
Ösophagussphincters zusammen, der sonst einen hohen Ausgangsdruck (fast 100 mmHg) aufweist. Dieser Druckreduktion folgt die
peristaltische Welle Richtung Magen (zweiphasiger Verlauf der
Druckkurve) mit Spitzendrucken um die 50 mmHg. So kann ein Schluck bei
Kopfstand auch gegen die Schwerkraft in den Magen befördert werden.
Der untere Ösophagussphincter
- er erstreckt sich über die unteren 2-4 cm der Speiseröhre im Bereich
der Passage durch den hiatus diaphragmaticus, sein Verschlussdruck
beträgt höchstens 25 mmHg - erschlafft schon während der Peristaltik in
der Speiseröhre und
bleibt relaxiert, bis die Kontraktionswelle hier ankommt. Die Cardia
(Mageneingang) öffnet den Zugang zum Magen, dessen Fundus
(Registrierung ganz unten) nicht an der Kontraktion
teilnimmt, sondern als "Rezeptakulum" fungiert (gastrische
Akkommodation)
Die Passagezeit
von der Auslösung des Schluckvorganges bis zur Ankunft im Magen beträgt
einige wenige (meist unter 10, höchstens 20) Sekunden - Flüssigkeiten
wandern rascher als fester Inhalt. Manche Menschen sind einer
Inaktivierung des Reflexmechanismus im oberen Ösophagusbereich fähig,
sodass sie Flüssigkeit aus dem Pharynx kontinuierlich in die
Speiseröhre fließen lassen können.
In der Schwangerschaft senkt der hohe
Progesteronspiegel den Tonus des unteren Ösophagussphincters. Dazu
kommt der erhöhte intraabdominelle Druck, was den Verschluss des
Ösophagus gegen den Bauchraum insgesamt erschwert und eine
Refluxproblematik zur Folge haben kann.
Viele Wirkstoffe reduzieren den Tonus des unteren Ösophagussphincters, u.a. Alkohol, Opioide, Atropin, Anästhetika. Einige erhöhen den Tonus, u.a. Anticholesterinasen (z.B. Neostigmin).
Mechanische Reizung der Rachenwand kann Hust-, Würg- und
Brechreflexe auslösen, wie etwa beim Einschieben eines Tubus, einer
Magensonde oder eines Gastroskops.
Gastroskopie:
Durch Lokalanästhesie (Spray) lassen sich die Rezeptoren in der
Rachenschleimhaut betäuben; dies beeinträchtigt auch die reflektorische
Kontrolle des Schluckakts.
Störungen im Ablauf des Schluckreflexes (bei Bewusstlosen) können
lebensbedrohlich wirken: Verschlucktes gelangt in die Luftwege und löst
Komplikationen (Behinderung der Belüftung, Entzündung -
Aspirationspneumonie) aus.
Kann der untere Ösophagussphincter im Rahmen des Schluckvorgangs nicht
erschlaffen (aufgrund degenerierter inhibitorischer Nervenzellen in
diesem Bereich), treten Schluckstörungen (Achalasie: Schlucklosigkeit) auf. Durch Ballondilatation kann die Störung behoben werden.
Aspirationspneumonie
Gelangen
Flüssigkeiten, Speichel, Speise, Erbrochenes in die Luftröhre, kann
dies zu Entzündungen und Infektionen der Luftwege führen. Das kann
verschiedene Ursachen haben, wie Alkoholeinfluss, Überdosierung von
Medikamenten oder generelle Anästhesie; gastroösophegealer Reflux; oder
Schluckprobleme (Myasthenie, neurologische Ursachen).
Aus diesem Grunde muss vor Operationen mit Anästhesie sichergestellt
werden, dass einige Stunden vor dem Eingriff keine Nahrungsaufnahme
mehr erfolgt. Andererseits kann längere Nahrungskarenz bei manchen
Menschen auch Probleme verursachen (Dehydrierung, Elektrolytstörungen,
Hypoglykämie u.a.). Daher wird ein Kompromiss angestrebt: nach
aktuellem Europäischen Standard sollen ab 6 Stunden präoperativ keine
feste Nahrung, ab 2 Stunden präoperativ keine Getränke mehr aufgenommen werden.
Gastro-ösophagealer Reflux
(GERD:
Gastro-esophageal reflux disease)
Rückfluss sauren Mageninhalts durch die Cardia (Reflux, Abbildung)
ist in geringem
Ausmaß als physiologisch anzusehen (im unteren Ösophagusbereich
erreicht der pH im Laufe eines Tages bis zu 60 Minuten lang Werte unter
4). Die Schleimhaut hat die Fähigkeit,
solche Störungen abzupuffern (Muzine).
Abbildung: Gastroösophagealer Reflux (schematisch)
Nach einer Vorlage bei ttsz/iStock/Thinkstock
Ungenügende
kardiale Sphinkterfunktion ermöglicht einen Rückfluss saueren
Mageninhalts in die Speiseröhre. Dies ist in geringem Ausmaß und bei
kurzer Wirkungsdauer (rascher Rücktransport in den Magen) unschädlich,
bei stärkerer und länger anhaltender Säurweirkung kann sich die
Schleimhaut des Ösophagus entzünden (Refluxösophagitis)
Kommt es aber zu einer Überforderung der
Schutzmechanismen, kann sich die Schleimhaut entzünden ("Sodbrennen", Refluxösophagitis). Dies kann zu Geschwürbildung führen und ist als Präkanzerose zu werten.
Refluxfördernd
wirken u.a.
Den Tonus des unteren Ösophagussphincters kräftigend und damit refluxhemmend
wirken hingegen
Zwerchfellanspannung
Nahrungseiweiß
Hormone wie
Gastrin und Somatostatin (Ösophagusschutz während Digestion), α-Agonisten
Acetylcholin (Parasympathikus!),
Histamin, Substanz P etc.
Zum
Brechreflex s.
dort
Als orofaziales
System bezeichnet man den Raum in der Mundhöhle oberhalb des Kehlkopfs (Resorptionsfläche
~0,2 m2).
Mechano-,
thermo-, geschmacks- und geruchssensible Afferenzen aus Mund- und
Rachenraum werden bei Motorik und Speichelsekretion berücksichtigt. Das
Kauen dient der Zerkleinerung
des Mundinhaltes, der Durchmischung mit Speichel, und der
Vergrößerung der Oberfläche, an der Enzyme einwirken. Kaubewegungen erfolgen zum Großteil unbewusst (Kaumustergenerator im Hirnstamm, Beteiligung des Kleinhirns).
Der Masseter und m. pterygoideus medialis schließen den Kiefer,
der m. temporalis zieht den Unterkiefer zurück, der m. pterygoideus
lateralis erzeugt seitliche Mahlgleitbewegungen, der m. digastricus öffnet den Mund. Die Kaumuskulatur
wird - auch seitengekreuzt - über
den N. trigeminus versorgt. Plötzlich
auftretender Widerstand hemmt die Kaumuskulatur (Rezeptoren im Zahnapparat, ~40 ms silent period im EMG)
Der
Schluckreflex wird durch mechanische Reizung (Lippenschluß, Anspannen
der Wangenmuskeln, Zungenbewegung gegen den harten Gaumen) der
Rachenrückwand und/oder des Zungengrundes durch einen
Bolus ausgelöst und in der formatio reticularis (medulla oblongata, untere pons) koordiniert. Beteiligt sind der N. trigeminus, facialis, glossopharyngeus, vagus, hypoglossus. Mit einem Schluck können bis zu ~40 ml Flüssigkeit (Nahrungsbrei bis ~20 ml) in den Magen gelangen. Der Ablauf des Schluckvorgangs lässt sich in mehrere Phasen gliedern: Orale Phase (bewusst auslösbar), pharyngeale Phase (Druckwelle bis ~60-100 mmHg), laryngeale Phase mit Schluckapnoe (Schluss der Epiglottis), oesophageale Phase (Afferenz zum nucl. tractus solitarii, Vagusefferenz: Peristaltik, Relaxation des unteren Sphincters, peristaltische Welle 3-5 cm/s, Dauer 7-10 s). Der untere Ösophagussphincter (Verschlussdruck bis zu 25 mmHg) wird neuronal und endokrin gesteuert (Gastrin steigert,
Prostaglandin E reduziert den Tonus)
Ziel der Ösophagusperistaltik ist vollständige Entleerung
(Reinigungsfunktion, eventuell durch mehrere
peristaltische Wellen). Primäre Ösophagusperistaltik
ist die Fortsetzung des willkürlich kontrollierbaren Schluckaktes, ist
über den N. vagus gesteuert und funktioniert auch bei Durchtrennung des
Ösophagus. Sekundäre Ösophagusperistaltik
wird durch lokale Dehnung der Speiseröhrenwand ausgelöst (z.B. bei
gastro-ösophagealem Reflux) und kann auch nach Vagotomie erfolgen. Überdehnung kann die Peristaltik stoppen
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Die Informationen in dieser Website basieren auf verschiedenen Quellen:
Lehrbüchern, Reviews, Originalarbeiten u.a. Sie
sollen zur Auseinandersetzung mit physiologischen Fragen, Problemen und
Erkenntnissen anregen. Soferne Referenzbereiche angegeben sind, dienen diese zur Orientierung; die Grenzen sind aus biologischen, messmethodischen und statistischen Gründen nicht absolut. Wissenschaft fragt, vermutet und interpretiert; sie ist offen, dynamisch und evolutiv. Sie strebt nach Erkenntnis, erhebt aber nicht den Anspruch, im Besitz der "Wahrheit" zu sein.